Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch auf Rente geht nach § 183 Abs 3 S 2 RVO in der Höhe auf die Krankenkasse über, in der Krankengeld und Rente sich für den gesamten Nachzahlungszeitraum decken.

Rente und Krankengeld sind nicht monatlich gegenüberzustellen.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1961-07-12

 

Verfahrensgang

SG Köln (Entscheidung vom 14.01.1981; Aktenzeichen S 17 Kn 59/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger aus der Nachzahlung der Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit nach Verrechnung mit dem Krankengeld noch ein Betrag von 125,40 DM zusteht.

Der Kläger war seit Mai 1979 arbeitsunfähig krank. In der Zeit vom 1. Juli 1979 bis 27. Februar 1980 bezog er von der Beklagten Krankengeld. Mit Bescheid vom 17. März 1980 bewilligte die Beklagte dem Kläger Erwerbsunfähigkeitsrente für die Zeit vom 1. Juli 1979 bis zum 31. Juli 1980. Die Nachzahlung für die Zeit bis zum 30. April 1980 wurde einbehalten. Vom 1. Juli bis 31. Dezember 1979 war das Krankengeld höher als die Erwerbsunfähigkeitsrente, in der Zeit danach die Erwerbsunfähigkeitsrente höher als das Krankengeld. Unter dem 9. April 1980 erteilte die Beklagte einen Bescheid über die Verrechnung der Nachzahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente. Dabei stellte sie für die gesamte Zeit des Krankengeldbezuges das ausgezahlte Krankengeld und die zu zahlende Erwerbsunfähigkeitsrente einander gegenüber, verrechnete beides miteinander und zahlte den Differenzbetrag an den Kläger aus. Bei rückwirkendem Vergleich von Krankengeld und Rente Monat für Monat ständen dem Kläger noch 125,40 DM zu. Bei der Verrechnungsweise, die die Beklagte angewandt hat, hat die Krankenkasse für die Beträge, um die bis Ende 1979 das Krankengeld höher gewesen ist als die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit Deckung aus der ab 1980 höheren Erwerbsunfähigkeitsrente erhalten, was nicht möglich gewesen wäre, wenn die Verrechnung schon zum Jahresende 1978 erfolgt wäre.

Gegen den Bescheid vom 9. April 1980 legte der Kläger erfolglos Widerspruch ein (Widerspruchsbescheid vom 8. August 1980). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 14. Januar 1981 abgewiesen, die Sprungrevision zugelassen und im wesentlichen ausgeführt:

Zwar könne die Krankenkasse den Betrag, den der Versicherte an Krankengeld mehr erhalten habe, als ihm Rente zustehe, nicht vom Versicherten zurückverlangen (§ 183 Abs 3 Satz 3 Reichsversicherungsordnung -RVO-). Doch liege darin eine als Ausnahme zu betrachtende Vergünstigung des Versicherten, da im System der sozialen Sicherheit Doppelleistungen grundsätzlich ausgeschlossen seien. Aus dem Grundsatz, daß Ausnahmevorschriften eng auszulegen seien, folge, daß der das Krankengeld übersteigende Rentenbetrag dem Versicherten nicht zufließen dürfe, wenn in einem anderen Teil des Zeitraumes, in dem Krankengeld und Rente gleichzeitig gewährt worden seien, das Krankengeld die Rente übersteige.

Mit der Sprungrevision rügt der Kläger eine Verletzung des § 183 Abs 3 Satz 3 RVO. Er ist der Auffassung, daß Krankengeld und Rente monatsweise miteinander verglichen werden müssen, da sonst Manipulationen zu befürchten seien, insbesondere bei der Beklagten, weil Krankenkasse und Rentenversicherungsträger sich unter einem Dach befänden. Rente werde als Monatsbetrag fällig. Somit könne auch die Abrechnung nur monatsweise erfolgen.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 9. April 1980 idF des Widerspruchsbescheide vom 8. August 1980 zu verurteilen, an den Kläger 125,40 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das SG den Anspruch des Klägers auf Zahlung eines weiteren Betrages von 125,40 DM verneint.

Dem Kläger steht für die Zeit vom 1. Juli 1979 bis 27. Februar 1980 kein weiterer Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente gegen die Beklagte als Rentenversicherungsträger zu. Für diese Zeit ist der in der Person des Klägers entstandene Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente auf die Beklagte als Krankenversicherungsträger übergegangen und damit durch Konfusion (Vereinigung von Anspruch und Verpflichtung in einer Person) erloschen. Das trifft auch auf den Teil des Anspruchs des Klägers zu, der in der Zeit vom 1. Januar 1980 bis 27. Februar 1980 in seiner Höhe den Krankengeldanspruch des Klägers gegen die Beklagte überstieg, aber zur Deckung von Krankengeldzahlungen der Beklagten herangezogen worden ist, der durch die in der Zeit davor fällig gewordenen Rentenbeträge des Klägers noch nicht abgedeckt war.

Nach dem im Knappschaftsrecht entsprechend anwendbaren § 183 Abs 3 Satz 1 RVO endet der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wird. Ist über diesen Zeitpunkt hinaus Krankengeld gezahlt worden, so geht der Anspruch auf Rente bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Kasse über (§ 183 Abs 3 S 2 RVO). Übersteigt das Krankengeld die Rente, so kann die Kasse den überschießenden Betrag vom Versicherten nicht zurückfordern (§ 183 Abs 3 S 3 RVO). Diese Regelung stellt die Nahtlosigkeit zwischen den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und denen der gesetzlichen Rentenversicherung für den Fall der Rentengewährung nach Entstehung des Krankengeldanspruchs her. Dem Versicherten soll der Lohnersatz, den sowohl das Krankengeld wie auch die Rente darstellen, nicht doppelt zufließen. Andererseits soll in den Zahlungen auch keine Stockung deshalb eintreten, weil die Feststellung des Rentenanspruchs eine gewisse Zeit erfordert. Das Gesetz läßt deshalb den Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage entfallen, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld zugebilligt wird. Es ist ständige Rechtsprechung und allgemeine Meinung, daß mit diesem "Tage der Zubilligung" nicht der Tag gemeint sein kann, an dem zugebilligt wird, also der Tag des Bescheides, sondern der Tag, der als Rentenbeginn in dem Rentenbescheid genannt ist. Sonst wäre der eine wesentliche Zweck der Vorschrift, nämlich Doppelleistungen zu verhindern, nicht zu erreichen (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 183 RVO Bl Aa 5 R; SozR Nr 8 zu § 183 RVO Bl Aa 8 R; SozR Nr 30 zu § 183 RVO Bl Aa 30; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S 396u, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Krankenkasse darf andererseits ihre Krankengeldleistungen erst einstellen, wenn feststeht, daß der Versicherte einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder wegen Eintritt des Altersfalles hat (vgl BSG, SozR Nr 39 zu § 183 RVO Bl Aa 38 R oben). Das materielle Bestehen des Rentenanspruchs des Versicherten reicht daher nicht aus, um die Krankenversicherung zu berechtigen, das Krankengeld nicht mehr zu zahlen. Die Zubilligung selbst muß hinzutreten. Ob die Krankenkasse noch verpflichtet ist, über den Tag der Zubilligung hinaus bis zum Tag der Rentenauszahlung weiter zu leisten, kann hier unerörtert bleiben. Frühester Zeitpunkt der Leistungseinstellung der Krankenkasse ist jedenfalls der Tag der Zubilligung, also der Tag des Erlasses des Rentenbescheides, oder, was das gleiche ist, des Tages der Verurteilung zur Leistung (vgl BSG, SozR Nr 70 zu § 183 RVO Bl Aa 74R; SozR 2200 § 183 Nr 1). Erst durch den Rentenbescheid steht rückwirkend fest, ab wann und in welcher Höhe anstelle der Krankenkasse der Rentenversicherungsträger leistungspflichtig war (vgl BSG, SozR Nr 42 zu § 183 RVO; SozR Nr 45 zu § 183 RVO). Durch dieses Auseinanderfallen der Zeitpunkte, von dem an die Krankenkasse materiell zur Leistung nicht mehr verpflichtet ist und von dem an sie erst berechtigt ist, ihre Leistungen - entsprechend der schon vorher geänderten materiellen Rechtslage - einzustellen, entsteht ein Zeitraum, in welchem die Krankenkasse materiell zu Unrecht Leistungen an den Versicherten erbracht hat. Anstatt aber den Träger der Rentenversicherung zur Nachzahlung der rückständigen Rentenbeträge an den Versicherten und den Versicherten zur Rückzahlung der zu Unrecht (wie erst durch den Rentenbescheid rückwirkend feststeht) erhaltenen Krankengeldbeträge zu verpflichten, hat der Gesetzgeber es vorgezogen, den Versicherten von jeder Rückzahlung freizustellen und die Krankenkasse darauf zu verweisen, aus den rückständigen Rentenbeträgen Deckung zu erlangen (BSG, SozR Nr 36 zu § 183 RV0 Bl Aa 36). Zu diesem Zweck hat er durch einen gesetzlichen Forderungsübergang (cessio legis) die Ansprüche auf Rentennachzahlung insoweit auf die Krankenversicherung übertragen, als die Krankenkasse, wie nachträglich aufgrund des Rentenversicherungsbescheides offenbar geworden ist, deshalb zu Unrecht Leistungen an den Versicherten erbracht hat, weil zu dieser Zeit die Rentenversicherung dem Versicherten Lohnersatzleistungen zu gewähren hatte. Da oft das Krankengeld höher ist als die Rente, hat er außerdem bestimmt, daß der Versicherte nicht mit Rückzahlungsforderungen der Krankenkasse behelligt werden soll. Soweit der Krankengeldanspruch höher war als der Rentenbetrag, soll es dabei sein Bewenden haben (§ 183 Abs 3 Satz 3 RVO). Das ist aber eine reine Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsvorschrift. Sie ändert nichts daran, daß insoweit dem Versicherten eine Leistung nicht zugestanden hat (Bundesgerichtshof -BGH-, USK 6852; BSG SozR Nr 53 zu § 183 RVO; SozR Nr 61 zu § 183 RVO Bl Aa 63). Auch das Krankengeld reicht nämlich im allgemeinen nur zu einer bescheidenen Lebensführung aus. Deshalb sprechen Billigkeitsgründe dafür, vom Versicherten nichts zurückzuverlangen, was einmal in seinen Besitz gelangt ist. Auch ist zu vermuten, daß der Versicherte verbraucht hat, was ihm zugeflossen ist, so daß er wieder entreichert ist (vgl § 818 Abs 3 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) und daß es deshalb schwer wird, von ihm wieder die zuviel gezahlten Beträge zu erlangen.

Fest steht damit auch im vorliegenden Fall, daß dem Kläger nach dem Sinn des Zusammenwirkens von Krankengeldanspruch und Rentenanspruch nicht mehr zufließen sollte, als er tatsächlich erhalten hat. Wenn die Beklagte für die gesamte Zeit, in der dem Kläger anstelle der ihm - wie später festgestellt wurde - zustehenden Rente Krankengeld auszahlte, das tatsächlich gewährte Krankengeld und die ihm zustehende Rente einander gegenüber stellte, miteinander verrechnete und nur die in diesem Falle zugunsten des Klägers bestehende Differenz ausglich, so handelte sie im Sinn des § 183 Abs 3 RVO. Daß zufällig bei anderer Gestaltung des Sachverhaltes der Kläger sich besser gestanden hätte, etwa wenn die Verrechnung Ende 1979 erfolgt wäre, ändert daran nichts. Das wäre lediglich Folge des Umstandes gewesen, daß der Gesetzgeber einen Rückforderungsanspruch gegen den Versicherten vermeiden wollte. So ist auch anerkannt, daß ein Versicherter keinen Anspruch auf Nachzahlung des Betrages hat, um den das Krankengeld die Erwerbsunfähigkeitsrente übersteigt, wenn rechtsirrtümlich ihm das Krankengeld verweigert worden ist, bevor die Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt wurde (BSG, SozR Nr 24 zu § 183 RVO). Der Versicherte hat in einem solchen Falle auch mangels eines Schadens keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Krankenkasse oder den Beamten, der falsch entschieden hat (BGH, USK 6852).

Daß dem Kläger gegen seinen Rentenversicherungsträger der Teil seines Anspruchs auf Nachzahlung der Rente verbleibt, der bei monatlicher Gegenüberstellung von Krankengeld und Rente sich ergibt, folgt auch nicht aus der Logik der gesetzlichen Abtretung des Rentenanspruchs vom Versicherten an die Krankenkasse (§ 183 Abs 3 Satz 2 RVO). Richtig ist, daß die Rente zwar als Jahresbetrag errechnet (§ 1253 RVO), jedoch als Monatsbetrag ausgezahlt wird (§ 1297 RVO). In der Zeit zwischen dem Tag, "von dem an Rente zugebilligt wird", und dem Tag, "an welchem zugebilligt wird" (Tag des Bescheides) ist ungewiß, ob ein Rentenanspruch besteht und in welcher Höhe. Ist der Bescheid über die Rente allerdings ergangen, so steht rückwirkend fest, daß die Krankenkasse von dem Tag, "von dem an Rente bewilligt ist", bis zu dem Tage, an dem sie die Zahlungen eingestellt hat - und das wird oft der Tag sein, an dem die Rente bewilligt wurde - ohne rechtlichen Grund geleistet hat. Fest steht dann auch, daß der Rentenanspruch, soweit er höhenmäßig sich mit der Krankengeldzahlung deckt, schon bei seiner Entstehung und vorübergehenden Ersetzung durch Krankengeldzahlung auf die Krankenkasse übergegangen ist. Diese Feststellung erfolgt auch "rückwirkend". War, wie hier, der Krankenentgeltanspruch anfänglich höher als die Rentenzahlung, so deckte "anfänglich" (rückwirkend!) der in voller Höhe übergehende Rentenanspruch die schon geleisteten Zahlungen der Krankenkasse nur jeweils ab. Setzt sich die Zahlung von Krankengeld aber in eine Zeit hinein fort, in der der Rentenanspruch höher als das Krankengeld ist, so kann, da weiterhin ein durch Rente noch nicht abgedeckter, zu Unrecht an den Versicherten gezahlter, Krankengeldbetrag besteht, bis zur Höhe dieses unabgedeckten Betrages die weiterhin monatlich fällig werdende Rente, soweit sie nicht zur Abdeckung der laufenden Krankengeldzahlungen benötigt wird, auf die Krankenkasse übergehen, um die bisherigen Überzahlungen auszugleichen. Daß dies am ehesten Sinn und Zweck des § 183 Abs 3 entspricht, ist ausgeführt worden. Der Wortlaut des § 183 Abs 3 RVO spricht nicht dagegen.

Die Gefahr von "Manipulationen" ist gering. Daß Rentenzahlungen höher sind als Krankengeldzahlungen, ist nicht die Regel, daß der Träger der Krankenversicherung und der Rentenversicherung sich "unter einem Dach befinden" und sogar dieselbe Rechtsperson sind, wie im Falle der Beklagten, ebenfalls nicht. Selbst wenn aber der Rentenversicherungsträger deshalb die Rentenzubilligung verzögern würde, weil er bei steigender Rente dem Krankenversicherungsträger Deckung für das ausgezahlte Krankengeld verschaffen wollte, so würde er zwar gegen das Gebot ordnungsgemäßer Entscheidung, also gegen die Verpflichtung, die Entscheidung so bald zu treffen, wie sich die Sach- und Rechtslage übersehen läßt (vgl im Prozeß § 300 Zivilprozeßordnung -ZPO-) verstoßen, dem Versicherten jedoch nichts nehmen, was ihm zusteht. Daß hier eine Manipulation seitens der Beklagten vorliegt, ist nicht festgestellt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Breith. 1983, 415

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