Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattungsanspruch. Lohnfortzahlung. Rückforderung. ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit

 

Orientierungssatz

1. Weder aus § 5 LFZG noch aus sonstigen Vorschriften des LFZG ergibt sich ein Anhaltspunkt dafür, daß die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung über Arbeitsunfähigkeit zu den Voraussetzungen des Lohnfortzahlungsanspruchs gehört.

2. Die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit ist nicht Voraussetzung des Erstattungsanspruchs nach § 10 LFZG.

3. Läßt sich das Fehlen der Voraussetzungen für den Lohnfortzahlungsanspruch nicht nachweisen, ist der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gehindert, eine auf § 11 Abs 2 Nr 2 LFZG gestützte Rückforderung geltend zu machen.

 

Normenkette

LFZG §§ 3, 5 Nr. 1, § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 20.08.1980; Aktenzeichen L 8 Kr 1085/79)

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 01.06.1979; Aktenzeichen S 9 Kr 17/79)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte vom Kläger nach dem Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall (LFZG) geleistete Erstattungsbeträge in Höhe von 3.571,16 DM zurückfordern kann.

Der Kläger ist Inhaber eines Unternehmens für Kanalreinigung und Grubenentleerung. Seit dem 16. Februar 1977 beschäftigt er seinen Sohn P S (S) als Kraftfahrer. Die Beklagte stellte fest, daß der Kläger am Lohnausgleichsverfahren nach § 10 Abs 2 LFZG teilnehme. Der Kläger beantragte für S Erstattungen nach § 10 Abs 1 LFZG für Zeiten in den Jahren 1977 und 1978. Gegen die Forderung wurde mit den vom Kläger zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagebeträgen nach § 14 LFZG aufgerechnet. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen lagen der Beklagten nur für einen Teil der Zeiten vor. Die Beklagte führte wegen des Fehlens weiterer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und der häufig nur für einzelne Tage beantragten Erstattung am 1. Dezember 1978 und am 9. Januar 1979 beim Kläger Betriebsprüfungen durch. Da weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht vorgelegt werden konnten, belastete die Beklagte das Beitragskonto des Klägers durch Beitragsrechnung vom 9. Januar 1979 mit zu viel verrechneten Erstattungsbeträgen in Höhe von 3.571,16 DM und forderte einen Betrag in dieser Höhe vom Kläger zurück mit der Begründung, daß für die Zeiten ohne ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das Arbeitsentgelt nicht nach dem LFZG, sondern freiwillig fortgezahlt worden sei und deshalb ein Erstattungsanspruch nach § 10 LFZG nicht bestanden habe. Beträge von insgesamt 3.571,16 DM hat der Kläger im Mai und Juni 1979 an die Beklagte gezahlt.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger den bereits vereinnahmten Betrag von 3.571,16 DM wieder auszuzahlen und ab 1. Juli 1979 in Höhe von 1.785,58 DM und ab 1. August 1979 in Höhe von 3.571,16 DM mit 4 vH zu verzinsen. Das LSG hat ausgeführt: Die Beklagte habe keinen Anspruch auf Rückzahlung der Erstattungsbeträge. Die Erstattung für die streitigen Zeiträume stehe im Einklang mit dem Gesetz. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG hänge der Erstattungsanspruch des Klägers nicht davon ab, daß ihm die Arbeitsunfähigkeit durch ärztliche Bescheinigung nach § 3 Abs 1 LFZG nachgewiesen wurde. Auch ein Verzicht des Arbeitgebers auf die Bescheinigung habe keine Auswirkungen auf den Erstattungsanspruch. Soweit die Beklagte die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des S in Frage stellen wollte, fehle es an einem entsprechenden Tatsachenvortrag, aus dem sich begründete Zweifel ergeben könnten. Dem Kläger könne nicht nach § 11 Abs 2 Nr 2 LFZG vorgehalten werden, daß Ansprüche des S nach § 1 Abs 1 LFZG nicht bestanden hätten. Den trotz aufschiebender Wirkung des Widerspruchs und der Klage vereinnahmten Rückforderungsbetrag habe die Beklagte deshalb wieder auszuzahlen.

Die Beklagte hat Revision eingelegt und macht geltend, das Urteil des LSG beruhe auf einer Verletzung der §§ 3, 10 und 11 LFZG. In dem Rechtsstreit gehe es um ihren Anspruch auf Rückforderung von 3.571,16 DM, die sie gezahlt habe. Die Vorschrift des § 3 LFZG spiele auch in das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Krankenkasse hinein in der Weise, daß die Kasse nur solche Aufwendungen zu erstatten habe, die auf der Grundlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gemacht worden seien. Einen Hinweis darauf, daß der Lohnfortzahlung im vorliegenden Fall keine Krankheit zugrundegelegen habe, besitze sie nicht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts

vom 20. August 1980 aufzuheben und die Berufung

des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts

Frankfurt am Main vom 1. Juni 1979 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig aber nicht begründet. Mit Recht hat das LSG das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide aufgehoben sowie die Beklagte zur Rückzahlung des vereinnahmten Betrages von 3.571,16 DM verurteilt.

Die Anfechtungsklage muß Erfolg haben, denn die Bescheide, mit denen die Beklagte zuviel verrechnete Erstattungsbeträge in Höhe von 3.571,16 DM zurückgefordert hat, sind nicht rechtmäßig.

Bei den angefochtenen Verwaltungsakten handelt es sich um Rückforderungsbescheide, dh die Beklagte fordert damit von ihr gewährte Leistungen zurück. Sie hat dem Kläger Leistungen in Höhe von 3.571,16 DM gewährt, und zwar durch einen Aufrechnungsvertrag. Die vom Kläger erklärte Aufrechnung der Beitrags- und Umlageforderungen mit der Erstattungsforderung hat die Beklagte akzeptiert. Dies ergibt sich aus den angefochtenen Bescheiden und daraus, daß sie die Verrechnung mit den Beitrags- und Umlageforderungen unbeanstandet hingenommen hat. In den Bescheiden hat die Beklagte den Betrag von 3.571,16 DM ausdrücklich als Rückforderung von Erstattungen geltend gemacht. Damit geht sie gleichzeitig davon aus, daß sie dem Kläger Erstattungen in dieser Höhe geleistet hat. Sie sieht ihre Beitrags- und Umlageforderung in der Höhe der vom Kläger berechneten Erstattungsbeträge als durch Aufrechnung erfüllt an. Deshalb geht das LSG mit Recht davon aus, daß es sich um eine Rückforderung handelt und als Anspruchsgrundlage allein § 11 Abs 2 Nr 2 LFZG in Betracht kommt. Nach dieser Vorschrift hat der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung Erstattungsbeträge vom Arbeitgeber insbesondere zurückzufordern, wenn dieser sie gefordert hat, obwohl er wußte oder wissen mußte, daß ein Anspruch nach § 1 oder nach § 7 nicht bestehe.

Die Voraussetzungen für die Rückforderung der 3.571,16 DM sind nicht erfüllt. Allgemein ist eine Rückforderung nur gerechtfertigt, wenn die Leistung zu Unrecht erbracht wurde. Dies gilt insbesondere auch für den Fall des § 11 Abs 2 LFZG, wie sich aus Satz 1 Nr 1 der Vorschrift ergibt (BSG Urteil vom 16. Dezember 1980 - 3 RK 18/78 SozR 7860 § 10 LFZG Nr 2). Nach den Feststellungen des LSG läßt sich nicht nachweisen, daß der Kläger für die fraglichen Zeiten keinen Erstattungsanspruch gehabt hat.

Den am Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen teilnehmenden Arbeitgebern steht nach § 10 Abs 1 LFZG ein Anspruch auf Erstattung von 80 vH des für den in § 1 Abs 1 bezeichneten Zeitraum an Arbeiter fortgezahlten Arbeitsentgelt zu. Am Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen hat der Kläger im fraglichen Zeitraum unstreitig teilgenommen. S war bei ihm als Arbeiter beschäftigt. Indessen läßt sich nicht feststellen, daß die fraglichen Zahlungen des Klägers an S kein fortgezahltes Arbeitsentgelt nach § 1 Abs 1 LFZG waren.

Der Anspruch des Arbeiters auf Lohnfortzahlung nach § 1 Abs 1 LFZG setzt voraus, daß er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit keine Voraussetzung des Lohnfortzahlungsanspruchs. Insbesondere enthält § 1 Abs 1 LFZG keine Regelung wie § 183 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO), nach der Krankengeld von dem Tage an zu gewähren ist, an dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Das LFZG verpflichtet in § 3 Abs 1 Satz 1 den Arbeiter, eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. An die Nichtvorlage knüpft es aber lediglich die Rechtsfolge, daß der Arbeitgeber berechtigt ist, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern (§ 5 Nr 1 LFZG). Der Arbeitgeber bekommt damit nur ein Leistungsverweigerungsrecht, das er geltend machen kann aber nicht muß. Solange er von dem Recht keinen Gebrauch macht, hat er die Lohnfortzahlung zu gewähren. Außerdem entsteht das Leistungsverweigerungsrecht nicht, wenn der Arbeiter die Verletzung der Pflicht zur Vorlage der ärztlichen Bescheinigung nicht zu vertreten hat (§ 5 Satz 2 LFZG). Wenn der Arbeitgeber trotz des bestehenden Leistungsverweigerungsrechts den Lohn fortzahlt, handelt es sich deshalb nicht etwa um eine freiwillige Leistung. Auch aus sonstigen Vorschriften des LFZG ergibt sich keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit zu den Voraussetzungen des Lohnfortzahlungsanspruchs gehört.

Mit Recht hat das LSG ferner dargelegt, daß die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit nicht Voraussetzung des Erstattungsanspruchs nach § 10 LFZG ist (so auch Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft 6. Aufl § 10 Anm III 1 zu b; Kehrmann/Pelikan Komm zum Lohnfortzahlungsgesetz 2. Aufl § 10 Anm 9; Doetsch/Schnabel/Paulsdorff Komm zum Lohnfortzahlungsgesetz 5. Aufl § 10 Anm 8; Töns Die wirtschaftliche Sicherung der Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit Stand August 1970 § 3 Anm C V). Die Vorschrift des § 10 LFZG verweist auf § 1 Abs 1 und 2 sowie auf § 7, aber gerade nicht auf § 3 LFZG. Aus dem Zweck der §§ 10 ff LFZG ergibt sich auch keine Verpflichtung des Arbeitgebers, die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Interesse des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung zu verlangen. Mit Recht hat das LSG darauf hingewiesen, daß ein unmittelbares Eigeninteresse der Krankenkasse an der Kontrolle der Arbeitsunfähigkeit während der Dauer der Lohnfortzahlung nicht besteht. Die Mittel zur Durchführung des Ausgleichsverfahrens werden von den Arbeitgebern selbst aufgebracht (§ 14 LFZG). Darüber hinaus werden den am Ausgleichsverfahren beteiligten Arbeitgebern nur 80 vH ihrer Aufwendungen für die Lohnfortzahlung erstattet. Die für den einzelnen Arbeitgeber verbleibende 20prozentige Beteiligung hat der Gesetzgeber als ausreichend dafür angesehen, daß der Arbeitgeber keine unberechtigten Ansprüche der Arbeiter erfüllt (Schmatz/Fischwasser aaO). Damit ist freilich nicht ausgeschlossen, daß die Krankenkasse bei gegebenem Anlaß vom Arbeitgeber verlangt, daß er die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers belegt, was regelmäßig durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfolgen kann.

Eine bewußte Manipulation des Klägers zum Nachteil der Beklagten, die dem Erstattungsanspruch entgegenstehen könnte, hat diese nicht behauptet.

Aus allen diesen Gründen ist der Erstattungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte nicht von der Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit des S abhängig. Die Vorlage der Bescheinigung ist keine Voraussetzung des Erstattungsanspruchs. Indessen kann der angefochtene Rückforderungsbescheid nur rechtmäßig sein, wenn mindestens eine Voraussetzung des Erstattungsanspruchs nicht vorgelegen hat. Da die Vorlage der Bescheinigung keine solche Voraussetzung ist, kommt nur unmittelbar das Bestehen des Lohnfortzahlungsanspruchs als hier zweifelhafte Grundlage des Erstattungsanspruchs in Betracht. Wie aber das LSG dargelegt hat, kann dem Kläger nicht vorgehalten werden, daß Ansprüche des S nach § 1 Abs 1 LFZG nicht bestanden haben. Die darin enthaltene tatsächliche (negative) Feststellung des LSG ist gem § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für den Senat bindend. Danach läßt sich das Fehlen der Voraussetzungen für den Lohnfortzahlungsanspruch des S jedenfalls nicht nachweisen. Zum Rückforderungsanspruch gehört aber die Feststellung, daß die Anspruchsvoraussetzungen (hier des Erstattungsanspruchs) nicht vorgelegen haben. Das Fehlen des Nachweises dieser Voraussetzung des Rückforderungsanspruchs geht zu Lasten der Beklagten, die den Anspruch geltend macht. Anders wäre die prozessuale Lage, wenn der Kläger den Erstattungsanspruch geltend machen würde. Dann würde es zu seinen Lasten gehen, wenn die Voraussetzungen dieses Anspruchs nicht nachgewiesen werden könnten.

Auch das Leistungsbegehren des Klägers ist gerechtfertigt. Das LSG hat die Beklagte zutreffend verurteilt, den vereinnahmten Betrag von 3.571,16 DM wieder an den Kläger auszuzahlen und mit 4 vH zu verzinsen. Für diese Leistung des Klägers hat es an einer Rechtsgrundlage gefehlt. Sie ist aufgrund der Bescheide gezahlt worden, die rechtswidrig und deshalb aufgehoben sind.

Die Revision ist aus allen diesen Gründen mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

RegNr, 9233

KVRS, A-1565/3 (ST1-3)

USK, 81143 (ST1-3)

SozSich 1981, 379 (SP1-3)

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