Leitsatz (amtlich)

Die stationäre Entgiftungsbehandlung eines Alkoholkranken, die der stationären Entwöhnungsbehandlung vorausgeht, ist ebenso wie diese eine medizinische Leistung zur Rehabilitation iS von § 1237 RVO, auf die - sofern die Suchtbehandlung medizinisch indiziert ist - ein Leistungsanspruch besteht; bei diesem steht allein das "Wie" der Durchführung im pflichtgemäßen Ermessen des Rehabilitationsträgers (Anschluß an und Fortführung von BSG vom 2.10.1984 5b RJ 106/83 = BSGE 57, 157 = SozR 2200 § 1236 Nr 45).

 

Normenkette

RVO § 1236 Abs 1 S 5, § 1236 Abs 1 S 1, § 1237; RehaAnglG §§ 10, 2, 1

 

Verfahrensgang

SG Kiel (Entscheidung vom 06.10.1988; Aktenzeichen S 3 J 277/87)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten für eine Entgiftungsbehandlung, die der Kläger in der Zeit vom 11. bis 20. August 1986 in der Landesklinik Kiel-Elmschenhagen erhielt, zu übernehmen.

Der 1957 geborene Kläger ist alkoholabhängig. Seit Februar 1985 steht er unter Vormundschaft. Er bezieht laufende Hilfe zum Lebensunterhalt.

Im Juni 1986 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen zur Rehabilitation. Mit Bescheid vom 1. August 1986 gewährte ihm die Beklagte eine stationäre Heilbehandlung für voraussichtlich 8 Wochen in der Landesklinik Kiel-Elmschenhagen. Der Kläger wurde am 11. August 1986 in die Landesklinik aufgenommen und zunächst einer Entgiftung unterzogen. Am 21. August 1986 begann die Entwöhnungsbehandlung, die am 7. September 1986 erfolglos abgebrochen wurde.

Der Beigeladene lehnte es mit Bescheid vom 10. Oktober 1986 ab, die Kosten für die Entgiftungsbehandlung zu übernehmen. Die daraufhin vom Kläger angegangene Beklagte lehnte mit Bescheid vom 27. Oktober 1986 (ohne Rechtsmittelbelehrung) die Übernahme ebenfalls ab.

Gegen den Bescheid des Beigeladenen erhob der Kläger im November 1986 Klage, die das Verwaltungsgericht Schleswig mit Urteil vom 25. August 1987 zurückwies. Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung zum Oberverwaltungsgericht in Lüneburg eingelegt, über die bisher noch nicht entschieden worden ist.

Gegen den Bescheid der Beklagten erhob der Kläger im Oktober 1987 beim Sozialgericht (SG) Klage auf Übernahme der Kosten der Entgiftungsbehandlung in der Landesklinik Kiel-Elmschenhagen vom 11. bis 20. August 1986. Nachdem die Beklagte im März 1988 den Widerspruch gegen ihren Bescheid vom 27. Oktober 1986 zurückgewiesen hatte, hob das SG mit Urteil vom 6. Oktober 1988 beide Bescheide auf und stellte fest, daß die Beklagte die Kosten für die Entgiftungsbehandlung des Klägers, die vom 11. bis 20. August 1986 in der Landesklinik Kiel-Elmschenhagen stattgefunden hat, zu tragen hat. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, die gesamte Suchttherapie falle in den Zuständigkeitsbereich sowohl der Krankenversicherungsträger als auch der Rentenversicherungsträger. Die Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger ergebe sich daraus, daß diese nicht nur für die Behandlung in Kur- und Spezialeinrichtungen, sondern auch für ärztliche Behandlung zuständig seien.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision unter schriftlicher Zustimmung des Klägers angefochten. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und hält ihre bisher vertretene Auffassung aufrecht, daß in Ermangelung eines Krankenversicherungsschutzes des Klägers der zuständige Sozialhilfeträger für die Kosten der Entgiftungsbehandlung einzustehen habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 6. Oktober 1988 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 6. Oktober 1988 zurückzuweisen.

Eine Erklärung zur Sache hat er nicht abgegeben.

Der Beigeladene beantragt,

die Sprungrevision gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 6. Oktober 1988 zurückzuweisen.

Er hält an seiner Auffassung fest, daß die Rentenversicherungsträger auch für die isolierte Entgiftung eines Suchtkranken leistungspflichtig sind.

 

Entscheidungsgründe

Die kraft Zulassung durch das SG statthafte, mit schriftlicher Zustimmung des Gegners form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Bescheide der Beklagten vom 27. Oktober 1986 und 3. März 1988 aufgehoben und festgestellt, daß die Beklagte die Kosten für die Entgiftungsbehandlung des Klägers vom 11. bis 20. August 1986 in der Landesklinik Kiel-Elmschenhagen zu tragen hat. Der hierauf gerichtete Anspruch des Klägers gegen die Beklagte folgt aus §§ 1236, 1237 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm §§ 1, 2, 10 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (Reha-AnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I S 1881).

Ist die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder ist sie gemindert, so kann gemäß § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO der Träger der Rentenversicherung Leistungen zur Rehabilitation erbringen, wenn die Erwerbsfähigkeit durch diese Leistungen wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann oder wenn bei einer bereits geminderten Erwerbsfähigkeit durch diese Leistungen der Eintritt von Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit abgewendet werden kann. Nach § 1236 Abs 1 Satz 4 und 5 RVO richtet sich der Umfang der Leistungen zur Rehabilitation nach den §§ 1237 bis 1237b RVO, bestimmt der Träger der Rentenversicherung im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Leistungen zur Rehabilitation sowie die Rehabilitationseinrichtung unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach pflichtgemäßem Ermessen. Die medizinischen Leistungen zur Rehabilitation sind ihrer Art nach durch eine beispielhafte ("insbesondere") Auflistung spezifischer Leistungen in § 1237 RVO und weitgehend wortgleich § 10 Reha-AnglG näher bezeichnet und umfassen gemäß § 10 Reha-AnglG "alle Hilfen ..., die erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, eine Behinderung zu beseitigen, zu bessern oder eine Verschlimmerung zu verhüten". Ausdrücklich im Gesetz erwähnt ist, daß dazu auch Maßnahmen in Krankenhäusern, Kur- und Spezialeinrichtungen einschließlich der erforderlichen Unterkunft und Verpflegung dazugehören. Die Entgiftungsbehandlung, die dem Kläger in der Landesklinik Kiel-Elmschenhagen zuteil wurde, ist eine medizinische Leistung zur Rehabilitation iS der bezeichneten Vorschriften.

Die in § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO genannten allgemeinen Leistungsvoraussetzungen, daß es sich bei dem Kläger um einen Versicherten iS von § 1236 Abs 1a RVO handelt und seine Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist, sind unter den Beteiligten nicht streitig. Sie liegen nach den mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffenen und damit gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des SG vor.

In gleicher Weise sind die spezifischen Tatbestandsmerkmale erfüllt, von denen § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO abhängig macht, daß der Träger der Rentenversicherung überhaupt - "dem Grunde nach" - Leistungen zur Rehabilitation zu erbringen hat (im Unterschied zur Regelung des § 1236 Abs 1 Satz 5 RVO, die die Art, den Umfang und den Ort - das "Wie" - der Leistungen betrifft). Zwei Gesichtspunkte sind im Gesetz als dafür maßgebend herausgestellt: die sachliche Zuständigkeit - gerade und auch - des Rentenversicherungsträgers zur Erbringung von Rehabilitationsleistungen einerseits, das Ziel und die Erfolgsaussicht dieser Leistungen andererseits.

Das erste Erfordernis ist im Gesetz mit der Wendung "kann .... erbringen" zum Ausdruck gebracht. Hiermit ist für die Träger der Rentenversicherung der Arbeiter eine Rechtsmacht normiert, außer den Regelleistungen gemäß § 1235 Nr 2 und 3 RVO, die nach dem Eintritt von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit zur Kompensation der dadurch dem Versicherten entstehenden Einkommenseinbuße zu erbringen sind, auch schon vor diesem Zeitpunkt Leistungen zu gewähren, die den Versicherungsfällen der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit vorbeugend entgegenwirken. Durch § 7 Reha-AnglG ist diesen Präventivmaßnahmen der Vorrang vor den Rentenzahlungen eingeräumt. Von den Rentenversicherungsträgern im Rahmen der Rechtsmacht getroffene Maßnahmen dienen iS des § 30 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften - (SGB IV) "zur Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben" und dürfen demgemäß aus den "Mitteln" der Leistungsträger iS von § 20 SGB IV finanziert werden. In der Gesamtsystematik des Rechts der Sozialversicherung steht die Regelung damit gehaltlich in Parallele zu §§ 179, 181 ff RVO, §§ 11, 20 ff des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) und §§ 547, 556 ff RVO, wo für die Träger der gesetzlichen Kranken- und Unfallversicherung die Zuständigkeit zur Erbringung gleichartiger Leistungen normiert ist.

Die Verwendung des Wortes "kann" im Gesetzestext bedeutet demzufolge nicht, daß mit ihm dem Sozialversicherungsträger für die Eingangsprüfung, ob er überhaupt "Leistungen zur Rehabilitation (zu) erbringen" hat, ein Ermessensspielraum eingeräumt ist. Bezeichnet ist hierdurch vielmehr nur ein bestimmter Ausschnitt aus der arttypischen Organisation der Rentenversicherungsträger iS der genannten Aufgabenzuweisung, die einerseits die Legitimation zum Handeln nach § 30 Abs 1 SGB IV enthält, andererseits zugleich die Pflicht begründet, die Zuständigkeit auch durch konkrete - gemäß § 1236 Abs 1 Satz 5 RVO auszuwählende - Leistungen im Einzelfall tatsächlich wahrzunehmen.

Auf eine solche rechtliche Qualifizierung zielen ihrem gedanklichen Ansatz nach bereits die Überlegungen, die der erkennende Senat zur Begründung seines Urteils vom 2. Oktober 1984 - 5b RJ 106/83, BSGE 57, 157, 161 = SozR 2200 § 1236 RVO Nr 45 - dargetan und an denen er in seinem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 15. November 1989 - 5 RJ 1/89 - festgehalten hat. Wenn dort im Anschluß an die Bemerkung, unter Berücksichtigung des in § 7 Reha-AnglG niedergelegten Grundsatzes 'Rehabilitation vor Rente' rückten Rehabilitationsmaßnahmen von ihrer Intention her nahe an die Leistungen heran, auf die der Versicherte einen Rechtsanspruch habe, fortgefahren wird, dies bedeute, daß bei medizinischer Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Rehabilitationsmaßnahme die Beklagte keine Möglichkeit habe, dem Versicherten die vorgesehene oder eine gleichwertige Maßnahme zu versagen, so ist damit der Sache nach der aufgezeigte Zusammenhang zwischen Handlungsmacht und -verpflichtung angesprochen und gleichzeitig ein Ermessensspielraum für das 'Ob' der Leistungsgewährung ausgeschlossen worden.

Bestätigt wird das dargelegte Begriffsverständnis des "Kann" durch eine gesetzessystematische Auslegung von § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO im Zusammenhang mit Satz 5 der Vorschrift. In Satz 5 ist ausdrücklich von "pflichtgemäßem Ermessen" des Sozialversicherungsträgers die Rede, in Satz 1 dagegen nicht. Beide Sätze in der Frage des Ermessens inhaltlich übereinstimmend zu interpretieren, hieße den Unterschied der sprachlichen Fassung außer acht zu lassen. Für eine derartige Vernachlässigung des Gesetzeswortlauts besteht keine aus dem Sinn und Zweck der Gesamtregelung des § 1236 Abs 1 RVO herleitbare Notwendigkeit. Im Gegenteil ergibt eine der sprachlichen Formulierung entsprechend differenzierende Auslegung eine Lösung, die sachlich plausibel und in sich geschlossen ist und vor allem in ihrer Parallelität zur Leistungszuständigkeit und -pflicht der Träger der gesetzlichen Kranken- und Unfallversicherung der Absicht zur Vereinheitlichung der Leistungssparte Rehabilitation genügt, die mit dem Reha-AnglG verfolgt wird.

Die in § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO normierte Aufgabe der Rentenversicherungsträger zur Rehabilitation ist allerdings enger gehalten als die gleichgerichtete Kompetenz der Leistungsträger der anderen Sozialversicherungszweige. Das Gesetz überträgt unter dem zweiten genannten Blickwinkel von Ziel und Erfolgsaussicht die Rehabilitation auf die Rentenversicherungsträger nur für die Fälle, in denen mit den Leistungen gemäß §§ 1236 Abs 1 Satz 4, 1237 bis 1237b RVO bezweckt wird, die Erwerbsfähigkeit des Versicherten positiv - dh iS der Erhaltung oder Wiederherstellung - zu beeinflussen, und die geplanten Maßnahmen aus jeweils fachspezifischer Sicht auch geeignet sind, das gewünschte Ergebnis herbeizuführen. Leistungen, die diesem Zweck nicht oder zumindest nicht mit dienen (also etwa allein auf die Gesundung des Versicherten gerichtet sind, weil eine aufgetretene Krankheit nicht zugleich auch die Erwerbsfähigkeit iS des Rentenversicherungsrechts beeinträchtigt), sind von der Rechtsmacht des § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO ausgenommen und durch § 30 Abs 1 SGB IV nicht gedeckt. Gleiches gilt für Maßnahmen, die schon von ihrer sachlichen Anlage her nicht dafür in Betracht kommen, die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten positiv zu beeinflussen, sei es, weil sie nach Gegenstand und Wirkung generell nicht den Typ des Leistungsbedarfs treffen, der beim Versicherten zu decken ist, sei es, daß sie zwar generell dazu geeignet wären, im Hinblick auf die individuelle Situation und Konstitution des Versicherten aber im speziellen Einzelfall als potentiell wirksames Mittel ausscheiden.

Für die Prüfung, die der Rentenversicherungsträger in Rehabilitationsangelegenheiten vorzunehmen hat, ergibt sich aus dem Dargelegten eine doppelte Folgerung: Bejaht der Rentenversicherungsträger die anfangs genannten allgemeinen Leistungsvoraussetzungen - Versicherter gemäß § 1236 Abs 1a RVO; Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ('Versicherungsfall'), § 1236 Abs 1 Satz 1 1. Halbsatz RVO -, so spricht er sich zum einen hierdurch zugleich in dem Sinn aus, daß er in seiner Funktion als Rehabilitationsträger gemäß §§ 1236 ff RVO gefordert - "zuständig" - ist. Zum anderen wird es damit für ihn kraft Gesetzes notwendig zu überlegen, ob und welchen Weg es gibt, auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten günstig (= stabilisierend oder regenerierend) einzuwirken. Kommt er zu dem Ergebnis, daß Mittel zur Verfügung stehen, die hierfür geeignet in der bezeichneten Bedeutung sind, hat er die reale Durchführung der Rehabilitation einzuleiten und die konkret angebrachten Einzelmaßnahmen nach Maßgabe von §§ 1236 Abs 1 Satz 4 und 5, 1237 bis 1237b RVO auszuwählen.

In den beiden zuerst genannten Beziehungen unterliegt der Rentenversicherungsträger uneingeschränkt der Kontrolle durch die Gerichte. Seine Bestimmung des "Wie" der Rehabilitation nach § 1236 Abs 1 Satz 5 RVO ist dagegen als nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung lediglich in den Grenzen der §§ 39 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I), 54 Abs 2 Satz 2 SGG überprüfbar, soweit nicht ein Fall der 'Reduzierung des Ermessens auf Null' vorliegt. Daß eine solche Ausnahme speziell bei medizinischen Leistungen zur Rehabilitation dann gegeben ist, wenn für eine Rehabilitationsmaßnahme "medizinische Notwendigkeit und Erfolgsaussicht" besteht, hat der erkennende Senat bereits in seinem oben zitierten Urteil vom 2. Oktober 1984 aaO ausgesprochen. Der Rentenversicherungsträger ist vom Zweck des Gesetzes her gehalten, sein Ermessen dahin auszuüben, daß die für die Erwerbsfähigkeit des Versicherten günstigste Maßnahme durchgeführt wird, wobei alle Versicherten in gleicher Lage auch in gleicher Weise zu fördern sind. Er darf sich demzufolge nicht etwa darauf beschränken, eine vom Versicherten schon konkret vorgeschlagene oder gewünschte Maßnahme bloß negativ als ungeeignet zu bezeichnen und nichts darüber hinaus zu unternehmen. Er hat vielmehr positiv in dem Sinn tätig zu werden, daß er aus dem Katalog der zur Verfügung stehenden 'geeigneten' Rehabilitationsmittel eine bestimmte - seinem pflichtgemäßen Ermessen genügende - Leistung auswählt und diese zugunsten des Versicherten erbringt.

Mit ihrer Bewilligung von stationärer Heilbehandlung im Bescheid vom 1. August 1986 hat die Beklagte zu erkennen gegeben, daß sie den Versicherungsfall des § 1236 Abs 1 Satz 1 1. Halbsatz RVO als eingetreten ansah und sich dementsprechend für "dem Grunde nach" im dargelegten Sinn leistungspflichtig hielt. Mit der Festlegung von Art, Zeit und Ort der Maßnahme auf eine stationäre Heilbehandlung für voraussichtlich acht Wochen in der Landesklinik Kiel-Elmschenhagen ist eine Bestimmung iS von § 1236 Abs 1 Satz 5 RVO erfolgt. Diese Leistungskonkretisierung hielt sich, soweit es sich um die Gewährung von Krankenhausbehandlung als solcher handelt, sowohl in den Grenzen des der Beklagten eingeräumten Ermessens als auch insbesondere im Rahmen des durch § 1237 RVO normierten Spektrums medizinischer Leistungen zur Rehabilitation.

Zwar wird in § 1237 RVO die Krankenhausbehandlung als medizinische Leistung zur Rehabilitation nicht ausdrücklich genannt. Das schließt jedoch im Blick auf die Abfassung der Vorschrift insgesamt und unter Berücksichtigung des Wortlautes von § 10 Reha-AnglG nicht aus, die Krankenhausbehandlung sachlich zu den medizinischen Leistungen zur Rehabilitation zu rechnen, die ein Rentenversicherungsträger gemäß § 1236 Abs 1 Satz 4 RVO als Rehabilitationsmaßnahmen durchführen darf. Denn zum einen ist die Aufzählung einzelner spezifischer Leistungsarten in § 1237 RVO, wie die Worte "insbesondere" und "vor allem" deutlich machen, nur als beispielhafter Katalog zu verstehen, der nicht geschlossen ist, sondern um andere, nicht ausdrücklich genannte medizinische Maßnahmen erweitert werden kann. Daß Krankenhausbehandlung iS der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (= ein Vorgang, der im wesentlichen unter der aktiven und fortdauernden behandelnden Einwirkung des Arztes und der ständigen Assistenz, Betreuung und Beobachtung fachlich geschulten Pflegepersonals erfolgt und bei dem typischerweise Apparaturen des Krankenhauses in Anspruch genommen werden, BSGE 46, 41; 51, 44, 46; BSG SozR 2200 § 184a Nr 5) eine derartige medizinische Maßnahme ist, kann nicht zweifelhaft sein. Zum anderen wird in § 10 Reha-AnglG die Anordnung zu Beginn der Vorschrift, daß "alle Hilfen ..." umfaßt sein sollen, am Schluß dahin exemplifiziert, daß medizinische Leistungen "auch in Krankenhäusern ..." zu erbringen sind. Aus der rechtssystematischen Zusammengehörigkeit und funktionalen Übereinstimmung beider Vorschriften ist es gerechtfertigt, die Anordnungen auch, was die Tragweite ihres Regelungsgehaltes anbelangt, einheitlich zu verstehen und in den Abweichungen der sprachlichen Fassung bloß redaktionelle Unzulänglichkeiten zu sehen.

Die Frage, auf welche Krankheit oder Behinderung eine stationär erbrachte medizinische Leistung zielt und welcher therapeutische Erfolg mit ihr bei Gelingen erreicht werden kann, spielt für den Charakter der jeweiligen Maßnahme als Krankenhausbehandlung, sofern deren in der Rechtsprechung des BSG geforderte Merkmale erfüllt sind, keine Rolle. Im speziellen Fall der medizinischen Leistungen zur Rehabilitation Suchtkranker sind daher alle Behandlungsabschnitte gleicherweise Krankenhausbehandlung, die stationär unter den bezeichneten Vorbedingungen erbracht werden, ungeschieden danach, ob es sich im Blick auf den angestrebten Gesamteffekt um eine Vor-, Haupt- oder Nachbehandlung oder ähnliche Gruppierung von Einzelleistungen handelt.

Die zur sinnvollen Behandlung Alkoholkranker medizinisch indizierte Abfolge von Entgiftung und Entwöhnung macht hiervon keine Ausnahme. Im Gegenteil ist eine Entwöhnungsbehandlung, der keine Entgiftung vorausgeht, dem Verdacht ausgesetzt, nicht eine 'geeignete' Maßnahme im dargelegten Sinn zu sein. Der Begriff Entgiftung hat sich für die Phase der Behandlung eingebürgert, bei der zunächst der Abbau des Giftes aus dem Körper erreicht werden soll. In dieser Phase sind - zum Teil gefährliche - Erscheinungen zu befürchten, die eine intensive ärztliche und pflegerische Betreuung notwendig machen (vgl § 4 Empfehlungsvereinbarung über die Zusammenarbeit der Krankenversicherungsträger und der Rentenversicherungsträger bei der Rehabilitation Abhängigkeitskranker vom 2. November 1978 = sogenannte Empfehlungsvereinbarung Sucht, abgedruckt Amtliche Mitteilungen der LVA Rheinprovinz 1979, S 204). Eine Entgiftung ohne eine solche medizinische Absicherung durchzuführen hieße daher das Risiko in Kauf zu nehmen, daß der Versicherte durch eine Rehabilitationsmaßnahme in seiner Erwerbsfähigkeit schlechter statt besser gestellt wird. Da dies dem Gesetzeszweck offenkundig zuwiderliefe, kann allein die Art und Form der Behandlung als vorschriftsmäßig angesehen werden, die eine einwandfreie medizinische Sorge um den Patienten im genannten Umfang gewährleistet. Das aber ist in aller Regel nur bei Aufnahme des Versicherten in ein Krankenhaus oder eine ausstattungsmäßig gleichbefähigte andere Einrichtung zu bejahen. Außergewöhnliche Umstände, die vielleicht eine Ausnahme hiervon begründen könnten, sind vom SG nicht festgestellt worden.

Wenn auf der einen Seite also Entgiftung und Entwöhnung als medizinische Leistungen zur Rehabilitation iS von § 1237 RVO auch fachlich und begrifflich gegeneinander abgesetzte und formal selbständig durchzuführende Einzelmaßnahmen sind, so besteht auf der anderen Seite zwischen ihnen doch ein derartiger funktioneller medizinischer Zusammenhang, daß zu einer Rehabilitation gemäß §§ 1236 Abs 1 Satz 1 und 4, 1237 RVO, die zugleich den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach § 1236 Abs 1 Satz 5 RVO genügt, prinzipiell beide gemeinsam gehören. Mit der Feststellung, daß für einen Versicherten eine Suchtbekämpfung medizinisch indiziert ist, ergibt sich demzufolge für den Rentenversicherungsträger die Pflicht, beide Leistungen auch real - mit Auswahl des "Wie" nach § 1236 Abs 1 Satz 5 RVO - zu erbringen.

Für den aufgrund von § 1545 Abs 1 Nr 2 RVO vorausgesetzten Antrag des Versicherten auf Rehabilitationsleistungen bedeutet dies, daß er lediglich das Begehren erkennen lassen muß, der Rentenversicherungsträger solle zur Rehabilitation eine Behandlung der Suchtkrankheit durchführen. Eine inhaltliche Konkretisierung in der einen und/oder anderen Beziehung ist nicht erforderlich, allerdings auch nicht schädlich (etwa in dem Sinn, daß bei Nennung nur einer Teilmaßnahme auch bloß diese vorzunehmen wäre). Der vom Kläger im Juni 1986 gestellte Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation genügte damit als Grundlage für die Durchführung sowohl der Entwöhnungs- als auch der vorausgehenden Entgiftungsbehandlung in der Landesklinik Kiel-Elmschenhagen.

Nach alledem mußte der Revision der Beklagten der Erfolg versagt bleiben; sie war zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1655665

BSGE, 87

NJW 1990, 2959

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