Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung der Jahressondervergütung bei der Berechnung des Konkursausfallgeldes

 

Orientierungssatz

Bei der Berechnung des Konkursausfallgeldes ist der nicht erfüllte Anspruch auf eine tarifvertraglich vereinbarte Jahressonderzuwendung auch dann, und zwar in Höhe von 3/12, zu berücksichtigen, wenn die Jahressonderzuwendung ua voraussetzt, daß der Arbeitnehmer an einem bestimmten Tag in ungekündigtem Arbeitsverhältnis steht, das Insolvenzereignis aber vor diesem Stichtag eingetreten ist (vgl BSG vom 10.9.1987 - 10 RAr 10/86).

 

Normenkette

AFG § 141b Abs 1; AFG § 141b Abs 2; KO § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst a, § 66

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 12.12.1986; Aktenzeichen L 6 Ar 20/86)

SG Speyer (Entscheidung vom 18.12.1985; Aktenzeichen S 1 Ar 183/84)

 

Tatbestand

Der Kläger hat mit seinem auf die Gewährung von Konkursausfallgeld (Kaug) wegen der ausgefallenen Jahressondervergütung (JSV) gerichteten Begehren im sozialgerichtlichen Verfahren teilweise Erfolg gehabt. Hiergegen richtet sich die Beklagte mit ihrer vom Landessozialgericht (LSG; Urteil vom 12. Dezember 1986) zugelassenen Revision.

Über das Vermögen der Arbeitgeberin des Klägers wurde am 8. Dezember 1983 das Konkursverfahren eröffnet. Mit der ihm im Januar 1984 zugegangenen Kündigung vom 27. Dezember 1983 wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers von dem Konkursverwalter zum 31. März 1984 gekündigt.

Durch ihren Bescheid vom 16. Januar 1984 gewährte die Beklagte Kaug für ausgefallene Lohnansprüche ohne Berücksichtigung einer JSV für 1983. Dem Widerspruch des Klägers half sie mit ihrem Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1984 nicht ab. In diesem Bescheid heißt es, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei am 27. Dezember 1983 ausgesprochen worden, so daß die tarifvertragliche Voraussetzung für die Zahlung der JSV, daß bis zum 31. Dezember 1983 ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis bestanden haben müsse, nicht vorliege.

Das Sozialgericht (SG; Urteil vom 18. Dezember 1985) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger auch für die ausgefallene JSV Kaug zu zahlen. Zwar sei der Anspruch auf diese Leistung nach dem einschlägigen Tarifvertrag (TV) nach dem Ermessen des Arbeitgebers erst in der Zeit vom 15. November 1983 bis zum 15. Dezember 1983 fällig geworden, also in einem Zeitraum, welcher sich über das Insolvenzereignis hinaus erstreckt habe. Solche Ansprüche gälten jedoch nach § 65 Konkursordnung (KO) als fällig. Da die Kündigung des Arbeitsverhältnisses erst im Januar 1984 wirksam geworden sei, habe der Kläger am 31. Dezember 1983, wie dies im TV vorausgesetzt werde, in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis gestanden.

Dieses Urteil hat das LSG aufgehoben, soweit die Beklagte darin zur Gewährung von Kaug für mehr als 3/12 der JSV verurteilt worden ist. Grundsätzlich sei auch der Anspruch des Klägers auf Kaug wegen der JSV gegeben. Hieran ändere der Umstand nichts, daß nach dem TV am Jahresende ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis bestanden haben müsse. Insoweit sei der Anspruch auf die JSV nicht von dem Erreichen eines - nach dem Insolvenzereignis liegenden - Stichtages abhängig; er entstehe vielmehr vorher und sei lediglich auflösend bedingt vorhanden. Dies ergebe sich schon aus der Fälligkeit des Anspruchs der davorliegenden Zeit vom 15. November bis zum 15. Dezember des betreffenden Jahres. Selbst wenn es sich insoweit nur um eine Auszahlungsregelung handeln sollte, sei der Mangel der Fälligkeit des Anspruchs am Insolvenztage unbedeutend, weil auch bedingte Forderungen nach § 65 KO als fällig gelten. Der Anspruch sei jedoch nur für die drei vor dem Insolvenzereignis liegenden Monate zu berücksichtigen; denn die JSV werde für den Zeitraum gewährt, in welchem sie erarbeitet worden sei. Es handele sich dabei um "aufgestautes" Arbeitsentgelt.

Nach der Auffassung der Revision kommt es in erster Linie darauf an, ob der Anspruch auf die JSV vor dem Insolvenztag entstanden sei. Hierzu sei in dem TV vereinbart, daß am 31. Dezember des betreffenden Jahres ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis gegeben sein müsse. Dabei handele es sich um einen Stichtag für die Bezugsberechtigung. Die vorherige Auszahlung in der Zeit vom 15. November bis zum 15. Dezember erfolge nur vorschußweise. In Wirklichkeit entstehe der Anspruch erst am Jahresende, hier also nach dem Insolvenzereignis. Jedenfalls habe der Anspruch auf die JSV erst nach dem 15. Dezember 1983 erstmalig geltend gemacht werden können, so daß am Tage der Konkurseröffnung noch kein Anspruch auf die JSV bestanden habe. Aber selbst wenn man davon ausgehe, daß zu diesem Zeitpunkt bereits ein - auflösend bedingter - Anspruch auf die JSV bestanden habe, sei der geltend gemachte Anspruch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Zusammenhang mit der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nicht gegeben.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Dezember 1986, soweit es nicht dem Begehren der Beklagten entsprochen hat, und das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 18. Dezember 1985 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat sich nicht zu der Sache geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die Revision war zurückzuweisen, weil die Beklagte zu Recht zur Zahlung von Kaug unter Zugrundelegung von 3/12 der dem Kläger für 1983 zustehenden JSV verurteilt worden ist.

Nach § 141b Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) hat Anspruch auf Kaug ein Arbeitnehmer, der bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die unabhängig von der Zeit, für die sie geschuldet werden, Masseschulden nach § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst a der KO sein können (§ 141b Abs 2 AFG).

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob auch die JSV für das Jahr 1983 in die Berechnung des Kaug einzubeziehen ist.

Soweit der Senat bei der Anwendung des § 141b AFG auf Bestimmungen des TV zurückgreifen muß, hat er grundsätzlich die Auslegung des LSG zugrunde zu legen; denn bei dem TV handelt es sich um irrevisibles Recht. Der TV gilt ausdrücklich nur im Land Rheinland-Pfalz (§ 1 des TV) und damit im Bezirk des Berufungsgerichts (§ 162 SGG). Es ist auch nicht ersichtlich, daß es außerhalb des Bezirks des LSG Rheinland-Pfalz einen oder mehrere Tarifverträge gibt, die in allen hier maßgeblichen Punkten bewußt und gewollt inhaltlich übereinstimmend gestaltet sind (vgl dazu BSGE 13, 189, 191).

Die JSV nach § 2 TV ist Arbeitsentgelt iS von § 141b Abs 2 AFG. Darunter sind grundsätzlich alle Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis zu verstehen, dh alle Leistungen des Arbeitgebers, die eine Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers darstellen (BSG SozR 4100 Nr 26 mwN; Hennig/Kühl/Heuer, AFG, Kommentar, § 141b Anm 4 unter Hinweis auf BAG, Urteil vom 21. Mai 1980 - 5 AZR 441/78 -). Schon die Bezeichnung der in § 2 TV vereinbarten Leistung spricht eindeutig dafür, daß es sich um die Gegenleistung des Arbeitgebers für eine Leistung des Arbeitnehmers handelt. Aber auch die vom LSG festgestellten weiteren Regelungen des TV, insbesondere über die Zahlung einer anteiligen Sondervergütung je nach dem Zeitpunkt des Eintritts in den Betrieb (§ 2 Nr 4 TV), sind ein Beleg dafür, daß die JSV Teil des Arbeitsentgelts, dh Gegenleistung für geleistete Arbeit, ist.

Entgegen der Auffassung der Beklagten scheitert der geltend gemachte Anspruch auch nicht daran, daß das Insolvenzereignis bereits am 8. Dezember 1983 eingetreten ist. Zwar können nur Arbeitsentgeltansprüche kaug-fähig sein, die der Arbeitnehmer am Insolvenztage für eine vorherliegende Zeit hat. Der Anspruch auf die JSV entsteht aber - nach der insoweit irrevisiblen Auslegung des TV durch das LSG - nicht erst am 31. Dezember, sondern aufgrund der Arbeitsleistung während des laufenden Jahres. Das LSG hat in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Fälligkeitsregelung des § 2 Nr 1 TV hingewiesen. Danach ist die JSV in der Zeit vom 15. November bis 15. Dezember auszuzahlen. Diese Regelung setzt also voraus, daß der Anspruch auf die JSV spätestens am 15. November entstanden ist, denn noch nicht entstandene Ansprüche können nicht fällig sein. Soweit § 2 Nr 1 TV verlangt, daß die Arbeitnehmer am 31. Dezember des Jahres in ungekündigtem Arbeitsverhältnis stehen, ist darin nach der nicht nachprüfbaren Auslegung des LSG eine auflösende Bedingung zu sehen. Der Kläger hat somit bei Eintritt des Insolvenzereignisses einen bedingten Anspruch auf die JSV gehabt. Gemäß § 66 KO werden Forderungen unter auflösender Bedingung wie unbedingte geltend gemacht, sie sind damit kaug-fähig (vgl § 59 Abs 1 Nr 3a KO).

Zu Unrecht verweist die Beklagte in diesem Zusammenhang auf Entscheidungen des BAG. Zwar ist in der Rechtsprechung des BAG zu tariflichen Vorschriften, die § 2 Nr 1 TV entsprechen, von einer Stichtagsregelung die Rede (vgl zB BAG, Urteil vom 4. September 1985 - 5 AZR 655/64 - NJW 1986, 1063). Das BAG führt aber lediglich aus, daß der Arbeitnehmer zu einem bestimmten Stichtag in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen müsse, nicht aber, daß der Anspruch auf die JSV bzw Jahressonderzahlung erst mit Erreichen dieses Stichtages entstehe (so aber Gagel, AFG, Kommentar, § 141b Anm 16). Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß der Kläger bei Eintritt des Insolvenzereignisses die Gegenleistung im wesentlichen noch nicht erbracht habe. Zwar werden die bedingten Ansprüche von der Regelung der §§ 66 und 67 KO nur erfaßt, wenn die von der Beklagten genannte Voraussetzung vorliegt (vgl BSG SozR 4100 § 141b AFG Nr 8). Das ist aber hier - entgegen der Auffassung der Beklagten - der Fall. Die Gegenleistung für die JSV ist die Arbeit des Arbeitnehmers. Bis zum Eintritt des Insolvenzereignisses hatte der Kläger bereits elf volle Monate in dem Betrieb der Gemeinschuldnerin gearbeitet. Es kann daher keine Rede davon sein, daß der Kläger die ihm obliegende Gegenleistung bei Eintritt des Insolvenzereignisses noch nicht erbracht hatte. Die Fälligkeitsregelung zeigt vielmehr, daß mit der bis dahin erbrachten Leistung des Arbeitnehmers allein der Anspruch erarbeitet worden ist. Die auflösende Bedingung - ungekündigtes Arbeitsverhältnis am 31. Dezember - ist zwar eine weitere Anspruchsvoraussetzung, die aber unabhängig davon ist, wann der Arbeitnehmer die ihm obliegende Arbeitsleistung erbracht hat. Der Anspruch auf die JSV war daher nur noch davon abhängig, daß das Arbeitsverhältnis nicht mehr im laufenden Jahr beendet wurde. Dieser zweiten im Insolvenzzeitpunkt noch ausstehenden Voraussetzung kommt gegenüber der ersten (Erarbeiten des Anspruchs) für das Kaug keine Bedeutung zu (BSG SozR 4100 § 141b Nr 8). Daran hat sich auch nichts durch die neuere Rechtsprechung des BAG geändert. Zwar hat das BAG in dem Urteil vom 4. September 1985 (aaO) unter Aufgabe von BAGE 31, 113 entschieden, daß Klauseln in einem Tarifvertrag, die den Anspruch auf eine Sonderzuwendung von dem Bestehen eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses an einem bestimmten Stichtag innerhalb des Bezugsjahres abhängig machen, auch für den Fall einer betriebsbedingten Kündigung gelten. Es ist aber nicht ersichtlich, daß diese Rechtsprechungsänderung zu einer Neubewertung der Voraussetzungen für die JSV oder Jahressonderzahlungen führen müßte. Derartige Zahlungen erfolgen aus zwei Gründen: Einerseits sind sie - wie schon hervorgehoben - ein zusätzliches Entgelt für geleistete Arbeit. Andererseits soll mit ihnen die Betriebstreue belohnt werden. Welche Bedeutung der Arbeitsleistung zukommt, wird insbesondere aus dem vom LSG festgestellten Inhalt des § 2 Nr 6 TV deutlich. Danach besteht der Anspruch nur für die Zeit, für die auch ein Lohnanspruch besteht. Die JSV wird anteilig gekürzt für Zeiträume im laufenden Kalenderjahr, in denen eine Lohn- oder Gehaltszahlungspflicht wegen Wehrdienst oder unbezahltem Urlaub von mehr als drei Wochen nicht bestand. Auch wenn § 2 Nr 1 TV die Bedingung enthält, daß der Arbeitnehmer am 31. Dezember des laufenden Jahres in ungekündigtem Arbeitsverhältnis stehen muß, hatte der Kläger also im Zeitpunkt des Insolvenzereignisses bereits einen Anspruch auf die JSV.

Das LSG hat entschieden, daß bei der Berechnung des Kaug 3/12 der JSV zu berücksichtigen sind. Der erkennende Senat hat dies in seinem Urteil vom heutigen Tage in der Rechtssache 10 RAr 10/86 im einzelnen in Übereinstimmung mit dem in diesem Verfahren angefochtenen Urteil des LSG dargelegt. Hierauf wird ausdrücklich hingewiesen. Es kann daher hier offenbleiben, ob das angefochtene Urteil in diesem Punkte überhaupt überprüft werden darf, oder ob nicht vielmehr eine irrevisible Auslegung des TV durch das LSG zu beachten wäre.

Die Revision war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663544

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