Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsstellung von Mitgliedern einer im Bundesgebiet stationierten NATO-Truppe und deren Angehörigen

 

Leitsatz (amtlich)

Einer mit einem Soldaten der britischen Rheinarmee verheirateten (beschäftigungslosen) Deutschen steht kraft des für sie geltenden überstaatlichen Sonderrechts (Art 13 Abs 1 S 1 des Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut) für die gemeinsamen Kinder kein Anspruch auf Erziehungsgeld zu.

 

Orientierungssatz

1. Das NATO-Truppenstatut ist als multilaterales Abkommen die rechtliche Grundlage dafür, daß die Truppen einer Vertragspartei "nach Vereinbarung" zur Ausübung des Dienstes in das Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei entsandt werden können. In diesen Entsendestatus sind die Familienangehörigen eines Mitglieds der Streitkräfte mit einbezogen. Demgemäß sollen nach dem Willen der Vertragsparteien grundsätzlich die Entsendestaaten - und nicht die deutschen Stellen - für die soziale Sicherheit dieser Personen verantwortlich sein. Dies gilt auch wenn der Angehörige, zB der Ehegatte, deutscher Staatsangehöriger ist.

2. Den Vorschriften der EWGV 1408/71 läßt sich im Verhältnis zu anderen internationalen Regelungen kein Vorrang des Gemeinschaftsrechts entnehmen. Das EWG-Recht nimmt - wie sich aus Art 17 EWGV 1408/71 ergibt - keine abschließende Kompetenz für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts in Anspruch, sondern überläßt es den Mitgliedstaaten, abweichende zwischenstaatliche Kollisionsregeln für die Versicherungszugehörigkeit bestimmter Personengruppen zu schaffen.

3. Die am Wortlaut orientierte Auslegung von Art 13 Abs 1 S 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut, die zu einer Versagung des Erziehungsgeldes führt, verstößt weder gegen Sinn und zweck dieses Statuts noch gegen höherrangiges Verfassungsrecht.

4. Das BErzGG ist nicht in den sachlichen Geltungsbereich des SozSichAbk GBR einbezogen.

 

Normenkette

BErzGG § 1 Abs 1; NATOTrStatZAbk Art 13 Abs 1 S 1; SozSichAbk GBR Art 2; GG Art 3 Abs 1; EWGV 1408/71 Art 17

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 19.05.1987; Aktenzeichen L 3 Eg 1/87)

SG Lüneburg (Entscheidung vom 05.12.1986; Aktenzeichen S 7 Eg 1/86)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Erziehungsgeld nach dem Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG) vom 6. Dezember 1985 (BGBl I S 2154) hat.

Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige und seit 5. August 1983 mit einem in Celle stationierten Soldaten der britischen Rheinarmee verheiratet. Aus dieser Ehe sind die am 13. April 1986 geborenen Zwillinge S.    und D.     W. hervorgegangen.

Am 23. April 1986 beantragte die Klägerin für die beiden Kinder die Gewährung von Erziehungsgeld. Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 25. April 1986 ab, weil die Klägerin weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BErzGG habe. Gemäß Art 13 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut fänden auf Mitglieder einer im Bundesgebiet stationierten Truppe sowie deren Angehörige, zu denen auch der Ehegatte zähle, die Bestimmungen über soziale Sicherheit keine Anwendung. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 1986).

Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab dem 13. April 1986 Erziehungsgeld nach dem BErzGG für ihre Kinder S.    und D.    W.     zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 19. Mai 1987 zurückgewiesen und im wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 1 bis 4 BErzGG. Diese Vorschrift sei bei verfassungskonformer Auslegung auf sie anzuwenden, obwohl sie als Ehefrau eines britischen Soldaten "Angehörige" eines Mitglieds der britischen Truppe in Deutschland sei und Art 13 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut diesen Personenkreis nach seinem Wortlaut nicht erfasse. Nach Art 3 Abs 6 des deutsch-britischen Sozialversicherungsabkommens vom 20. April 1960 finde das Abkommen jedoch ungeachtet des Art 13 Abs 1 Satz 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut auf die dort genannten Personen Anwendung. Das BErzGG wäre nach dem Sinn des Art 2 Abs 1b des Sozialversicherungsabkommens in den sachlichen Geltungsbereich dieses Abkommens ebenso wie das Bundeskindergeldgesetz (BKGG) und das im Saarland geltende Frauen- oder Unterhaltsgeld einbezogen worden, wenn es bei Erlaß des Abkommens im Jahre 1960 bereits gegolten hätte. Es stelle eine Ergänzung der in Art 2 Abs 1 bezeichneten Rechtsvorschriften (Art 2 Abs 2) und eine Ausdehnung der bestehenden Rechtsvorschriften auf neue Personengruppen (Art 2 Abs 3) dar. Auch der Sinn und Zweck des NATO-Truppenstatuts zwinge nicht, die Klägerin als Anspruchsberechtigte durch Art 13 Abs 1 des Zusatzabkommens auszuschließen. Nach der amtlichen Erläuterung zu Art 13 sollten vornehmlich die Entsendestaaten und nicht die deutschen Stellen für die soziale Sicherheit der Mitglieder ihrer Streitkräfte und deren Angehöriger verantwortlich sein. Allein die Tatsache, daß die Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, zwinge aber aus der Sicht des NATO-Truppenstatuts zu einer anderen rechtlichen Beurteilung als bei anderen Angehörigen dieses Personenkreises, die britische Staatsangehörige seien; denn nur auf die letztgenannten sei das NATO-Truppenstatut zugeschnitten. Da auch Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die die Voraussetzungen der Nrn 1 bis 4 des § 1 Abs 1 BErzGG erfüllten und Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften, die als Grenzgänger im Bundesgebiet beschäftigt seien, Anspruch auf Erziehungsgeld hätten, sei nicht einzusehen, daß die Klägerin allein aufgrund der Ehe mit einem Truppenangehörigen schlechtergestellt sein sollte als jede andere Erziehungsberechtigte iS des BErzGG. Insbesondere sei die Auffassung der Beklagten nicht nachvollziehbar, daß Ehepartner von Angehörigen ausländischer Streitkräfte ungeachtet des Art 13 des Zusatzabkommens zum NATO- Truppenstatut dann einen Anspruch auf Erziehungsgeld hätten, wenn sie im Bundesgebiet erwerbstätig seien, während im vorliegenden Fall einer nicht beschäftigten deutschen Staatsangehörigen der Anspruch nach dem BErzGG ausgeschlossen sein solle. Eine unterschiedliche Behandlung der deutschen Angehörigen von Mitgliedern der britischen Truppe aufgrund einer Beschäftigung oder Nichtbeschäftigung oder gegenüber anderen ausländischen nichtbeschäftigten Erziehungsberechtigten sei im BErzGG ersichtlich nicht vorgesehen und lasse sich bei verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes auch nicht annehmen.

Die Beklagte rügt zur Begründung der - vom LSG zugelassenen - Revision die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Auffassung, der sachliche Geltungsbereich des deutsch-britischen Sozialversicherungsabkommens erstrecke sich nur auf die in seinem Art 2 Abs 1b abschließend aufgezählten Rechtsvorschriften, zu denen das BErzGG nicht gehöre. Es könne dahinstehen, ob es nach dem Sinn dieser Bestimmung einbezogen worden wäre, wenn es im Jahre 1960 bereits gegolten hätte. Denn gemäß Art 2 Abs 4 des Abkommens solle ein noch nicht erfaßter Zweig der sozialen Sicherheit nur dann von dem Abkommen erfaßt werden, wenn darüber eine zusätzliche Vereinbarung getroffen sei. Daran fehle es bislang. Die deutsche Staatsangehörigkeit der Klägerin ändere nichts daran, daß das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut kraft Transformation als spezielles Bundesrecht gegenüber § 1 BErzGG Vorrang habe. Das NATO-Truppenstatut verwende nur den Begriff "Angehörige" und unterscheide nicht zwischen solchen mit deutscher und anderer Staatsangehörigkeit. Die vom Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit in den "Richtlinien zur Durchführung des BErzGG" zugelassene Ausnahmeregelung, daß Ehepartner von Angehörigen ausländischer NATO-Streitkräfte einen Anspruch auf Erziehungsgeld haben sollten, wenn sie vor der Geburt des Kindes ua im Bundesgebiet in einem zur BA beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden oder Lohnersatzleistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bezogen haben, beruhe auf dem Gedanken, daß jemand, der in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Beanspruchung von Sozialleistungen zu deren Finanzierung durch Zahlung von Beiträgen und Steuern beigetragen habe, auch anspruchsberechtigt sein solle.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG Niedersachsen vom 19. Mai 1987 und des SG Lüneburg vom 5. Dezember 1986 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ein anderes Ergebnis werde nicht durch den Geist der zwischenstaatlichen Verträge gedeckt und widerspreche darüber hinaus dem grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgebot.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin kann für ihre Zwillinge S.    und D.     W.     kein Erziehungsgeld beanspruchen.

Zutreffend haben die Vorinstanzen zwar bejaht, daß die Klägerin die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 1 bis 4 BErzGG an sich erfüllt:

Die Klägerin lebt als deutsche Staatsangehörige in der Bundesrepublik Deutschland und hat hier durchgehend einen Wohnsitz (Nr 1). Daran hat sich durch die Eheschließung mit einem Soldaten der britischen Rheinarmee nichts geändert. Bestimmungen des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages vom 19. Juni 1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen (NATO-Truppenstatut, BGBl II 1961, 1190) und des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, BGBl II 1961, 1218) stehen dem nicht entgegen. Denn ein Wohnsitz bzw gewöhnlicher Aufenthalt allein im Entsendestaat wird durch diese Abkommen nicht allgemein fingiert (BSG SozR 2200 § 1233 Nr 7; Ausnahmen: Art X des NATO-Truppenstatuts und Art 7 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut). Bei den nach dem NATO-Truppenstatut den ausländischen Truppen überlassenen Liegenschaften handelt es sich auch nicht um exterritoriales Gebiet im völkerrechtlichen Sinn. Ein innerhalb dieser Liegenschaften begründeter Wohnsitz ist demnach ein solcher im Sinne des BErzGG (so für das Kindergeldrecht Schroeter, BKGG, Anhang 1 A 63; vgl auch BSG SozR 1200 § 30 Nr9 für die Angehörigen einer Auslandsvertretung). Die Klägerin lebt mit den nach Inkrafttreten des BErzGG geborenen Kindern, für die ihr gemäß § 1626 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Personensorge zusteht, in einem gemeinsamen Haushalt (Nr 2). Sie betreut und erzieht die Kinder selbst (Nr 3) und hat im hier streitigen Zeitraum keine Erwerbstätigkeit ausgeübt (Nr 4).

Der Anwendung des § 1 Abs 1 BErzGG auf die Klägerin stehen jedoch zwischenstaatliche Kollisionsnormen entgegen. Der Vorrang über- und zwischenstaatlichen Rechts vor inländischen Normen ist zwar ins BErzGG nicht ausdrücklich übernommen worden; er gilt jedoch als allgemeiner Rechtsgrundsatz und ist in § 30 Abs 2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil - (SGB 1) positivrechtlich niedergelegt (BSGE 52, 210, 213 = SozR 6180 Art 13 Nr 3). Die Klägerin fällt als Ehefrau eines Mitglieds der Truppe der britischen Rheinarmee unter Art 13 Abs 1 Satz 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (Art I Abs 1c des NATO-Truppenstatuts - "Angehörige"). Nach dieser Vorschrift werden zwischenstaatliche Abkommen und andere im Bundesgebiet geltende Bestimmungen über soziale Sicherheit und Fürsorge - zu denen das BErzGG gemäß § 1 Abs 1, 6 und § 25 Abs 2 SGB 1 zählt (aA ohne nähere Begründung Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz, 5. Aufl 1986, S 359, die die Regelung jedoch wegen der Parallelität zum Kindergeld entsprechend anwenden wollen) - auf Mitglieder einer Truppe, eines zivilen Gefolges und auf Angehörige nicht angewendet, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist. Diese Kollisionsregel, die nach der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften durch das Gesetz vom 18. August 1961 (BGBl II 1983) unmittelbar geltendes Bundesrecht enthält, ist für den hier zu entscheidenden Lebenssachverhalt weder durch die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 - EWGV 1408/71 - des Rates über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, vom 14. Juni 1971 in der Fassung der EWGV 2001/83 vom 2. Juni 1983 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABl EG - 1983, Nr L 230,6) noch durch die Bestimmungen des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über soziale Sicherheit vom 20. April 1960 (deutsch- britisches Sozialversicherungsabkommen, BGBl II 1961, 242) verdrängt worden.

Den Vorschriften der EWGV 1408/71 läßt sich im Verhältnis zu anderen internationalen Regelungen kein Vorrang des Gemeinschaftsrechts entnehmen. Das EWG-Recht nimmt - wie sich aus Art 17 EWGV 1408/71 ergibt - keine abschließende Kompetenz für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts in Anspruch, sondern überläßt es den Mitgliedstaaten, abweichende zwischenstaatliche Kollisionsregeln für die Versicherungszugehörigkeit bestimmter Personengruppen zu schaffen. Die NATO-Abkommen, die durch Art 6 der EWGV 1408/71 nicht außer Kraft gesetzt worden sind, stellen ein derartiges Sonderrecht für bestimmte Personengruppen in der Bundesrepublik Deutschland dar (BSGE 52, 210, 216 = SozR 6180 Art 13 Nr 3). Die allgemeinen - im Bundesgebiet unmittelbar geltenden - supranationalen Kollisionsnormen der Art 13 ff EWGV 1408/71 können auf den dort genannten Personenkreis keine Anwendung finden, da sie für Arbeitnehmer "im gewöhnlichen Sinn" und deren Familienangehörige gelten und insoweit gegenüber Art 13 Abs 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut weder hinsichtlich des Personenkreises noch hinsichtlich des Inhalts der Kollisionsregelung selbst eine speziellere Regelung enthalten (BSG aaO und Urteil vom 29. Oktober 1986 - 7 RAr 58/85 - in Soziale Sicherheit 1987, 351 nur im Leitsatz veröffentlicht). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß der persönliche Geltungsbereich der EWGV 1408/71 "Arbeitnehmer und Selbständige" (aaO Art 2 Abs 1) erfaßt, die in Art 1 Buchst a) definiert sind und zu denen der Ehemann der Klägerin als Soldat der britischen Rheinarmee nicht gehört; die Klägerin selbst ist nach den Feststellungen des LSG "nicht beschäftigt" und somit zumindest derzeit keine Arbeitnehmerin, mangels entsprechender Anhaltspunkte auch keine Selbständige iS der EWGV 1408/71.

Auch das deutsch-britische Sozialversicherungsabkommen sieht für die Gewährung von Erziehungsgeld nicht ausdrücklich etwas anderes vor als Art 13 Abs 1 S 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut. Dieses Abkommen findet zwar nach seinem Art 3 Abs 6, der gemäß Art 7 Abs 2c EWGV 1408/71 durch Aufnahme in den Anhang III (Nr 30) der Verordnung auch nach dem Beitritt des Vereinigten Königreichs zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft weiter anwendbar bleibt, auf die in Art 13 Abs 1 Satz 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut genannten Personen, soweit es sich um eine Truppe des Vereinigten Königreichs und deren ziviles Gefolge handelt, in gleicher Weise Anwendung wie auf andere Personen. Entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht wird das von der Klägerin begehrte Erziehungsgeld jedoch nicht von diesem Abkommen erfaßt. Denn unzweifelhaft handelt es sich nicht um eine der in Art 2 Abs 1b des Abkommens genannten Leistungen. Nach dieser Vorschrift findet das Abkommen in bezug auf die Bundesrepublik Anwendung auf die Rechtsvorschriften über die Krankenversicherung (i), die Rentenversicherung der Arbeiter, die Rentenversicherung der Angestellten, die knappschaftliche Rentenversicherung, die im Saarland bestehende hüttenknappschaftliche Pensionsversicherung (ii), die Unfallversicherung (iii), das Kindergeld und das im Saarland zu gewährende Frauen- oder Unterhaltsgeld (iv) sowie die Altershilfe für Landwirte (v). Das BErzGG fällt auch nicht unter Art 2 Abs 2 oder 3 des Abkommens. Denn durch dieses Gesetz werden nicht die in Absatz 1 aaO bezeichneten Vorschriften geändert, ergänzt oder zusammengefaßt (Abs 2 aaO); das BErzGG dehnt aber auch nicht die bestehenden Vorschriften (nur) auf neue Personengruppen aus (Regelungsinhalt des Abs 3 aaO). Vielmehr betreffen insbesondere das Kindergeldrecht einerseits und das Recht des Erziehungsgeldes auf der anderen Seite verschiedene Ansprüche (Leistungen) der sozialen Sicherheit, wie § 25 Abs 1 und 2 SGB 1 idF des BErzGG ersichtlich macht, für die auch nicht - jedenfalls nicht notwendig - dieselben Behörden zuständig sind (Abs 3 aaO).

Unterschiedlich sind auch die Zielsetzungen. Das BErzGG verfolgt den Zweck, einem Elternteil zu ermöglichen oder zu erleichtern, sich in der für die ganze spätere Entwicklung entscheidenden ersten Lebensphase eines Kindes vorrangig dessen Betreuung und Erziehung zu widmen; durch das Erziehungsgeld soll auch die Erziehungsleistung der Familie anerkannt werden (BT-Drucks 10/3792 S 13). Die Ziele des BErzGG sind damit als primär kind- und familienbezogen zu charakterisieren (vgl BT- Drucks 10/3792 S 15 zu § 2 und S 20 zu § 18; Moritz in SGb 1988, 45, 51), während das Kindergeld und die zum damaligen Zeitpunkt im Saarland an dessen Stelle gewährten Leistungen nach dem Gesetz über Familienzulagen vom 11. Juli 1951 (Amtsblatt des Saarlandes 1951, 1131) in erster Linie gesellschaftsbezogen sind, denjenigen materiell entlasten sollen, der im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein Kind aufzieht und dadurch einen Beitrag zur künftigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Existenz der Gesellschaft in diesem Staat leistet (BSGE 53, 294, 295).

Ob eine Einbeziehung des BErzGG in den sachlichen Geltungsbereich des deutsch-britischen Sozialversicherungsabkommens zur Gewährleistung der Chancengleichheit und Gleichbehandlung der Kinder auch gesellschaftspolitisch wünschenswert wäre (vgl hierzu ausführlich Moritz aaO), braucht hier nicht erörtert zu werden. Dazu bedürfte es nämlich gemäß § 2 Abs 4 des deutsch-britischen Sozialversicherungsabkommens einer besonderen Abmachung. Hiernach findet das Abkommen auf Rechtsvorschriften, die sich auf einen durch die in Absatz 1 bezeichneten Rechtsvorschriften nicht erfaßten Zweig der sozialen Sicherheit beziehen, nur Anwendung, wenn die beiden Vertragsparteien dies vereinbaren. Eine solche Vereinbarung ist nicht getroffen worden. Eine solche gemeinsame Regelung kann auch - angesichts des eindeutigen Wortlautes und Regelungsgehaltes des Art 2 des deutsch-britischen Sozialversicherungsabkommens - nicht durch eine erweiternde richterliche Vertragsauslegung "ersetzt" werden. Abgesehen davon erscheint die Einbeziehung des BErzGG in den sachlichen Geltungsbereich dieses Abkommens auch unter Berücksichtigung des Kriteriums der Gegenseitigkeit, die Grundvoraussetzung eines jeden zwischenstaatlichen Vertrages ist (Wortmann, DOK 1956, 542), zweifelhaft; denn eine dem Erziehungsgeld vergleichbare Leistung existiert in Großbritannien nicht.

Diese am Wortlaut orientierte Auslegung von Art 13 Abs 1 Satz 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut, die zu einer Versagung des Erziehungsgeldes führt, verstößt weder gegen Sinn und Zweck dieses Statuts noch gegen höherrangiges Verfassungsrecht.

Entgegen der Auffassung des LSG ist die Klägerin als deutsche Staatsangehörige nach den NATO-Abkommen nicht anders zu beurteilen als eine Familienangehörige britischer Staatsbürgerschaft. Das NATO-Truppenstatut ist als multilaterales Abkommen die rechtliche Grundlage dafür, daß die Truppen einer Vertragspartei "nach Vereinbarung" zur Ausübung des Dienstes in das Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei entsandt werden können (vgl Erläuterungen zur Präambel des NATO-Truppenstatuts in: Denkschrift zum NATO-Truppenstatut und den Zusatzvereinbarungen, BT-Drucks 3/2146 S 223 ff, 226). In diesen Entsendestatus sind die Familienangehörigen eines Mitglieds der Streitkräfte mit einbezogen. Demgemäß sollen nach dem Willen der Vertragsparteien grundsätzlich die Entsendestaaten - und nicht die deutschen Stellen - für die soziale Sicherheit dieser Personen verantwortlich sein (vgl Erläuterungen zu den Zusatzvereinbarungen - Art 13, 56 und 78 - in: Denkschrift aaO S 234, 235). Soweit die NATO-Abkommen eine Rechtsposition davon abhängig machen, daß der Betroffene Staatsangehöriger des Aufnahmestaates ist, wird dies ausdrücklich hervorgehoben (vgl zB Art I Abs 1b, Art X Abs 4 des NATO-Truppenstatutes und Art 15 Abs 2, Art 16 Abs 2, Art 71 Abs 6c, Art 72 Abs 5b iii, Art 73 Satz 2c des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut). Hieraus ergibt sich, daß nach der Konzeption der Vertragsparteien die Familienangehörigen - unabhängig von ihrer Nationalität - grundsätzlich das rechtliche Schicksal des Mitglieds der Truppe oder des zivilen Gefolges teilen. Lediglich wenn rechtliche Beziehungen zur deutschen Sozialversicherung außerhalb der Mitgliedschaft zu den Streitkräften begründet worden sind oder hergestellt werden, sollen diese nicht deshalb beschnitten werden, weil es sich gleichzeitig um Mitglieder der Streitkräfte oder Angehörige handelt (vgl Art 13 Abs 1 Satz 2 und 3 und Abs 2 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut und Erläuterungen zu den Zusatzvereinbarungen - Art 13 - in: Denkschrift aaO S 235). In Anwendung dieser Grundsätze gewährt die Beklagte Familienangehörigen von NATO-Soldaten dann Kindergeld bzw Erziehungsgeld, wenn diese selbst eine sozialversicherungsrechtliche Position aufgrund eigener Erwerbstätigkeit erlangt haben (wegen Einzelheiten vgl Runderlaß 375/74 der BA Nr 1.42; ferner die vom Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit erlassenen "Richtlinien zur Durchführung des Bundeserziehungsgeldgesetzes", Nr 1, 3). Ob für Behörden die Befugnis besteht, derartige Richtlinien mit detaillierten Anspruchsvoraussetzungen (die von der Klägerin offensichtlich nicht erfüllt werden) zu setzen, braucht der Senat nicht zu prüfen, da es sich um unveröffentlichte Bestimmungen iS verwaltungsinterner Dienstanweisungen handelt.

Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Erziehungsgeld für ihre Zwillinge S.    und D.     W.     läßt sich - anders als in dem vom Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 15. Dezember 1977 (SozR 6180 Art 13 Nr 1) entschiedenen Fall - nicht ohne Berücksichtigung ihrer durch Eheschließung mit einem britischen Soldaten der Rheinarmee begründeten Rechtsstellung als Angehörige eines in die Bundesrepublik Deutschland entsandten Mitglieds einer Truppe rechtlich beurteilen. Während in jenem Fall eine nach deutschen Bestimmungen bereits bestehende Rechtsposition durch die spätere Eheschließung nicht berührt wurde, macht die Klägerin vorliegend Ansprüche geltend, die erst nach ihrer Heirat und im Zusammenhang mit ihr, also mit ihrer Einbeziehung in den "Entsendestatus" entstanden sind.

Diese Auslegung des Art 13 Satz 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes - GG). Die Zulässigkeit der verfassungsrechtlichen Prüfung ergibt sich aus Art 59 Abs 2 GG (vgl hierzu Plöger/Wortmann, deutsche Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten S 5 ff, S 29). Art 3 Abs 1 GG wäre verletzt, wenn die Klägerin im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt würde, obwohl zwischen diesen Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten BVerfGE 55, 72, 88 und st (Rspr), dh wenn die Versagung des Erziehungsgeldes willkürlich wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Ausklammerung der Klägerin aus dem Bereich der sozialen Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beruht auf der sachlichen Erwägung, daß sie durch ihren Sonderstatus als Angehörige eines NATO-Truppenmitgliedes sozial durch den Entsendestaat abgesichert ist. Diese von den Vertragsparteien gewollte Herausnahme aus der deutschen Sozialversicherung stellt einen hinreichenden sachlichen Grund dar, sie an späteren Vergünstigungen der inländischen Gesetzgebung nicht teilnehmen zu lassen. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß das Erziehungsgeld vom Bund finanziert wird, der Ehemann der Klägerin gemäß Art X des NATO-Truppenstatuts jedoch von der deutschen Steuerpflicht befreit ist und die Klägerin selbst als Nichterwerbstätige keine Steuern zahlt, erscheint das Ergebnis sachgerecht. Die vom LSG beanstandete Ungleichbehandlung der Klägerin im Verhältnis zu den nach § 1 Abs 4 BErzGG anspruchsberechtigten Angehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften oder Grenzgängerinnen aus Österreich und der Schweiz hat ihren sachlichen Grund in dem bis zum Inkrafttreten des BErzGG geltenden Recht. Die dort genannten Personen hatten zuvor bereits einen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub und Mutterschaftsgeld, den sie durch das BErzGG nicht verlieren sollten (vgl Zipperer/Viethen, BKK 1986, 81, 83; Halbach, DB Beilage Nr 1/86 S 5).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664367

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