Reha Antrag: Krankenkasse kann dazu auffordern

Der Patient verarbeitet gerade die ungünstige Prognose seines Arztes. Und dann ist noch die nächste Hiobsbotschaft zu bewältigen: Die Krankenkasse fordert ihn auf, bei der Rentenversicherung (RV) einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe zu stellen.

Das Formular dafür ist gleich beigefügt mit einem fetten Stempelaufdruck: Eilantrag. Sollte der Antrag nicht gestellt werden, wird mit dem Verlust des Krankengelds gedroht. Eigentlich ist der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe (kurz: Rehabilitations- oder Reha-Antrag) eine gute Sache. Schließlich geht es darum,

  • die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit zu erhalten,
  • die Existenz zu sichern und
  • den Versicherten wieder an die Arbeit zu bringen.

Die Interessen der Krankenkasse und des Versicherten sind aber oft höchst unterschiedlich. Einerseits ist die Krankenkasse gesetzlich verpflichtet, den Krankengeldbezug zu begrenzen und frühestmöglich zu beenden. Andererseits möchte der Versicherte seinen Krankengeldanspruch ausschöpfen und eigene Pläne hinsichtlich seiner Zukunft verwirklichen. Außerdem könnte es zu einer Frühverrentung mit erheblichen Einkommenseinbußen kommen.

Reha Antrag: Die Krankenkasse kann dazu auffordern

Die Krankenkasse ist nicht gezwungen, zum Reha-Antrag aufzufordern. Es liegt vielmehr in ihrem „pflichtgemäßen“ Ermessen. Dabei hat sie alle Umstände des Einzelfalls sorgfältig abzuwägen. In der Praxis gibt es oft eindeutige Regeln des Kassenvorstands, wann der Fallmanager eine Aufforderung auszusprechen hat und wann nicht. Leider handelt es sich um interne Angelegenheiten der Krankenkasse, die der Versicherte nicht kennt und auf die er sich nicht berufen kann. Nachfragen ist aber gestattet. Wenn sich die Krankenkasse entschließt, dann fordert sie ihren Versicherten regelmäßig schriftlich auf.
Hinweis:

  • Ermessen bedeutet nicht Willkür. Die Krankenkasse legt sich allgemeingültig fest, bei welchen Sachverhalten sie auf eine Aufforderung verzichtet.
  • Die Rechtsprechung räumt beim Ermessen ein vorrangiges Interesse der Krankenkasse ein, die Leistungszuständigkeit auf die Rentenversicherung übergehen zu lassen. Die Interessen des Versicherten sind allerdings ebenfalls zu berücksichtigen und gegen die Interessen der Krankenkasse abzuwägen.
  • Die Krankenkasse kann auch eine „Aufforderung“ aussprechen, wenn der Versicherte bereits einen Renten- oder Reha-Antrag gestellt hat. Die „nachgeschobene“ Aufforderung erzeugt die gleiche Rechtswirkung wie eine ursprünglich ausgesprochene Aufforderung. Der Versicherte darf von diesem Zeitpunkt an seinen Antrag ohne Zustimmung der Krankenkasse weder zurückzunehmen noch inhaltlich beschränken.

Es ist stets ratsam, der Aufforderung durch die Krankenkasse nachzukommen. Sonst droht der Verlust des Krankengeldes. Allerdings ist der Versicherte nicht verpflichtet, das unter Umständen vorausgefüllte und womöglich mit dem Aufdruck „Eilantrag“ versehene Formular der Krankenkasse zu benutzen. Der Antrag kann direkt beim Rentenversicherungsträger auf den dafür vorgesehenen Formularen gestellt werden. Dazu kann die gesetzte Frist bis zum letzten Tag ausgenutzt werden. Die Krankenkasse ist vom Antrag zu unterrichten.

Gut zu wissen: Im Schreiben der Krankenkasse muss auf jeden Fall dargelegt werden, wie die Krankenkasse ihr Ermessen genutzt hat und welche Gründe sie bewogen haben, zum Reha-Antrag aufzufordern. Außerdem ist der Versicherte über die Rechtsfolgen der Aufforderung zu beraten (Fristverlauf, Wegfall des Krankengelds, Umwandlung in einen Rentenantrag, eingeschränktes Dispositionsrecht, Versicherungsschutz). Hat der Versicherte ein überwiegendes Interesse geltend gemacht (z. B. im Rahmen der Anhörung), den Reha-Antrag später zu stellen oder den Rentenbeginn hinauszuschieben, ist in der Entscheidung der Krankenkasse darauf einzugehen. Ein überwiegendes Interesse des Versicherten wurde durch die Rechtsprechung anerkannt, wenn

  • durch einen späteren Rentenbeginn eine erhebliche Verbesserung des Rentenanspruchs möglich ist,
  • der Rentenantrag nach tarifvertraglichen Regelungen automatisch zum Arbeitsplatzverlust führt,
  • ein Anspruch auf Betriebsrente durch einen frühzeitigen Rentenbeginn verloren geht,
  • eine qualifizierte Wartezeit noch nicht erreicht ist,
  • versicherungsrechtliche Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner noch erfüllbar sind oder
  • der Anspruch auf Krankengeld in absehbarer Zeit endet und die finanziellen Einbußen der Krankenkasse gering sind, falls sie auf die Aufforderung verzichtet.

Aufforderung zur Reha: Ohne medizinisches Gutachten geht es nicht

Die Krankenkasse beauftragt regelmäßig den Medizinischen Dienst (MD), ein Gutachten darüber zu erstellen, ob die Erwerbsfähigkeit eines arbeitsunfähigen Versicherten erheblich gefährdet oder bereits gemindert ist. Trifft dies zu, wird die Angelegenheit nämlich zu einem Fall für die RV. Der Versicherte scheidet aus dem Krankengeldbezug aus, sobald die RV ein Übergangsgeld oder sogar eine Rente bewilligt.

Die Krankenkasse bespricht mit dem MD, ob das Gutachten aufgrund vorhandener Akten oder nach einer sozialmedizinischen Untersuchung erstellt wird. In jedem Fall hat der Versicherte daran mitzuwirken, wenn er seinen Krankengeldanspruch nicht gefährden will. Zur Mitwirkung des Versicherten gehört es, den behandelnden Arzt zu ermächtigen, medizinische Unterlagen beim MD vorzulegen oder sich dort persönlich einer Untersuchung zu unterziehen.

Hinweis: Der Medizinische Dienst ist der unabhängige und rechtlich selbstständige sozialmedizinische Beratungs- und Begutachtungsdienst für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung. Er stellt durch seine Begutachtung sicher, dass die Leistungen der Kranken- und der Pflegeversicherung nach objektiven medizinischen Kriterien allen Versicherten zu gleichen Bedingungen zugute kommen.

Erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit

Belegt das Gutachten, dass die Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet oder gemindert ist, wird die Krankenkasse in den meisten Fällen zum Reha-Antrag auffordern.

Wann ist die Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet oder gemindert? Davon ist auszugehen, wenn entweder der gesundheitliche Zustand des Versicherten bereits so schlecht ist, dass vorausschauend mit einer dauerhaften Minderung oder dem Verlust der Erwerbsfähigkeit gerechnet werden muss oder die Erwerbsfähigkeit bereits gemindert ist. Dazu ist auf die persönlichen Verhältnisse des Versicherten und dessen aktuelle körperliche und geistige Konstitution und die gesundheitliche Einschränkung seiner konkreten beruflichen Leistungsfähigkeit abzustellen, die voraussichtlich länger als 6 Monate andauern werden. Der Zeitraum beginnt mit der Beurteilung durch die Krankenkasse und verläuft unabhängig davon, wie lange die Einschränkung bereits besteht. Die Krankenkasse entscheidet unabhängig von den Erfolgsaussichten der Leistung zur Teilhabe. Sie kann deshalb auch bei fehlender Erfolgsaussicht zur Antragstellung auffordern, um eine Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit herbeizuführen.

Nach dem Grundsatz „Rehabilitation vor Rente“ wird die RV nun prüfen, ob Leistungen zur Teilhabe angebracht sind.
Hinweis: Nicht jeder Mensch mit einer Behinderung ist für die RV erwerbsgemindert:

  • eine Schwerbehinderung (§§ 151 ff. SGB IX) oder
  • eine durch den Unfallversicherungsträger festgestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit

sind nicht mit der in der RV beachtlichen gefährdeten oder geminderten Erwerbsfähigkeit gleichzusetzen. Daraus kann nicht unbedingt auf das individuelle Leistungsvermögen im Erwerbsleben geschlossen werden.

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