Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewöhnlicher Aufenthalt in Israel

 

Leitsatz (amtlich)

Ein israelischer Staatsangehöriger behält seinen gewöhnlichen Aufenthalt iS von Art 3 Abs 1 SozSichAbk Israel in Israel auch während eines beruflich bedingten Auslandsaufenthalts, wenn er bei dessen Beginn die - auch später nicht aufgegebene - Absicht hatte, nach Erreichung des mit ihm verfolgten Zwecks wieder nach Israel zurückzukehren.

 

Leitsatz (redaktionell)

Nach der Gleichstellungsregelung des Art 3 Abs 1 SozSichAbk ISR sind israelische Staatsangehörige zur freiwilligen Versicherung nach § 10 AVG und zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG (bei Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen) berechtigt, wenn sie sich gewöhnlich in Israel aufhalten.

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; SozSichAbk ISR Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1973-12-17; AVG § 10; RVO § 1233

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 16.11.1982; Aktenzeichen L 12 An 38/82)

SG Berlin (Entscheidung vom 04.05.1982; Aktenzeichen S 10 An 1764/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger, ein in Israel lebender Verfolgter mit israelischer Staatsangehörigkeit, Beiträge zur Angestelltenversicherung nachentrichten darf. Er ist 1913 in in Deutschland geboren und hat wegen eines nach 1933 erlittenen Schadens in seiner Ausbildung eine Entschädigung nach § 116 des Bundesentschädigungsgesetzes erhalten. Er wäre deshalb nach § 10a Abs 2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) nachentrichtungsberechtigt, wenn er eine Versicherungszeit von mindestens 60 Monaten in der deutschen Rentenversicherung nachweisen könnte. Zur Erfüllung dieser Voraussetzung will er zunächst Beiträge nach Art 2 § 49a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) nachentrichten. Dazu sind nach dieser Vorschrift iVm § 10 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) grundsätzlich nur Deutsche oder Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland berechtigt. Gleichgestellt sind ihnen jedoch nach Art 3 Abs 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit (Deutsch-israelisches Sozialversicherungsabkommen -DISVA-) vom 17. Dezember 1973 (BGBl II 1975, 246) israelische Staatsangehörige, wenn sie sich in Israel "gewöhnlich aufhalten". Ob dies beim Kläger während der maßgebenden Zeit (Nachentrichtungsantrag im November 1975) der Fall war, ist unter den Beteiligten streitig. Der Kläger war damals israelischer Botschafter in Nepal, hatte aber in Jerusalem eine Wohnung, die er bis zu seiner Versetzung auf Auslandsposten (1971 Generalkonsul in Bombay, 1973 Botschafter in Vietnam, 1975 Botschafter in Nepal) und auch nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven diplomatischen Dienst im Jahre 1978 ständig bewohnte, im übrigen auch während des jährlichen Heimaturlaubs. Die Beklagte hat dies nicht für ausreichend gehalten, um deswegen einen gewöhnlichen Aufenthalt in Israel anzunehmen, und den Nachentrichtungsantrag des Klägers abgelehnt.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat der Klage stattgegeben, das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen; es hat - übereinstimmend mit der Beklagten - für das Jahr 1975 Nepal als Land des gewöhnlichen Aufenthalts angesehen, dort habe der Kläger längere Zeit ("ohne zeitliche Begrenzung") seinen Daseinsmittelpunkt gehabt. Ein gewöhnlicher Aufenthalt sowohl in Nepal wie auch in Israel habe allenfalls dann vorliegen können, wenn das tatsächliche Verweilen in beiden Ländern in etwa gleiches Gewicht gehabt hätte, was hier nicht zutreffe. Auch der diplomatische Status des Klägers und seine damit verbundene Immunität habe an dem gewöhnlichen Aufenthalt im Empfangsstaat Nepal nichts geändert. Der Kläger dürfe gegenüber anderen israelischen Staatsbürgern, die zB für eine Firma im Ausland tätig seien, nicht bevorzugt werden.

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Seiner Ansicht nach hat das LSG verkannt, daß sich Diplomaten - anders als Personen, die für ein privates Unternehmen im Ausland tätig sind - stets nur vorübergehend im Empfangsstaat aufhalten. In seinem Falle sei auch während der Auslandstätigkeit Jerusalem der Lebensmittelpunkt geblieben, dort sei er "zu Hause" gewesen.

Er beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Mai 1982 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Ansicht des LSG hatte er zur maßgeblichen Zeit - als er im November 1975 bei der Beklagten die Nachentrichtung von Beiträgen beantragte - seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Israel; er ist deshalb berechtigt, Beiträge zur deutschen Rentenversicherung nachzuentrichten.

Das DISVA, das am 1. Mai 1975 in Kraft getreten ist, hat israelische Staatsangehörige wie den Kläger bei der Anwendung des deutschen Sozialversicherungsrechts, mithin auch bei der Entrichtung von freiwilligen Rentenversicherungsbeiträgen nach § 10 AVG und der - hier streitigen - Nachentrichtung solcher Beiträge nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG, deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt, "wenn sie sich im Gebiet eines Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten" (Art 3 Abs 1). Es macht somit, wie zahlreiche andere von der Bundesrepublik mit fremden Staaten geschlossene Sozialversicherungsabkommen, die Gleichstellung allein von dem gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat abhängig. Dadurch unterscheidet es sich von innerstaatlichen deutschen Vorschriften, die neben dem gewöhnlichen Aufenthalt zugleich an den Wohnsitz anknüpfen (zB § 10 Abs 1 AVG). Diese Eigentümlichkeit des zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrechts hängt anscheinend damit zusammen, daß der Wohnsitzbegriff in den Rechtsordnungen der einzelnen Staaten einen verschiedenen Inhalt hat, der seine Eignung für zwischenstaatliche Regelungen stark einschränkt (darin hat auch der Bundesgerichtshof -BGH- in einem Urteil vom 5. Februar 1975, NJW 1975, 1068, den Grund für die Bevorzugung des Aufenthaltsbegriffs in neueren internationalen Abkommen gesehen; vgl dazu ferner Kegel, Internationales Privatrecht, 4. Aufl 1977, S 210 ff, und Heldrich in Palandt, BGB, 44. Aufl, § 29 EGBGB Anm 2).

Obwohl hiernach viel dafür spricht, daß die Vertragspartner des DISVA in Art 3 Abs 1 mit Absicht als Anknüpfungspunkt allein den gewöhnlichen Aufenthalt und nicht auch den Wohnsitz gewählt haben (die Materialien zum DISVA, soweit zugänglich, ergeben darüber allerdings nichts; vgl BT-Drucks 7/2783, Begründung zu Art 3), schließt dies nicht aus, Merkmale, die den Wohnsitzbegriff nach deutschem Recht kennzeichnen, zur Auslegung des Begriffs gewöhnlicher Aufenthalt in Art 3 Abs 1 DISVA heranzuziehen. Vielmehr erscheint es dem erkennenden Senat - da der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in Art 3 Abs 1 DISVA die gleiche Funktion erfüllt, die sonst in innerstaatlichen Vorschriften die Begriffe Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt erfüllen - zulässig und geboten, bei der Auslegung des Art 3 Abs 1 DISVA (soweit es danach für die Gleichstellung der beiderseitigen Staatsangehörigen auf den gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat ankommt), auf Kriterien zurückzugreifen, die für den Wohnsitzbegriff entwickelt worden sind. Das gilt vor allem für die Berücksichtigung von subjektiven Momenten, sofern sie sich objektiv belegen lassen.

Die Begriffe Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt werden im übrigen auch im innerstaatlichen Recht nicht einheitlich bestimmt. Es ergeben sich vielfältige Abweichungen, zB zwischen dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), dem Sozialgesetzbuch (SGB), der Abgabenordnung (A0) und dem Wehrpflichtrecht (vgl ua BSGE 27, 88 = SozR Nr 5 zu § 1319 RVO; BFH BStBl 1966 III S 522; BVerwGE 28, 193, 194; BGH JR 19, 84, 62; ferner Burdenski/von Maydell/ Schellhorn, SGB-AT, 2. Aufl, § 30 Anm 33 ff; Fichte, SozVers 83, 181, 183; §§ 8, 9 AO; Gagel, Kommentar zum AFG, § 130 RdNrn 19 ff). Es hängt dabei entscheidend von dem Zweck der einzelnen Regelung ab und von der Funktion, die die genannten Begriffe innerhalb der jeweiligen Regelung haben, nach welchen Kriterien insbesondere der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts zu bestimmen ist; das gleiche gilt für die Fragen, ob es etwa mehrere gewöhnliche Aufenthaltsorte geben kann (vgl dazu einerseits BSGE 27, 88, 89, andererseits BFH aa0), ob zwischen erstmaliger Begründung des Aufenthalts und der Beibehaltung eines Aufenthalts bei Auslandstätigkeit zu unterscheiden ist, ferner, ob es um einen Anspruch auf Leistungen, die Zuständigkeit einer Behörde oder - wie hier - die Einräumung einer an die Verfolgung anknüpfenden Befugnis geht.

Die Bedeutung, die hiernach dem Zweck und der Funktion der genannten Begriffe im Rahmen ihres jeweiligen Regelungszusammenhangs für die Auslegung zukommt, schließt es aus, ohne weiteres auf die zu anderen Rechtsvorschriften ergangene Rechtsprechung zurückzugreifen (und auch die vorliegende Entscheidung auf andere Abkommen oder innerstaatliche Rechtsvorschriften zu übertragen).

Das Bundessozialgericht hat sich zu Art 3 DISVA oder einer vergleichbaren Vorschrift des innerstaatlichen Sozialversicherungsrechts noch nicht geäußert. Im vorliegenden Fall geht es allein um die Auslegung des Art 3 DISVA und - da der Kläger vor seiner Versetzung auf einen Auslandsposten zweifelsfrei seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Israel hatte - nur um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein gewöhnlicher Aufenthalt, der in einem der Vertragsstaaten bereits begründet war, durch einen Auslandsaufenthalt beendet wird. Nicht zu entscheiden ist mithin hier darüber, welche Anforderungen an die erstmalige Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem Vertragsstaat zu stellen sind.

Zur Beendigung eines bestehenden gewöhnlichen Aufenthalts hat der BGH in dem schon genannten, zum internationalen Unterhaltsrecht ergangenen Urteil vom 5. Februar 1975 entschieden, daß durch eine zeitweilige Abwesenheit, auch von längerer Dauer, der gewöhnliche Aufenthalt normalerweise nicht aufgehoben wird, "sofern die Absicht besteht, an den früheren Aufenthaltsort zurückzukehren" (aaO S 1068, rechte Spalte unten; ebenso Kegel in Soergel, BGB Einführungsgesetz, 11. Aufl, Art 29 RdNr 39 Anm 2 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Der erkennende Senat hält die Weiterentwicklung dieses Gedankens im Bereich des DISVA für geboten. Der Sinn der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt liegt im Rahmen des DISVA darin, alle, andererseits aber auch nur diejenigen Personen zu erfassen, die eine gefestigte Beziehung zum Gebiet eines der Vertragsstaaten haben. Dazu zählen nicht nur Personen, die sich tatsächlich im wesentlichen dort aufhalten, sondern auch diejenigen, die nur im Ausland verweilen, um dort eine berufliche Tätigkeit für ihren inländischen Dienstherrn oder Arbeitgeber auszuüben, und die daher beabsichtigen, sobald diese Tätigkeit es erfordert oder zuläßt, wieder an ihren inländischen Aufenthaltsort zurückzukehren. Nur die Einbeziehung auch dieses Personenkreises gewährleistet in Fällen der vorliegenden Art (Beschäftigung von israelischen Diplomaten im Ausland) eine willkürfreie, gleichmäßige Rechtsanwendung, da nur so das Recht zur Nachentrichtung von dem - zufälligen - Umstand unabhängig gemacht wird, wo sich ein Angehöriger des israelischen diplomatischen Dienstes bei Ablauf der Antragsfrist für die Beitragsnachentrichtung (31. Dezember 1975) gerade aufgehalten hat, ob in der Zentrale in Israel oder auf einem Auslandsposten. Auch ein damals im Ausland befindlicher Bediensteter mußte jederzeit damit rechnen, wieder in die Heimat zurückberufen zu werden, und konnte deshalb in aller Regel bei Antritt der Auslandstätigkeit keine andere Absicht haben als die einer Rückkehr bei Beendigung seiner Mission, spätestens bei Eintritt in den Ruhestand. Er behielt deshalb trotz seiner Verwendung im Ausland seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Israel (vgl auch Heinrichs bei Palandt aaO, § 7 BGB, Anm 1, wonach Exterritoriale nach hM so behandelt werden, als wären sie im Heimatlande wohnen geblieben; Staudinger - Coing - Habermann, Komm zum BGB, 12. Aufl, Vorbem zu §§ 7 - 11, RdNr 17; aA Frank, DAngVers 1981, 108).

Unerheblich ist hiernach, wie lange sich der Bedienstete an dem genannten Stichtag schon im Ausland aufgehalten hatte, ob er neben einer Wohnung an seinem ausländischen Dienstort eine Wohnung in Israel beibehalten hatte, wie oft und für welche Zeiträume er in einer solchen Wohnung seinen Heimaturlaub zu verbringen pflegte und wie eng im übrigen seine Verbindungen zur Heimat trotz des Auslandsaufenthalts geblieben waren. Abgesehen davon, daß eine ausreichende Klärung aller dieser Umstände häufig schwierig wäre, würden auch insoweit nicht selten Zufälligkeiten über das Bestehen eines Nachentrichtungsrechts entscheiden, was nach Ansicht des Senats wegen der oft erheblichen Bedeutung dieses Rechtes, besonders für Verfolgte, unangemessen wäre.

Mit dieser Regelung werden auch - entgegen der Auffassung der Beklagten und des LSG - die Angehörigen des israelischen diplomatischen Dienstes nicht gegenüber sonstigen israelischen Staatsangehörigen bevorzugt. Auch diese behalten nämlich ihren gewöhnlichen Aufenthalt iS von Art 3 Abs 1 DISVA in Israel, wenn sie ihn bei Antritt eines Auslandsaufenthalts, insbesondere bei Entsendung auf eine ausländische Arbeitsstelle, bereits besaßen und in diesem Zeitpunkt die - auch später nicht aufgegebene - Absicht hatten, nach Erreichung des mit dem Auslandsaufenthalt verfolgten Zwecks wieder in die Heimat zurückzukehren.

Da die Revision des Klägers sich somit als begründet erweist, hat der Senat das angefochtene Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660660

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