Entscheidungsstichwort (Thema)

Herstellungsanspruch. Beratungspflicht. versicherungsrechtliche Voraussetzungen. Berufsunfähigkeitsrente. Nachentrichtung. Pflichtbeiträge. Antragspflichtversicherung. Ausbeiner. Zerleger. abhängige Beschäftigung

 

Leitsatz (amtlich)

  • Bei Anträgen Selbständiger auf Zulassung zur freiwilligen Weiterversicherung ist im Hinblick auf § 1246 Abs 2a RVO regelmäßig der Hinweis erforderlich, daß die besonderen versicherungspflichtigen Voraussetzungen nur durch Pflichtbeiträge erfüllt werden können und dies durch Beitritt zur Antragspflichtversicherung möglich wäre.
  • Zu den Voraussetzungen für die Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen.
 

Normenkette

SGB I § 14; RVO § 1246 Abs. 2a, §§ 1418, 1227 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 9; ArVNG Art. 2 § 6 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 11.12.1992; Aktenzeichen L 5 J 100/91)

SG Schleswig (Urteil vom 25.04.1991; Aktenzeichen S 4 J 135/89)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. Dezember 1992 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) oder Berufsunfähigkeit (BU) ab 1. Juni 1989. Streitig ist vornehmlich, ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für diese Rentenarten erfüllt sind.

Der am 15. Mai 1952 geborene Kläger hat nach seinen eigenen Angaben in der Zeit von 1968 bis 1971 den Beruf des Schlachters erlernt und war im Anschluß hieran versicherungspflichtig in diesem Beruf beschäftigt. Im Februar 1985 teilte er der Beklagten mit, er sei seit Oktober 1984 “freischaffend” tätig und wolle sich rückwirkend von diesem Zeitpunkt an freiwillig versichern. Einen formellen Antrag auf freiwillige Versicherung in der Rentenversicherung der Arbeiter stellte er im November 1985. Die Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 14. Januar 1986 die Berechtigung des Klägers fest, ab 1. Januar 1985 freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter zu entrichten. Die Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit vom 1. Oktober 1984 bis 31. Dezember 1984 ließ sie dagegen mit der Begründung nicht zu, der Antrag sei erst am 22. November 1985 und damit für 1984 nicht rechtzeitig gestellt worden. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Den im Juni 1989 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Juni 1989 ab; zur Begründung wies sie darauf hin, daß die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach den §§ 1246 Abs 2a, 1247 Abs 2a der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erfüllt seien, weil – ausgehend von einer ab 18. April 1988 bestehenden Leistungsminderung – nur für 18 Kalendermonate Pflichtbeiträge nachgewiesen und auch die besonderen Voraussetzungen nach dem Übergangsrecht nicht erfüllt seien, weil nicht jeder Kalendermonat in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1987 mit Beiträgen oder nicht mitzuzählenden Zeiten (Streckungszeiten) belegt sei.

Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Schleswig vom 25. April 1991; Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 11. Dezember 1992). Seine Entscheidung hat das LSG im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Der Kläger könne im Zeitraum vom 1. April 1983 bis 31. März 1988 anstelle der nach den §§ 1246 Abs 2a, 1247 Abs 2a RVO geforderten 36 Kalendermonate nur für 18 Kalendermonate Pflichtbeiträge vorweisen. Der für den Kläger maßgebende Zeitraum lasse sich auch nicht durch Streckungszeiten verlängern; hierbei könne insbesondere nicht eine Kindererziehungszeit herangezogen werden, weil dafür Voraussetzung sei, daß der Kläger weniger als geringfügige Einkünfte erzielt hätte. Er habe jedoch ab 1. Oktober 1984 als Selbständiger mehr als nur geringfügige Einkünfte gehabt. Der Mangel der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lasse sich auch nicht über Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) heilen. Es fehle an entsprechenden Beiträgen für die Zeit von Oktober 1984 bis Dezember 1984. Für diese Zeit könne der Kläger wegen § 1418 Abs 1 RVO keine freiwilligen Beiträge mehr nachträglich entrichten. Der Kläger habe sich auch nicht rechtzeitig zur Nachentrichtung von Beiträgen bereit erklärt (§ 1420 Abs 1 RVO). Die Bereiterklärung müsse vor Ablauf der Frist des § 1418 RVO erfolgt sein; dagegen habe der Kläger erst im Februar 1985 mitgeteilt, daß er sich ab 1. Oktober 1984 rückwirkend freiwillig versichern wolle. Ferner könne der Kläger nicht über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch so gestellt werden, als habe er sich rechtzeitig zur Entrichtung von Beiträgen bereit erklärt. Hier lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die Beklagte Informations- und Beratungspflichten gegenüber dem Kläger verletzt habe. Ebensowenig seien derartige Pflichtverletzungen seitens der Krankenkasse als Einzugsstelle für die Rentenversicherungsbeiträge erkennbar. Der Beklagte habe davon, daß der Kläger ab Oktober 1984 selbständig tätig gewesen sei, erst durch dessen Mitteilung im Februar 1985 Kenntnis erhalten. Deshalb hätten entsprechende Hinweise der Beklagten auf Defizite bei den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr zum Erfolg führen können. Der Senat halte es auch nicht für erforderlich, weitere Ermittlungen zu der Frage anzustellen, ob die Tätigkeit des Klägers ab Oktober 1984 als “Ausbeiner” tatsächlich eine selbständige Tätigkeit gewesen sei. Auch wenn es sich insoweit um eine abhängige Tätigkeit gehandelt haben sollte, käme eine wirksame Beitragsnachentrichtung unter Heranziehung des § 1418 Abs 3 RVO nicht in Betracht. Hier könnte zwar der Verlust des Rentenanspruches als besondere Härte angesehen werden; jedoch müsse eine Verletzung der gebotenen Sorgfalt darin gesehen werden, daß sich der Kläger 1985 mit der damaligen Ablehnung der Beitragsnachentrichtung begnügt und nicht seinerzeit alle Möglichkeiten einer Schließung der Beitragslücke geprüft und verfolgt habe.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung insbesondere des Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG und der §§ 1418 Abs 1 und 3, 1420 RVO, teilweise iVm Art 3 und 14 Grundgesetz (GG), und des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sowie hilfsweise die Verletzung der gerichtlichen Ermittlungspflichten. Der Kläger ist der Auffassung, daß der Mangel der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die streitige Rente bei einer hier gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 1418 Abs 1 RVO geheilt werden könne; der entgegenstehenden Entscheidung des 12. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 7. Dezember 1989 (BSGE 66, 129 = SozR 2200 § 1418 Nr 11), könne nicht gefolgt werden. Gerade Versicherte mit Anwartschaft auf eine Rente wegen BU oder EU seien seinerzeit besonders schutzbedürftig gewesen, weil eben schon der Verlust auch nur eines Monats der freiwilligen Belegung praktisch zum Verlust dieser Anwartschaft habe führen können. In diesem Zusammenhang sei deshalb auch die vom Gesetzgeber durch das Rentenreformgesetz (RRG) 1992 getroffene zukünftige Regelung für die Auslegung heranzuziehen. Zu Unrecht habe das LSG im angefochtenen Urteil auch eine rechtzeitige Bereiterklärung iS des § 1420 Abs 1 Nr 2 RVO verneint. Bei der Beurteilung sei insoweit nicht auf die am 13. Februar 1985 bei der Beklagten eingegangene schriftliche Erklärung abzustellen. Eine Bereiterklärung durch schlüssiges Verhalten könne vielmehr in der letzten Zahlung von Pflichtbeiträgen im September 1984 gesehen werden, woraus auf seinen Willen zu einer freiwilligen Beitragsentrichtung ab Oktober 1984 geschlossen werden könne. In jedem Falle komme ihm aber der sozialrechtliche Herstellungsanspruch zugute. Es habe zu den Aufgaben der Beklagten bzw der für sie insoweit handelnden Krankenkasse gehört, ihn bei der Abmeldung durch den Arbeitgeber ausdrücklich und nachhaltig auf die Übergangsvorschriften des Haushaltsbegleitgesetzes (HBegleitG) 1984 hinzuweisen. Zumindest habe diese erweiterte Beratungspflicht nach Eingang des Antrages am 13. Februar 1985 bestanden. Ganz vorsorglich werde als Verfahrensmangel gerügt, daß es das LSG unterlassen habe, weitere Ermittlungen zu der Frage anzustellen, ob die Tätigkeit als “Ausbeiner” ab Oktober 1984 überhaupt eine selbständige Tätigkeit gewesen sei. Entgegen der Darstellung der Beklagten sei bereits aus dem dort am 22. November 1985 eingegangenen förmlichen schriftlichen Antrag ersichtlich gewesen, daß er jetzt als “Ausbeiner und Zerleger” tätig gewesen sei. Auch in diesem Zusammenhang sei der Beklagten eine Verletzung ihrer Beratungspflichten vorzuwerfen, indem sie bei der Ablehnung der Nachentrichtung für die fehlenden Monate Oktober bis Dezember 1984 nicht auf die Rechtsfolgen, nämlich den Verlust der Anwartschaft auf eine Rente wegen verminderten Leistungsvermögens, ausdrücklich hingewiesen habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. Dezember 1992 und das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 25. April 1991 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Juni 1989 zu verurteilen, ihm (dem Kläger) ab 1. Juni 1989 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und führt ergänzend aus: Soweit der Kläger ihr vorwerfe, ihn bei der möglichen Entrichtung von Pflichtbeiträgen pflichtwidrig nicht beraten zu haben, sei im Hinblick auf die Regelungen in § 140 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), § 1418 RVO für einen Herstellungsanspruch kein Raum (Hinweis auf BSG SozR 2200 § 1418 Nr 8). Zwar anerkenne sie durchaus eine generelle fürsorgerische Pflicht, die Versicherten vor den Folgen einer um sich greifenden Schein-Selbständigkeit zu bewahren, aber abgesehen davon, daß vorliegend ein rechtswidriger Beratungsmangel nicht ersichtlich sei, sei es hier der Kläger gewesen, der, indem er die Stellung eines Freischaffenden für sich reklamiert habe, die Entrichtung von Pflichtbeiträgen bewußt habe vermeiden wollen. Im übrigen gehe die auf einen Verfahrensmangel gerichtete Rüge fehl, denn die Frage, ob das Gericht die vom Kläger offensichtlich angesprochene Vorschrift des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt habe, sei nach der materiell-rechtlichen Ansicht des Gerichts zu beurteilen (Hinweis auf BSG SozR Nr 40 zu § 103 SGG).

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zur Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist zulässig und iS der Zurückverweisung begründet. Die berufungsgerichtlichen Feststellungen lassen eine abschließende Entscheidung darüber, ob dem Kläger die hier streitige Rente wegen EU, hilfsweise BU, zusteht, nicht zu.

Maßgeblich für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist das bis zum 31. Dezember 1991 geltende Recht, denn der Rentenantrag ist bereits im Mai 1989 – also bis zum 31. März 1992 – gestellt worden und bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – ≪SGB VI≫; vgl Urteile des Senats vom 25. August 1993 – 13 RJ 43/92 – und vom 16. Dezember 1993 – 13 RJ 19/92 –, beide jeweils mwN und zur Veröffentlichung vorgesehen).

Das LSG hat hier die §§ 1246, 1247 RVO in der ab 1. Januar 1984 geltenden Fassung des HBegleitG 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I S 1532; im folgenden: §§ 1246, 1247 RVO nF) als Anspruchsgrundlage herangezogen, einen Anspruch auf Versichertenrente auf der Grundlage dieser Vorschriften jedoch deswegen verneint, weil die dort vorgesehenen besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Nach § 1246 Abs 1 RVO nF erhält – bei der hier fraglos gegebenen Erfüllung der Wartezeit – der Versicherte eine Rente wegen BU, der berufsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der BU eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat. Eine entsprechende Regelung enthält § 1247 Abs 1 RVO nF für die Rente wegen EU. Unter welchen Voraussetzungen das letztgenannte Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, regelt § 1246 Abs 2a RVO nF, auf den § 1247 Abs 2a RVO nF verweist. Grundsätzlich wird hiernach gefordert, daß der Versicherte in den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der BU oder EU mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt hat.

Das LSG hat allerdings den Zeitpunkt des Versicherungsfalles nicht ausdrücklich festgestellt. Im Zusammenhang mit dem Tatbestand des Urteils läßt sich den Gründen jedoch hinreichend klar entnehmen, daß nach Auffassung des LSG nur ein Versicherungsfall im April 1988 oder danach in Betracht kam. Bei Berücksichtigung dieses Tatbestandes hat es das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 1246 Abs 2a RVO nach dem gegenwärtigen Stand des Versicherungsverlaufes des Klägers zutreffend verneint.

Es hat ferner festgestellt, daß auch die in der Übergangsvorschrift des Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 ArVNG vorausgesetzten Tatbestände nicht vorlagen. Danach wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen BU oder EU auch dann erfüllt, wenn in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor dem Eintritt des Versicherungsfalles (hier jedenfalls bis Dezember 1987) jeder Kalendermonat mit Beiträgen oder den in § 1246 Abs 2a Satz 2 RVO genannten “Streckungszeiten” belegt wäre. Das war nach den Feststellungen des LSG nicht der Fall.

Es trifft auch zu, daß der Kläger die bei ihm bestehende Versicherungslücke von Oktober bis Dezember 1984 nicht mehr mit freiwilligen Beiträgen zu schließen vermag. Insbesondere kann ihm dazu kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch verhelfen. Eine mangelhafte Beratung durch die Beklagte ist insoweit nicht ersichtlich. Bei Eingang des Schreibens des Klägers im Februar 1985 war – wie das LSG zutreffend entschieden hat – eine Entrichtung von freiwilligen Beiträgen für die Monate Oktober bis Dezember 1984 unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr möglich. Der Kläger konnte (sofern er überhaupt zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt war) gemäß § 1418 Abs 1 RVO in der 1984/1985 geltenden Fassung freiwillige Beiträge für das Jahr 1984 nur bis zum 31. Dezember 1984 entrichten. Auch eine rechtzeitige Bereiterklärung iS von § 1420 Abs 1 RVO lag nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG nicht vor.

Ein Kontakt des Klägers zur Beklagten oder zu anderen Behörden, die zur Beratung verpflichtet gewesen wären, schon im Jahre 1984 ist nicht ersichtlich und nicht behauptet worden. Allein die Abmeldung des Klägers bei der Krankenkasse (Einzugsstelle) durch seinen Arbeitgeber begründet – wie das LSG zutreffend dargelegt hat – grundsätzlich keine Beratungspflicht. In der Rechtsprechung ist stets hervorgehoben worden, daß eine spontane Beratung nur dann erforderlich ist, wenn sich ein Beratungsbedarf aufdrängt (vgl zB BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 6 S 13). Aus der Abmeldung ist aber für die Einzugsstelle nicht ersichtlich, daß diese bei dem Kläger zu Beitragslücken führen wird. Dies ist zwar stets möglich. Eine Verpflichtung der Einzugsstelle, alle Versicherten, die abgemeldet werden, deshalb vorsorglich zu informieren (vgl dazu BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 12), ist aber ebensowenig zu begründen wie eine Verpflichtung, im Anschluß an die Abmeldung zu überwachen, ob ein neues Beschäftigungsverhältnis begründet oder auf andere Weise die Anwartschaft für Renten erhalten wird, zumal eine solche Überprüfung auch nur im Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Kasse möglich wäre.

Entgegen der Ansicht des LSG ist jedoch nicht auszuschließen, daß der Kläger die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 1246 Abs 2a RVO noch durch Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen erfüllen kann.

Geht man von der Einschätzung des Klägers und der Beklagten aus, er sei ab Oktober 1984 selbständig tätig gewesen, so könnte ihm ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auf nachträgliche Zulassung zur Antragspflichtversicherung zustehen (vgl BSG USK 83163; LSG Rheinland-Pfalz, Die Beiträge 1981, 315), sofern ihn die Beklagte damals nicht auf die Möglichkeit hingewiesen hat, seinen Versicherungsschutz durch eine Antragspflichtversicherung nach § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO aufrechtzuerhalten. Zu einer solchen Beratung bestand allgemein besondere Veranlassung, weil selbst bei denjenigen, denen die Möglichkeit einer Antragspflichtversicherung bekannt war, nicht vorausgesetzt werden konnte, daß sie deren besondere Bedeutung für die Aufrechterhaltung der neuen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Renten wegen BU oder EU überschauten.

Konkret war dem Antrag des Klägers auf Zulassung zur freiwilligen Versicherung zu entnehmen, daß er an einer Aufrechterhaltung seiner Anwartschaft auf Versichertenrente wegen Erwerbsminderung interessiert war. Jedenfalls war ersichtlich, daß die vom Kläger beabsichtigte Entrichtung von Mindestbeiträgen nur sinnvoll war, wenn sie (auch) der Erhaltung der Rentenanwartschaft auf Versichertenrente dienten. Dies war aber wegen der durch freiwillige Beiträge nicht mehr zu schließenden Lücke im Jahre 1984 nicht möglich. Dies hätte für die Beklagte besonderer Anlaß sein müssen, auf diese Auswirkungen für den Rentenanspruch hinzuweisen und anheimzustellen, den Antrag auf Zulassung zur freiwilligen Versicherung in einen solchen auf Antragspflichtversicherung als Selbständiger abzuändern.

Der Kläger hätte zwar auch aufgrund einer solchen Beratung die von Oktober bis Dezember 1984 bestehende Lücke im Versicherungsverlauf nicht rückwirkend schließen können, weil die Antragspflichtversicherung immer erst ab Antragsmonat eintritt (§ 1227 Abs 1 Satz 4 RVO). Er hätte aber durch die Pflichtbeitragszeiten erreicht, daß bei Eintritt eines Versicherungsfalles der BU oder EU “von den letzten 60 Kalendermonaten … mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige … Tätigkeit belegt” waren (§ 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 1 RVO). Diese Möglichkeit muß dem Kläger nachträglich eröffnet werden, wenn eine ausreichende Beratung ihn veranlaßt hätte, einen Antrag auf Antragspflichtversicherung zu stellen (Kausalität; s dazu BSG SozR 5070 § 10 Nr 30; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 9 S 29). Ein solcher ursächlicher Zusammenhang kann allerdings nicht ohne weiteres unterstellt werden, da für die Antragspflichtversicherung höhere Beiträge aufzuwenden waren.

Die Eröffnung des nachträglichen Beitritts zur Antragspflichtversicherung hat zur Folge, daß der Kläger berechtigt (und verpflichtet) ist, die Beiträge für den gesamten zurückliegenden Zeitraum nachzuentrichten. Zwar hat nach der Rechtsprechung des BSG die Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen für mehr als ein Jahr zurückliegende Zeiträume (vgl § 1418 Abs 1 Regelung 1 RVO) in den Abs 2 und 3 des § 1418 RVO eine Sonderregelung gefunden, die dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch vorgeht (vgl BSGE 56, 266, 270 = SozR 2200 § 1418 Nr 8; vgl auch Senatsurteil vom 25. August 1993 – 13 RJ 27/92 – SozR 3-1200 § 14 Nr 9). § 1418 RVO steht hier der Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen für die Zeit vor der Zulassung jedoch nicht entgegen. Er bezieht sich auf Fälle, bei denen bereits in der Vergangenheit eine Pflichtversicherung bestand und deshalb die rechtlichen Grundvoraussetzungen für die Entrichtung von Pflichtbeiträgen bzw für die Durchsetzung eines solchen Rechts gegeben waren. Die Nachentrichtung wird für diese Fälle begrenzt, unabhängig davon, ob damals auf Seiten des Rentenversicherungsträgers die Bereitschaft bestand, die Beiträge anzunehmen oder diese gefordert wurden (BSG SozR 2200 § 1418 Nr 8 S 16).

Demgegenüber werden jedoch durch die nachträgliche Zulassung zur Antragspflichtversicherung die Versicherungspflicht und damit die rechtliche Basis für die Entrichtung von Pflichtbeiträgen überhaupt erst begründet. Dies schließt es aus, aus dem Unterlassen der Beitragsentrichtung den Vorwurf abzuleiten, daß den Versicherten an der Nichtentrichtung der Beiträge vor Zulassung zur Antragspflichtversicherung ein Verschulden treffe, oder er nicht jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt habe walten lassen.

Auch eine analoge Anwendung des § 1418 RVO auf Fälle der nicht nachdrücklich genug verfolgten Möglichkeit der Antragspflichtversicherung scheidet aus. Eine Lücke, die durch Ausdehnung von § 1418 RVO gefüllt werden müßte, ist insoweit nicht erkennbar. Die rückwirkende Zulassung zur Antragspflichtversicherung ist gesetzlich nicht vorgesehen; sie ist nur über einen Herstellungsanspruch möglich. Daraus ergeben sich sachgerechte Grenzen, die diesem Sonderfall angepaßt sind.

Die hierzu erforderlichen Feststellungen muß das LSG noch nachholen. Dabei kann es nicht mehr offenlassen, ob der Kläger selbständig tätig oder abhängig beschäftigt war. Zu dieser Frage sind eindeutige Feststellungen erforderlich, weil die Zulassung zur Antragspflichtversicherung eine Tätigkeit als Selbständiger voraussetzt.

Sollte sich dabei ergeben, daß der Kläger in der Zeit ab Oktober 1984 fortlaufend oder teilweise nicht selbständig tätig war, sondern in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat, so besteht auch insoweit die Möglichkeit, daß der Kläger noch hinreichend viele Pflichtbeiträge nachentrichten kann, um damit dem Belegungserfordernis des § 1246 Abs 2a RVO Genüge zu tun. Dafür sind noch weitere Feststellungen erforderlich.

Bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen für Beschäftigungszeiten des Klägers in der Zeit ab Oktober 1984 hat das LSG zutreffend das vor dem 1. Januar 1992 maßgebliche Recht zugrunde gelegt (vgl zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 6 S 13; ferner BSG SozR 5750 Art 2 § 6 Nr 5; BSGE 56, 180, 181 mwN = SozR 2200 § 1407 Nr 6). Dafür spricht der Rechtsgedanke, wie er in § 300 Abs 4 SGB VI zum Ausdruck kommt (aA BSG, Urteil vom 20. August 1970 – 1 RA 235/69 – insoweit in SozEntsch BSG VI § 140 Nr 5 nicht abgedruckt – für die Vorschrift des § 140 AVG idF des ohne entsprechende Übergangsregelung in Kraft getretenen Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes ≪AnVNG≫). Maßgeblich sind demnach die §§ 1418 ff RVO. Der Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen nach diesen Vorschriften stünde ein vorheriger Eintritt des Versicherungsfalles der BU oder EU regelmäßig nicht entgegen (vgl BSG SozR 2200 § 1418 Nr 4; Umkehrschluß aus § 1419 Abs 1 RVO). (Ein Herstellungsanspruch wäre indes im Geltungsbereich des § 1418 RVO insoweit ausgeschlossen ≪s oben≫).

Unterstellt, der Versicherungsfall der BU oder EU wäre im April 1988 eingetreten, so wäre nach den Feststellungen des LSG in dem gemäß § 1246 Abs 2a RVO maßgeblichen Zeitraum vom 1. April 1983 bis 31. März 1988 bereits eine Pflichtbeitragszeit von 18 Monaten vorhanden. Weiter unterstellt, daß der Kläger während seiner letzten Tätigkeit bei der Firma S… abhängig beschäftigt war, so bestünde nach § 1418 Abs 1 RVO iVm § 1420 Abs 2 RVO ohne weiteres die Möglichkeit, drei Beiträge für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1988 nachzuentrichten; denn bei Antragstellung (Juni 1989) war die Entrichtung von Beiträgen für das Jahr 1988 noch allgemein zulässig und der Ablauf dieser Frist wird durch das mit dem Antrag eingeleitete Rentenverfahren gemäß § 1420 Abs 2 RVO bis zu dessen (bisher nicht erfolgtem) Abschluß gehemmt.

Die dann noch fehlenden 15 Pflichtbeiträge können bei in dieser Zeit bestehender versicherungspflichtiger Beschäftigung für die Jahre 1986 und 1987 entrichtet werden, sofern den Kläger an der verspäteten Entrichtung kein Verschulden traf (§ 1418 Abs 2 RVO). Bei der Prüfung des Verschuldens wäre zu berücksichtigen, daß gerade bei der Beurteilung der Selbständigkeit von Ausbeinern die Rechtsprechung uneinheitlich und eine zutreffende Einschätzung der Abhängigkeit einer Beschäftigung schwierig war (vgl BSG, Urteil vom 25. Oktober 1990 – SozR 3-2200 § 1399 Nr 1; BSG, Urteil vom 27. Mai 1986 – USK 8672; Bayerisches LSG, Urteil vom 21. November 1985 – Die Beiträge 1987, 118; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluß vom 13. März 1987 – Die Beiträge 1987, 177; SG Nürnberg, Urteil vom 19. September 1989 – BR/Meuer RVO § 165, 19-09-89, S 7 Kr 78/87; LSG für das Saarland, Urteil vom 2. Oktober 1990 – L 2/1 K 13/87 –; LSG Niedersachsen, Urteil vom 18. Dezember 1991 – SozVers 1992, 166; Bayerisches LSG, Urteil vom 22. Oktober 1992 – Die Beiträge 1993, 148; SG Schleswig, Urteil vom 18. Mai 1993 – Die Beiträge 1993, 617; vgl ferner zu den Lohn- und Kopfschlächtern BSG, Urteil vom 15. Oktober 1970 – SozR Nr 15 zu § 1227 RVO; BSG, Urteil vom 15. Dezember 1971 – SozR Nr 6 zu § 441 VO, BSG, Urteil vom 31. Januar 1973 – USK 7311; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. April 1978 – Die Beiträge 1979, 278). Außerdem ist zu berücksichtigen, daß der Kläger – unter Angabe seines Berufes (“Ausbeiner und Zerleger”) – einen Antrag auf freiwillige Versicherung gestellt hatte, der trotz der bestehenden Unsicherheiten von der Beklagten – offenbar ohne nähere Prüfung (Nachfragen) – positiv entschieden wurde. Dies konnte bei dem Kläger den Eindruck verstärken, daß gegen die Annahme der Selbständigkeit keine Bedenken bestehen.

Sollte indes der Kläger in den Jahren ab 1986 selbständig gewesen sein, nicht aber in der Zeit davor, so wäre (erst) dann auch § 1418 Abs 3 RVO zu prüfen, der vorsieht, daß in Fällen besonderer Härte der Träger der Rentenversicherung die Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen auch noch nach Ablauf der in § 1418 Abs 2 RVO bezeichneten Frist zulassen kann. Diese Vorschrift ist als Ermessensvorschrift ausgestaltet und setzt das Vorliegen einer besonderen Härte voraus (vgl BSG, Urteil vom 15. Juli 1969 – 1 RA 265/68 – SozEntsch BSG VI § 140 Nr 4; Urteil vom 20. August 1970 – 1 RA 235/69 – SozEntsch BSG VI § 140 Nr 5; Urteil vom 14. Juli 1977 – 4 RA 5/77 – insoweit in DAngVers 1978, 25 nicht abgedruckt).

Bei Prüfung der besonderen Härte ist zunächst bedeutsam, daß die Versagung der Nachentrichtung einschneidende Konsequenzen für den Versicherungsschutz hat (BSGE 41, 38, 40). Ferner wird die bestehende Unsicherheit in der Rechtsprechung bei der Beurteilung der Versicherungspflicht von Ausbeinern berücksichtigt werden müssen. Hinzu kommt, daß möglicherweise auch ein Fehlverhalten der Beklagten vorliegt, das zur verspäteten Beitragsentrichtung beigetragen hat. Sie hatte bei Eingang des Antrags auf Entrichtung freiwilliger Beiträge im Jahre 1985 zunächst einmal allgemein die Verpflichtung zu prüfen, ob die Voraussetzungen hierfür vorlagen; sie mußte also prüfen, ob der Kläger nicht in Wirklichkeit versicherungspflichtig beschäftigt war. Zum anderen hätte sie im Rahmen ihrer Beratungspflicht im Hinblick auf das besondere Gewicht der neuen Regelung über die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen in §§ 1246 Abs 2a, 1247 Abs 2a RVO den Kläger auf die Konsequenzen der durch eine (nicht versicherungspflichtige) selbständige Tätigkeit entstehenden versicherungsrechtlichen Nachteile hinweisen müssen.

Wegen der noch erforderlichen Sachaufklärung, die im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden kann (vgl § 163 SGG), ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Sollte das LSG zur Überzeugung gelangen, daß der Kläger wegen Eintritts des Versicherungsfalles der BU oder EU und der Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§§ 1246 Abs 2a, 1247 Abs 2a RVO) – sei es auch erst nach einer zulässigen Beitragsnachentrichtung – eine Rente wegen BU oder EU beanspruchen könnte, müßte ihm Gelegenheit gegeben werden, ggf seine Klage auf die Gewährung einer Versichertenrente unter der Bedingung der Beitragsnachentrichtung zu erweitern (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 3; Senatsurteile vom 25. August 1993 – 13 RJ 43/92 – und vom 16. Dezember 1993 – 13 RJ 19/92 – sowie vom 16. Juni 1994 – 13 RJ 67/93  –; vgl zur rechtlich nicht möglichen Umdeutung bzw Umwandlung von freiwilligen Beiträgen in Pflichtbeiträge BSG SozR Nr 1 zu § 1446 RVO aF).

Für die erneute Entscheidung, die auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu umfassen hat, wird ferner darauf hingewiesen, daß eine Beiladung der zuständigen Krankenkasse als Einzugsstelle (vgl § 28h des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – ≪SGB IV≫), der Bundesanstalt für Arbeit oder sonstiger Personen (vgl dazu eingehend BSG SozR 3-3200 § 1399 Nr 1) hier schon deswegen nicht veranlaßt sein dürfte, weil der Rentenversicherungsträger über die Zulassung der Beitragsnachentrichtung verjährter (vgl dazu BSGE 67, 290, 293 = SozR 3-2400 § 95 Nr 2 mwN) Beiträge allein zu entscheiden hat (vgl BSGE 22, 173 = SozR Nr 8 zu § 1399 RVO).

 

Fundstellen

NJW 1995, 677

Breith. 1995, 346

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