Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 21.05.1992)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 1992 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger beansprucht Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU). Umstritten sind zunächst die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Der Kläger (Slowene) – geboren 20. Dezember 1941 – wohnt in L., … Republik Slowenien. Bei dem damals zuständigen jugoslawischen Versicherungsträger hat er Versicherungszeiten zwischen Februar 1966 und August 1968 zurückgelegt. In der Bundesrepublik Deutschland war er von März 1969 bis Oktober 1980 mit Unterbrechung insgesamt 110 Kalendermonate versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 13. September 1984 bezieht er jugoslawische Invalidenrente.

Von Beruf ist der Kläger Arbeiter; er war in der Bundesrepublik Deutschland zuletzt bei der Firma M. … tätig und zwar vom 15. September 1978 bis 30. November 1979 als Rohrrichter (Richtmaschine) und vom 1. Dezember 1979 bis 10. Oktober 1980 als Helfer bei der Übergabe der Rohre zum Versand.

Sein erster Rentenantrag vom 19. Januar 1983 wurde durch Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 1985 abgelehnt mit der Begründung, die damals festgestellte neurotische Depression führe nicht zur BU.

Am 13. August 1985 stellte der Kläger erneut Antrag auf Versichertenrente, der wiederum nach Untersuchung mangels BU abgelehnt wurde (Bescheid vom 20. Juli 1987; Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 1987).

Einen weiteren Antrag auf Überprüfung stellte der Kläger in offener Klagefrist am 16. November 1987. Auf Anfrage der Beklagten erklärte dazu ein Richter des Sozialgerichts Landshut (SG), das Schreiben sei nicht als Klage anzusehen.

Die Überprüfung durch die Beklagten führte wiederum nicht zum Erfolg. Mit Bescheid vom 9. Januar 1989 stellte die Beklagte fest, daß eine Änderung nicht eingetreten sei. Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. September 1989; Urteil des SG Landshut vom 28. Mai 1991; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 21. Mai 1992).

Das LSG war der Auffassung, daß die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen BU oder EU (§ 1246 Abs 2a, § 1247 Abs 2a der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) nicht vorlägen. Der Kläger habe seinen letzten Pflichtbeitrag zur deutschen Rentenversicherung im Oktober 1980 geleistet. Mithin liege in den der Antragstellung (12. November 1987) vorangehenden 60 Kalendermonaten keine Pflichtbeitragszeit von 36 Monaten.

Auch die Voraussetzungen der Übergangsvorschrift des Art 6 Abs 2 Satz 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) lägen nicht vor. Die vorliegenden Gutachten enthielten keine Anhaltspunkte dafür, daß der Versicherungsfall bereits in der ersten Jahreshälfte 1984 oder in der Zeit davor eingetreten sei. Unter diesen Umständen könnten die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nur dann erfüllt sein, wenn jeder Monat in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalles mit Beiträgen belegt sei. Freiwillige Beiträge habe der Kläger aber nicht entrichtet und könne sie auch nicht mehr entrichten (§§ 1418, 1420 Abs 2 RVO).

Mit der Revision macht der Kläger geltend, das LSG irre, wenn es annehme, daß die Nachentrichtung von Beiträgen nicht mehr zulässig sei; denn die Zeiten der Rentenverfahren seien gem § 1420 Abs 2 RVO bei der Berechnung der Fristen nach § 1418 RVO nicht zu berücksichtigen.

Im übrigen sei die Regelung verfassungswidrig, da sie sein Recht auf Eigentum verletze (Verstoß gegen Art 14 des Grundgesetzes ≪GG≫). Zwar habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 8. April 1987 (BVerfGE 75, 78 ff) die Einführung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Haushaltsbegleitgesetz 1984 (HBegleitG 1984) als verfassungsmäßig angesehen. Voraussetzung dafür sei aber gewesen, daß den Versicherten die Möglichkeit eingeräumt worden sei, ihre Anwartschaft durch Entrichtung von Mindestbeiträgen aufrechtzuerhalten. Diese Möglichkeit sei jedoch bei ihm nicht gegeben gewesen, da er weder die Mittel gehabt habe, die freiwilligen Beiträge aufzubringen, noch in Jugoslawien rechtzeitig hiervon erfahren habe.

Der Kläger beantragt dem Sinne nach,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt ebenfalls,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Sie räumt ein, daß der Kläger immer noch berechtigt sei, freiwillige Beiträge rückwirkend ab 1. Januar 1984 zu entrichten. Bei Eintritt eines Versicherungsfalles vor dem 1. Januar 1992 könne der Kläger auch Rente ab 1. Januar 1992 ohne Beitragsnachzahlung beanspruchen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist zulässig. Sie führt in der Sache zur Zurückverweisung an das LSG.

Für eine Entscheidung der Sache sind zunächst noch weitere Ermittlungen erforderlich, ua zum Eintritt des Versicherungsfalls der BU sowie zum Vorliegen eines „Streckungstatbestandes” wegen Arbeitsunfähigkeit. Zudem muß das LSG dem Kläger noch Gelegenheit geben, seinen Antrag in der Weise umzustellen, daß Rente ab Eintritt des Versicherungsfalles (hilfsweise) erst nach Nachzahlung freiwilliger Beiträge vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des Jahres vor Eintritt des Versicherungsfalles gewährt wird. Außerdem muß ihm uU das (Wahl-)Recht eingeräumt werden zu beantragen, daß ihm bei Feststellung eines Versicherungsfalles vor dem 1. Januar 1992 Rente ab 1. Januar 1992 ohne Nachzahlung von Beiträgen gewährt wird.

Der Kläger begehrt Versichertenrente wegen BU oder EU. Dieser Anspruch richtet sich noch nach der RVO, da der Antrag bis zum 31. März 1992 gestellt wurde und Rente auch für Zeiten vor dem 1. Januar 1992 begehrt wird (§ 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫). Rechtsgrundlage sind danach zunächst die §§ 1246, 1247 RVO in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden – neueren – Fassung (nF). Diese setzen voraus

  • die Erfüllung der Wartezeit (§ 1246 Abs 1 und 3, § 1247 Abs 1 und 3 RVO nF),
  • den Eintritt des Versicherungsfalles der BU oder EU (§ 1246 Abs 1 und 2, § 1247 Abs 1 und 2 RVO nF) und
  • die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls (§ 1246 Abs 1 und 2a, § 1247 Abs 1 und 2a RVO nF).

Die letztgenannte besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung ist erst durch das HBegleitG 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I S 1532) zusätzlich eingeführt worden. Dazu regelt Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG, in welchen Fällen noch die bis zum 31. Dezember 1983 geltende – alte – Fassung der §§ 1246, 1247 RVO (aF) anzuwenden ist, die das grundsätzliche Erfordernis von versicherungsfallnahen Pflichtbeitragszeiten noch nicht kannte. Auf die Voraussetzungen dieser Übergangsvorschrift kommt es nur an, wenn der Kläger zwar nicht die Tatbestandsmerkmale des § 1246 Abs 1 oder § 1247 Abs 1 RVO nF, wohl aber diejenigen der aF einer dieser beiden Bestimmungen (Wartezeit, Eintritt des Versicherungsfalles) erfüllt.

Eine als Wartezeit anrechenbare Versicherungszeit (vgl §§ 1249, 1250 RVO) von mindestens 60 Kalendermonaten (vgl § 1246 Abs 3, § 1247 Abs 3 Satz 1 Buchst a RVO nF) liegt nach dem Inhalt des Berufungsurteils vor, denn das LSG hat festgestellt, daß der Kläger allein in der Bundesrepublik von März 1969 bis Oktober 1980 110 Kalendermonate versicherungspflichtig beschäftigt war. Dies ist im Zusammenhang des Urteils dahin zu verstehen, daß für diese Zeit auch Beiträge entrichtet wurden.

Zum Eintritt eines Versicherungsfalles hat das LSG unangegriffen festgestellt, daß der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte Arbeiten vollschichtig verrichten könne. Auf dieser Grundlage hat es zutreffend das Vorliegen von EU verneint. Auch die weitere Aussage des LSG, daß in der ersten Jahreshälfte 1984 keine BU eingetreten sei, ist im Hinblick auf die festgestellten Tatsachen nicht zu beanstanden, zumal dem Kläger danach am 30. Juni 1984 sogar noch seine früher ausgeübte Tätigkeit zumutbar war. Für die Folgezeit hat das LSG den Eintritt von BU nicht ausgeschlossen, sondern den geltend gemachten Anspruch verneint, weil für später eingetretene Versicherungsfälle die durch das HBegleitG 1984 eingeführten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (vgl § 1246 Abs 2a RVO nF, Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG) nicht gegeben seien. Sofern sich diese Auffassung als unzutreffend erweist, muß das LSG noch die erforderlichen Tatsachen dazu ermitteln, ob und wann ein Versicherungsfall der BU bei dem Kläger eingetreten ist.

Nach § 1246 Abs 2a Satz 1 RVO nF ist eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit zuletzt vor Eintritt der BU ausgeübt worden, wenn 1. von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der BU mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind oder 2. die BU aufgrund eines der in § 1252 RVO genannten Tatbestände eingetreten ist.

Das LSG hat diese Voraussetzungen lediglich mit der Begründung verneint, der Kläger habe den letzten Beitrag zur Rentenversicherung im Oktober 1980 entrichtet. Jedenfalls soweit es die Regelung des § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 2 RVO nF betrifft, reicht diese Darlegung nicht aus. Ihr sind nämlich keinerlei Feststellungen zu entnehmen, die sich auf § 1252 RVO beziehen könnten. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt lediglich die Entrichtung eines Beitrages vor Eintritt der BU infolge der dort genannten Ereignisse voraus (vgl dazu Senatsurteil vom 31. März 1993 – 13 RJ 35/91 – Umdr S 4). Dafür, daß ein Versicherungsfall aufgrund einer der in § 1252 RVO genannten Tatbestände, insbesondere eines Arbeitsunfalls, eingetreten sein könnte, gibt der Sachverhalt allerdings keinen Anhalt.

Auch für eine Verneinung der Voraussetzungen des § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 1 RVO nF genügen die bislang festgestellten Tatsachen nicht. Die Feststellung des LSG, der Kläger habe nur bis Oktober 1980 Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet, rechtfertigt (unter Berücksichtigung der Tatsache, daß danach auch in Jugoslawien keine Versicherungszeiten mehr zurückgelegt worden sind) allerdings den Schluß, daß der „Grundtatbestand” des § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 1 RVO nF (36 Pflichtbeiträge in den letzten 60 Kalendermonaten) nicht gegeben ist. Da nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz bis Juni 1984 keine BU eingetreten ist, ist ein vor Eintritt des Versicherungsfalles liegender Fünf-Jahres-Zeitraum in keinem Fall mit hinreichenden Pflichtbeiträgen aus einer Beschäftigung oder Tätigkeit des Klägers belegt. Offen geblieben ist dabei jedoch die Frage, ob der Kläger das Belegungserfordernis auch unter Einbeziehung sog „Streckungszeiten” iS des § 1246 Abs 2a Satz 2 RVO nF nicht erfüllt hat. Nach dieser Vorschrift werden bei der Ermittlung der 60 Kalendermonate iS von § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 1 RVO nF bestimmte Arten von Zeiten, die nicht mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind, nicht mitgezählt. Diese Zeiten verlängern also den Rahmenzeitraum, in welchem die erforderlichen 36 Kalendermonate mit versicherungspflichtiger Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt sein müssen.

Vom Sachverhalt her kommt hier (allenfalls) die Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung durch eine Arbeitsunfähigkeit (Ausfallzeit iS von § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO; vgl § 1246 Abs 2a Satz 2 Nr 2 RVO nF) oder eine auf Arbeitsunfähigkeit beruhende Zeit iS von § 1246 Abs 2a Satz 2 Nr 6 RVO nF in Betracht. Dazu fehlt es zwar bisher an hinreichenden Anhaltspunkten, andererseits ist diese Frage aber auch nicht ausdrücklich geprüft worden; ihr ist deshalb weiter nachzugehen. Für die Anrechnung einer solchen Zeit ist weder Voraussetzung, daß Leistungen bezogen wurden (bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit nach dem 31. Dezember 1983 vgl allerdings § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b RVO), noch daß sich der Kläger während der Arbeitsunfähigkeit in Deutschland aufgehalten hat (BSG SozR 3-2200 § 1259 Nr 12). Es ist lediglich erforderlich, daß ein nach der RVO versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis unterbrochen wurde (BSG SozR 2200 § 1259 Nr 48) oder daß in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeit wenigstens ein Pflichtbeitrag oder eine andere Streckungszeit liegt (vgl § 1246 Abs 2a Satz 2 Nr 6 RVO nF). Das Vorliegen einer (ununterbrochenen) Arbeitsunfähigkeit ist nicht bereits durch die Feststellung des LSG ausgeschlossen, daß der Kläger vor Juli 1984 weder berufsunfähig noch erwerbsunfähig gewesen ist; denn die Arbeitsunfähigkeit richtet sich nach anderen Voraussetzungen. Es gilt der Arbeitsunfähigkeitsbegriff der Krankenversicherung (BSGE 52, 108 ff = SozR 2200 § 1259 Nr 54; vgl dazu auch Gagel in Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd I – Krankenversicherungsrecht, § 10 RdZiff 18 ff). Dementsprechend sind weitere Ermittlungen erforderlich, die der erkennende Senat im Revisionsverfahren nicht selbst durchführen kann.

Der Kläger will allerdings auch die Anerkennung der Zeit des Bezuges seiner jugoslawischen Invalidenrente als Streckungszeit erreichen (vgl § 1246 Abs 2a Satz 2 Nr 3 RVO nF). Nach den Feststellungen des LSG bezieht er diese Rente seit dem 13. September 1984. Unabhängig davon, daß ihm eine derartige Strekungszeit für sich allein nichts nützen würde, weil die Monate Januar bis August 1984 unbelegt blieben, reicht der Bezug einer jugoslawischen Rente im Rahmen des § 1246 Abs 2a Satz 2 Nr 3 RVO nF nicht aus. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wird in dieser Bestimmung der Bezug einer deutschen Rente vorausgesetzt (vgl BSG, Urteil vom 16. November 1993 – 4 RA 38/92 –, Umdr S 7; BSG, Urteil vom 23. März 1994 – 5 RJ 24/93 –, Umdr S 2, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Auffassung wird – soweit ersichtlich – auch in der Literatur einhellig vertreten (vgl zB Baumeister, RV 1987, 234, 237; KasselerKomm/Niesel, § 1246 RVO RdNr 84; Kunhardt, DAngVers 1984, 116, 119; VerbandsKomm zur RVO, § 1246 Anm 18 Ziffer 2.2). Der erkennende Senat macht sich diese Auslegung ebenfalls zu eigen. Insbesondere würden ansonsten die mitunter stark abweichenden ausländischen Leistungsvoraussetzungen leicht zu einer sachwidrigen Besserstellung von Wanderarbeitnehmern führen (vgl auch KasselerKomm/Niesel § 1246 RVO RdNr 84).

Auch aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit (DJSVA) vom 12. Oktober 1968 (BGBl 1969 II S 1438; zur vorläufigen Weitergeltung gegenüber der Republik Slowenien vgl BGBl 1993 II S 1261) ergibt sich nicht, daß der Bezug einer jugoslawischen Rente als Aufschubtatbestand berücksichtigt werden kann. Wie das BSG bereits entschieden hat, enthält das DJSVA keine Bestimmung über eine Gleichstellung von Rentenbezugszeiten; die im Abkommen enthaltenen Regelungen über die Gleichstellung der Staatsangehörigen (Art 3), des Aufenthalts (Art 4) und der Versicherungszeiten (Art 25) können auch nicht in dieser Richtung erweiternd ausgelegt werden (vgl BSG, Urteil vom 23. März 1994 – 5 RJ 24/93 –, Umdr S 9; ebenso Bayer LSG, Breithaupt 1991, 400, 407 f; Koch/Hartmann, Die Rentenversicherung im SGB, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Jugoslawien/Abkommen vom 12. Oktober 1968, Art 25 Anm 3.4; allgemein auch Baumeister, RV 1987, 234, 237). Dagegen spricht schon der eindeutige Wortlaut des Abkommens, dem gerade nach völkerrechtlichen Auslegungsregeln besondere Bedeutung zukommt (vgl dazu BSG SozR 3-6858 Nr 2 Nr 2, S 14f). Nach der Definition in Art 1 Nr 10 DJSVA ist „Versicherungszeit” (Art 25 Abs 1 DJSVA) eine Beitragszeit oder eine gleichgestellte Zeit (vgl dazu Art 1 Nr 9 DJSVA). Zeiten, die gem § 1246 Abs 2a Satz 2 RVO nF bei der Bemessung des Rahmenzeitraums von 60 Kalendermonaten nicht mitgezählt werden, sind gerade nicht Beitragszeiten gleichgestellt, sondern erweitern nur den zeitlichen Rahmen für die Anrechung von Beitragszeiten bei der Erfüllung besonderer versicherungsrechtlicher Voraussetzungen (vgl auch zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich ≪DÖSVA≫: BSG, Urteil vom 16. November 1993 – 4 RA 38/92 – Umdr S 9f).

Einer Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen in § 1246 Abs 1 und 2a RVO nF bedarf es allerdings nicht, wenn die Übergangsregelung des Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG eingreift. Nach dieser Vorschrift gilt § 1246 Abs 1 RVO aF auch für Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1983, wenn der Versicherte 1. vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat und 2. jeden Kalendermonat in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalles mit Beiträgen oder den bei der Ermittlung der 60 Kalendermonate nach § 1246 Abs 2a RVO nF nicht mitzuzählenden Zeiten belegt hat.

Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 ArVNG gilt für Versicherungsfälle in der Zeit bis zum 30. Juni 1984 auch, ohne daß die Voraussetzungen der Nr 2 vorliegen (Art 2 § 6 Abs 2 Satz 2 ArVNG). Für Versicherungsfälle in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1984 gilt Satz 1 auch, wenn die Voraussetzungen der Nr 2 im ersten Kalenderhalbjahr 1984 vorliegen (Art 2 § 6 Abs 2 Satz 3 ArVNG).

Neben der Erfüllung der Wartezeit vor dem 1. Januar 1984 sieht diese Regelung demnach je nach dem Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls weitere Belegungserfordernisse vor. Da der Kläger die Wartezeit bereits bei Beendigung seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung im Jahre 1980 erfüllt hatte und nach Feststellung des LSG jedenfalls nicht bis Juni 1984 berufsunfähig geworden ist, kommt es für seinen Anspruch darauf an, ob die Voraussetzungen des Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 Nr 2 (ggf iVm Satz 3) ArVNG vorliegen. Es müßte also zumindestens die erste Kalenderjahrhälfte 1984 (bei einem nach Dezember 1984 eingetretenen Versicherungsfall jeder Kalendermonat in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des jeweiligen Vorjahres) mit Beiträgen oder Streckungszeiten iS von § 1246 Abs 2a Satz 2 RVO nF belegt sein.

In dem betreffenden Zeitraum sind keine Beiträge entrichtet worden, auch scheiden sonstige Streckungstatbestände aus. Soweit hier eine Dauerarbeitsunfähigkeit iS von § 1246 Abs 2a Satz 2 Nr 2 iVm § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst a RVO nF oder iS von § 1246 Abs 2a Satz 2 Nr 6 RVO nF in Betracht kommt, besteht zumindest eine Belegungslücke für den Monat Juni 1984, da in diesem Zeitpunkt nach den Feststellungen des LSG keine Arbeitsunfähigkeit vorlag. Demnach sind die Voraussetzungen des Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 Nr 2, Satz 3 ArVNG beim Kläger derzeit nicht gegeben.

Sollte die weitere Sachaufklärung ergeben, daß der Kläger zwar berufs- oder erwerbsunfähig geworden ist, aber die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen iS von § 1246 Abs 2a RVO nF nicht erfüllt, könnte er noch die Anwendung des alten Rechts (dh die Freistellung von diesen Anforderungen) dadurch erreichen, daß er gem Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 Nr 2 (ggf iVm Satz 3) ArVNG freiwillige Beiträge für die Zeit ab 1. Januar 1984 nachentrichtet.

Grundsätzlich ist und war er zur Entrichtung freiwilliger Beiträge berechtigt (§ 1233 Abs 1 RVO iVm Art 3 DJSVA). Nach § 1418 Abs 1 RVO in der für den gesamten Zeitraum ab Januar 1984 geltenden Fassung sind allerdings freiwillige Beiträge unwirksam, wenn sie nach Ablauf des Kalenderjahres, für das sie gelten sollen, entrichtet werden. Nach § 1420 Abs 2 RVO sind jedoch in diese Frist die Zeiten nicht einzurechnen, in denen ein Vorverfahren oder ein Sozialgerichtsverfahren über Beiträge oder einen Rentenanspruch schwebt.

Der Kläger hatte erstmalig im Januar 1983 einen Rentenantrag gestellt, der im Mai 1985 abgelehnt wurde. Die Nachentrichtungsfrist für 1984 begann dementsprechend erst am Tage nach der Zustellung des Bescheides vom 9. Mai 1985 zu laufen. Dieser wurde am 10. Mai 1985 per Einschreiben an die Klägerin abgesandt, so daß von einem Fristbeginn ab 14. Mai 1985 auszugehen ist (vgl § 37 Abs 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – ≪SGB X≫). Bereits am 13. August 1985 – also lange vor Ablauf der Frist – stellte der Kläger aber einen neuen Antrag. Seitdem läuft das Rentenverfahren mit einer kurzen Unterbrechung von 14 Tagen Anfang November 1987. Daraus ergibt sich, daß die Nachentrichtungsfrist für das Jahr 1984 und die folgenden Jahre noch offen ist.

Der Nachentrichtung von Beiträgen steht auch nicht entgegen, daß evtl zwischenzeitlich der Versicherungsfall der BU oder EU eingetreten ist. Zwar bestimmt § 1419 Abs 1 RVO, daß freiwillige Beiträge nach Eintritt der BU oder der EU für Zeiten vorher nicht mehr entrichtet werden können. Es handelt sich insoweit aber nur um ein Anrechnungsverbot, das die Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen durch Zahlung freiwilliger Beiträge nicht ausschließt; die nach Eintritt der BU oder EU entrichteten Beiträge können lediglich für diese Versicherungsfälle nicht rentensteigernd berücksichtigt werden (BSGE 43, 174, 176 = SozR 6050 Art 45 Nr 2; BSG SozR 5070 § 10 Nr 12; BSG SozR 2200 § 1419 Nr 10). Möglicherweise tritt selbst diese Wirkung im vorliegenden Fall aber nicht ein. Insoweit könnte ein Herstellungsanspruch in Betracht kommen (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 25. August 1993 – 13 RJ 43/92). Die Beklagte wäre nämlich verpflichtet gewesen, den Kläger spätestens bei Ablehnung des ersten Rentenantrags im Mai 1985 auf die nunmehr geltenden besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hinzuweisen. Indes ist hierüber im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.

Da somit dem Kläger noch das Recht zur Nachentrichtung von Beiträgen zusteht, hat er uU auch ein Wahlrecht nach § 240 Abs 2 Satz 2/§ 241 Abs 2 Satz 2 SGB VI. Er kann, sofern der Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1992 eingetreten ist, wählen, ob er die erforderlichen Erhaltungsbeiträge nachentrichten oder sich mit einer Rente ab 1. Januar 1992 begnügen will (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 16. Juli 1994 – 13 RJ 67/93).

Die Anwendung des einfachen Rechts führt dementsprechend abschließend dazu, daß das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache an dieses Gericht zurückverwiesen werden muß. Das LSG muß noch klären, ob und ggf wann ein Versicherungsfall eingetreten ist. Ist der Rentenanspruch danach allein wegen Fehlens der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine BU/EU-Rente nicht begründet, muß das LSG den Kläger zunächst über die Alternativen der Antragstellung belehren und ihm Gelegenheit geben, seinen Antrag den offenen Möglichkeiten anzupassen.

Darüber hinaus wäre aber noch zu klären, ob sich aus einer (partiellen?) Verfassungswidrigkeit von § 1246 Abs 1 und 2a/§ 1247 Abs 1 und 2a RVO nF eine Einschränkung der Pflicht des Klägers zur Beitragsentrichtung ergibt. Insoweit wird auf die Ausführungen in der Parallelsache 13 RJ 69/92 (Urteil vom 3. November 1994) verwiesen.

Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173210

SozSi 1997, 75

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