Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterhaltsleistung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Mit dem Begehren, anstatt der gewährten Hinterbliebenenrente nach § 1265 Abs 1 S 2 RVO eine solche nach S 1 aaO festzustellen, wird eine Vornahmeklage erhoben.

2. Der letzte wirtschaftliche Dauerzustand kann auch mit dem Zeitpunkt einsetzen, in dem der Versicherte durch eine ihm zuzumutende Erwerbstätigkeit wieder ein bestimmtes - fiktives - Einkommen hätte erzielen können (Anschluß an und Fortführung von BSG 31.5.1967 12 RJ 420/65 = BSGE 27, 1 = SozR Nr 38 zu § 1265 RVO).

 

Orientierungssatz

Zur Frage, wann der Verstorbene zZt seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte (hier bejaht).

 

Normenkette

RVO § 1265 Abs 1 S 1; RVO § 1265 Abs 1 S 2; SGG § 54 Abs 1 S 1; EheG §§ 58-59

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 09.05.1985; Aktenzeichen L 16 Ar 0104/83)

SG Nürnberg (Entscheidung vom 27.01.1983; Aktenzeichen S 05 Ar 0394/80)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Klägerin ein Anspruch auf Geschiedenen-Witwenrente nach § 1265 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO- (seit dem 1. Januar 1986: Abs 1 Satz 1) anstatt der mit den Vorbehalten des Satzes 2 der Vorschrift gewährten Rente zusteht.

Die 1939 geborene Klägerin war mit dem zwischen dem 13. Juni und 14. Juli 1978 verstorbenen, bei der beklagten Landesversicherungsanstalt versichert gewesenen A. S. (Versicherter) verheiratet. Die Ehe wurde durch Urteil vom 4. April 1975 aus dem Verschulden des Versicherten geschieden. Aus ihr stammen vier 1959, 1961, 1966 und 1968 geborene Kinder.

Der Versicherte, von Beruf Feinmechaniker, war im Zeitpunkt der Scheidung und danach bis April 1977 als Dreher beschäftigt. Anschließend bezog er zunächst Krankengeld und war vom 31. Oktober bis zum 20. Dezember 1977 arbeitslos. Aus einer von der Beklagten vom 28. Dezember 1977 bis zum 8. Februar 1978 gewährten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme wurde er als "gut erholt" entlassen, nachdem ihn bereits der Arbeitsamtsarzt in einem Gutachten vom 5. Dezember 1977 für fähig befunden hatte, mittelschwere Arbeiten (nicht im Akkord, aber in Wechselschicht und auch an laufenden Maschinen) vollschichtig zu verrichten. Eine ihm am 16. Februar 1978 vom Arbeitsamt angebotene Beschäftigung als Drahtflechtmaschinenbediener (Barlohn: 9,-- DM je Stunde) lehnte er wegen des niedrigen Lohnes und mit der Begründung ab, bereits eine andere Arbeit angenommen zu haben. Daraufhin verhängte das Arbeitsamt eine vierwöchige Sperrzeit und forderte das vom 18. Februar bis zum 7. März 1978 gezahlte Arbeitslosengeld zurück. Am 8. März 1978 überwies der Versicherte 759,-- DM an das Sozialamt, das der Klägerin und den Kindern Sozialhilfe gewährte. Vom 26. Mai bis zum 20. Juni 1978 erhielt er selbst in Form einer Vorschußzahlung Sozialhilfe.

Die Klägerin hatte zunächst von 1964 bis zur Geburt ihres vierten Kindes (1968) in der Spätschicht gearbeitet. Ab 1970 half sie gelegentlich mittags eineinhalb Stunden in einer Konditorei aus. Nach der Scheidung (ab April 1975) arbeitete sie dort monatlich 20 Stunden bei einem Stundenlohn von 5,-- DM; seit Juli 1977 erhält sie monatlich 300,-- DM netto.

Mit dem streitigen Bescheid vom 15. Dezember 1978 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 1. August 1978 Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 2 Nr 2 und 3 RVO; den Widerspruch, mit dem die Klägerin die Rentengewährung nach § 1265 Satz 1 RVO begehrte, wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 1980).

Die Klage hat das Sozialgericht (SG) Nürnberg abgewiesen (Urteil vom 27. Januar 1983). Auf die Berufung der Klägerin hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch die angefochtene Entscheidung vom 9. Mai 1985 das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte in Abänderung ihrer Bescheide verpflichtet, der Klägerin ab 1. August 1978 Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 1 RVO anstelle einer solchen nach Satz 2 der Vorschrift zu gewähren. Es hat ausgeführt: Obwohl die Klägerin bereits Hinterbliebenenrente erhalte, bestehe für die erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage ein Rechtsschutzbedürfnis, weil nur die nach Satz 1 des § 1265 RVO gewährte Rente auch nach dem Wegfall der letzten Waisenrente am 31. Mai 1986 (der jüngste Sohn vollende dann das 18. Lebensjahr) noch zu zahlen sei. Die beanspruchte Rente stehe der Klägerin zu. Soweit es darauf ankomme, daß ihr der Versicherte zur Zeit des Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) zu leisten hatte, bestimme sich dies nach §§ 58 ff dieses Gesetzes. Dabei müsse das Einkommen der Klägerin von monatlich 300,-- DM außer Ansatz bleiben, weil ihr die Erwerbstätigkeit neben der Betreuung zweier grundschulpflichtiger Kinder nicht habe zugemutet werden können; die bis 1968 ausgeübte Erwerbstätigkeit habe sie wegen eines Halswirbelsäulenleidens aufgegeben. Der nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung maßgebliche wirtschaftliche Dauerzustand innerhalb des letzten Jahres vor dem Tod des Versicherten werde somit hier allein von der Einkommensentwicklung des Versicherten bestimmt. Hierfür sei die letzte wesentliche Änderung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse, im vorliegenden Fall die ihm wieder objektiv und subjektiv zumutbare mögliche Erwerbstätigkeit als Einkommensquelle zugrunde zu legen und davon auszugehen, daß der Versicherte nach der mit Erfolg (bis 8. Februar 1978) durchgeführten medizinischen Maßnahme vollschichtig in seinem Facharbeiterberuf habe tätig sein und aus dem sich darauf zu errechnenden Einkommen außer zum Unterhalt der Kinder in einem hier ausschlaggebenden Umfang auch zu demjenigen der Klägerin beitragen können. Auch der Versicherte selbst habe sich in seinem Berufsbereich für vollschichtig einsatzfähig gehalten und die vom Arbeitsamt angebotene Stelle lediglich aus anderen Gründen abgelehnt. In der von ihm am 25. Mai 1978 bei der Firma G. AG unterzeichneten Einstellungsvereinbarung sei als berufliche Tätigkeit "Einsteller" eingetragen. Diese habe, wie sich aus der Beschreibung der Lohngruppe 8 (§ 15 Abs 2 des Manteltarifvertrages vom 1. Dezember 1973 für gewerbliche Arbeitnehmer der bayerischen Metallindustrie, gültig ab 1. Februar 1978) ergebe, voll seiner Qualifikation als Facharbeiter entsprochen. Danach errechne sich bei einer 1978 noch verbindlichen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden ein Wochenlohn von 369,20 DM (9,23 DM x 40) bzw ein Monatslohn von 1.587,56 DM. Dieses fiktive Erwerbseinkommen sei, da sich der Versicherte nach den Aktenunterlagen des Arbeitsamtes Nürnberg ohne erkennbaren Grund den möglichen Erwerbstätigkeiten und damit seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht entzogen habe, für den maßgeblichen letzten wirtschaftlichen Dauerzustand zugrunde zu legen. Unter Berücksichtigung der Abzüge für Steuern (189,70 DM), Sozialabgaben (255,70 DM), des nach der Düsseldorfer Tabelle maßgeblichen Unterhaltsanteils für die beiden jeweiligen Kinder abzüglich des anteiligen Kindergelds (400,-- DM - 107,75 DM = 292,25 DM) und des Selbstbehalts (600,-- DM) ergebe sich ein Betrag von 249,91 DM; in dieser Höhe sei der Versicherte leistungsfähig und die Klägerin unterhaltsbedürftig gewesen. Selbst bei Anrechnung des Nettoverdienstes von 300,-- DM monatlich lasse sich für die Klägerin ein versicherungsrechtlich relevanter Unterhaltsbedarf feststellen. Rechne man von den Unterkunftskosten der Familie in Höhe von 350,80 DM (Miete 566,80 DM abzüglich Wohngeld 216,-- DM) der Klägerin lediglich ein Drittel (116,90 DM) zu, ergebe sich für den notwendigen Lebensbedarf nach dem Sozialhilferecht (Regelsatz für 1977 und 1978 = 282,-- DM + 84,60 DM Mehrbedarf gem § 23 des Bundessozialhilfegesetzes -BSHG-) ein Gesamtbetrag von 483,50 DM. Bei Anrechnung des Einkommens der Klägerin bestehe also ein notwendiger Zusatzbedarf von 183,50 DM. Dieser Betrag liege über dem Grenzwert von 25 vH des für die Klägerin zeitlich und örtlich maßgeblichen Regelsatzes der Sozialhilfe von 70,50 DM.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte, das Berufungsgericht gehe zu Unrecht von der Unterhaltsfähigkeit des Versicherten während des gesamten letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor seinem Tod aus, wenn es ein regelmäßiges Einkommen von monatlich 1.587,56 DM in der Zeit von Juni 1977 bis Juli 1978 zugrundelege. Im übrigen habe der Versicherte aus seiner Beschäftigung als Dreher bis 30. April 1977 nach Auskunft des Arbeitsamtes nur einen Stundenlohn von 8,14 DM brutto (Lohngruppe 6 des Tarifvertrages der bayerischen Metallindustrie) erzielen können. Bei der Ermittlung der Unterhaltsfähigkeit des Versicherten sei außerdem nach der Düsseldorfer Tabelle von einem Selbstbehalt von 650,-- bzw 700,-- DM auszugehen; zusammen mit dem Kindesunterhalt von 400,-- DM habe daher kein Betrag in Höhe von 25 vH des Sozialhilferegelsatzes zur Verfügung gestanden. Auch hätte das Einkommen der Klägerin zumindest zur Hälfte angerechnet werden müssen.

Die Beklagte beantragt, "das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. Mai 1985 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen."

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und die Revisionsrügen für unbegründet.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 1 RVO.

Die Beklagte hat einen hinreichend bestimmten Revisionsantrag iS von § 164 Abs 2 Satz 3 SGG gestellt; denn sie begehrt neben der Aufhebung des angefochtenen LSG-Urteils sinngemäß, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Nach § 1265 Satz 1 RVO in der Fassung des Gesetzes vom 14. Juni 1976 (BGBl I 1421) - seit dem am 1. Januar 1986 in Kraft getretenen Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz (HEZG) vom 11. Juli 1985 (BGBl I 1450): Abs 1 Satz 1 (Art 1 Nr 27a, Art 14 HEZG) - wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten vor dem 1. Juli 1977 geschieden ... ist, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG (Regelung 1) oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte (Regelung 2) oder wenn er im letzten Jahr vor dem Tode Unterhalt geleistet hat (Regelung 3). Nach Satz 2 der Vorschrift findet, sofern keine Witwenrente zu gewähren ist, Satz 1 auch dann Anwendung, 1. wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten oder wegen der Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit nicht bestanden hat und 2. wenn die frühere Ehefrau ua im Zeitpunkt der Scheidung ... mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen ... hatte und 3. solange sie berufsunfähig (§ 1246 Abs 2) oder erwerbsunfähig (§ 1247 Abs 2) ist oder mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind erzieht oder für ein Kind, das wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen Waisenrente erhält, sorgt oder wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet hat.

Obwohl die Klägerin aufgrund des Bescheides der Beklagten vom 15. Dezember 1978 Hinterbliebenenrente nach dem Versicherten bezieht, besteht, wie das LSG zutreffend erkannt hat, für die Klage ein Rechtsschutzbedürfnis. Hierfür ist maßgebend, daß die Beklagte der gewährten Hinterbliebenenrente durch die im Bescheid genannte Anspruchsgrundlage des § 1265 Satz 2 RVO damaliger Fassung (aF) eine andere, geringere Rechtsqualität verliehen hat als es die Klägerin, die die Voraussetzungen des Satzes 2 aaO als erfüllt ansieht, festgestellt wissen möchte. Denn dadurch, daß sich die Beklagte auf Satz 2 aaO gestützt und die gesetzlichen "Rentenwegfallvorbehalte" (der 5b Senat versteht allerdings im Urteil vom 10. März 1982 - 5b/5 RJ 148/80 - = BSGE 53, 163, 166 = SozR 2200 § 1265 Nr 62 wegen des Wortes "solange" Satz 2 Nr 3 aaO nicht als Rentenwegfalltatbestand, sondern als Begrenzung des materiell-rechtlichen Anspruchs; vgl aber, dies relativierend, Urteil vom 10. Juli 1985 - 5a RKn 14/84 - = SozR 1300 § 48 Nr 17 S 33 zu dem Wort "solange" in § 1268 Abs 2 Nr 2 RVO) in den Rentenbewilligungsbescheid einbezogen hat, ist die Klägerin in ihrer Rechtsposition schlechter gestellt worden, als sie gestanden hätte, wenn die Hinterbliebenenrente gemäß Satz 1 aaO - also vorbehaltlos - gewährt worden wäre (vgl auch BSGE 53, 163, 167).

Soweit jedoch das Berufungsgericht das Klagebegehren als (kombinierte) Anfechtungs- und Leistungsklage aufgefaßt hat, vermag der Senat dem - was die Leistungsklage anlangt - nicht zu folgen. Denn die Beklagte hat die Leistung - Geschiedenenwitwenrente - weder abgelehnt noch in minderer Höhe gewährt; die Klägerin strebt lediglich die vorbehaltlose Feststellung ihrer Hinterbliebenenrente an (vgl BSG aaO). Der Senat sieht daher, zumal auch er als Revisionsinstanz nicht an die Fassung des Antrags gebunden ist (§ 123 SGG), in dem Begehren eine Anfechtungs- und Vornahmeklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), gerichtet auf die Erteilung eines anderen, für die Klägerin günstigeren Bescheides. Gegenstand des Verfahrens ist nicht - und hierin unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung von den regelmäßig vorkommenden Rentenstreitigkeiten -, ob und in welcher Höhe der Versicherungsträger die Rente festzustellen hat, sondern, daß er nach dem Willen der Klägerin einen bestimmten Verwaltungsakt (Bescheid) zu erlassen hat, dessen Erteilung hier die Beklagte gerade ablehnt (wegen Einzelheiten zum Begriff des "abgelehnten Verwaltungsaktes" iS von § 54 Abs 1 Satz 1 SGG vgl BSGE 8, 3, 5).

Nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt kommt hier von den Fallgruppen des § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO allein die erste Regelung in Betracht, nämlich ob der Versicherte der Klägerin zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte. Das ist der Fall. Unter der "Zeit des Todes" iS von § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten zu verstehen. Maßgebend für deren Bestimmung ist ohne Rücksicht auf ihre Dauer grundsätzlich die Zeitspanne von der letzten wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Familienmitgliedes mit Dauerwirkung bis zum Tode des Versicherten. Dabei verbietet sich eine starre schematische Handhabung (BSGE 29, 92, 94 f = SozR Nr 48 zu § 1265 RVO; BSG SozR 2200 § 1265 Nr 64 S 214 ff; SozR 2200 § 1266 Nr 21 S 80, jeweils mwN). Vorübergehende Besonderheiten und Zufälligkeiten in den Unterhaltsverhältnissen sind bei der Bestimmung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes ohne Bedeutung (so bereits BSG SozR Nr 22 zu § 1265 RVO; BSGE 35, 243, 244 f = SozR Nr 13 zu § 1266 RVO).

Das LSG hat, wie zumindest dem Gesamtzusammenhang seiner Urteilsgründe (S 9 und 12 oben) zu entnehmen ist, den Beginn des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes mit Februar 1978 angenommen; es ist davon ausgegangen, daß der Versicherte nach Zeiten des Krankengeldbezuges, der Arbeitslosigkeit und der von der Beklagten gewährten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme (die am 8. Februar 1978 unter Zubilligung einer einwöchigen Schonzeit endete) mit einer ihm objektiv und subjektiv zumutbaren Berufstätigkeit als Facharbeiter wieder ein Erwerbseinkommen hätte erzielen können. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die hierzu getroffenen Feststellungen des LSG, daß der Versicherte sich zu jener Zeit auch selbst für fähig gehalten habe, wieder als Facharbeiter tätig zu sein, daß er eine ihm von Arbeitsamt angebotene Beschäftigung mit einem Stundenlohn von 9,-- DM abgelehnt habe, daß wegen dieser Verweigerung vom Arbeitsamt eine vierwöchige Sperrfrist verhängt worden sei und daß der Versicherte am 25. Mai 1978 bei der Firma G. AG eine Einstellungsvereinbarung für eine Tätigkeit unterschrieben habe, die der Lohngruppe 8 des einschlägigen Metalltarifvertrages und damit der Qualifikation eines Facharbeiters entspreche, sind von der Revision nicht angegriffen worden und daher für den Senat bindend (§ 163 SGG).

Die Unterhaltsverpflichtung des Versicherten bestimmt sich nach §§ 58, 59 EheG. Diese Vorschriften sind zwar mit Ablauf des 30. Juni 1977 außer Kraft getreten, aber hier noch anwendbar, da die Ehe vorher geschieden wurde (vgl Art 12 Nr 3 Abs 2 des 1. Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 - 1. EheRG - BGBl I 1421). Nach § 58 Abs 1 EheG ist der schuldig geschiedene Ehegatte verpflichtet, dem anderen den nach den Lebensverhältnissen beider Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen des anderen Ehegatten und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichten. Nach § 59 Abs 1 EheG hat er nur soviel zu leisten, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des anderen Ehegatten und der minderjährigen unverheirateten Kinder der Billigkeit entspricht, wenn er durch Gewährung des in § 58 aaO bestimmten Unterhalts bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen den eigenen, angemessenen Unterhalt gefährden würde. Voraussetzung des Unterhaltsanspruchs ist somit, daß der Versicherte während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes leistungsfähig und die Klägerin unterhaltsbedürftig war. Soweit in § 58 Abs 1 EheG auf den angemessenen Unterhalt nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten abgestellt wird, ist auf die Lebensverhältnisse der Ehegatten zur Zeit der Scheidung zurückzugreifen und zu ermitteln, welcher Unterhalt damals angemessen war; der sich ergebende Betrag ist auf die Zeit des Todes des Versicherten zu "projizieren" (zB SozR 2200 § 1265 Nrn 30, 56). Zwar läßt das angefochtene Urteil nicht erkennen, daß das LSG ausdrücklich den angemessenen Unterhalt der Klägerin in dieser Weise ermittelt hat; da aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Versicherte bereits zum Zeitpunkt der Scheidung Erwerbseinkommen als Facharbeiter bezogen hat und ihm eine entsprechende Tätigkeit während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes nach den Urteilsgründen zumindest objektiv und subjektiv zumutbar war, da weiterhin die Klägerin - wie ebenfalls festgestellt ist - zum Zeitpunkt der Scheidung lediglich gelegentlich eineinhalb Stunden täglich als Aushilfe tätig war und da hinsichtlich der Ermittlung des angemessenen Unterhalts zum Zeitpunkt der Scheidung von den Beteiligten weder Rügen erhoben worden sind noch ersichtlich ist, daß das LSG die dargestellten Grundsätze für die Ermittlung des angemessenen Lebensunterhalts verkannt habe, sind aus der fehlenden "Projektion" keine Schlüsse gegen die rechtliche Würdigung durch das LSG zu ziehen (vgl BSG aaO).

Rechtlich unbedenklich ist auch, daß das LSG kein tatsächliches nachgewiesenes Erwerbseinkommen des Versicherten zugrunde gelegt hat, sondern von einem fiktiven Einkommen ausgegangen ist. Das BSG hat hierzu bereits im Urteil vom 31. Mai 1967 (BSGE 27, 1, 3 ff = SozR Nr 38 zu § 1265 RVO; s auch Urteil vom selben Tag -BSGE 26, 293, 297 = SozR Nr 39 zu § 1265 RVO-) im Anschluß an die Entscheidung vom 23. September 1966 (SozEntsch BSG 5, § 1265 Nr 42) ausgeführt, die Unterhaltsfähigkeit des geschiedenen Ehemannes entfalle grundsätzlich nicht, wenn er es unterlasse, einer nach den Verhältnissen des Einzelfalles ihm zuzumutenden sich bietenden Erwerbstätigkeit nachzugehen, und er allein aus diesem Grund über kein Einkommen verfüge, von dem er Unterhalt an die geschiedene Ehefrau zahlen könne; bei entsprechender Arbeitsfähigkeit müsse er sich Einkünfte anrechnen lassen, die er bei gutem Willen durch Verwendung seiner Fähigkeiten und Kräfte erzielen könne. Dabei sei uU sogar ein Arbeitsplatz- und Berufswechsel hinzunehmen. Diese für den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nach dem EheG geltenden Rechtsgrundsätze seien auch im Rahmen des § 1265 RVO anzuwenden, weil die Besonderheiten des Sozialversicherungsrechts keine Abweichung rechtfertigten. An dieser Rechtsauffassung ist festzuhalten. Sie entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Unterhaltsrecht (BGHZ 75, 272, 274 f; s auch BGH NJW 1980, 934, 935; NJW 1981, 1609, 1610; NJW 1982, 175) sowie dem Schrifttum (Zweng/Scheerer/Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung, Band 2, Stand Juli 1985, § 1265 RVO, Anm II sA aa S 9; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band III, Stand 1986, S 688 f, 688 f I; zum Unterhaltsrecht: Hoffmann-Stephan, Kommentar zum EheG, 2. Aufl 1968, § 58 RdNr 26; Göppinger, Unterhaltsrecht, 4. Aufl 1981, RdNr 1167, 1181 f, 247, 875; Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts, 6. Aufl 1983, RdNr 422, 86 f, 89). Im vorliegenden Fall folgt aus den bereits wiedergegebenen, insoweit unangegriffen gebliebenen Feststellungen des LSG, daß dem Versicherten eine Facharbeitertätigkeit nicht nur objektiv und subjektiv zumutbar war, sondern auch, daß Gründe, die sein Verhalten rechtfertigen könnten, nicht erkennbar sind. Deshalb ist er, wie das LSG zutreffend erkannt hat, grundsätzlich als leistungsfähig zu behandeln.

Das LSG hat das fiktiv erzielbare Einkommen des Versicherten nach einem Grundlohn der Lohngruppe 8 des Manteltarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer der bayerischen Metallindustrie in Höhe von 1.587,56 DM brutto/monatlich festgelegt, zumal auch die Vergütung als Einsteller bei der Firma G. AG nach Lohngruppe 8 des Manteltarifvertrages erfolgen sollte. Das ist nicht zu beanstanden. Soweit die Beklagte mit der Revision vorträgt, dieser Betrag sei zu Unrecht als regelmäßig wiederkehrendes monatliches Einkommen in der Zeit von Juni 1977 bis Juli 1978 der Urteilsfindung zugrundegelegt worden, übersieht sie, daß das LSG diesen fiktiven Betrag nur für die Zeit des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes in Ansatz gebracht hat, frühere Zeiten der Krankheit und Arbeitslosigkeit also ausgeklammert worden sind. Soweit sie meint, es sei nur ein Stundenlohn von 8,14 DM brutto (anstatt 9,23 DM) als "fiktiver Hätte-Verdienst" zu ermitteln gewesen, setzt sie in unzulässiger Weise das Ergebnis ihrer eigenen Beweiswürdigung an die Stelle desjenigen, das das Gericht aufgrund seiner Überzeugung gewonnen hat (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG).

Das Berufungsgericht ist, ausgehend von dem fiktiven monatlichen Erwerbseinkommen von 1.587,56 DM, nach Abzug der Lohnsteuer, der Sozialabgaben, des Unterhaltsanteils für zwei Kinder im Betrage von 292,25 DM sowie eines sog Selbstbehalts von 600,-- DM zu einem Betrag von 249,91 DM monatlich gelangt, den der Versicherte der Klägerin hätte zahlen können. Zulässige und begründete Revisionsgründe sind hiergegen nicht vorgebracht worden. Soweit die Beklagte von einem Unterhaltsanteil für die beiden Kinder von 400,-- DM monatlich ausgehen möchte, übersieht sie, daß dies auch das LSG getan, in Übereinstimmung mit allgemeinen Unterhaltsrechtssätzen aber hiervon die Hälfte des der Klägerin gezahlten Kindergeldes abgezogen hat (vgl "Düsseldorfer Tabelle", NJW 1979, S 25, 28). Dahingestellt bleiben kann, ob der vom LSG mit 600,-- DM angenommene Selbstbehalt mit dem Hinweis auf die vorgenannte Tabelle aaO S 26 zu begründen ist (monatlicher Mindestselbstbehalt eines Unterhaltspflichtigen gegenüber minderjährigen Kindern); selbst wenn man den von der Beklagten angegebenen Betrag von 700,-- DM (Selbstbehalt des erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen gegenüber dem geschiedenen Berechtigten) zugrundelegen würde, verbliebe noch ein Betrag von 149,91 DM, den der Versicherte hätte zahlen können. Da nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG sogar der notwendige Mindestbedarf der Klägerin - und zwar selbst unter Anrechnung des erzielten monatlichen Nettoeinkommens von 300,-- DM - bei monatlich 183,50 DM lag, wäre mithin der Versicherte jedenfalls in Höhe von 149,91 DM monatlich der Klägerin gegenüber unterhaltspflichtig gewesen. Ein solcher Betrag ist auch im Rahmen des § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO relevant. Hiernach muß der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau wenigstens 25 vH ihres nach Sozialhilfegrundsätzen - ohne Berücksichtigung der Aufwendungen für Unterkunft - zu bestimmenden Mindestbedarfs erreichen, um einen Anspruch auf Geschiedenen-Witwenrente auszulösen (BSGE 53, 256, 258 = SozR 2200 § 1256 Nr 63; SozR aaO Nr 65). Der sozialhilferechtliche Regelsatz betrug im Jahre 1978 monatlich 282,-- DM, so daß bereits ein Unterhaltsanspruch von monatlich 70,50 DM zur Auslösung des Hinterbliebenenrentenanspruchs genügt hätte.

Nicht entscheidend ist, ob der Unterhaltsanspruch der Klägerin realisierbar war. Denn die Rente der geschiedenen Ehefrau des Versicherten nach § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO soll nicht nur den Wegfall von tatsächlichen Unterhaltsleistungen durch den Tod des Versicherten ersetzen, sondern auch den Fortfall von bestehenden, aber nicht durchsetzbaren Unterhaltsansprüchen ausgleichen (so bereits BSGE 20, 1, 3 = SozR Nr 17 zu § 1265 RVO; BSGE 27, 1, 5 = SozR Nr 38 zu § 1265 RVO).

Nach alledem war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Streit 1987, 85

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