Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfall der Mutter eines Gastwirts

 

Leitsatz (redaktionell)

Verunglückt die in der Gastwirtschaft ihres Sohnes tätige Mutter am Morgen auf dem Wege zur Gastwirtschaft in einem Wohnraum der Familie und wollte sie Zigaretten in die Gastwirtschaft bringen, so stand sie unter Versicherungsschutz.

 

Normenkette

RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Januar 1958 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die im Jahre 1872 geborene Klägerin erlitt am 18. März 1955 einen Unfall. Sie war ehemals Inhaberin einer Gastwirtschaft in M bei K, die sie 1950 ihrem Sohn übergeben hatte. In dem Gasthaus hat sie im oberen Stockwerk, wo sich die privaten Wohnräume befinden, ein Zimmer inne, das nur durch den davor liegenden Baderaum zu erreichen ist. Die Gaststube befindet sich im Erdgeschoß des Hauses. Die Klägerin blieb in der Gaststätte tätig, indem sie während der ruhigen Geschäftszeit am Tage ihren Sohn hinter dem Schanktisch vertrat. Aus diesem Grunde war sie auch am Unfalltag von ihrem Zimmer aus zur Gaststube unterwegs. Sie trug Zigaretten bei sich, die sie aus dem in ihrem Zimmer untergebrachten Tabakwarenvorrat des Betriebes entnommen hatte. Beim Durchqueren des Baderaumes fiel sie hin und zog sich dabei einen Oberschenkelhalsbruch zu.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 11. Juli 1956 den Entschädigungsanspruch der Klägerin mit der Begründung ab, der Unfall sei außerhalb der Betriebsstätte eingetreten.

Diesen Bescheid hat die Klägerin rechtzeitig angefochten und mit der Klage geltend gemacht, der Unfall habe sich auf einem Besorgungsgang für die Gastwirtschaft ereignet; sie habe die Zigaretten auf ausdrückliche Anweisung ihres Sohnes aus ihrem Zimmer geholt.

Das Sozialgericht (SG.) Köln hat über den Unfallhergang und den Umfang der gesundheitlichen Schädigung der Klägerin Beweis erhoben. Es hat daraufhin durch Urteil vom 27. Mai 1957 die Klage abgewiesen. Das SG. hat als erwiesen angesehen, daß die Klägerin die Zigaretten beim Verlassen ihres Zimmers ohne besonderen Auftrag des Sohnes mit genommen habe. Es ist der Auffassung, die Klägerin habe den Unfall noch innerhalb ihres häuslichen Wirkungsbereichs erlitten und sich dabei trotz Mitnahme der Zigaretten nicht auf einem versicherten Weg befunden.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen die Beklagte verurteilt, den Unfall der Klägerin vom 18. März 1955 als entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall anzuerkennen. Zur Begründung ist ausgeführt: Der zum Unfall führende Weg sei als Arbeitsweg im Sinne der §§ 542, 537 Nr. 10 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzusehen. Zwar sei die Klägerin zur Zeit des Unfalls noch innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises unterwegs gewesen. Da sie aber ihren Sohn in der Gaststätte habe vertreten wollen und auf dem Wege dorthin Zigaretten bei sich getragen habe, die sie von den Tabakwarenvorräten in ihrem gleichzeitig als Lagerraum dienenden Zimmer mitgenommen hatte, sei die für die Annahme eines Arbeitsunfalls erforderliche Betriebsbezogenheit des Weges gegeben gewesen. Hierbei sei unerheblich, ob die Klägerin die Zigaretten von sich aus oder auf besonderes Geheiß ihres Sohnes mitgenommen habe.

Die Revision ist vom LSG. zugelassen worden.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt lediglich Verletzung des § 542 RVO und führt dazu aus: Das Wohnzimmer der Klägerin sei nicht dadurch in den Gaststättenbereich ihres Sohnes einbezogen worden, daß in ihm Tabakwaren für das Unternehmen aufbewahrt wurden. Da auch das Badezimmer, in dem die Klägerin gestürzt ist, eindeutig eigenwirtschaftlichen Zwecken gedient habe, sei die Klägerin noch innerhalb ihres privaten Lebensbereichs verunglückt. Das Tragen einiger Schachteln Zigaretten falle rechtlich nicht ins Gewicht.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

Die Klägerin stellt keinen ausdrücklichen Antrag. Sie nimmt auf das angefochtene Urteil Bezug und widerspricht den rechtlichen Ausführungen der Beklagten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Von dieser Befugnis (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) hat das Bundessozialgericht Gebrauch gemacht.

II

Die Revision ist kraft Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, somit zulässig. Sachlich hatte sie jedoch keinen Erfolg.

Das LSG. ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin trotz ihres hohen Alters in der früher von ihr selbst betriebenen Gastwirtschaft ihres Sohnes ernstliche Arbeit leistete, indem sie ihrem Sohn regelmäßig half, insbesondere ihn während der verkehrsarmen Geschäftszeiten hinter dem Schanktisch vertrat. Für diese Tätigkeit in dem Gaststättenunternehmen hat das LSG. den Versicherungsschutz der Klägerin aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 537 Nr. 10 in Verb. mit Nr. 1 RVO zu Recht bejaht.

Bei einer solchen versicherten Tätigkeit ist die Klägerin, wie das LSG. ohne Rechtsirrtum angenommen hat, am 18. März 1955 verunglückt. Über den Unfallhergang sind in dem angefochtenen Urteil die folgenden, das Revisionsgericht nach § 163 SGG bindenden tatsächlichen Feststellungen getroffen worden: Die Tabakwarenvorräte der Gaststätte wurden damals im Wohnzimmer der Klägerin aufbewahrt. Aus diesem Vorrat entnahm sie die für den Verkauf in der Gastwirtschaft benötigte Menge Zigaretten und wollte diese, als sie zur üblichen Arbeitsaufnahme in die Gaststätte ging, in den Schankraum bringen. Unterwegs verunglückte sie in dem an ihr Wohnzimmer angrenzenden Baderaum. Bei diesem Sachverhalt brauchte nicht entschieden zu werden, ob der Versicherungsschutz für den zum Unfall führenden Weg der Klägerin schon dadurch begründet ist, daß sie ihre Tätigkeit als Vertreterin ihres Sohnes aufnehmen wollte. Die Entnahme der zur Deckung des erforderlichen geschäftlichen Bedarfs bestimmten Zigaretten aus dem Lagerraum und deren Verbringen an den Verwendungsort ist eine Tätigkeit, die unmittelbar den Zwecken des versicherten Unternehmens diente. Es handelte sich bei der Mitnahme der Zigaretten entgegen der Ansicht der Revision nicht um die Erfüllung eines nur belanglosen Nebenzweckes anläßlich des ohnehin beabsichtigten Weges zur Arbeitsstätte; vielmehr ist den auch insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsurteils zu entnehmen, daß mit den Zigaretten der geschäftliche Bedarf für den Rest des Tages gedeckt werden sollte. Diese Verrichtung ist auch nach der Auffassung des erkennenden Senats als so wesentlich zu erachten, daß schon aus diesem Grunde der Weg zur Gaststätte unter Versicherungsschutz stand (vgl. BSG. 3 S. 240 (245)). Unter diesen Umständen hat das LSG. den Unfall der Klägerin ohne Rechtsirrtum als Arbeitsunfall im Sinne des § 542 RVO angesehen.

Die Revision mußte daher als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2391763

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