Leitsatz (amtlich)

Ein Anspruch auf Erhöhung der Verletztenteilrente auf die Vollrente unter den Voraussetzungen des RVO § 587 kann auch während der Umschulung des Verletzten auf einen anderen Beruf gegeben sein, unabhängig davon, daß der Unfallversicherungsträger bei der Gewährung von Berufshilfe für die wirtschaftliche Sicherstellung des Verletzten und seiner Angehörigen zu sorgen hat.

 

Normenkette

RVO § 587 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 568 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Auf die Sprungrevision des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 18. November 1971 und der Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 1971 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, die Verletztenrente des Klägers für die Zeit vom 3. Oktober 1966 bis 9. April 1967 auf die Vollrente zu erhöhen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

I

Der im Jahre 1940 geborene, als Schlosser tätige Kläger erlitt am 26. März 1965 auf dem Weg zur Arbeit einen Verkehrsunfall. Wegen der Folgen dieses Unfalls gewährte ihm die Beklagte durch Bescheid vom 12. Dezember 1966 - als vorläufige Rente - zunächst die Vollrente und vom 3. Oktober 1966 an eine Teilrente von 50 v. H.; hierbei legte sie einen Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 12.267,16 DM zugrunde. In derselben Höhe stellte sie durch Bescheid vom 25. Januar 1967 die Dauerrente fest.

Von der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz wurde dem Kläger vom 1. Juli 1966 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) auf Zeit und vom 1. März 1967 an Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) bewilligt.

Da der Kläger wegen der Unfallfolgen seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben kann, wurde er - auf Kosten der Beklagten - vom 3. Oktober 1966 an zum Bürokaufmann umgeschult. Noch während der Umschulung, nämlich am 10. April 1967, erhielt der Kläger eine Anstellung als Praktikant gegen einen Praktikantenstundenlohn von 2,35 DM. Seit dem 15. August 1968, nach Abschluß der Umschulung, ist er bei demselben Arbeitgeber als Angestellter tätig. Sein Bruttomonatsgehalt betrug zunächst 827,- DM.

Mit Schreiben vom 15. Februar 1967, das bei der Beklagten zwei Tage später eingegangen ist, begehrte der Kläger, die Verletztenteilrente nach § 587 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auf die Vollrente zu erhöhen, weil er während seiner Umschulung infolge des Arbeitsunfalls ohne Arbeitseinkommen sei. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch förmlichen Bescheid vom 15. Januar 1968 mit folgender Begründung ab:

Während der Dauer von Umschulungsmaßnahmen im Rahmen der Berufshilfe (§ 567 RVO) stehe der Kläger dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Somit sei schon aus diesem Grunde § 587 RVO, der Arbeitsfähigkeit sowie die Fähigkeit zur Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt voraussetze, nicht anzuwenden. Für die Dauer der Umschulung sei der notwendige Unterhalt des Klägers nach § 568 RVO iVm § 18 der noch nicht aufgehobenen Verordnung (VO) über Krankenbehandlung und Berufsfürsorge in der Unfallversicherung vom 14. November 1928 - unter Berücksichtigung des Rundschreibens des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften (BGen) vom 3. Januar 1962, der insoweit eine einheitliche Handhabung empfohlen habe - sichergestellt. Nach dieser Empfehlung sei der Unterhalt als sichergestellt anzusehen, wenn der Verletzte insgesamt Leistungen in Höhe der Vollrente erhalte. Diese würde beim Kläger monatlich 749,70 DM betragen. Sein Gesamteinkommen, bestehend aus Verletztenteilrente nebst Kinderzulage (374,90 DM) und EU-Rente (482,80 DM), sei jedoch höher. Die vom 1. März 1967 an gewährte BU-Rente betrage allerdings nur 369,40 DM, jedoch sei nunmehr der Praktikantenstundenlohn zu berücksichtigen.

Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - Duisburg vom 10. Juli 1968). In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen am 21. Januar 1969 schlossen die Beteiligten "zur Erledigung des Rechtsstreits" einen Vergleich dahin, daß die Beklagte sich bereit erklärte, für die Dauer der Umschulung die Verletztenrente nach § 587 RVO auf die Vollrente unter Anrechnung der im Rahmen der Berufshilfe gewährten Barleistungen zu erhöhen, sofern das Bundessozialgericht (BSG) in der dort anhängigen Streitsache 2 RU 170/68 entscheiden sollte, daß auch Umschülern nach § 587 RVO die Vollrente zu gewähren sei.

In dem in dieser Sache am 27. August 1969 gefällten Urteil (vgl. SozR Nr. 3 zu § 587 RVO) sah das BSG die Voraussetzungen des § 587 RVO nicht als erfüllt an, weil die dem bereits im vorgerückten Alter stehenden Verletzten während der Umschulung von seiner Lehrfirma gezahlte Vergütung nach Sachlage Arbeitseinkommen im Sinne dieser Vorschrift gewesen sei.

Hierauf focht der Kläger den Vergleich "wegen Fortfallens der Geschäftsgrundlage" an. Er habe während der Umschulung keine Leistung erhalten, die als Arbeitseinkommen im Sinne der Rechtsprechung des BSG anzusehen sei.

In der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 1971 schlossen die Beteiligten auf Vorschlag des Gerichts einen Vergleich dahin, daß die Beklagte ihren Bescheid vom 15. Januar 1968 aufhob und sich bereit erklärte, auf den Antrag des Klägers vom 17. Februar 1967 einen neuen Bescheid zu erteilen; der Kläger erklärte sich damit einverstanden und betrachtete den Rechtsstreit als erledigt.

Durch Bescheid vom 24. Mai 1971 lehnte die Beklagte es erneut ab, die Rente des Klägers auf die Vollrente zu erhöhen, weil für die Dauer der Umschulung sich für den Kläger Ansprüche nach § 568 RVO iVm § 18 der VO vom 14. November 1928 ergäben und insoweit sein Einkommen stets mindestens so hoch wie die Vollrente gewesen sei. Für die Zeit, in der der Kläger die EU-Rente bezogen habe, sei überdies ein Anspruch auf Rentenerhöhung nach § 587 RVO nicht gegeben, weil die EU-Rente Lohnersatzfunktion habe und dies die Anwendbarkeit des § 587 RVO ausschließe. Für die Zeit der praktischen Ausbildung, also vom 10. April 1967 an, entfalle ein Anspruch nach dieser Vorschrift, weil die damals von der Ausbildungsstätte gewährte Ausbildungsbeihilfe nach der Rechtsprechung des BSG Arbeitseinkommen sei.

Das SG Duisburg hat durch Urteil vom 18. November 1971 die hiergegen erneut erhobene Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Beklagte habe sowohl durch den früheren als auch durch den jetzt angefochtenen Bescheid vom 24. Mai 1971 die Erhöhung der Teilrente auf die Vollrente zu Recht abgelehnt. Das BSG habe in mehreren Entscheidungen Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie eine Lehrlingsvergütung als Arbeitseinkommen betrachtet und insoweit die Voraussetzungen des § 587 RVO nicht als erfüllt angesehen. Der Kläger habe in dem strittigen Zeitraum (3. Oktober 1966 bis 9. April 1967) EU-Rente bzw. BU-Rente bezogen und somit stets ein Arbeitseinkommen in Form von Einkünften mit Lohnersatzfunktion gehabt, so daß schon aus diesem Grunde der Klage der Erfolg zu versagen sei. Zudem sei § 587 RVO nicht auf Umschüler anwendbar, die - wie der Kläger - auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers für einen anderen Beruf ausgebildet würden und in dieser Zeit Leistungen nach § 567 Abs. 1 Nr. 2, § 568 Abs. 1 RVO iVm § 18 der VO vom 14. November 1928 erhielten. § 587 RVO gelte für Verletzte, die ohne eine Maßnahme der Berufshilfe in absehbarer Zeit in den Arbeitsprozeß zurückkehren könnten. Ganz anders sei dagegen die Lage eines Verletzten, der infolge des Unfalls seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben könne und dessen Rückkehr ins Erwerbsleben ohne Berufshilfe nicht oder schwer möglich sei. Durch Umschulungsmaßnahmen werde der Verletzte - je nach der Art der Ausbildung - auf längere Zeit dem allgemeinen Arbeitsmarkt entzogen, so daß er während dieser Zeit von der Arbeitsverwaltung keine Leistungen erhalte. Dem trügen die besonderen Vorschriften der §§ 567, 568 RVO iVm § 18 der VO vom 14. November 1928, die weiterhin geltendes Recht sei, Rechnung. Würde § 587 Abs. 1 RVO auch auf Umschüler angewendet, so sei § 568 Abs. 1 RVO teilweise entbehrlich oder es hätte hinsichtlich der wirtschaftlichen Sicherung des Umschülers eine Verweisung auf § 587 Abs. 1 RVO genügt. § 568 RVO sei an die Stelle der rechtsähnlichen Vorschrift des § 558 g RVO (idF vor dem Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes -RVO aF) getreten. Da eine Rechts-VO nach § 568 Abs. 1 RVO über die Durchführung von Berufshilfemaßnahmen noch nicht ergangen sei, sei die aufgrund des § 558 g RVO aF erlassene VO über Krankenbehandlung und Berufshilfe in der Unfallversicherung vom 14. November 1928 (RGBl. I S. 387) vorerst weiter geltendes Recht. Der Kläger werde durch § 18 dieser VO iVm den vom Hauptverband der gewerblichen BGen aufgestellten Richtlinien, wonach während einer Umschulung Unterhaltsbeiträge bis zur Höhe der Vollrente gewährt werden sollten, nicht benachteiligt. Ebenso wie in § 587 Abs. 1 RVO seien auch im Rahmen der §§ 567, 568 Abs. 1 RVO iVm der VO vom 14. November 1928 aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogene Renten als mittelbares Arbeitseinkommen zu berücksichtigen. Bei der Bemessung der nach diesen Vorschriften zu gewährenden Unterhaltsbeiträge sei zu beachten, daß der Wille zur Selbsthilfe gestärkt werden solle. Dieses Ziel werde aber nicht erreicht, wenn die Einkünfte eines Umschülers infolge Erhöhung der Verletztenteilrente auf die Vollrente und bei Nichtanrechnung der Leistungen des Rentenversicherungsträgers höher seien als sein durchschnittliches im Jahr vor dem Arbeitsunfall erworbenes Bruttoarbeitseinkommen. Der Kläger habe im Jahr vor seinem Arbeitsunfall einen Durchschnittsbruttoarbeitsverdienst von rd. 1.023,- DM monatlich erzielt. Die Vollrente zusammen mit der ungekürzten EU-Rente ergebe jedoch einen Gesamtbetrag von 1.164,30 DM, zusammen mit der ungekürzten BU-Rente (ab 1. März 1967) einen Gesamtbetrag von 1.050,90 DM. Ein Versicherter, der hingegen wegen nicht unfallbedingter Krankheitsfolgen umgeschult werden müsse, erhalte während dieser Zeit nach § 1241 RVO (§ 18 des Angestelltenversicherungsgesetzes) ein Übergangsgeld von mindestens 50 v. H., höchstens 80 v. H. des Arbeitseinkommens der letzten 12 Monate. Der Kläger würde in einem solchen Fall unter Zugrundelegung seines monatlichen Durchschnittsverdienstes von 1.023,- DM ein Übergangsgeld von 510,- bis 816,- DM erhalten, müßte sich aber nach § 1241 Abs. 3 RVO die Versichertenrente anrechnen lassen. Abgesehen von dem grundsätzlichen Verbot von Doppelleistungen in der Sozialversicherung bestehe kein hinreichender und sozialpolitisch zu rechtfertigender Grund, einen unfallverletzten Umschüler wirtschaftlich besser zu stellen als einen infolge Krankheit zum Berufswechsel gezwungenen Versicherten, dem auf Kosten der gesetzlichen Rentenversicherung Berufshilfe gewährt werde. Die Anrechnung der Versichertenrente seitens der Beklagten sei deshalb Rechtens. Eine Anwendung des § 587 RVO zugunsten des Klägers scheide aus rechtssystematischen und tatsächlichen Gründen aus.

Das SG hat die Berufung zugelassen.

Der Kläger hat mit Einwilligung der Beklagten Sprungrevision eingelegt und diese wie folgt begründet: Der in § 587 Abs. 1 RVO verwendete Begriff "ohne Arbeitseinkommen" könne nicht erweiternd dahin ausgelegt werden, daß er auf "Ersatzfunktionen" des Arbeitseinkommens ausgedehnt werde. Dies ergebe sich auch nicht - entgegen der Auffassung des SG - aus den bisher vom BSG zu § 587 RVO gefällten Entscheidungen. Diese machten vielmehr deutlich, daß dem Verletzten die Vollrente ungeschmälert zugute kommen solle und Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht anzurechnen seien, eine daneben bestehende Versichertenrente dagegen zu kürzen sei.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Kläger sei nicht unmittelbar durch die Folgen des Arbeitsunfalls, sondern infolge seiner Teilnahme an Umschulungsmaßnahmen ohne Arbeitseinkommen gewesen, so daß schon aus diesem Grunde § 587 RVO nicht anzuwenden sei. Trotz einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. hätte der Kläger noch Arbeitsmöglichkeiten auf dem freien Arbeitsmarkt, wenngleich voraussichtlich nur zum halben wirtschaftlichen Erfolg, gehabt. Wollte man in der vorliegenden Sache den ursächlichen Zusammenhang bejahen, würde man wohl letztlich den Vorschriften über die Berufshilfe, insbesondere dem § 568 Abs. 1 Nr. 2 RVO, die innere Berechtigung und Notwendigkeit absprechen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und des Bescheids der Beklagten vom 24. Mai 1971 diese zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 3. Oktober 1966 bis 9. April 1967 gemäß § 587 Abs. 1 RVO die Vollrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die zulässige Sprungrevision ist begründet, da dem Kläger die erhöhte Vollrente nach § 587 Abs. 1 RVO zusteht.

Nach dieser Vorschrift ist die Teilrente auf die Vollrente zu erhöhen, solange der Verletzte infolge des Arbeitsunfalls ohne Arbeitseinkommen ist. Arbeitseinkommen in diesem Sinne hat der Kläger in der strittigen Zeit vom 3. Oktober 1966 bis 9. April 1967, in der ihm auch keine Praktikantenvergütung gewährt wurde, nicht erhalten. Der Bezug von EU-Rente schließt diesen Anspruch nicht ohne weiteres aus (BSG 30, 64, 70). Dem Kläger ist diese Leistung nur auf Zeit (§ 1276 RVO), nämlich lediglich vom 1. Juli 1966 bis 28. Februar 1967 gewährt worden. Diese verhältnismäßig kurze Zeitspanne läßt indessen die Annahme nicht zu, daß der Kläger - was der Anwendbarkeit des § 587 Abs. 1 RVO entgegenstünde (vgl. BSG 30, 64) - nicht in absehbarer Zeit eine Erwerbstätigkeit wiederaufzunehmen in der Lage war (so zutreffend Urteil des Bay. LSG vom 3. März 1971, SozSich 1972, Heft 3, Rechtspr. Nr. 2594). Die Auffassung des SG, Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung stellten "Arbeitseinkommen" i. S. des § 587 Abs. 1 RVO dar, findet im Gesetzeswortlaut, der nicht von "Einkommen" schlechthin oder von "Arbeits- oder Renteneinkommen" spricht, keine Stütze. Der hier gebrauchte Begriff "Arbeitseinkommen" bedeutet Einkünfte aus gegenwärtiger Arbeit. Zu Unrecht bezieht sich das SG dabei auf die Rechtsprechung des BSG, insbesondere das Urteil vom 27. August 1969 - 2 RU 195/66 - (= BSG 30, 64 ff). Dort ist auf die frühere Fassung des § 562 RVO, die das Wort "arbeitslos" enthielt, hingewiesen und betont worden, daß die jetzige Fassung "ohne Arbeitseinkommen" keine Änderung des Sinngehalts dieser Vorschrift bedeute (aaO S. 66); außerdem ist auf S. 70 ausgeführt, daß die Leistung nach § 587 Abs. 1 RVO "durch einen anderweitigen Rentenbezug nicht gemindert wird". Das gleiche ist in der Entscheidung 2 RU 164/66, auf die sich das SG ebenfalls bezogen hat, ausgesprochen (vgl. BG 1970, 276, 278).

Der Kläger ist an der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit gehindert gewesen, weil er infolge des Unfalls den erlernten Beruf eines Schlossers nicht mehr ausüben kann und deshalb für einen anderen geeigneten Beruf umgeschult worden ist (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 RVO). In dieser Zeit hat der Kläger allerdings nicht der Arbeitsvermittlung im Sinne von § 103 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes zur Verfügung gestanden. Verfügbarkeit in diesem Sinne ist jedoch trotz § 587 Abs. 2 RVO keine unerläßliche Voraussetzung für den Anspruch auf Rentenerhöhung nach § 587 Abs. 1 RVO (BSG 30, 64, 70); dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des Absatzes 1 dieser Vorschrift (vgl. hierzu auch Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 4 zu § 587 RVO).

Die Einkommenslosigkeit in der strittigen Zeit ist auch, was nach § 587 Abs. 1 RVO außerdem erforderlich ist, - mittelbar - durch den Arbeitsunfall verursacht gewesen. Das reicht aus. Das SG ist davon ausgegangen (vgl. Urteil S. 9), daß der Kläger aufgrund der Unfallfolgen nicht mehr imstande gewesen ist, seinen bisherigen Beruf (eines Schlossers) zu verrichten. Insoweit besteht kein Streit. Diesen Schaden hat die Beklagte - entsprechend dem ihr durch das Gesetz (§ 567 RVO) erteilten Auftrag - durch Maßnahmen der Berufshilfe auszugleichen versucht. Während des hier strittigen Zeitraums seiner Umschulung war der Kläger indessen außerstande, durch Arbeit ein Einkommen zu erwerben. Der Arbeitsunfall ist somit rechtlich wesentlich für den Einkommensausfall, den der Kläger erlitten hat (gleicher Ansicht: Lauterbach, aaO, Anm. 3 zu § 587, S. 517/1; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl., Kennzahl 480 S. 10 ff). Dieser konkrete Schaden wird in § 587 Abs. 1 RVO allerdings ohne Rücksicht auf die Höhe des durch den Unfall weggefallenen Einkommens mit der Anhebung der Verletztenteilrente auf die Vollrente und somit abstrakt abgegolten.

Die Einkommenslosigkeit des Klägers ist auch, was diese Vorschrift - wie oben schon erwähnt - weiter voraussetzt (BSG 30, 64, 67 ff), durch Umstände bedingt gewesen, die in absehbarer Zeit zu beheben gewesen sind. Bereits vom 10. April 1967 an, also nach gut zwei Jahren nach dem Unfall, ist der Kläger gegen einen - allerdings noch nicht hohen - Lohn als Praktikant tätig gewesen. Nach Abschluß der Umschulung - 16 Monate später - ist er im umgeschulten Beruf tätig geworden und damit wieder in das Erwerbsleben eingegliedert gewesen.

Dem Anspruch auf Ausgleich der Einkommenslosigkeit durch Erhöhung der Rente nach § 587 Abs. 1 RVO steht nicht - wie das SG und die Beklagte meinen - entgegen, daß der Unfallversicherungsträger während der Durchführung von Maßnahmen der Berufshilfe verpflichtet ist, für die wirtschaftliche Sicherstellung des Verletzten und seiner Angehörigen Sorge zu tragen (§ 568 Abs. 1 Nr. 2 RVO). Die Reihenfolge der nach Eintritt eines Arbeitsunfalls vom Versicherungsträger zu gewährenden Leistungen in § 547 RVO macht zwar deutlich, daß der Wiedereingliederung des Verletzten in das Erwerbsleben, insbesondere durch Heilbehandlung und Berufshilfe, der Vorrang vor der Verletztenrente gebühren soll (s. dazu § 556 RVO). Dem trägt § 580 Abs. 1 RVO (1. Alternative) in der Weise Rechnung, daß ein Anspruch auf Verletztenrente erst mit dem Tag nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung entsteht. Da der Kläger jedoch nach der Ansicht der Beklagten durch den Arbeitsunfall erwerbsunfähig im Sinne von § 1247 RVO geworden war, hat sie ihm nach der 2. Alternative des § 580 Abs. 1 RVO - unabhängig von einer noch weiter bestehenden Arbeitsunfähigkeit und etwaiger zu deren Beseitigung vom Unfallversicherungsträger eingeleiteter Maßnahmen - schon von Beginn der EU an die Verletztenrente zutreffend gewährt (vgl. hierzu das Urteil des erkennenden Senats vom 26. Juni 1973 - 8/2 RU 157/71). Hatte der Kläger aber Anspruch auf eine Verletztenteilrente, so war diese, da - wie bereits dargelegt - die Voraussetzungen des § 587 Abs. 1 RVO erfüllt sind, auf die Vollrente zu erhöhen.

In einem solchen Fall kann sich allerdings eine Anspruchskonkurrenz mit Leistungen ergeben, die vom Versicherungsträger nach § 568 Abs. 1 RVO zu gewähren sind. Im Gegensatz zu der Leistung nach § 587 Abs. 1 RVO hat der Verletzte jedoch insoweit keinen Rechtsanspruch hinsichtlich ihrer Höhe, weder nach § 568 Abs. 1 RVO noch nach § 18 der VO über Krankenbehandlung und Berufsfürsorge in der Unfallversicherung vom 14. November 1928 (RGBl. I S. 387), wobei dahinstehen kann, ob diese VO bis zum Erlaß einer Rechts-VO durch die Bundesregierung nach § 568 Abs. 1 RVO vorerst weitergilt. Unterhaltssicherungsleistungen in diesem Sinn können auch nicht dem mit Lohnersatzfunktion ausgestatteten, einen Anspruch auf Verletztenrente ausschließenden Verletztengeld, auf das auch seiner Höhe ... nach - jedenfalls in einer Mindesthöhe (s. § 560 Abs. 2, § 561 RVO) - ein Rechtsanspruch gegeben ist, gleichgestellt werden. Dem Unfallverletzten kann es zudem nicht verwehrt sein, zunächst die ihm zustehenden Rechtsansprüche geltend zu machen. Im übrigen soll durch die Unterhaltssicherungsleistungen nach § 568 Abs. 1 Satz 2 RVO eine nicht zumutbare Beeinträchtigung der bisherigen Lebenshaltung des Verletzten und seiner Angehörigen vermieden werden; dieses Ziel kann nach Lage des Einzelfalles auch durch Gewährung eines Unterhaltsbeitrags erreichbar sein, der niedriger ist als das Verletztengeld - oder die Vollrente -, die ein solcher Verunglückter zu beanspruchen hat. Somit wird ein Anspruch des Verletzten auf die Vollrente nach § 587 RVO durch Gewährung von Unterhaltssicherungsleistungen nach § 568 Abs. 1 RVO nicht ausgeschlossen (s. auch Podzun, aaO; auch Krause, SozSich 1967, 332, ist der Auffassung, daß § 587 Abs. 1 RVO bei der Durchführung von Berufshilfemaßnahmen in Betracht kommt; gleicher Auffassung ist auch Lauterbach, aaO, Anm. 3 zu § 587, S. 517/1; er hält allerdings die Berufshilfeleistungen für vorrangig; ebenso wohl auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15. August 1973, Bd. II. S. 566 x unter Hinweis auf Leingärtner, SozSich 1969, S. 8, 9 u. 121, der allerdings die Verquickung der Unterhaltsleistungen mit der Regelung des § 587 RVO für wenig sinnvoll hält).

Die Befürchtungen des SG, daß auf diese Weise der Wille des Verletzten zur Selbsthilfe - auf dessen Stärkung bei der Durchführung von Berufshilfemaßnahmen Bedacht zu nehmen ist (vgl. § 568 Abs. 1 Satz 2 RVO) - beeinträchtigt werden könnte, sind im allgemeinen nicht begründet. Trifft eine Vollrente, bei der es sich um eine nach § 587 Abs. 1 RVO erhöhte Verletztenteilrente handelt, mit einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zusammen, so tritt ebenfalls das Ruhen dieser Rente nach § 1278 RVO ein (BSG 33, 103), dürfen also beide Leistungen zusammen die in § 1278 Abs. 1 RVO bezeichnete 85 v. H.-Grenze nicht übersteigen. Damit ist den vom SG angestellten sozialpolitischen Erwägungen in hinreichender Weise Rechnung getragen. Der in § 1241 Abs. 2 RVO festgelegte Höchstsatz für das von einem Träger der Rentenversicherung bei Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit zu gewährende Übergangsgeld - 80 v. H. des letzten durchschnittlichen Arbeitsentgelts - liegt im übrigen nur geringfügig darunter. Dabei ist jedoch noch zu berücksichtigen, daß eine Umschulung für einen anderen Beruf durch Maßnahmen nach § 567 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RVO meist nur bei Verletzten erfolgversprechend sein wird, die den Arbeitsunfall in jüngeren Jahren erlitten haben. In einem solchen Fall wird aber ihre Versichertenrente selbst unter Berücksichtigung von Ausfallzeiten und der Zurechnungszeit (§§ 1259, 1260 RVO) vielfach nicht besonders hoch sein, so daß im Einzelfall für ihre wirtschaftliche Sicherstellung im Rahmen des § 568 Abs. 1 RVO für die Dauer der Umschulung auch Raum bleibt, wenn - was ohnedies nicht immer der Fall zu sein braucht (s. beispielsweise SozR Nr. 3 zu § 587 RVO) - ihre Verletztenteilrente nach § 587 Abs. 1 RVO auf die Vollrente zu erhöhen ist. Dabei soll nach den nunmehr geltenden Richtlinien des Hauptverbandes der gewerblichen BGen (abgedruckt bei Lauterbach, aaO, Anm. 4 zu § 568, S. 410/2 ff) der monatlichen Unterhaltsleistung 1/12 des im Jahr vor dem Arbeitsunfall erzielten Nettoverdienstes - unter Anrechnung von Eigenersparnissen, Arbeitseinkommen und aus Anlaß des Unfalls gewährter Sozialversicherungsrenten - zugrunde gelegt werden (vgl. §§ 3 und 4). Auch hiernach kann sich - insbesondere bei nicht rentenversicherten Unfallverletzten - u. U. neben der Verletztenvollrente nach § 587 RVO die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Sicherstellung nach § 568 Abs. 1 RVO ergeben.

Der Anspruch des Klägers auf Erhöhung seiner Verletztenteilrente auf die Vollrente nach § 587 Abs. 1 RVO ist sonach für die von ihm begehrte Zeit vom 3. Oktober 1966 bis 9. April 1967 begründet. Deshalb war unter Aufhebung des Urteils der Vorinstanz sowie des Bescheids der Beklagten diese antragsgemäß zur Leistung zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1668813

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