Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachschieben von Gründen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Anrechnung des durch die Erhöhung der Grundrente wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins (BVG § 30 Abs 2) erzielten Mehrbetrages nach BVG § 30 Abs 5 auf den Berufsschadensausgleich ist nur dann zulässig, wenn sich aus der Auslegung des Bescheides über die Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ergibt, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit tatsächlich wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nicht in jeder einem Beschädigten zuerkannten MdE ist tatsächlich der Faktor des beruflichen Betroffenseins gemäß BVG § 30 Abs 2 enthalten. Diese Frage ist durch Auslegung des jeweiligen Bescheides zu beantworten.

2. Beim Nachschieben von Gründen handelt es sich immer nur um ein Nachschieben der Begründung eines noch nicht bindend gewordenen Bescheides, also um das Nachschieben im Verfahren über die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 2 Fassung: 1964-02-21, Abs. 2 Fassung: 1966-12-28, Abs. 5 Fassung: 1964-02-21, Abs. 5 Fassung: 1966-12-28

 

Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. November 1969 wird als unbegründet zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger, der von Beruf selbständiger Schneidermeister ist, erlitt während des zweiten Weltkrieges als Soldat Erfrierungen und bezog wegen der Erfrierungsfolgen bis zum Jahre 1945 Versorgungsbezüge nach Versehrtenstufe I. Die zuständige Versorgungsbehörde gewährte mit Bescheid vom 6. Juni 1949 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. wegen "Fingergliederverlust links, Kleinzehengliederverlust links, Großzehenendgliedkuppenverlust rechts, Nagelverlust der linken Großzehe". Mit Bescheid vom 6. September 1950 setzte die Versorgungsbehörde wegen einer wesentlichen Besserung der anerkannten Gesundheitsstörungen die MdE vom 1. November 1950 an auf 40 v. H. herab. Auf die Berufung alten Rechts verurteilte das Oberversicherungsamt (OVA) mit Urteil vom 15. November 1951 unter Abänderung dieses Bescheides den Beklagten, dem Kläger über den 1. November 1950 hinaus Rente nach einer MdE um 50 v. H. zu gewähren. Der vom OVA gehörte Sachverständige war der Auffassung, daß die anerkannten Schädigungsfolgen in ihrem Gesamtzustande die Gewährung einer Rente nach einer MdE um 50 v. H. rechtfertigten. Zur Frage eines besonderen beruflichen Betroffenseins des Klägers in seinem Beruf als Schneidermeister hat weder der Sachverständige noch das OVA irgendwelche Ausführungen gemacht. Daraufhin erteilte die Versorgungsbehörde den Ausführungsbescheid vom 17. Januar 1952, mit dem sie dem Kläger auch nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ab 1. Oktober 1950 Rente nach einer MdE um 50 v. H. gewährte. Aufgrund eines Antrags des Klägers auf Berufsschadensausgleich vertrat der Versorgungsärztliche Dienst in zwei Stellungnahmen die Auffassung, daß die Einschätzung der MdE für die anerkannten Schädigungsfolgen zu hoch und daher falsch sei. Nach den Anhaltspunkten könnten sie allenfalls mit einer MdE um 40 v. H. bewertet werden; da der Kläger jedoch in seinem Beruf als Schneidermeister durch die anerkannten Schädigungsfolgen besonders betroffen sei (§ 30 Abs. 2 BVG), betrage die MdE weiterhin 50 v. H. Die Versorgungsbehörde gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 5. Juli 1966 einen Berufsschadensausgleich vom 1. Januar 1964 an. Hierbei rechnete sie gemäß § 30 Abs. 5 BVG idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85 - 2. NOG) den Unterschiedsbetrag zwischen der Grundrente nach einer MdE um 40 v. H. und der nach § 30 Abs. 2 BVG höher bewerteten Grundrente nach einer MdE um 50 v. H. auf den Berufsschadensausgleich an. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. April 1967).

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 20. März 1968 auf die Klage den angefochtenen Bescheid abgeändert und den Beklagten verpflichtet, bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs von der Anrechnung eines wegen besonderen beruflichen Betroffenseins festgestellten Unterschiedsbetrages zwischen einer Grundrente nach einer MdE um 50 v. H. und einer solchen nach einer MdE um 40 v. H. abzusehen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 26. November 1969 die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, eine Anrechnung des in § 30 Abs. 5 BVG idF des 2. NOG bezeichneten Mehrbetrages könne nur erfolgen, wenn die Rente des Klägers tatsächlich wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG erhöht worden sei. Zwar bestehe die MdE nicht aus zwei verschiedenen Minderungen der Erwerbsfähigkeit nach Abs. 1 und Abs. 2 des § 30 BVG, vielmehr handele es sich insoweit nur um verschiedene Faktoren einer einheitlichen MdE. Gerade deshalb dürften aber die der Rente zugrunde liegenden Faktoren nicht nachträglich zu Lasten des Beschädigten zum Zwecke eines etwaigen Ausgleichs beim Berufsschadensausgleich herabgesetzt oder stillschweigend geändert werden. Ebenso wie bei der Anerkennung einer weiteren Schädigungsfolge eine Erhöhung der MdE nicht deshalb unterbleiben dürfe, weil die bisherige Rente nach Auffassung der Versorgungsbehörde überhöht gewesen sei, könne auch nicht nachträglich ein Teil einer vermeintlich überhöhten Rente auf die Berufsbetroffenheit bezogen werden. Dies würde einer stillschweigenden Berichtigung eines bindend gewordenen Bescheides gleichkommen und gegen die Bindungswirkung verstoßen. Es dürfe in dieser Weise nicht in den bindend gewordenen Besitzstand des Beschädigten nachträglich eingegriffen werden, auch nicht in der Weise, daß die jeweiligen Bemessungsfaktoren der Rente anders als ursprünglich bewertet würden. Soweit der Gesetzgeber eine Ausnahme von der Unabänderlichkeit bindend gewordener Bescheide zugelassen habe, könne davon nur unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen (§§ 40 ff des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung - VerwVG -; § 62 BVG) Gebrauch gemacht werden. Der eindeutige Wortlaut des § 30 Abs. 5 BVG idF des 2. NOG lasse nur den Schluß zu, daß eine tatsächliche Erhöhung der MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG bei der Gewährung des Berufsschadensausgleichs angerechnet werden solle, nicht aber eine nachträgliche, durch Umdeutung eines früheren Bescheides angenommene Erhöhung der MdE. Die früheren Bescheide und auch das Urteil des OVA enthielten nichts darüber, daß in der dem Kläger nach einer MdE um 50 v. H. gewährten Rente ein Grad der MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG enthalten sei. Die Auffassung der Versorgungsbehörde stütze sich lediglich auf eine andere, rechtlich unbeachtliche ärztliche Meinung. Es ergäben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, daß hinsichtlich der Höhe der MdE eine wesentliche Änderung im Sinne des § 62 BVG eingetreten sei.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat gegen dieses ihm am 18. Dezember 1969 zugestellte Urteil mit einem am 29. Dezember 1969 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz vom 23. Dezember 1969 Revision eingelegt und diese mit einem am 9. Januar 1970 eingegangenen Schriftsatz vom 30. Dezember 1969 begründet.

Er beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 26. November 1969 und des SG Landshut vom 20. März 1968 aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Er rügt die Verletzung des § 30 Abs. 5 BVG idF des 2. NOG und bringt hierzu insbesondere vor, es sei eindeutig, daß die dem Kläger gewährte Rente nach einer MdE um 50 v. H. überhöht sei. Es treffe zwar zu, daß weder im Bescheid nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) noch in dem nach dem Inkrafttreten des BVG erlassenen Bescheid ausdrücklich festgelegt worden sei, daß der beim Kläger anerkannte Grad der MdE ein besonderes berufliches Betroffensein umfasse. Ein solcher ausdrücklicher Hinweis sei aber keineswegs erforderlich. Aus der Einheitlichkeit des Rentenanspruchs folge, daß die Festsetzung des Grades der MdE sämtliche anspruchsbegründenden Tatsachen einzuschließen habe. Werde eine dieser Tatsachen, also etwa ein besonderes berufliches Betroffensein, nicht ausdrücklich erwähnt, so könne bestenfalls von einer fehlerhaften Begründung des Bescheides, nicht aber davon gesprochen werden, daß der Bescheid in seinem Verfügungssatz unbegründet sei. Das BSG habe selbst ausgesprochen, daß bei der Festsetzung des Grades der MdE nicht nur von der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben auszugehen sei, sondern gegebenenfalls auch andere Faktoren, wie ein besonderes berufliches Betroffensein, berücksichtigt werden müßten. Die Frage, welche Faktoren in der bei einem Beschädigten festgesetzten MdE enthalten seien, sei eine Frage der Beweiswürdigung des jeweiligen Bescheides. Im übrigen hätte das LSG prüfen müssen, ob die Verwaltungsbehörde den von ihr getroffenen Verfügungssatz - hier die Gewährung einer Rente nach einer MdE um 50 v. H. - nachträglich auf die allein zutreffende rechtliche Grundlage habe stellen dürfen. Diese Frage sei noch nicht abschließend richterlich geklärt. Wenn man sie verneine, würde damit der Kläger gegenüber anderen Beschädigten, bei denen ebenfalls in medizinischer Hinsicht nur eine MdE um 40 v. H. vorliege, bei denen aber wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins die Rente auf 50 v. H. erhöht worden sei, bevorzugt.

Wegen des weiteren Vorbringens des Beklagten wird auf seine Revisionsbegründung vom 30. Dezember 1969 verwiesen.

Der Kläger beantragt,

die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen LSG vom 26. November 1969 als unbegründet zurückzuweisen und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in allen drei Rechtszügen zu erstatten.

Er ist der Auffassung, daß das angefochtene Urteil dem materiellen Recht entspricht.

Zur Darstellung seines Vorbringens wird auf die Revisionserwiderung vom 30. Januar 1970 Bezug genommen.

Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig. Die Revision ist jedoch nicht begründet. Das LSG hat nämlich zutreffend erkannt, daß bei dem Kläger der Mehrbetrag zwischen einer Grundrente nach einer MdE um 40 v. H. und einer gemäß § 30 Abs. 2 BVG erhöhten Grundrente nach einer MdE um 50 v. H. auf den Berufsschadensausgleich nicht angerechnet werden darf. Im vorliegenden Fall ist diese Frage nach § 30 Abs. 5 BVG idF des 2. NOG und in der insoweit unverändert gebliebenen Fassung dieses Gesetzes nach dem Dritten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 20. Januar 1967 (BGBl I 141 - 3. NOG) zu entscheiden, denn der Kläger begehrt den ungekürzten Berufsschadensausgleich für die Zeit vom 1. Januar 1964 an als laufende Leistung für eine unbegrenzte Zeit. Der Beklagte hat dem Kläger in dem angefochtenen Bescheid Berufsschadensausgleich gewährt, so daß davon auszugehen ist, daß die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 und 4 BVG gegeben sind. Nach § 30 Abs. 5 BVG idF des 2. und 3. NOG wird der durch die Erhöhung erzielte Mehrbetrag der Grundrente auf den Berufsschadensausgleich angerechnet, wenn die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden ist. Schon dem Wortlaut des § 30 Abs. 5 BVG ist zu entnehmen, daß der in dieser Vorschrift bezeichnete Mehrbetrag nur dann auf den Berufsschadensausgleich angerechnet werden kann, wenn die Grundrente tatsächlich wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins des Beschädigten erhöht worden ist. Der § 30 Abs. 5 BVG wird nämlich mit den Worten eingeleitet: "Ist" die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins "erhöht worden". Bei dieser Formulierung bedarf es keiner weiteren Erörterung hinsichtlich der Auslegung dieser Vorschrift, daß nur bei einer tatsächlichen Erhöhung der aufgrund des medizinischen Umfanges der Gesundheitsstörungen festgesetzten MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG eine Anrechnung des durch diese Erhöhung erzielten Mehrbetrages erfolgen soll. Aber auch Sinn und Zweck des § 30 Abs. 5 BVG führen zu dieser Schlußfolgerung. Sowohl die Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG als auch die Gewährung des Berufsschadensausgleichs gemäß § 30 Abs. 3 und 4 BVG stellen die Abgeltung eines durch die anerkannten Schädigungsfolgen verursachten wirtschaftlichen Schadens an den Beschädigten dar, wobei Art und Umfang der jeweiligen Schadensabgeltung unterschiedlich geregelt sind. Entspringen aber beide Arten der Abgeltung eines wirtschaftlichen Schadens demselben Grundgedanken, dem Beschädigten erhöhte Versorgungsleistungen wegen des ursächlichen Zusammenhangs der anerkannten Schädigungsfolgen mit ein und demselben Schaden zu gewähren, so besteht der Sinn und Zweck des § 30 Abs. 5 BVG darin, diesen Schaden nicht doppelt, d. h. einmal durch Erhöhung seiner (medizinischen) MdE gem. § 30 Abs. 2 BVG und - zumindest teilweise - nochmals durch die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG, abzugelten.

Dem steht auch nicht, wie der Beklagte meint, die "Einheitlichkeit des Rentenanspruchs" entgegen. Mit der "Einheitlichkeit des Rentenanspruchs" meint der Beklagte ganz offenbar, wie sich aus seinen Ausführungen ergibt, daß die MdE nicht einzeln nach § 30 Abs. 1 BVG (körperliche Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben und besonders nach § 30 Abs. 2 BVG (besonderes berufliches Betroffensein) festgesetzt wird, so daß die Folgen der Schädigung zwei verschiedene Minderungen der Erwerbsfähigkeit ergeben. Zutreffend bringt der Beklagte vor, daß der § 30 Abs. 1 und 2 BVG nicht zwei oder mehrere unterschiedliche Minderungen der Erwerbsfähigkeit, sondern nur eine einheitliche kennt. Bei der Festsetzung der MdE ist von der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben auszugehen. Gegebenenfalls sind aber auch seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen sowie Beeinträchtigungen in dem angestrebten, begonnenen oder derzeitigen Beruf zu berücksichtigen. Bei diesen Umständen handelt es sich nur um verschiedene Faktoren, die bei der Festsetzung der MdE mitwirken können, ohne daß jedoch diese Faktoren einzeln in ihrer Höhe festzusetzen wären (BSG 22, 82, 83). Der Beklagte verkennt aber, daß der Grundsatz, wonach die Bemessung der MdE unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren immer nur zu einer einzigen MdE führt (§ 30 Abs. 1 und 2 BVG), gerade durch die Vorschrift des § 30 Abs. 5 BVG bei der Berechnung der Höhe des Berufsschadensausgleichs eine Durchbrechung, besser gesagt eine Aufspaltung der einheitlich festgesetzten MdE verlangt. Dadurch, daß in § 30 Abs. 5 BVG die Anrechnung eines Mehrbetrages auf den Berufsschadensausgleich vorgeschrieben wird und dieser Mehrbetrag aus der Differenz zwischen der wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöhten Grundrente und der ohne diese Erhöhung zu zahlenden Grundrente besteht, wird die MdE, die maßgebend für die Höhe der Grundrente ist, in ihre beiden Faktoren nach § 30 Abs. 1 BVG und nach dessen Absatz 2 im Berufsschadensausgleich aufgespalten. Eine derartige Aufspaltung der MdE in ihre verschiedenen Faktoren mit der Folge, daß der Betrag, der durch die Einbeziehung des Faktors "berufliches Betroffensein" bei der Ermittlung der MdE zur Erhöhung der Grundrente führt, als "Mehrbetrag" auf den Berufsschadensausgleich gem. § 30 Abs. 5 BVG anzurechnen ist, hat nur dann ihre Berechtigung, wenn die MdE des Beschädigten auch tatsächlich auf der Grundlage beider Faktoren (§ 30 Abs. 1 und 2 BVG) festgesetzt worden ist, d. h. also, wenn die MdE auch tatsächlich wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs. 2 BVG erhöht worden ist. Es ist zwar richtig - wie der Beklagte meint -, daß die Versorgungsbehörde grundsätzlich bei der Festsetzung der MdE alle Faktoren berücksichtigen und demzufolge auch "prüfen" muß, ob neben der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben (§ 30 Abs. 1 BVG) beim Beschädigten auch ein besonderes berufliches Betroffensein im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG vorliegt. Daraus folgt aber noch nicht, daß in jeder einem Beschädigten zuerkannten MdE tatsächlich der Faktor des beruflichen Betroffenseins gemäß § 30 Abs. 2 BVG "enthalten" ist. Eine ordnungsgemäße Prüfung der Höhe der MdE durch die Versorgungsbehörde kann nämlich zu dem Ergebnis geführt haben, daß der Beschädigte durch die anerkannten Schädigungsfolgen in seinem Beruf nicht besonders betroffen ist; in einem solchen Fall wäre dann dieser Faktor der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG nicht in der Höhe der MdE und damit auch nicht in der Höhe der Grundrente enthalten. Somit kann also nicht - wie der Beklagte offenbar meint - davon gesprochen werden, daß wegen der Verpflichtung der Versorgungsbehörde, alle in § 30 Abs. 1 und 2 BVG enthaltenen Faktoren bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen, jede in einem Bescheid festgesetzte MdE immer alle Faktoren beinhaltet und somit in jeder MdE eine Erhöhung wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs. 2 BVG tatsächlich enthalten ist. Vielmehr kann allenfalls davon gesprochen werden, daß bei ordnungsgemäßer Prüfung durch die Versorgungsbehörde diese die MdE unter allen gesetzlichen Gesichtspunkten, also nach § 30 Abs. 1 und Abs. 2 BVG, festgesetzt hat. Ob die MdE aber nach § 30 Abs. 2 BVG wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins des Beschädigten tatsächlich erhöht worden ist, muß demnach dem Bescheid entnommen werden, mit welchem eine Festsetzung der MdE erfolgt ist. Insoweit geht der Beklagte richtig davon aus, daß diese Frage durch Auslegung des jeweiligen Bescheides zu beantworten ist.

Im vorliegenden Fall kommt es somit auf die Auslegung des bindenden Bescheides vom 17. Januar 1952 im Zusammenhang mit dem rechtskräftigen Urteil des OVA vom 15. November 1951 an, mit denen die MdE des Klägers für die bei ihm anerkannten Schädigungsfolgen auf 50 v. H. festgesetzt worden ist. Die Wirkung beider Entscheidungen (Bindungswirkung und Rechtskraftwirkung) bezieht sich grundsätzlich nur auf den bescheidmäßigen Ausspruch bzw. Urteilsausspruch (Tenor). Die Feststellungen, die diese Aussprüche tragen, sind nur dann für die Bindungs- bzw. Rechtskraftwirkung von Bedeutung, wenn der Ausspruch nicht für sich allein, sondern durch den ihn tragenden Sachverhalt erst erläutert wird (BSG 6, 288, 291; 11, 194, 196; Urt. des 8. Senats des BSG vom 3. November 1961, KOV 1962, 114 ff). Das LSG hat im Rahmen dieser Grundsätze über die Auslegung von Bescheiden und Urteilen zutreffend ausgeführt, daß bei der Festsetzung der MdE des Klägers weder in dem Urteil des OVA vom 15. November 1951 noch im Bescheid vom 17. Januar 1952 ein berufliches Betroffensein im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG enthalten und somit die MdE nach § 30 Abs. 2 BVG tatsächlich nicht erhöht worden ist. Das ergibt sich allerdings noch nicht aus dem Urteilsausspruch des OVA und aus dem Verfügungssatz des Bescheides vom 17. Januar 1952 selbst; denn im ersteren wird der Herabsetzungsbescheid vom 6. September 1950 aufgehoben und der Beklagte nur verpflichtet, dem Kläger Rente nach einer MdE von 50 v. H. über den 1. November 1950 hinaus weiterzugewähren, während in dem Bescheid vom 17. Januar 1952 "laut Urteil ..." die Grund- und Ausgleichsrente vom 1. Oktober 1950 an, also nach dem BVG auf der Grundlage einer MdE um 50 v. H. "neu berechnet" wird. Hinsichtlich des Sachverhalts, aufgrund dessen das OVA und die Versorgungsbehörde zur Festsetzung einer MdE um 50 v. H. durch die beim Kläger anerkannten Schädigungsfolgen gelangt sind, hat das LSG festgestellt, daß sich weder der vom OVA gehörte Sachverständige zur Frage eines besonderen beruflichen Betroffenseins des Klägers geäußert noch das OVA in dem Urteil vom 15. November 1951 hierzu irgendwelche Ausführungen gemacht hat. Diese Feststellungen sind vom Beklagten mit begründeten Revisionsrügen nicht angegriffen worden, so daß sie für den Senat gemäß § 163 SGG bindend sind. Das Vorbringen des Beklagten betrifft allein die Beurteilung des rechtlichen Gehalts der in dem Bescheid vom 17. Januar 1952 und in dem Urteil des OVA vom 15. November 1951 enthaltenen Festsetzung der Höhe der MdE des Klägers. Wenn aber nach den bindenden Feststellungen des LSG weder der vom OVA gehörte Sachverständige noch das Urteil des OVA bei der Festsetzung der Höhe der MdE um 50 v. H. ein besonderes berufliches Betroffensein des Klägers im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG in Erwägung gezogen oder erörtert haben, so ist die daraus gezogene Folgerung des LSG nicht zu beanstanden, daß in der beim Kläger festgesetzten MdE um 50 v. H. der Faktor "berufliches Betroffensein" nicht enthalten und somit seine MdE nicht nach § 30 Abs. 2 BVG tatsächlich erhöht worden ist. Diese Folgerung bezieht sich auch auf den Bescheid vom 17. Januar 1952, der die Höhe der MdE ausschließlich dem Tenor des Urteils des OVA entnimmt und gleichzeitig die Höhe der MdE für die Zeit vom 1. Oktober 1950 an für den Geltungsbereich des BVG - also als sogenannte Umanerkennung - neu festsetzt. Offenbar ist auch der Beklagte der Auffassung, daß die Festsetzung der Höhe der MdE im Bescheid vom 17. Januar 1951 für den Geltungsbereich des BVG (50 v. H.) nur die körperliche Beeinträchtigung des Klägers durch die anerkannten Schädigungsfolgen im allgemeinen Erwerbsleben (§ 30 Abs. 1 BVG) betroffen hat; denn er bringt in seiner Revisionsbegründung hierzu selber vor, es treffe zu, daß weder in den früheren Bescheiden noch in dem nach Inkrafttreten des BVG erlassenen Bescheid "ausdrücklich festgelegt worden ist, daß der beim Kläger anerkannte Grad der MdE eine besondere berufliche Betroffenheit umfaßt". Umfaßte aber die Festsetzung der MdE um 50 v. H. bei dem Kläger in dem Bescheid nach dem BVG, also dem vom 17. Januar 1952, kein besonderes berufliches Betroffensein im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG, so ergibt sich daraus - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat -, daß die MdE des Klägers - oder, wie § 30 Abs. 5 BVG es ausdrückt, "die Grundrente" - nicht wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden ist.

Dem Beklagten kann auch nicht darin gefolgt werden, daß er dem Bescheid vom 17. Januar 1952, der bindend geworden ist, eine Begründung "nachschieben" kann, und zwar dahingehend, daß aufgrund einer später vorgenommenen medizinischen Prüfung erkannt worden sei, daß die "medizinische MdE im Zeitpunkt des Erlasses des früheren Bescheides nur 40 v. H. betragen und ein besonderes berufliches Betroffensein des Klägers im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG die Festsetzung der MdE auf 50 v. H. gerechtfertigt habe". Mit seinen Ausführungen zur Zulässigkeit des "Nachschiebens von Gründen" verkennt der Beklagte, daß es sich hierbei immer nur um ein Nachschieben der Begründung eines noch nicht bindend gewordenen Bescheides, also um das Nachschieben im Verfahren über die Rechtsmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts handelt. Ebensowenig wie ein Urteil nach seiner Rechtskraft durch "Nachschieben neuer Gründe" neu begründet werden darf, ist es zulässig, einen bindend gewordenen Bescheid insoweit mit neuen Gründen zu versehen. Ein solches Verfahren würde gegen die Bindungswirkung von Bescheiden (§ 24 VerwVG und § 77 SGG) verstoßen. Das LSG hat in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt, daß bei einer solchen Handhabung der § 41 VerwVG, der sich mit der Rücknahme eines tatsächlich und rechtlich zweifelsfrei unrichtigen Verwaltungsaktes befaßt, umgangen werden könnte. Gerade diese Vorschrift aber zeigt, daß der Gesetzgeber fehlerhafte - also auch hinsichtlich der Höhe der MdE falsche - Bescheide nur unter den zwingenden Voraussetzungen einer "zweifelsfreien" tatsächlichen und rechtlichen Unrichtigkeit beseitigt wissen will, so daß nur unter diesen strengen Voraussetzungen die Bindungswirkung eines Bescheides durchbrochen werden darf. Das LSG hat jedoch unangegriffen und daher bindend festgestellt, daß die Voraussetzungen des § 41 VerwVG nicht vorliegen. Gleichermaßen hat das LSG unangegriffen und daher für den Senat bindend festgestellt, daß hinsichtlich der Höhe der MdE um 50 v. H. eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG nicht eingetreten ist, so daß auch nicht aus diesem Grunde eine andere Bewertung der bei dem Kläger durch die anerkannten Schädigungsfolgen bedingten körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben (§ 30 Abs. 1 BVG) Platz greift und die MdE beim Kläger etwa nur 40 v. H. beträgt, wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs. 2 BVG aber auf 50 v. H. erhöht werden müßte.

Ist nach allem die im Bescheid vom 17. Januar 1952 festgesetzte MdE um 50 v. H. somit nicht wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins des Klägers im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG tatsächlich erhöht worden, so kann der Beklagte auch nicht eine von ihm fiktiv angenommene oder "nachgeschobene" Erhöhung der Grundrente in Höhe des Mehrbetrages gemäß § 30 Abs. 5 BVG auf den Berufsschadensausgleich anrechnen.

Da das LSG zutreffend entschieden hat, mußte die Revision des Beklagten als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1668987

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