Leitsatz (amtlich)

Neben einer Erwerbsunfähigkeitsrente oder einem Altersruhegeld besteht Anspruch auf Krankengeld nach RVO § 183 Abs 4 nur, wenn der Krankengeldanspruch nicht schon vor dem Tage bestanden hat, von dem an die Rente zu gewähren ist.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 4 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 9. Dezember 1963 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 3. Dezember 1962 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger verlangt von der beklagten Krankenkasse die Auszahlung von 407,50 DM, die diese von der beigeladenen Seekasse aus einer Rentennachzahlung an den Kläger empfangen hat.

Der Kläger war vom 23. August bis 26. Oktober 1961 arbeitsunfähig krank und erhielt während dieser Zeit von der Beklagten Krankengeld in Höhe von 13,40 DM täglich. Später bewilligte ihm die Beigeladene rückwirkend vom 1. September 1961 an Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres in Höhe von monatlich 218,30 DM (Bescheid vom 29. November 1961). Auf die Zeit vom 1. September bis 26. Oktober 1961 entfiel dabei ein Rentenbetrag von 407,50 DM, den die Beklagte als Ersatz für das von ihr für dieselbe Zeit gezahlte Krankengeld in Anspruch nahm.

Nachdem die Beigeladene den Kläger von der Befriedigung des Ersatzanspruchs der Beklagten unterrichtet hatte, beantragte er bei der Beklagten, ihm den seiner Ansicht nach zu Unrecht an die Beklagte abgeführten Betrag auszuzahlen. Sein Antrag und sein Widerspruch blieben erfolglos (Bescheide der Beklagten vom 7. Februar und 19. April 1962). Auch das Sozialgericht (SG) Bremen wies seine Klage als unbegründet ab (Urteil vom 3. Dezember 1962).

Das Landessozialgericht (LSG) Bremen hob auf die vom SG zugelassene Berufung dessen Urteil und die Bescheide der Beklagten auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger den streitigen Betrag auszuzahlen. Das Berufungsgericht war der Ansicht, der - vor Beginn des Altersruhegeldes arbeitsunfähig gewordene - Kläger habe auch für die Zeit danach noch Anspruch auf Krankengeld gehabt. Dafür spreche schon der Wortlaut des § 183 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung - RVO - ("Wird während des Bezuges von ... Altersruhegeld Krankengeld gewährt, so besteht Anspruch auf Krankengeld ..."), vor allem aber die Erwägung, daß der Kläger während eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses erkrankt sei und seinem Einkommen entsprechende Beiträge zur Krankenversicherung entrichtet habe. Nach dem Gleichheitssatz dürfe er nicht schlechter gestellt werden als ein Versicherter, der erst als Rentner arbeitsunfähig werde und dem nach § 183 Abs. 4 RVO auch neben der Rente für sechs Wochen Krankengeld zustehe (Urteil vom 9. Dezember 1963, den Beteiligten zugestellt am 21. Februar 1964).

Die Beklagte macht mit der zugelassenen, am 6. März 1964 eingegangenen und gleichzeitig begründeten Revision geltend, § 183 Abs. 4 RVO begünstige nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte nur solche Versicherten, die erst als beschäftigte Rentner arbeitsunfähig würden, treffe mithin für den Kläger, der vor Rentenbeginn arbeitsunfähig geworden sei, nicht zu. In diesem Sinne habe das Bundessozialgericht (BSG) auch schon in einem Urteil vom 18. Dezember 1963 entschieden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Bremen vom 9. Dezember 1963 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Bremen vom 3. Dezember 1962 zurückzuweisen.

Die beigeladene Seekasse hat sich den Rechtsausführungen der Beklagten angeschlossen, ohne einen ausdrücklichen Revisionsantrag zu stellen.

Alle Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Für den Kläger, der im Revisionsverfahren u. a. durch Erich Ströh von der Arbeiterkammer Bremen vertreten worden ist, hat dieser das Einverständnis erklärt.

II

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Für den Kläger und Revisionsbeklagten hat sein Prozeßbevollmächtigter Erich S von der Arbeiterkammer Bremen das Einverständnis damit erklärt. Ob dieser nach § 166 Abs. 2 SGG als Prozeßbevollmächtigter vor dem BSG zugelassen ist, kann dahinstehen. Der Senat braucht auch nicht zu klären, ob der Kläger etwa inzwischen aus seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeschieden ist, damit seine Mitgliedschaft in der Arbeiterkammer verloren hat und schon aus diesem Grunde nicht mehr von ihr vertreten werden kann. Als Revisions beklagter hätte der Kläger sein Einverständnis mit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auch persönlich erklären können, wie das BSG im Anschluß an eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 25. Oktober 1962 näher ausgeführt hat (SozR SGG § 124 Nr. 5; ebenso Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 166 SGG, S. III/82 - 1 -). Der erkennende Senat hat deshalb keine Bedenken, die Einverständniserklärung des - möglicherweise nicht zur Vertretung vor dem BSG zugelassenen - Prozeßbevollmächtigten des Klägers als wirksam anzusehen.

Die Revision der beklagten Krankenkasse ist in rechter Form und Frist eingelegt und nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG kraft Zulassung statthaft. Sie ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger eine ihr von der beigeladenen Seekasse überwiesene Rentennachzahlung von 407,50 DM auszuzahlen.

Der Senat hat auch im vorliegenden Fall offen gelassen, ob und unter welchen rechtlichen Gesichtspunkten ein Versicherter von einer Krankenkasse verlangen kann, daß sie ihm eine von einem Rentenversicherungsträger auf Grund eines angenommenen Forderungsüberganges (§ 183 Abs. 3 Satz 2 RVO) erhaltene Rentennachzahlung herausgibt, oder ob dem Versicherten in einem solchen Fall, wenn überhaupt, nur ein Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger auf Zahlung des ihm vorenthaltenen Rentenbetrages zusteht (vgl. Urteil des Senats vom 18. März 1966, SozR RVO § 183 Nr. 13, Bl. Aa 15 Rückseite). Der Kläger kann hier die Auszahlung des streitigen Rentenbetrages schon deswegen nicht verlangen, weil dieser Betrag, der auf die Zeit vom 1. September bis 26. Oktober 1961 entfällt, der Beklagten mit Recht überwiesen worden ist. Für die genannte Zeit ist nämlich der Rentenanspruch des Klägers gegen die beigeladene Seekasse gemäß § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO in der Fassung des am 1. August 1961 in Kraft getretenen Leistungsverbesserungsgesetzes vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913) auf die beklagte Krankenkasse übergegangen.

Nach § 183 Abs. 3 RVO endet der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wird; ist über diesen Zeitpunkt hinaus Krankengeld gezahlt worden, so geht der Anspruch auf Rente bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Krankenkasse über. Die beigeladene Seekasse hat dem Kläger vom 1. September 1961 an Altersruhegeld bewilligt. Mit diesem Tage endete deshalb der Anspruch des Klägers auf das ihm seit dem 23. August 1961 von der Beklagten gewährte Krankengeld. Tatsächlich hat er darüber hinaus bis zum 26. Oktober 1961 Krankengeld empfangen. Um diese Überzahlung wenigstens zum Teil auszugleichen, ist der auf die Zeit der Überzahlung (1. September bis 26. Oktober 1961) entfallende Rentenanspruch des Klägers auf die Beklagte übergegangen. Insoweit konnte sich diese mithin an die Rentennachzahlung der Seekasse halten.

Hätte der Kläger das Altersruhegeld so rechtzeitig beantragt, daß er den Rentenbescheid schon vor dem Beginn der Rente (1. September 1961) in Händen gehabt hätte, so hätte ihm die Beklagte für die Zeit danach kein Krankengeld mehr gewähren dürfen (§ 183 Abs. 3 Satz 1 RVO). In diesem Falle wäre die Vorschrift des § 183 Abs. 4 RVO ("Wird während des Bezuges von Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld Krankengeld gewährt, so besteht Anspruch auf Krankengeld für höchstens sechs Wochen ...") schon ihrem Wortlaut nach nicht anwendbar gewesen. Tatsächlich ist dem Kläger jedoch auch noch für eine Zeit des Rentenbezuges Krankengeld gewährt worden, weil ihm der Rentenbescheid erst im November 1961 zugestellt worden ist. Auf den ersten Blick scheinen deshalb, wie das Berufungsgericht angenommen hat, die Voraussetzungen des § 183 Abs. 4 RVO vorzuliegen. Dabei hat das Berufungsgericht jedoch übersehen, daß gerade für den - hier gegebenen - Fall, daß Krankengeld über den Zeitpunkt des Rentenbeginns hinaus gezahlt worden ist, weil der Rentenbescheid erst später zugestellt worden ist, § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO einen Übergang des Rentenanspruchs bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Krankenkasse vorschreibt. Damit ist dieser Fall dem ersten Fall - der Rentenbescheid wird vor Rentenbeginn erteilt, so daß keine Überzahlung des Krankengeldes eintreten kann - im wirtschaftlichen Ergebnis gleichgestellt worden, sieht man von dem Ausschluß eines Erstattungsanspruchs der Krankenkasse gegen den Versicherten in § 183 Abs. 3 Satz 3 RVO ab. Eine unterschiedliche Regelung beider Fälle wäre unter dem Gesichtspunkt einer gleichmäßigen Behandlung der Versicherten auch nicht vertretbar gewesen. § 183 Abs. 4 RVO ist somit nicht anwendbar, wenn entweder die Zahlung des Krankengeldes von vornherein mit dem Beginn der Rente endet (§ 183 Abs. 3 Satz 1 RVO) oder wenn das Krankengeld zwar darüber hinaus gezahlt wird, dafür aber der Rentenanspruch bis zur Höhe des Krankengeldes auf die Krankenkasse übergeht (§ 183 Abs. 3 Satz 2 RVO). Das bedeutet, daß neben einer Erwerbsunfähigkeitsrente oder einem Altersruhegeld "Anspruch auf Krankengeld für höchstens sechs Wochen" (§ 183 Abs. 4 RVO) nur besteht, wenn der Krankengeldanspruch nicht schon vor dem Beginn des Rentenbezuges bestanden hat, sondern erst nach oder mit dem Tage entsteht, von dem an die Rente zu gewähren ist (ebenso schon Urteil des Senats vom 18. Dezember 1963, BSG 20, 140, 141 = SozR RVO § 183 Nr. 9).

Wie sich aus den Materialien zu § 183 Abs. 4 RVO ergibt, (vgl. Drucks. Nr. 2748 des 3. Bundestages und BSG 19, 28, 30 = SozR RVO § 183 Nr. 6, Bl. Aa 6), hat der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift den "Empfänger von Altersruhegeld oder Erwerbsunfähigkeitsrente, der weiter arbeitet", begünstigen wollen. Da ein solcher Rentner nach § 165 Abs. 1 Nr. 1 RVO auf Grund seines Beschäftigungsverhältnisses (nicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO auf Grund des Rentenbezugs) krankenversichert ist und auch entsprechende Beiträge entrichtet, kann er in der Tat erwarten, daß ihm die Barleistungen der Krankenversicherung bei Eintritt von Arbeitsunfähigkeit nicht völlig vorenthalten werden. Der Gesetzgeber hat ihm deshalb neben der Rente einen Anspruch auf Krankengeld, allerdings nur für höchstens sechs Wochen, eingeräumt. Damit ist der in § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO zum Ausdruck gekommene Grundsatz, daß Krankengeld und eine "Vollrente" (Erwerbsunfähigkeitsrente, Altersruhegeld) nicht nebeneinander gewährt werden dürfen, insoweit durchbrochen worden. Der Gesetzgeber hat indessen bewußt unterlassen, diese Ausnahmeregelung auf den anderen - hier gegebenen - Fall, in dem die Rente erst nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit beginnt, zu erstrecken. In diesem Falle sieht § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO vielmehr vor, daß das Krankengeld mit dem Tage des Rentenbeginns, nicht erst sechs Wochen danach endet.

Eine generelle Weitergewährung des Krankengeldes neben der Rente für die ersten sechs Wochen des Rentenbezuges, wie sie offenbar dem Berufungsgericht vorschwebt, wird entgegen dessen Ansicht auch nicht durch den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) geboten. Zwar mag es in Fällen, in denen die Rente rückwirkend gewährt wird, gelegentlich vom Zufall abhängen, ob das Krankengeld oder die Rente früher beginnt. Gleichwohl unterscheiden sich beide Fälle nicht nur rechtssystematisch, sondern auch sozialpolitisch so deutlich voneinander, daß dadurch eine unterschiedliche gesetzliche Regelung gerechtfertigt wird. So tritt in dem ersten Fall, daß zunächst Krankengeld und erst später Rente gewährt wird, diese an die Stelle des Krankengeldes, da beide Leistungen demselben Zweck, der Sicherung des Lebensunterhalts, dienen (vgl. BSG 19, 30 oben). Demgegenüber kann ein Versicherter, der schon einen Rentenanspruch besitzt, aber gleichwohl weiterarbeitet und nunmehr arbeitsunfähig wird, mit Recht erwarten, daß ihm aus der Krankenversicherung ein gewisser Ausgleich für seinen Lohnausfall gewährt wird. Da er vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit schon "Doppelleistungen", nämlich Rente und Arbeitsentgelt, bezogen oder jedenfalls Anspruch darauf gehabt hat, ist es in diesem Falle (anders als im zuerst genannten) nur folgerichtig, wenn nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit diese Leistungen - in Gestalt von Rente und Krankengeld - wenigstens bis zu sechs Wochen nebeneinander weiterlaufen. Eine ungleiche Regelung wesentlich gleichliegender Tatbestände, die das Berufungsgericht in den beiden genannten Fällen zu erkennen glaubt, liegt mithin nicht vor.

Da der Kläger, wie ausgeführt, nicht zu dem durch § 183 Abs. 4 RVO begünstigten Personenkreis gehört, hat die Beklagte nach § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO die auf die Zeit vom 1. September bis 26. Oktober 1961 entfallende Rentennachzahlung des Klägers mit Recht in Anspruch genommen. Seine Klage auf Auszahlung dieses Betrages ist unbegründet, wie das SG richtig entschieden hat. Auf die Revision der beklagten Krankenkasse hat der Senat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2387402

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