Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 12.01.1988; Aktenzeichen L 15 Kn 118/85)

SG Gelsenkirchen (Urteil vom 20.09.1985)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. Januar 1988 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. September 1985 wird mit der Klarstellung zurückgewiesen, daß der Urteilstenor wie folgt lautet: Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22. November 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 1985 verurteilt, dem Kläger diejenigen Beitragsanteile zur Rentenversicherung zu erstatten, welche er in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum 29. Februar 1984 für den nachträglich gekürzten Anteil am Krankengeld gezahlt hat.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten im Revisionsverfahren nur noch darüber, ob der Kläger einen Anspruch auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge zur Rentenversicherung hat.

Der Kläger bezog ab August 1982 Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres (Bescheid der Beklagten vom 31. August 1982). Seit dem 4. August 1983 zahlte die Beklagte Krankengeld. Von dem Krankengeld entrichtete er ab 1. Januar 1984 Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit (BA).

Mit ihrem Bescheid vom 22. Februar 1984 wandelte die Beklagte mit Wirkung vom 1. November 1983 die Bergmannsrente in eine Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit um. Von diesem Zeitpunkt an kürzte sie als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung rückwirkend das Krankengeld gemäß § 183 Abs 5 Reichsversicherungsordnung (RVO) und verwirklichte einen entsprechenden Erstattungsanspruch bei der Trägerin der knappschaftlichen Rentenversicherung.

Den Antrag des Klägers auf Erstattung der für den gekürzten Krankengeldanspruch entrichteten Beiträge zur Beklagten und zur BA lehnte die Beklagte durch ihren Bescheid vom 22. November 1984 ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23. April 1985).

Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide vom 22. November 1984 und 23. April 1985 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, eine Neuberechnung der vom Kläger für die Zeit vom 1. Januar bis zum 29. Februar 1984 zu zahlenden Beiträge vorzunehmen und die zuviel gezahlten Beiträge zu erstatten. Es hat die Berufung zugelassen.

Durch Urteil vom 12. Januar 1988 hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Revision zugelassen. In dem Urteil des LSG ist ua ausgeführt: Die Verpflichtung des Klägers, von seinem Krankengeld Beiträge zur Rentenversicherung und zur beigeladenen BA zu zahlen, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und von der Beklagten zu Recht angenommen worden. Wegen der rückwirkenden Bewilligung von Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit und der damit verbundenen Kürzung des gezahlten Krankengeldes habe der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung zuviel gezahlter Beiträge. Die seinerzeit entstandene Beitragsverpflichtung sei allein dadurch begründet gewesen, daß dem Kläger das Krankengeld gezahlt wurde. An dem tatsächlichen Leistungsbezug habe sich nachträglich nichts geändert. Die Beiträge seien daher trotz der rückwirkenden Bewilligung von Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit und der damit verbundenen rückwirkenden Kürzung des Krankengeldes gemäß § 183 Abs 5 RVO nicht zu Unrecht entrichtet worden. Der Rechtsgrund für die Beitragszahlung sei nicht nachträglich entfallen. Durch die nachträgliche Kürzung des Krankengeldes sei die tatsächliche Auszahlung des vollen Krankengeldes nicht beseitigt worden. Das überzahlte Krankengeld sei unter den Versicherungsträgern nach § 103 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) erstattet worden, ohne daß der Kläger daran rechtlich beteiligt gewesen sei. Das dem Kläger gewährte Krankengeld sei hingegen nicht zurückgezahlt worden. Einen Herstellungs- oder Schadensersatzanspruch habe der Kläger nicht, weil seine Anträge ordnungsgemäß bearbeitet worden seien.

Im Revisionsverfahren hat die Beklagte ihren Bescheid aufgehoben, soweit darin über die Erstattung der Beiträge zur BA entschieden wurde. Insoweit setzt der Kläger den Rechtsstreit nicht mehr fort.

Nach Auffassung der Revision hat die rückwirkende Kürzung des Krankengeldes nach § 183 Abs 5 RVO zur Folge, daß die Bemessungsgrundlage für das Krankengeld nachträglich verändert wird. Dies könne nicht unbeachtet bleiben. Folge man dagegen der Auffassung des LSG, so hänge die Höhe der vom Krankengeld zu zahlenden Beiträge davon ab, wann der Rentenbewilligungsbescheid erteilt wird. Seine Auffassung werde von den Spitzenverbänden der Krankenkassen geteilt. Auch die damit verbundene teilweise Rückabwicklung des rechtmäßigen Versicherungsverhältnisses stehe dem nicht entgegen. Wenn durch § 183 Abs 5 RVO auf der einen Seite Doppelleistungen vermieden werden sollten, dürfe der Kläger auf der anderen Seite nicht doppelt belastet werden. Dies geschehe, wenn Beiträge für Leistungen einbehalten würden, um die die ursprüngliche Sozialleistung gekürzt wird.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. Januar 1988 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. September 1985 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Kläger könne sein Verlangen auf rückwirkende Minderung von Beiträgen nicht darauf stützen, daß das Versicherungsverhältnis in bestimmten anderen Fällen nachträglich geändert werden kann. Im vorliegenden Falle sei die Beitragsentrichtung vom Krankengeld rechtmäßig erfolgt und habe ihren Rechtsgrund nicht teilweise durch die rückwirkende Gewährung der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit verloren. Der Erstattungsanspruch gemäß § 103 SGB X habe die Beitragsverpflichtung des Klägers nach § 130b Abs 1 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) der Höhe nach unberührt gelassen. Die Verpflichtung zur Beitragsentrichtung knüpfe nämlich an den Bezug, dh an den tatsächlichen Empfang des Krankengeldes an, welcher nicht rückgängig gemacht worden sei.

Die beigeladene BA stellt keinen eigenen Antrag.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat mit dem Einverständnis aller Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden.

Die Revision des Klägers ist begründet. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 22. November 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 1985 ist rechtswidrig. Der Antrag des Klägers auf Erstattung der zur Rentenversicherung gezahlten Beitragsanteile ist begründet, weil sie zu Unrecht entrichtet wurden.

Grundlage für den vom Kläger geltend gemachten Erstattungsanspruch ist die Vorschrift des § 26 Abs 1 SGB IV in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung (Art II § 15a SGB IV). Danach sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, daß der Rentenversicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat. Im hier zur Entscheidung anstehenden Rechtsstreit sind keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, daß der Träger der knappschaftlichen Rentenversicherung aufgrund der vom Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum 29. Februar 1984 entrichteten Beiträge oder für diesen Zeitraum Leistungen erbracht oder zu erbringen hat. Daher kommt es für den geltend gemachten Erstattungsanspruch allein darauf an, ob die Beiträge des Klägers zu Unrecht entrichtet wurden.

Die Beitragsentrichtung beruhte auf der Vorschrift des § 130b Abs 1 Satz 1 RKG. In dem angefochtenen Urteil ist überzeugend und ausführlich dargelegt worden, daß die Beitragspflicht ausschließlich von dem Bezug des Krankengeldes, also der tatsächlichen Leistungsgewährung an den Kläger, abhängig war. Es trifft auch zu, daß dieser tatsächliche Vorgang nicht mehr aufzuheben ist. Das ist vom BSG (BSGE 20, 145, 147) bereits vor Inkrafftreten der Vorschriften des SGB IV entschieden worden und auch heute noch zutreffend. Dies allein bedeutet allerdings nicht, daß der Leistungsbezug rechtmäßig war. Auch insoweit ist den Darlegungen in dem angefochtenen Urteil zuzustimmen. Das LSG hat ausführlich und überzeugend dargelegt, daß für die Versicherten und Sozialversicherungsträger Klarheit über die Verpflichtung zur Beitragsentrichtung geschaffen ist, ohne daß die Rechtmäßigkeit der Beitragsgrundlage geprüft wird.

Bei dem Rückerstattungsanspruch nach § 26 Abs 1 SGB IV geht es dagegen nicht um den tatsächlichen Leistungsbezug und die allein hieran geknüpfte Beitragsentrichtung. Vielmehr ist in diesem Zusammenhang – anders als bei der Prüfung nach § 130b Abs 1 RKG die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Leistungsbezuges und damit nach der Grundlage für die entrichteten Beiträge zu stellen. Das Gesetz verlangt dies ausdrücklich. Während bei der Beitragszahlung nach § 130b Abs 1 Satz 1 RKG die Rechtmäßigkeit des Bezuges von Krankengeld ohne Bedeutung ist, wird diese Frage in den Mittelpunkt der Entscheidung über die Beitragserstattung gerückt. Dies ist kein Widerspruch. Die Frage des Entstehens von Mitgliedschaften, Leistungsansprüchen und Beitragspflichten muß schnell und möglichst einfach geklärt werden können. Daher brauchen besondere Rückfragen im Rahmen des § 130b Abs 1 Satz 1 RKG nicht gestellt zu werden. Anders ist die Interessenlage jedoch dann, wenn Beiträge „unverbraucht” geblieben sind, wenn also die Beitragsentrichtung nicht zur Leistungsgewährung geführt hat und führen wird. In diesen Fällen ist es angemessen und entspricht der Interessenlage zwischen dem Beitragszahler und dem Leistungsträger, wenn die Frage der Rechtmäßigkeit der Beitragsentrichtung umfassender aufgeworfen wird. Stellt sich heraus, daß Leistungsbezug und damit auch die daran geknüpfte Beitragszahlung zu Unrecht erfolgt sind, und wird – wie hier – der unrechtmäßige Leistungsbezug rückgängig gemacht, so ist rückwirkend die Rechtsgrundlage für die Beitragsentrichtung entfallen; die Beiträge sind zu Unrecht entrichtet. Dies hat übrigens das BSG (SozR Nr 6 zu § 109 AVAVG), anders als das LSG in seinen Entscheidungsgründen angenommen hat, bereits vor Inkrafttreten des SGB IV entschieden (siehe jetzt BSG SozR 5850 § 27a Nr 1). Auch der Gesetzgeber geht davon aus, daß in einem Fall wie hier die Interessenlage zwischen dem Leistungsträger und dem Kläger zugunsten des Beitragszahlers entschieden werden muß. Dies hat er in § 130b Abs 3 RKG ausdrücklich für den Fall festgelegt, daß der Leistungsträger Beiträge doppelt erhält. In den Motiven zu dieser Vorschrift heißt es ua: „Durch Absatz 3 soll vermieden werden, daß für die gleiche Zeit Beiträge von zwei Stellen gezahlt werden” (BT-Drucks 10/335 S 75).

Im hier zu entscheidenden Rechtsstreit wurde das Krankengeld des Klägers gemäß § 183 Abs 5 RVO nachträglich und rückwirkend gekürzt. Damit wurde der Rechtsgrund für die Krankengeldgewährung rückwirkend beseitigt. Auch für die Beitragszahlung entfiel demgemäß rückwirkend der Rechtsgrund. Die Beitragsentrichtung erfolgte daher zu Unrecht. Es liegen demgemäß die Voraussetzungen vor, unter denen nach § 26 Abs 1 SGB IV die vom Kläger zur Rentenversicherung entrichteten Beitragsanteile antragsgemäß zu erstatten sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174648

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge