Entscheidungsstichwort (Thema)

Bemessung der Arbeitslosenhilfe. Übergangsregelung. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Festsetzung des Arbeitsentgelts nach § 136 Abs 2 Nr 2 Buchst a AFG idF des 4. AFG-ÄndG, nach dem das um 25 vH geminderte Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG anzusetzen ist, gilt auch für Leistungsberechtigte, die bereits vor Inkrafttreten des 4. AFG-ÄndG am 1.1.1978 einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gehabt haben.

2. Auf diese Neuregelung können Übergangsregelungen, die für andere gesetzliche Änderungen gelten, nicht entsprechend angewendet werden.

 

Orientierungssatz

1. Hinsichtlich der Anwendung der Neufassung des § 136 Abs 2 AFG durch das AFGÄndG 4 vom 12.12.1977 hat der Gesetzgeber Übergangsregelungen nicht getroffen (vgl BSG 1983-05-17 7 RAr 21/82 = SozR 4100 § 136 Nr 2). Ob § 136 Abs 2 AFG in der neuen Fassung übergangslos, dh bereits ab 1.1.1978 in Kraft gesetzt werden dürfe bleibt offen.

2. Aus verfassungsrechtlichen Gründen war der Gesetzgeber nicht gehindert, die bisherige Rechtsposition der Arbeitslosenhilfeempfänger zu ändern.

 

Normenkette

AFG § 136 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Buchst. a Fassung: 1977-12-12; GG Art. 3 Fassung: 1949-05-23, Art. 14 Fassung: 1949-05-23, Art. 20 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 14.01.1982; Aktenzeichen V ARBf 24/81)

SG Hamburg (Entscheidung vom 15.11.1979; Aktenzeichen 13 AR 181/78)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte berechtigt war, die Arbeitslosenhilfe (Alhi) der Klägerin aufgrund der Vorschriften des Vierten Änderungsgesetzes zum Arbeitsförderungsgesetz vom 12. Dezember 1977 - BGBl I S 2557 - (4. AFG-ÄndG) herabzusetzen.

Die Klägerin war von August 1975 bis Ende Januar 1977 Studienreferendarin. Anschließend bezog sie, abgesehen von krankheitsbedingten Unterbrechungen, vom 1. Februar 1977 bis 18. August 1979 Alhi. Bei der Berechnung dieser Leistung ging die Beklagte in dem Bescheid vom 15. März 1977 von einem Bemessungsentgelt von 2.768,-- DM monatlich (= 640,-- DM wöchentlich) aus, das dem Tarifgehalt einer Lehrerin entsprach. Mit Bescheid vom 19. Januar 1978 setzte sie unter Berufung auf § 136 Abs 2 Nr 2 AFG, der durch das 4. AFG-ÄndG eingefügt worden ist, das Bemessungsentgelt um 25 vH auf 2.076,-- DM (monatlich 480,-- DM wöchentlich) herab. Der hiergegen erhobene Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. März 1978).

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 15. November 1979 die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es in seinem Urteil vom 14. Januar 1982 im wesentlichen ausgeführt, die angefochtenen Bescheide verstießen gegen den hier noch anzuwendenden § 151 AFG idF vom 25. Juni 1969. Hiernach sei eine Änderung des Leistungsbescheides vom 15. März 1977 nur insoweit zulässig, als dieser Bescheid mit dem materiellen Recht nicht übereinstimmte. Er sei jedoch von Anfang an richtig gewesen und entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht am 1. Januar 1978 unrichtig geworden. Seitdem gelte zwar § 136 Abs 2 Nr 2 AFG idF vom 12. Dezember 1977. Hiernach bemesse sich die Alhi, die durch eine (beitragsfreie) Aus- oder Fortbildung begründet werde, zwar weiterhin nach dem Tarifentgelt des Berufes, den der Arbeitslose nach dem Abschluß seiner Ausbildung anstrebe. Jedoch müßten solche Berufsanfänger einen Abschlag von 25 vH hinnehmen. Die Klägerin gehöre zwar zu dem Personenkreis, der durch die Neufassung des § 136 Abs 2 AFG betroffen worden sei. Ihr Anspruch auf Alhi beruhe auf einem Dienstverhältnis, das in der Alhi-Verordnung einer Beschäftigung zur Berufsausbildung gleichgestellt sei. Jedoch finde die Neufassung des § 136 Abs 2 AFG auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Nach allgemeinen Grundsätzen träten in neuen Rechtssätzen vorgesehene Rechtsfolgen nur ein, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür auch erst unter der Geltung des neuen Rechts erfüllt würden. Bei Dauerrechtsverhältnissen des privaten wie des öffentlichen Rechts komme es auf den Zeitpunkt des erstmaligen Vorliegens an. Insbesondere Dauerschuldverhältnisse seien nach dem Recht zur Zeit ihrer Entstehung zu beurteilen. Durch spätere Gesetzesänderungen könne der danach entstandene Anspruch im allgemeinen weder zum Vorteil noch zum Nachteil des Berechtigten geändert werden. Der Anspruch der Klägerin auf Alhi sei aber bereits entstanden, als § 136 Abs 2 Nr 2 AFG idF vom 12. Dezember 1977 noch nicht gegolten habe. Ausnahmen von dem Grundsatz, daß das neue Recht nur für neu eintretende Leistungsfälle gelte, seien zwar im Rahmen bestimmter verfassungsrechtlicher Grundsätze insbesondere bei einer unechten Rückwirkung zulässig. Hierzu bedürfe es aber stets einer deutlich erkennbaren Anordnung durch den Rechtssatz selbst. Hieran fehle es. Eine ausdrückliche Übergangsvorschrift liege nicht vor. Möglicherweise seien die Gesetzesverfasser von der irrigen Annahme ausgegangen, es genüge, den Tag des Inkrafttretens festzusetzen, um damit automatisch alle noch nicht abgeschlossenen Sachverhalte und Rechtsbeziehungen auf die Neuregelung überzuleiten. Dies sei jedoch für die Auslegung des Gesetzes ohne Einfluß, denn nicht die Wünsche, Hoffnungen, Vorstellungen und Motive der Gesetzgeber, sondern allein ihr Gesetz gewordener Wille binde die Betroffenen als objektives Recht. Es bleibe zweifelhaft, von welchen allgemeinen Vorstellungen Art 6 des 4. AFG-ÄndG ausgehe. Die Begründung des Gesetzesentwurfs gebe keinen Aufschluß. Allerdings erscheine es wenig wahrscheinlich, daß § 136 Abs 2 Nr 2 AFG bei der Abfassung der Übergangsvorschriften schlicht vergessen worden sei. Das erkläre aber noch nicht, aus welchem Grunde Art 6 des 4. AFG-ÄndG dennoch nur den verwandten § 112 Abs 5 AFG besonders erwähne. Möglicherweise sollte für die Alhi das Gegenteil von dem gelten, was dort für das Arbeitslosengeld (Alg) angeordnet sei. Dafür spreche, daß die Alhi prinzipiell zeitlich unbegrenzt gewährt werde, während das Alg bei längerer Arbeitslosigkeit doch einmal sein Ende finde. Ebenso gut sei es aber auch denkbar, daß Art 6 Nr 2 des 4. AFG-ÄndG zu den Vorschriften über Alg gerechnet werden sollte, die gemäß § 134 Abs 2 AFG auf die Alhi entsprechend anzuwenden seien. Auf diese Weise würde die ungerechtfertigte Benachteiligung der Empfänger originärer Alhi gegenüber den Beziehern von Anschluß-Alhi vermieden, denen gemäß § 136 Abs 2 Nr 1 AFG idF vom 12. Dezember 1977 ihr altes Bemessungsentgelt in jedem Fall erhalten bleibe. Bei dieser vieldeutigen Sach- und Gesetzeslage sei nicht zu erkennen, daß und in welcher Weise das 4. AFG-ÄndG von den Grundsätzen des intertemporalen Rechts abweiche. Eine Lücke der Übergangsvorschriften würde überdies nur zu diesen allgemeinen Grundsätzen zurückführen. Hiergegen aber verstoße der angefochtene Änderungsbescheid, indem er den bereits 1977 entstandenen Alhi-Anspruch dem erst 1978 in Kraft getretenen § 136 Abs 2 Nr 2 Buchst a AFG unterwerfe.

Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Sie rügt eine Verletzung des § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 2 AFG in der ab 1. Januar 1978 geltenden Fassung und verweist auf das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 15. April 1980 (L 14 Ar 75/79). Hiernach ist § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 2 AFG in der ab 1. Januar 1978 geltenden Fassung auch auf Leistungsfälle anzuwenden, die vor diesem Zeitpunkt entstanden sind. Im übrigen ist die Beklagte der Auffassung, Art 6 Nr 2 des 4. AFG-ÄndG führe zwar dazu, daß über § 136 Abs 2 Nr 1 AFG auch die Bezieher von Anschluß-Alhi von der Verminderung des Bemessungsentgelts verschont bleiben. Dies rechtfertige jedoch eine Gleichbehandlung von Beziehern originärer Alhi nach § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst b und c, § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 2 AFG nicht. Bei früheren gesetzlichen Einschränkungen der Voraussetzungen zum Bezug der originären Alhi dem Grunde nach (Anfügung des § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst c) habe der Gesetzgeber eine Übergangsfrist von einem halben Jahr nach dem Inkrafttreten der Neuregelung für ausreichend gehalten, um dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zu genügen (Art 1 § 2 Abs 11 Haushaltsstrukturgesetz AFG). Bei der durch das 4. AFG-ÄndG vorgeschriebenen Verminderung des Bemessungsentgeltes in bestimmten Fällen handele es sich nicht um einen Eingriff in den Kernbereich des Leistungsanspruchs. Der Gesetzgeber habe daher zumal angesichts der Dringlichkeit der Neuregelung keinen gewichtigen Anlaß gehabt, eine Übergangsfrist vorzusehen. Es erscheine eher fraglich, ob sich der Gesetzgeber der theoretisch unbegrenzten und damit planwidrigen Begünstigung auch der Bezieher von Anschluß-Alhi durch die für § 112 Abs 5 AFG in der früheren Fassung geltende Übergangsvorschrift bewußt gewesen sei. Eine Gleichbehandlung der Bezieher originärer Alhi mit dem durch Art 6 Nr 2 des 4. AFG-ÄndG begünstigten Beziehern von Anschluß-Alhi scheide daher aus. Erwogen werden könnte jedoch eine Gleichbehandlung mit denjenigen Beziehern von Alhi, denen nach Art 1 § 2 Abs 11 Haushaltsstrukturgesetz-AFG eine halbjährige Übergangsfrist eingeräumt worden sei und die nach Art 6 Nr 4 des 4. AFG-ÄndG zu § 139a AFG durch eine solche Frist begünstigt waren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. Januar 1982 und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. November 1979 insoweit aufzuheben, als der Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 1978 für die Zeit ab 1. Juli 1978 aufgehoben worden ist, und in diesem Umfang die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Begründung des von der Beklagten wiedergegebenen Urteils des LSG Berlin gebe keinen Anlaß, von den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils abzurücken. Im Mittelpunkt der Urteilsgründe des Urteils des LSG Berlin scheine die Auffassung zu stehen, daß der Gesetzgeber eine 25-prozentige Minderung der Alhi schon deshalb gewollt habe, weil die Schmälerung der Alhi die Arbeitsbereitschaft des Arbeitslosen stimulieren helfe und somit Ziel und Zweck des AFG nachhaltiger verwirklicht werden könne. Angesichts des derzeitigen Standes der Arbeitslosigkeit erscheine eine solche Betrachtungsweise doch sehr weit neben der Wirklichkeit zu liegen, weil die Arbeitslosigkeit wohl zu allerletzt ihre Ursache in einer die Arbeitsbereitschaft bremsenden "Überversorgung" des Arbeitslosen haben dürfte. Außerdem beruhe diese Auffassung des LSG Berlin auf einer unzulässigen Gesetzesauslegung. Vielmehr habe das Berufungsgericht Recht, wenn es meine, die in Art 6 Nr 2 des 4. AFG-ÄndG getroffene Regelung für bereits entstandene Ansprüche auf Alg rechtfertige nicht die Annahme, für die Alhi gelte das Gegenteil. Daß der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung für die Alhi habe treffen wollen, lasse sich schon gar nicht aus dem Gesamtzusammenhang des Gesetzeswerkes entnehmen. Es sei schon von Belang, daß der Anspruch auf Alhi merklich unter dem des Alg liege, so daß sehr wohl ein Sinn darin liege, eine 25-prozentige weitere Schmälerung der Alhi, wenn diese schon unumgänglich sei, nur auf solche Leistungsverhältnisse zu beziehen, die nach Inkrafttreten der Änderungslösung entstünden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind entgegen der Auffassung der Vorinstanzen jedenfalls für die Zeit ab 1. Juli 1978 nicht rechtswidrig. Die Beklagte war auf jeden Fall berechtigt, mit Wirkung von diesem Tage an die Alhi der Klägerin neu festzusetzen und bei deren Bemessung das um 25 vH verminderte Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG aufgrund der Neufassung des § 136 Abs 2 Nr 2 Buchst a AFG, die durch das 4. AFG-ÄndG erfolgt ist, zugrunde zu legen. Hierbei ist es entgegen der Auffassung des LSG unerheblich, daß die Klägerin schon vor Erlaß der neuen Vorschrift ihren Anspruch auf Alhi erworben hatte und Alhi-Empfängerin war.

Die Befugnis der Beklagten zu der Neufeststellung folgt aus § 151 Abs 1 AFG in der bis zum 31. Dezember 1980 geltenden Fassung (Art II § 2 Nr 1 Buchst b SGB X; Art II § 40 Abs 1 SGB X). Hiernach werden Entscheidungen, durch die Leistungen nach dem AFG bewilligt worden sind, insoweit aufgehoben, als die Voraussetzungen für die Leistung nicht vorgelegen haben oder weggefallen sind. Im vorliegenden Falle war der Klägerin mit Bescheid vom 15. März 1977 Alhi gewährt worden, bei der als Arbeitsentgelt gemäß § 136 Abs 2 Satz 2 Nr 2 AFG (idF des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuer-Reformgesetz -EG-EStRG- vom 21. Dezember 1974, BGBl I S. 3656) iVm § 112 Abs 7 AFG das volle Gehalt einer Lehrerin zugrundegelegt worden war. Aufgrund der Fassung, die § 136 Abs 2 Nr 2 AFG durch das 4. AFG-ÄndG erhalten hatte, waren diese Voraussetzungen insoweit weggefallen, als der Klägerin ab 1. Januar 1978 keine Alhi mehr nach dem vollen, gemäß § 112 Abs 7 AFG ermittelten Arbeitsentgelt zustand. Sie hatte vielmehr nur noch einen Anspruch, für den als Arbeitsentgelt 75 vH des nach § 112 Abs 7 AFG ermittelten Wertes zugrunde zu legen war.

Der Klägerin war die Alhi aufgrund von § 1 Nr 1 der Alhi-Verordnung vom 7. August 1974 (BGBl I S 1929) gewährt worden. Sie stand als Referendarin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis als Beamtin und war zur Berufsausbildung beschäftigt. In diesem Falle richtet sich die Festsetzung des Arbeitsentgelts nach § 136 Abs 2 Nr 2 Buchst a AFG idF des 4. AFG-ÄndG. Es ist also das um 25 vH geminderte Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG anzusetzen. Das gilt entgegen der Auffassung des LSG auch für Leistungsberechtigte, die, wie die Klägerin, bereits vor dem 1. Januar 1978 einen Anspruch auf Alhi gehabt haben.

Das 4. AFG-ÄndG ist, abgesehen von der Neufassung des § 117 Abs 3 AFG, gemäß seinem Art 8 am 1. Januar 1978 in Kraft getreten. Übergangsregelungen hinsichtlich der Anwendung der Neufassung des § 136 Abs 2 AFG hat der Gesetzgeber nicht getroffen. In Art 6 des 4. AFG-ÄndG ist insoweit nichts bestimmt. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 17. Mai 1983 (7 RAr 21/82) entschieden hat, ist es auch nicht möglich, die für die Änderungen des § 112 Abs 5 AFG vorgesehene Übergangsregelung (Art 6 Nr 2 des 4. AFG-ÄndG), wonach es für Fälle, in denen der Anspruch auf Alg vor Inkrafttreten des ÄndG entstanden war, bei der bisherigen Fassung bleibt, auf die Neuregelung des § 136 Abs 2 AFG anzuwenden. Eine entsprechende Anwendung gemäß § 134 Abs 2 Satz 1 AFG scheidet schon deshalb aus, weil sich die Bemessung der Alhi nicht nach den §§ 111,112 AFG, sondern nach § 136 AFG richtet. Ebenso ist für eine entsprechende Anwendung der für § 139a AFG vorgesehenen Übergangsregelung (Art 6 Nr 4 des 4. AFG-ÄndG), wonach § 139a AFG auf Fälle, in denen Alhi vor dem Inkrafttreten des ÄndG bewilligt worden ist, erst nach Ablauf von sechs Monaten anzuwenden ist, außerhalb des Anwendungsbereichs des § 139a AFG kein Raum; denn mit dieser Übergangsregelung wollte der Gesetzgeber lediglich verwaltungsmäßigen Erfordernissen entsprechen (vgl Begründung zu Art 2 Nr 4 des Regierungsentwurfs, BT-Drucks 8/857 S 10). Wäre der neue § 139a AFG mit seinem Inkrafttreten auch für Altfälle anwendbar gewesen, hätte die Beklagte alle zeitlich unbegrenzt ausgesprochenen Bewilligungen auf Bewilligungen für längstens ein Jahr umstellen müssen. Mit der Übergangsregelung ist der Verwaltung die Umstellung erleichtert worden, indem im Ergebnis nur solche Bewilligungen umzustellen waren, die noch sechs Monate nach Inkrafttreten des ÄndG zu Leistungen geführt haben. Es ist auch nicht zu erkennen, daß es der Gesetzgeber übersehen hat, für die Neuregelung des § 136 Abs 2 AFG eine Übergangsbestimmung zu treffen. Vielmehr muß aus dem Umstand, daß er dies hinsichtlich anderer Vorschriften getan, es jedoch nicht für die Neuregelung des § 136 Abs 2 AFG vorgesehen hat, geschlossen werden, daß er hinsichtlich der letztgenannten Vorschrift keine Übergangsregelung treffen wollte. Anderenfalls hätte es im Hinblick auf die erwähnten Übergangsregelungen, insbesondere der für § 112 Abs 5 AFG, nahegelegen, auch für die Änderung des § 136 Abs 2 AFG vorzusehen, daß die bisher geltende Fassung unbeschränkt oder zeitlich beschränkt anzuwenden bleibt, wenn der Anspruch auf Alhi vor Inkrafttreten des ÄndG entstanden oder die Alhi vor diesem Zeitpunkt bewilligt worden ist. Dafür, daß der Gesetzgeber den Anspruch auf Alg bei der Übergangsregelung anders behandelt als den Anspruch auf Alhi, gibt es einleuchtende Gründe. Ansprüche auf Alg beruhen auf Beitragsleistungen, während bei Ansprüchen auf Alhi durchweg auf die Zugehörigkeit zum Kreis der Arbeitnehmer abgestellt wird, wofür bestimmte Tatbestände Indizfunktion haben (Beschäftigung gegen Entgelt, Bezug von Alg). Alg wird außerdem höchstens für 312 Tage gezahlt, die Alhi hingegen ist nicht durch eine bestimmte Anspruchsdauer begrenzt. Die Änderung des § 136 Abs 2 Nr 2 AFG ist daher nach Maßgabe des Gesetzes grundsätzlich ab 1. Januar 1978 auch auf laufende Leistungsfälle anzuwenden (ebenso Schönefelder/Kranz/Wanka, Kommentar zum AFG, § 136 RdNr 1, Stand: Juni 1978).

Die Beklagte mußte diese Rechtsänderung nach § 151 Abs 1 AFG aF berücksichtigen; denn zu den Voraussetzungen für Leistungen im Sinne dieser Vorschrift gehören alle Umstände, die den Anspruch darauf berühren. Es sind dies im Grunde genommen stets nur rechtliche Voraussetzungen; denn auch tatsächliche Veränderungen der für die Leistungsgewährung maßgeblichen Umstände wirken sich auf den Leistungsanspruch nur aus, wenn sie von Rechts wegen hierauf Einfluß haben. Umfaßt der Begriff der Leistungsvoraussetzungen in § 151 Abs 1 AFG sonach alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach (vgl Schönefelder-Kranz-Wanka, Kommentar zum AFG, RdNr 7 zu § 151), so ist hier auch der Wegfall von Anspruchsvoraussetzungen als Folge gesetzlicher Änderungen zu beachten (in diesem Sinne schon BSG SozR 4460 § 24 Nr 2; SozR 4100 § 151 Nr 3). Das entspricht im übrigen der Rechtsprechung zu anderen vergleichbaren Regelungen (vgl zB BSGE 10, 202, 203 zu § 62 BVG; BSGE 28, 227, 228 zu § 622 RVO).

Demgegenüber kann sich die Klägerin nicht auf die Bestandskraft von Verwaltungsakten nach § 77 SGG oder auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen. Der § 77 SGG sichert den Bestand bindender Verwaltungsakte nur so weit, als durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Im Bereich des AFG enthielt aber der hier noch anzuwendende § 151 Abs 1 AFG eine solche - abweichende - gesetzliche Bestimmung. Er wurde ergänzt durch die Regelungen in § 152 aF AFG, wodurch der Vertrauensschutz in die Bestandskraft von Verwaltungsakten hier auf bestimmte Fälle der Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen beschränkt war (vgl BSGE 38, 63, 68 = SozR 4100 § 151 Nr 1; BSGE 41, 260, 261 = SozR 4100 § 151 Nr 3; BSGE 48, 33, 37 = SozR 4100 § 44 Nr 19).

Aus verfassungsrechtlichen Gründen war der Gesetzgeber nicht gehindert, die bisherige Rechtsposition der Alhi-Empfänger zu ändern. Seit jeher ist es unbestrittenes Recht des Gesetzgebers, bestehende Sachverhalte, Rechte und Rechtsbeziehungen durch eine Gesetzesänderung einer neuen Rechtslage zu unterwerfen. Die Möglichkeit, durch neue Gesetze auf bestehende Rechtslagen und Rechtsverhältnisse hinzuwirken, ist jeglicher Gesetzgebung immanent (BVerfGE 48, 403, 415).

Der Anspruch auf Alhi gründet sich nicht auf Beiträge des Arbeitslosen. Die Leistung wird grundsätzlich nicht aus Beitragsmitteln der Versicherten finanziert, sondern aus Steuermitteln. Sie unterliegt deshalb nicht dem Schutzbereich des Art 14 Grundgesetz -GG- (vgl BVerfGE 45, 142, 170). Die getroffene Regelung entwertet zwar die bisherige Rechtsposition jedes Alhi-Empfängers, der in erweitertem Umfange die Möglichkeit der Herabsetzung seines Bemessungsentgelts hinnehmen muß. Verfassungswidrig wäre diese Rechtsfolge als Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art 20 GG nur, wenn sie in einen Vertrauenstatbestand eingriffe und die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für die Allgemeinheit das Interesse des einzelnen am Fortbestand des bisherigen Zustandes nicht überstiege (BVerfGE 22, 241, 252; 24, 220, 230; 30, 392, 402). Hier konnte ein entsprechendes Vertrauen des betroffenen Personenkreises dahin, daß die bisherige gesetzliche Regelung unverändert zugrundegelegt würde, noch nicht entstanden sein. Das wäre nur dann der Fall gewesen, wenn es sich um eine bereits seit langem bestehende und unverändert gebliebene Regelung handeln würde. Die Vorschriften über das Bemessungsentgelt, das bei längerer Arbeitslosigkeit der Alhi zugrundezulegen ist, sind jedoch wiederholt geändert worden. Die Bestimmung, daß für die Bemessung der Alhi ua das künftig erzielbare Entgelt maßgebend ist, ist erst durch das AFG geschaffen worden, das am 1. Juli 1969 in Kraft getreten ist. Maßgebend für die Leistungsbemessung war bis dahin gemäß § 148 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) grundsätzlich das erzielte Entgelt. Zwischenzeitlich ist die Streichung des Anspruchs auf Alhi für Schüler und Studenten, die bisher nicht in entlohnter Beschäftigung gestanden haben, durch § 134 Abs 1 Nr 4 AFG idF vom 18. Dezember 1975 ab 1. Januar 1976 erfolgt. Außerdem sah der § 136 Abs 3 AFG (in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 25. Juni 1969, BGBl I 582) vor, daß die Alhi alle drei Jahre neu festgesetzt werden sollte. Maßstab für die Neufestsetzung war das Arbeitsentgelt im Sinne des § 112 Abs 7 AFG; dies schloß eine Herabsetzung des Bemessungsentgelts nicht aus, mag in der Mehrzahl der Fälle auch ein höheres Bemessungsentgelt das Ergebnis der Neufestsetzung gewesen sein. Daneben, dh außerhalb dieser regelmäßigen Neufestsetzung, richtete sich die Alhi ebenfalls nach dem nach § 112 Abs 7 AFG zu bestimmenden Arbeitsentgelt, wenn der Arbeitslose aus Gründen, die in seiner Person oder in seinen Verhältnissen lagen, nicht mehr das der Bemessung zugrundeliegende Bemessungsentgelt erzielen konnte (§ 136 Abs 2 Satz 3 AFG in der ursprünglichen Fassung, seit dem EG-EStRG § 136 Abs 2 Satz 2 AFG). Blieb diese zur Herabsetzung des Bemessungsentgelts führende Vorschrift bis zum 4. AFG-ÄndG unverändert gültig, so wurde schon durch Art 1 Nr 7 des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AFG vom 19. Mai 1972 (BGBl I 791) die Dreijahresfrist in § 136 Abs 3 AFG auf ein Jahr verkürzt. Die Neufestsetzung der Alhi gemäß § 136 Abs 3 AFG entfiel gänzlich mit der Einfügung des § 112a AFG durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I 1881); denn durch § 36 Nr 16 dieses Gesetzes erhielt § 136 Abs 3 AFG die durch das EG-EStRG alsbald wesentlich geänderte Fassung "§ 112a gilt entsprechend". Die von der ab 1. Januar 1978 geltenden Regelung betroffenen Alhi-Empfänger konnten sich daher nicht darauf verlassen, daß es hinsichtlich der Bemessung ihrer Alhi bei der bisherigen Regelung verblieb. Es lag also insoweit keine Beeinträchtigung des Prinzips der Rechtssicherheit vor.

Die in Art 6 Nr 2 des 4. AFG-ÄndG getroffene Übergangsregelung für § 112 Abs 5 AFG, wonach es für Fälle, in denen der Anspruch auf Alg vor Inkrafttreten des ÄndG entstanden war, bei der bisherigen Regelung bleibt, führt dazu, daß auch die Anschluß-Alhi aufgrund der Regelung des § 136 Abs 2 Nr 1 AFG von der Verminderung des Bemessungsentgelts verschont bleibt. Hierin liegt zwar für die Bezieher der originären Alhi eine Ungleichbehandlung. Daraus läßt sich jedoch kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 GG herleiten. Die unterschiedliche Höhe der jeweiligen Alhi-Art ist eine Folge der unterschiedlichen Behandlung von Alg und (originären) Alhi-Ansprüchen. Diese beruht im wesentlichen darauf, daß dem Alg-Anspruch eine Beitragsleistung zugrunde liegt, die bei der originären Alhi zumindest in der für das Alg erforderlichen Zeitspanne nicht vorausgesetzt wird. Der sich aus der unterschiedlichen Behandlung dieser Ansprüche ergebende Unterschied erscheint insoweit noch systemimmanent.

Ob § 136 Abs 2 AFG in der neuen Fassung übergangslos, dh bereits ab 1. Januar 1978 in Kraft gesetzt werden durfte, brauchte der Senat nicht zu entscheiden. Da sich die Anwendung dieser Vorschrift zum Nachteil der Klägerin im Ergebnis erst nach einer Übergangszeit von einem halben Jahr auswirkte, kann darin nicht mehr ein unzumutbarer Eingriff in geschütztes Vertrauen erblickt werden. Zwar hat der Gesetzgeber bei der Aufhebung oder Modifizierung einmal geschaffener Rechtspositionen auch dann, wenn der Eingriff an sich zulässig ist, aufgrund des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine angemessene Übergangsregelung zu treffen. Für die Überleitung steht ihm jedoch ein Gestaltungsspielraum zur Verfügung. Dieser kann von der sofortigen übergangslosen Inkraftsetzung des neuen Rechts bis zum ungeschmälerten Fortbestand bisher begründeter, subjektiver Rechtspositionen reichen. Der Nachprüfung durch die Gerichte unterliegt insoweit nur, ob der Gesetzgeber bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe unter Berücksichtigung aller Umstände die Grenze des Zumutbaren überschritten hat (BVerfGE 43, 242, 288). Das kann hier nicht der Fall sein.

Zunächst ist zu berücksichtigen, daß der Alhi-Empfänger kein Recht innehat, das dem Schutz des Art 14 GG unterliegt. Sodann ist der Eingriff nicht so gravierend, daß die Gründe, die für eine alsbaldige Inkraftsetzung der Neuregelung sprechen, hiergegen zurücktreten müßten. Die Alhi wird hierdurch um knapp 20 vH herabgesetzt. Der Anspruch als solcher bleibt bestehen. Durch die Herabsetzung des Bemessungsentgelts sollten demgegenüber Hemmnisse für die Vermittlung beseitigt werden. Es lag daher im Interesse der Beseitigung von Arbeitslosigkeit und der Einsparung von öffentlichen Mitteln, die Neuregelung alsbald wirksam werden zu lassen, und zwar gerade auch für die Betroffenen, die bereits im Leistungsbezug standen. Unter diesen Umständen erscheint es schon nicht als unzumutbar, wenn der Gesetzgeber den Interessen der Allgemeinheit an einer sofortigen Geltung der neuen Vorschrift gegenüber den Interessen der Betroffenen an einer Übergangsregelung, die es ihnen ermöglicht, sich allmählich auf die Rechtslage einzustellen, den Vorrang eingeräumt hat. Jedenfalls fehlt es an einem Schutzbedürfnis, wenn sich die benachteiligende Neuregelung im Ergebnis - wie hier - erst nach einer Übergangszeit von einem halben Jahr auswirkte.

Hiernach ist auf die Revision der Beklagten entsprechend ihrem Antrag das Urteil des LSG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659242

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