Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständigkeit der Krankenkasse in Versorgungssachen. Auftragsverwaltung

 

Leitsatz (amtlich)

Über die Heil- und Krankenbehandlung, welche die Krankenkassen durchzuführen haben (§ 18c Abs 2 BVG), entscheiden ausschließlich sie in eigener Zuständigkeit, es sei denn, daß über Grundelemente des Versorgungsanspruchs zu befinden ist.

 

Orientierungssatz

1. KOVVfG § 1 iVm KOVVfG § 22 regelt die funktionelle Zuständigkeit zum Erlaß von Bescheiden in der Kriegsopferversorgung. Die Versorgungsverwaltung kann danach Bescheide nur erteilen, wenn sie die in Frage kommende Leistung zu gewähren, dh unmittelbar zur Verfügung zu stellen hat. Das Verfahrensgesetz gilt nicht, wenn der Krankenkasse nach BVG § 18c Abs 2, also von Gesetzes wegen unmittelbar Funktionen übertragen sind (vgl BSG vom 1970-12-15 10 RV 789/68 = BSGE 32, 150; BSG vom 1977-10-06 9 RV 24/76 = SozR 3100 § 19 Nr 5; BSG vom 1978-10-25 9 RV 60/77 = SozR 3100 § 20 Nr 1; BGH vom 1973-03-27 VI ZR 5/72 = NJW 1973, 1124).

2. Der Wortlaut des BVG § 18c Abs 2 kann nicht in dem Sinne interpretiert werden, daß die Krankenkassen nur ermächtigt seien, Leistungen zu erbringen, jedoch nicht durch Bescheid eine Ablehnung auszusprechen.

3. Zur Auslegung des Ausdruckes "durchführen" in BVG § 18c Abs 2.

4. Die Versorgungsverwaltung ist nicht zuständig, auch ablehnende Bescheide zu erteilen, wenn es darauf ankommt, ob die begehrte Leistung eine Arznei darstellt und imstande ist, die Schädigungsfolgen zu erleichtern.

 

Normenkette

KOVVfG § 1 Fassung: 1960-06-27, § 22 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1975-06-09; BVG § 18c Abs. 2 S. 1 Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 10.08.1978; Aktenzeichen L 11 V 126/77)

SG Münster (Entscheidung vom 24.06.1977; Aktenzeichen S 6 V 194/74)

 

Tatbestand

Der Versorgungsberechtigte hat sich dagegen gewandt, daß der beklagte Versorgungsträger es abgelehnt hat, die Kosten für das von seiner Hausarzt verordnete Fachinger-Wasser zu übernehmen.

Der behandelnde Arzt hatte gemeint, es sei notwendig, daß der Beschädigte wegen dekompensierter Leberzirrhose seinen Wasserhaushalt ständig auffülle. Dazu eigne sich besonders die Einnahme des genannten Wassers. Das Leberleiden, eine chronische Pyelonephritis, sowie eine Endangiitis obliterans mit Verlust beider Beine im Oberschenkel und ein verheilter Stauchungsbruch des vierten Lendenwirbelkörpers sind als Schädigungsfolgen iS des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) anerkannt. Der Beschädigte erhielt Versorgung wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 vH und Pflegezulage der Stufe II.

So wie die Versorgungsverwaltung hatte vorher auch die Bundesknappschaft, bei welcher der Beschädigte krankenversichert war, die gewünschte Leistung abgelehnt. Nach Ansicht der genannten Verwaltungen kommt dem bezeichneten Wasser keine spezifische therapeutische Bedeutung zu. Der täglicher Wasserhaushalt des Beschädigten könne mit anderen Getränken reguliert werden.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Diese Bescheide seien - so das LSG - rechtswidrig, weil die Versorgungsverwaltung für die Erteilung dieser Verwaltungsakte funktionell nicht zuständig gewesen sei. Nach § 18c Abs 2 BVG hätte die Krankenkasse nicht nur die entsprechenden Leistungen zu gewähren, sondern als beauftragte Verwaltung auch die notwendig werdenden Entscheidungen zu treffen und bekanntzugeben. Die Ansicht des Bundessozialgerichts -BSG- (BSGE 32, 150), daß im Zusammenhang mit § 18c Abs 2 BVG die Versorgungsverwaltung beim Auftreten von Schwierigkeiten selbst tätig zu werden habe, findet keine Stütze im Gesetz und sei nicht mit dem Begriff "Auftragsverwaltung" vereinbar. Das Verbum "durchführen" in § 18c Abs 2 BVG begründe die Gesamtzuständigkeit der Krankenkassen. Die Kompetenz der Krankenkassen zur Erteilung ablehnender Bescheide sei zweckmäßig, weil so Doppelzuständigkeiten vermieden würden. Sonst hätte zunächst die Krankenkasse ihre Leistungspflicht nach dem Recht der Krankenversicherung zu verneinen, und alsdann müsse auch noch der Träger der Kriegsopferversorgung über den Anspruch befinden. Gegen beide Bescheide sei dann der Rechtsweg gesondert zu beschreiten. Dafür seien unterschiedliche Gerichtszuständigkeiten zu beachten.

Der Beklagte hat Revision eingelegt. Er hält eine andere Interpretation des § 18c Abs 2 BVG für richtig. Da die Versorgungsverwaltung die Leistung schulde, müsse sie auch die Angelegenheit regeln können. Nach allgemeinem Verwaltungsrecht könne die Fachaufsichtsbehörde im Rahmen der Auftragsverwaltung Anordnungen treffen und Verwaltungsakte des ausführenden Verwaltungsträgers aufheben. Deshalb müsse der Versorgungsverwaltung das Recht zustehen, in dem den Krankenkassen zugewiesenen Aufgabenbereich ablehnende Bescheide zu erteilen, zumal sie nach § 18c Abs 3 Satz 1 BVG sogar die Heil- und Krankenbehandlung anstelle der Krankenkasse selbst durchführen könne. Der Beklagte hat beantragt,

unter Abänderung des Berufungsurteils

die Berufung gegen das erstinstanzliche

Urteil zurückzuweisen.

Die zum Rechtsstreit beigeladene Bundesrepublik Deutschland trägt vor, das Auftragsverhältnis nach § 18c Abs 2 BVG sei mit dem Auftrag des bürgerlichen Rechts zu vergleichen. Die Krankenkassen hätten ähnlich wie die Versehrtensportgemeinschaften eine sachgerechte und wirtschaftliche Betreuung der Beschädigten zu ermöglichen und sicherzustellen (vgl § 11a BVG). Die Krankenkassen leisteten lediglich "Erfüllungshilfe". Ihnen komme damit bloß ein tatsächlicher Anteil an der eigentlichen Aufgabe der Versorgungsverwaltung zu. Diese Ansicht über die eingeschränkte Kompetenz der Krankenkassen finde in § 24 des Sozialgesetzbuchs (SGB 1) eine Stütze. Nach dieser Vorschrift wirkten die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Durchführung der Heil- und Krankenbehandlung im sozialen Entschädigungsrecht lediglich mit. Die Erstattungsregelung des § 19 BVG wäre illusorisch, wenn die Krankenkassen bindende Entscheidungen über Fragen der Kausalität treffen dürften. Sie könnten dann über die Voraussetzungen ihres Ersatzanspruchs zu Lasten der Versorgungsverwaltung selbst entscheiden.

Der Versorgungsberechtigte hat beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten hat Erfolg, wenn auch die dem Rechtsmittel zugrundeliegende Rechtsauffassung nicht geteilt werden kann.

Richtig ist, daß die Versorgungsverwaltung nicht befugt war, die ablehnenden Bescheide wegen der Übernahme der Kosten für Fachinger Wasser zu erlassen. Gem § 22 Abs 1 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) ergehen abschließende Mitteilungen der Verwaltungsbehörden in Versorgungssachen durch schriftlichen Bescheid. Das Gesetz findet nach § 1 KOVVfG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes (NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) Anwendung bei der Ausführung des BVG und anderer Gesetze, die dieses Gesetz für anwendbar erklären, soweit die Leistungen von den im Gesetz über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung vom 12. März 1951 (BGBl I 169), zuletzt geändert durch das Vierte Gesetz zur Anpassung der Leistungen des BVG vom 24. Juli 1972 (BGBl I 1284), genannten Behörden und Stellen gewährt werden. Die Versorgung der Kriegsopfer wird von Versorgungsämtern und Landesversorgungsämtern durchgeführt (§ 1 Abs 1 des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung).

Die Versorgungsverwaltung kann danach Bescheide nur erteilen, wenn sie die in Frage kommende Leistung zu gewähren, dh unmittelbar zur Verfügung zu stellen hat. Das Verfahrensgesetz gilt also nicht, wenn der Krankenkasse, wie hier nach § 18c Abs 2 BVG, also von Gesetzes wegen unmittelbar Funktionen übertragen sind (BSGE 32, 150, 151; SozR 3100 § 19 Nr 5, S 10, 12; § 20 Nr 1, S 2; BGH NJW 1973, 1124; 1125). Die Bundesknappschaft hat als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn der Anspruch des Beschädigten gerechtfertigt sein sollte, diesen mit dem Arzneimittel zu versorgen (§ 18c Abs 2, § 11 Abs 1 Nr 2 BVG). Der Wortlaut "soweit die Leistungen gewährt werden" in § 1 KOVVfG bedeutet nicht, daß das Gesetz nur Anwendung findet, wenn die Verwaltung etwas bewilligt. Das Verbum "gewähren" ist vielmehr in dem Sinne zu verstehen, daß die Versorgungsverwaltung für die in Frage kommende Leistung zuständig sein muß. Andernfalls könnte sie einen - ablehnenden - Bescheid dem Beschädigten gegenüber nicht erlassen. Nach dem Sinn des § 1 KOVVfG findet das Verfahrensgesetz keine Anwendung auf die von anderen Behörden und Dienststellen zu erbringenden Leistungen. Dies sollte ausdrücklich mit der Neufassung des § 1 KOVVfG durch das Erste NOG klargestellt werden (BT-Drucks 3/1239, S 35 zu Art II zu Nr 1 und 2). § 1 KOVVfG iVm § 22 KOVVfG regelt die funktionelle Zuständigkeit zum Erlaß von Bescheiden in der Kriegsopferversorgung. Der Hinweis des Beklagten auf § 2 Satz 1 KOVVfG als Argument dafür, daß die Versorgungsverwaltung ablehnende Bescheide erteilen müsse, ist unbeachtlich. Denn diese Bestimmung betrifft lediglich die sachliche Zuständigkeit in der Versorgungsverwaltung, bezieht sich aber nicht auf die Abgrenzung der Kompetenz zu anderen Behörden, Dienststellen und Leistungsträgern.

Diese Gesetzesauslegung drängt sich bei einer Betrachtung der Gesetzesgeschichte auf. Nach § 8 Abs 5 Reichsversorgungsgesetz (RVG) idF vom 1. April 1939 (RGBl I 663) und § 37 Abs 3 Satz 2 des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen idF vom 2. November 1934 (RGBl I 1113) waren Streitigkeiten über die von den Krankenkassen zu gewährenden Leistungen in dem in der Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Krankenversicherung vorgeschriebenen Spruchverfahren zu entscheiden. Davon waren lediglich ausgenommen Entscheidungen, die dem pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltung vorbehalten waren. Die Spruchbehörden der Krankenkassen hatten nach Ansicht des Reichsversicherungsamts (RVA) sogar selbständig zu prüfen, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Arbeitsunfähigkeit des Beschädigten und einer als Folge einer Dienstbeschädigung anerkannten Krankheit bestand (AN 1930, 320). Zu Beginn des letzten Krieges wurde der § 8 Abs 5 RVG dahin geändert, daß bei Streitigkeiten über Heilbehandlung, Kranken- und Hausgeld das Hauptversorgungsamt endgültig zu entscheiden habe (§ 4 der Verordnung über das Versorgungswesen vom 2. September 1939 - RGBl I 1686). Nach dem Kriege wurde mit § 14 BVG idF vom 20. Dezember 1950 (BGBl I 791) die Zuständigkeit der Krankenkassen (§ 8 RVG) im wesentlichen wiederhergestellt. Abs 5 des § 8 RVG, der in der Kriegszeit die Zuständigkeit des Hauptversorgungsamtes begründet hatte, fiel ersatzlos weg. Daraus darf geschlossen werden, daß der Gesetzgeber die Regelung der grundsätzlichen Zuständigkeit der Versorgungsverwaltung in Streitfällen nicht beibehalten wollte. Diese Absicht des Gesetzgebers bestätigt sich aus der Fassung des § 1 KOVVfG vom 2. Mai 1955 (BGBl I 202). Diese Bestimmung lautete: "1. Für die Durchführung des BVG sind die im Gesetz über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung vom 12. März 1951 bezeichneten Verwaltungsbehörden zuständig. 2. Die nach dem BVG begründete Zuständigkeit der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt unberührt. 3. Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf das Verwaltungsverfahren zur Durchführung der §§ 25 bis 27 BVG". Danach - namentlich nach dem vorerwähnten Abs 2 - sollten die Krankenkassen selbständig die ihnen übertragenen Aufgaben erledigen.

An dieser Kompetenzverteilung ist in der weiteren Gesetzesentwicklung festgehalten worden. Die jüngere Gesetzesfassung des § 1 KOVVfG unterscheidet sich von dem älteren Gesetzestext nur darin, daß jetzt allein der Verantwortungsbereich der Versorgungsverwaltung beschrieben wird. Die Befugnis der Krankenkassen bleibt stillschweigend vorausgesetzt.

Der Wortlaut des § 18c Abs 2 BVG kann nicht in dem Sinne interpretiert werden, daß die Krankenkassen nur ermächtigt seien, Leistungen zu erbringen, jedoch nicht durch Bescheid eine Ablehnung auszusprechen. Etwas anderes folgt namentlich nicht aus dem in § 18c Abs 2 BVG verwendeten Ausdruck "durchführen". "Durchführen" heißt, die gesetzlichen Bestimmungen "verwirklichen und ausführen" (Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1972, Spalte 960; Duden, Bedeutungswörterbuch, 1970, 180). Dieser Begriff ist mit dem Ersten NOG in § 14 Abs 2 BVG aF zur "Klarstellung" eingeführt worden. Es sollte verdeutlicht werden, daß die Krankenkassen Heil- und Krankenbehandlung nach dem BVG nicht als eigene Leistungen "gewähren", sondern für die Versorgungsbehörden "durchführen" (BT-Drucks 3/1239, S 24 zu § 14 Abs 3; vgl auch BSGE 43, 227, 229 mwN). Das Verbum "gewähren" in § 14 Abs 2 BVG wurde allerdings schon in der Fassung des BVG von 1950 gebraucht. Dazu verlautete in den Gesetzesmaterialien, daß die Krankenkassen der Reichsversicherung die im Gesetz vorgeschriebene Heilbehandlung nach ihren Vorschriften durchführten (BT-Drucks 1/1333, S 52 zu § 14).

Ein Anhalt dafür, wie die Klausel "durchführen" von Vorschriften des BVG zu deuten ist, kann der sprachlichen Wendung "Ausführung von Gesetzen" im Grundgesetz (GG) entnommen werden. Darunter wird die Einrichtung von Behörden in organisatorischer und personeller Hinsicht, die Bestimmung des Verwaltungsverfahrens und die Vornahme von Verwaltungshandlungen, insbesondere von Verwaltungsakten, zur Realisierung des in den Gesetzen niedergelegten gesetzgeberischen Willens verstanden (Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum GG, Stand August 1979, Art 83 Rdnr 2). Die Aufgabenzuweisung in § 18c Abs 2 BVG an die gesetzlichen Krankenkassen unterscheidet sich nicht maßgeblich von dem letzterwähnten Gedanken. Die Krankenkassen müssen naturgemäß bei der Erledigung der ihnen vom Gesetz übertragenen Aufgaben über Voraussetzungen und Umfang der Heilbehandlung entscheiden. Damit ist ihnen selbstverständlich nicht auch die Befugnis verliehen, über die Grundelemente des Versorgungsanspruchs - wie Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen - zu befinden. Soweit sie aber zu handeln haben, werden sie anstelle der Versorgungsverwaltung tätig und erledigen den ihnen übertragenen Wirkungsbereich der Kriegsopferversorgung selbständig (BSG SozR 3100 § 18a Nr 2, S 7 f; § 19 Nr 5, S 12; Nr 6, S 14; BGH NJW 1973, 1124, 1125). Ihre Verantwortlichkeit folgt unmittelbar aus dem Gesetz (BSG SozR 3100 § 19 Nr 5, S 12). Falls die Entscheidung zuungunsten des Antragstellers ausfällt, haben sie ihm auf Antrag einen Bescheid zu erteilen, um die gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen (§ 1545 Abs 1 Nr 2, § 1551 RVO). Daß hingegen in diesen Fällen die Versorgungsverwaltung zuständig werden soll, kann § 18c BVG nicht entnommen werden. "Durchführen" in § 18c Abs 2 BVG umfaßt sowohl die Bewilligung als auch die Ablehnung der begehrten Leistung.

Die umfassende Zuständigkeit der Krankenkassen ist gerechtfertigt, um die Versorgungsverwaltung durch die Übertragung von Aufgaben nach § 18c Abs 2 BVG auf die Krankenkassen zu entlasten, die diese aufgrund ihrer Aufgabenstellung und Erfahrung ohne weiteres erfüllen können. Dieser Gesetzeszweck kam schon in der Begründung zu § 8 Abs 3 RVG vom 12. Mai 1920 (RGBl I 989), der § 18c Abs 2 BVG im wesentlichen entspricht, zum Ausdruck. Danach sollte die Heilbehandlung grundsätzlich durch die Krankenkassen durchgeführt werden, auch wenn der Beschädigte nicht schon aufgrund der RVO gegenüber der Krankenkasse Anspruch auf Heilbehandlung hatte (Drucks der deutschen Nationalversammlung 1920 Nr 2663, Begr S 30 zu § 8). Es sei - so hieß es - im Interesse einer einheitlichen und gleichmäßigen Durchführung des Heilverfahrens geboten, für die nicht versicherten Beschädigten nicht gesonderte Einrichtungen zu schaffen, sondern auch für sie die Krankenkassen heranzuziehen. Die Beschädigten sollten die gleichen Möglichkeiten des Heilverfahrens haben und den gleichen Kontrollorganen wie die Mitglieder der Krankenkassen unterstehen. Deshalb sollten für sie auch die Krankenordnung und die Strafbestimmungen der Kasse maßgebend sein (so auch § 18c Abs 2 Satz 3 BVG). Diese klare Aufgabenverteilung sieht auch § 18c Abs 1 und 2 BVG vor. Dem Ziel einer sachdienlichen und zügigen Abwicklung der Heilbehandlungsmaßnahmen würde es zuwiderlaufen, wenn sich gerade in strittigen Fragen der Notwendigkeit, der Art, des Umfangs oder der Dauer von bestimmten Leistungen erst noch die Versorgungsverwaltung der Sache annehmen und einen Bescheid erteilen müßte. Dies wäre nicht sinnvoll, weil sie sich nach entstandenem Streit umfassend in die Angelegenheit einarbeiten müßte. Damit würde unnötig ein hoher Verwaltungsaufwand erforderlich.

Rechtsdogmatische Überlegungen stehen der hier vertretenen Lösung nicht entgegen. Ob im Rahmen einer - echten - Auftragsverwaltung eine Behörde, für die eine andere tätig wird, in der Regel der beauftragten Behörde Weisungen geben oder ihr gar die zugewiesenen Aufgaben entziehen und an sich nehmen darf, kann dahinstehen (vgl Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd I, 10. Aufl, 1973, 232, 570 ff; Wolff, Verwaltungsrecht I, 8. Aufl, 1971, § 4 I, c, 2, S 28 f). Diese Frage hat für das Verhältnis der Versorgungsverwaltung zu den Krankenkassen das Gesetz, und zwar durch §§ 1 KOVVfG, 18c BVG, beantwortet. Soweit gesetzliche Bestimmungen über die Möglichkeiten der Einflußnahme durch die entlastete Behörde bestehen, sind die allgemeinen Grundsätze in der Auftragsverwaltung unbeachtlich. Nur ausnahmsweise kann die Versorgungsverwaltung unter den Voraussetzungen des § 18c Abs 3 BVG auf Heilbehandlungsmaßnahmen, die in die Zuständigkeit der Krankenkassen gehören, Einfluß nehmen.

§ 18c Abs 3 Satz 1 BVG stimmt in seinem Inhalt mit § 8 Abs 7 RVG und § 14 Abs 7 idF vom 20. Dezember 1950 überein. Nach der Erläuterung zu § 14 Abs 7 BVG aF bedeutet die Befugnis zugunsten der Versorgungsverwaltung, Heilbehandlungsmaßnahmen selbst zu übernehmen, insofern keine ins Gewicht fallende Einschränkung der den Krankenkassen obliegenden Behandlung, als diese Ausnahme nur für bestimmte Krankheitsarten und Behandlungsweisen gelten sollte (BT-Drucks 1/1333, S 52 zu § 14; vgl auch VV Nr 6 zu § 18c BVG). Die Versorgungsverwaltung sollte nur in einzelnen Sonderfällen von dieser Ermächtigung Gebrauch machen, zB wenn bestimmte Arten von Verwundungen Heilbehandlungen erforderlich machen, die über die Leistungen der Krankenkassen hinausgehen oder die dem Aufgabenkreis der Krankenkassen fernstehen (Drucks der deutschen Nationalversammlung 1920 Nr 2663, Begr zu § 8, S 31). Nach § 18c Abs 3 Satz 2, wie er mit dem Dritten NOG vom 28. Dezember 1966 (BGBl I 750) in das Gesetz eingefügt worden ist, sollen die Krankenkassen der Versorgungsbehörde Fälle mitteilen, in denen die Durchführung der Heil- und Krankenbehandlung durch die Verwaltungsbehörde angezeigt erscheint. Nach Satz 3 können in besonderen Fällen bei der stationären Behandlung eines Beschädigten auch die Kosten für Leistungen übernommen werden, die über die allgemeinen Krankenhausleistungen hinausgehen, wenn es nach den Umständen, insbesondere im Hinblick auf die anerkannten Schädigungsfolgen, erforderlich erscheint. Hiermit soll eine intensivere Heil- und Krankenbehandlung ermöglicht werden (BT-Drucks 5/1012, S 25 zu Nr 14 - § 18c Abs 3 -). Die Vorschrift des § 18c Abs 3 BVG vergegenwärtigt, daß die Versorgungsverwaltung nach dem Willen des Gesetzgebers nur ausnahmsweise, aus spezifischen Versorgungsaspekten in der Heilbehandlung tätig werden soll.

Die Verwaltungsvorschriften zu § 18c BVG widerstreiten der hier vertretenen Auffassung nicht. Sie treffen keine Anordnung in dem Sinne, daß die Versorgungsverwaltung die ablehnenden Bescheide über die Bewilligung von Arzneimitteln zu erteilen habe. Die Ermächtigung, ablehnende Bescheide erteilen zu können, kann auch nicht damit begründet werden, daß das Auftragsverhältnis zwischen Versorgungsverwaltung und Krankenkassen des Auftrag des bürgerlichen Rechts und der Beziehung zwischen Versorgungsbehörden und den Versehrtensportgemeinschaften nach § 11a BVG vergleichbar sei (vgl BSGE 47, 214, 218 f). Denn es handelt sich bei dem Tätigwerden der Krankenkassen nicht um einen Auftrag im bürgerlich-rechtlichen Sinne (BSG SozR 3100 § 19 Nr 5, S 12). Die Krankenkassen nehmen die ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben vielmehr selbständig wahr. Den Versehrtensportgemeinschaften ist dagegen kein gesetzlicher Auftrag wie den Krankenkassen auferlegt. Es ist vielmehr dem Ermessen der einzelnen Verwaltungsbehörde anheimgestellt, geeignete Sportgemeinschaften in Anspruch zu nehmen, um die ihr obliegende Durchführung der Versehrtenleibesübungen (§ 18c Abs 1 BVG) sicherzustellen. Insoweit besteht ein grundlegender Unterschied zwischen den gesetzlich zugewiesenen Aufgaben der Krankenkassen und der Inanspruchnahme der Sportgemeinschaften.

Die Versorgungsverwaltung ist aus den dargelegten Gründen nicht zuständig, auch ablehnende Bescheide zu erteilen, wenn es wie in diesem Rechtsstreit darauf ankommt, ob die begehrte Leistung eine Arznei darstellt und imstande ist, die Schädigungsfolgen zu erleichtern (im Ergebnis so auch VV Nr 5 Satz 1 vom 8. Februar 1956 zu § 1 KOVVfG, BVBl 1956, 34, aufgehoben durch VV vom 5. August 1961, Beil zu BVBl 1961, Heft 8 - vgl dazu Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - BMA - vom 1. September 1961, BVBl 1961, 125 Nr 67 zu § 1 Nr 5; weiteres Rundschreiben vom 28. Juni 1954, BVBl 1954, 97 Nr 67 und Rundschreiben vom 3. März 1955, BVBl 1955, 61 Nr 39; anders hingegen: Rundschreiben vom 8. September 1958, BVBl 1958, 125 Nr 71).

Dieses Ergebnis ist vereinbar mit § 24 Abs 2 SGB 1 und den Entscheidungen des 10. Senats vom 11. November 1966 (BSGE 25, 257, 259) und vom 15. Dezember 1970 (BSGE 32, 150). Nach § 24 Abs 2 Satz 2 SGB 1 wirken die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Durchführung der Heil- und Krankenbehandlung im Rahmen der sozialen Entschädigung mit. Diesem Wortlaut des Gesetzes kann nicht entnommen werden, daß die Krankenkassen nach § 18c Abs 2 BVG lediglich Leistungen der Heil- und Krankenbehandlung bewilligen, jedoch keine Leistungen mit Bescheid ablehnen dürfen. Über den Umfang der gesetzlichen Ermächtigung enthält die Bestimmung keine Aussage. Die Vorschriften in §§ 18 bis 29 SGB 1 sollen lediglich dazu beitragen, den Bürgern eine möglichst genaue Kenntnis des Sozialleistungssystems und der zustehenden Leistungsansprüche zu verschaffen (BT-Drucks 7/868, Begr S 26 zu §§ 18 bis 29). Sie gehen ausschließlich vom geltenden Recht aus (BT-Drucks 7/868, S 27 zu §§ 18 bis 29). Eine Änderung des Inhalts der §§ 1 KOVVfG, 18c Abs 2 BVG ist damit nicht vorgenommen worden.

In der Entscheidung BSGE 25, 257, 259 wird ua ausgeführt, das Gesetz räume den Krankenkassen keine Befugnis ein, über den Heilbehandlungsanspruch des Beschädigten selbst zu entscheiden und die Heilbehandlung in eigener Zuständigkeit zu regeln. § 14 BVG übertrage die Durchführung der Heilbehandlung, dh in diesem Zusammenhang unmißverständlich das Leisten der für die Heilbehandlung erforderlichen ärztlichen Dienste und das Zurverfügungstellen sächlicher Mittel im Rahmen des § 14 Abs 1 BVG den Krankenkassen. In dieser Entscheidung kam es indessen nicht darauf an, ob die Krankenkasse ermächtigt und verpflichtet ist, im Rahmen der ihr obliegenden Aufgaben Bescheide zu erlassen. Der 10. Senat führte seine Rechtsansicht als Argument dafür an, daß die Ausstellung und Ausgabe eines Bundesbehandlungsscheines nicht mit dem Erlaß eines Verwaltungsaktes gleichgesetzt werden dürfe. Keineswegs sei mit dem Behandlungsschein eine Regelung über den Heilbehandlungsanspruch getroffen. Dem ist - auch von der hier vertretenen Lösung her - unbedenklich zuzustimmen.

In dem weiteren Urteil BSGE 32, 150, 152 hat sich der 10. Senat zwar dahin geäußert, daß das Auftragsverhältnis zwischen der Versorgungsverwaltung und der Krankenkasse nur so lange fortbestehe, wie der Einkommensausgleich reibungslos von der Krankenkasse erledigt werden könne. Andernfalls ziehe die Versorgungsverwaltung das Verfahren an sich und entscheide aus eigenem Recht über die ihr zu gewährenden Leistungen. Das habe jedenfalls für die Fälle zu gelten, in denen die Krankenkasse "nur nach den Vorschriften dieses Gesetzes" verpflichtet sei, Heilbehandlung usw im Auftrag der Versorgungsverwaltung durchzuführen. Insoweit komme eine eigene Leistungsverpflichtung der Krankenkasse oder eine Überschneidung mit einer solchen Leistungsverpflichtung nicht in Betracht. Die Entscheidung betraf die Gewährung von Einkommensausgleich für eine Zeit, für die von der Versorgungsverwaltung eine Badekur bewilligt worden war. Dies war eine Leistung, die allein in den Vorschriften des BVG ihre Rechtsgrundlage hatte (§ 17 BVG idF des 2. NOG vom 21. Februar 1964 - BGBl I 101 -, aufgehoben durch § 27 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974). Dagegen handelt es sich bei der Gewährung von Heilwasser um eine Sachleistung spezifisch krankenversicherungsrechtlicher Natur. Hierfür kommt gegebenenfalls die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht nur nach dem BVG, sondern auch eine eigene Verpflichtung nach den Vorschriften des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung in Betracht. Für diese Fallgestaltung hat der 10. Senat in dem angeführten Urteil die Entscheidung ausdrücklich offengelassen (BSGE 32, 152).

Das Berufungsurteil ist mithin bis zu diesem Punkt im Ergebnis zu bestätigen. Dabei kann es jedoch nicht bewenden. Das Klagebegehren - die mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage - ist nicht erledigt. Es ist noch erst der Weg zur Sachentscheidung über den erhobenen versorgungsrechtlichen Anspruch zu eröffnen. Verfahrensrechtlich ist zu beanstanden, daß die Bundesknappschaft nicht beigeladen worden ist. Die Beiladung war notwendig (§ 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Daß sie unterblieb, ist ein von Amts wegen im Revisionsverfahren zu beachtender Verfahrensmangel (BSG SozR 1500 § 75 Nrn 1, 21). Auf diesem Verfahrensmangel beruht das Berufungsurteil. Denn im Wege der Beiladung hätte das LSG den für den Klageanspruch passiv legitimierten Verwaltungsträger in den Prozeß einbezogen. Zwischen ihm und dem Beschädigten hätte zur Sache selbst die Entscheidung getroffen werden können, und zwar ohne daß der Beigeladene zuvor einen Verwaltungsakt hätte erlassen müssen (BSGE 9, 67, 70; 14, 86, 89; SozR Nr 27 zu § 75 SGG).

Das LSG hat diese Beiladung unterlassen, weil der Senat als Spruchkörper für Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung nicht über Fragen der knappschaftlichen Krankenversicherung entscheiden könne. Diese Ansicht ist unverständlich. Der streitige Anspruch ist aus Rechtsnormen der Kriegsopferversorgung herzuleiten. Dessenungeachtet hätte das LSG die Beiladung auch unter den von ihm angeführten Bedingungen vornehmen können und müssen. Wenn es sich dann - nach Ausspruch der Beiladung - selbst zur Sachentscheidung nicht für befugt gehalten hätte, wäre die Möglichkeit der Sachabgabe an den nach Ansicht des LSG zuständigen Spruchkörper oder - als letztes Mittel - die Verweisung gem § 98 SGG in Betracht zu ziehen gewesen (vgl zu einer solchen Verweisung: Schunck/De Clerck, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 3. Aufl, Anm 2b zu § 83; OLG Oldenburg, FamRZ 1978, 344; Müller, DRiZ 1978, 14; Bergerfurth, DRiZ 1978, 230).

Die Beiladung kann im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden (§ 168 SGG). Damit sie vorgenommen und die gebotene Sachverhandlung geführt werden kann, ist der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1654384

Breith. 1981, 707

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