Leitsatz (amtlich)

1. Die Aufhebung einer vom SG vorgenommenen Verbindung mehrerer Rechtsstreitigkeiten (§ 113 SGG) durch das Berufungsgericht wirkt sich nicht dahin aus, daß die bisher gegebene Statthaftigkeit der vorher eingelegten Berufung hinsichtlich eines prozessualen Anspruchs entfällt.

2. Betrifft die Berufung die Rechtmäßigkeit eines Sperrzeitbescheides nach § 119 Abs 1 AFG und eines Erlöschensbescheides gemäß § 119 Abs 3 AFG, ist für die Frage, ob das Rechtsmittel hinsichtlich des Sperrzeitbescheides zulässig ist, die Bezugsdauer der einzelnen prozessualen Ansprüche auch dann zusammenzuzählen, wenn die streitigen Bezugszeiten nicht unmittelbar aneinander anschließen, sondern durch eine Zeit getrennt sind, in der die Leistung gewährt worden ist (Fortführung von BSG 1980-02-12 7 RAr 107/78 = SozR 4100 § 119 Nr 12).

 

Normenkette

SGG § 113 Abs 2 Fassung: 1953-09-03, § 144 Abs 1 Nr 2 Fassung: 1953-09-03; AFG § 119 Abs 1 Fassung: 1975-12-18; AFG § 119 Abs 3 Fassung: 1969-06-25

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 26.06.1980; Aktenzeichen L 1 Ar 962/78)

SG Fulda (Entscheidung vom 18.05.1978; Aktenzeichen S 2a/3c Ar 25/77)

 

Tatbestand

Die Beklagte gewährte der Klägerin Arbeitslosengeld (Alg) ab 10. Januar 1977. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. Februar 1977 stellte die Beklagte eine Sperrzeit vom 14. Januar bis 10. Februar 1977 fest, hob für diese Zeit die Alg-Bewilligung auf und forderte von der Klägerin bereits gezahlte 150,-- DM zurück. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1977). Die Klägerin erhob Klage.

Mit Bescheid vom 14. Juli 1977 hob die Beklagte die Alg-Bewilligung mit Wirkung vom 23. April 1977 ganz auf und forderte überzahltes Alg in Höhe von 555,-- DM zurück, da der Anspruch erloschen sei, nachdem die Klägerin erneut Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von vier Wochen gegeben habe. Den am 7. Juli 1977 gestellten Antrag auf Wiederbewilligung von Alg lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Juli 1977 ab. Die Widersprüche hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1977). Die Klägerin erhob eine weitere Klage.

Das Sozialgericht (SG), das beide Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verband, hat mit Urteil vom 18. Mai 1978 die Bescheide vom 10. und 25. Februar, 14. und 28. Juli und 14. Oktober 1977 aufgehoben; die Berufung hinsichtlich der Bescheide vom 10. und 25. Februar 1977 hat es nicht zugelassen (Urteil vom 18. Mai 1978). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG), nachdem es die Verbindungen der Rechtsstreitigkeiten aufgehoben hatte, in dem die Bescheide vom 10. und 25. Februar 1977 betreffenden Verfahren als unzulässig verworfen (Urteil vom 26. Juni 1980). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, in der Sache betreffe die Berufung die Verpflichtung zur Gewährung von wiederkehrenden Leistungen von vier Wochen, so daß sie § 144 Abs 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unterfalle. Eine Zusammenrechnung mit der Leistungszeit ab 23. April 1977 sei nicht möglich. Zwar komme eine solche Zusammenrechnung in Betracht, wenn die Ansprüche für aneinander anschließende und damit auch wirtschaftlich zusammenhängende Zeiträume geltend gemacht würden, nicht aber wenn, wie hier, eine Alg-Bezugszeit vom 11. Februar bis 22. April 1977 dazwischen liege. Die Sperrzeittatbestände beträfen voneinander unabhängige Lebenssachverhalte; auch rechtlich sei jedenfalls die erste Sperrzeit unabhängig davon, ob eine zweite Sperrzeit eingetreten sei. Es fehle an einer rechtlichen Rahmenbeziehung, wie dem Abrechnungsverhältnis im Kassenarztrecht, mit dem die Zulässigkeit der Zusammenrechnung auch nicht aneinander anschließender Honorarabrechnungszeiträume begründet werde. Verfahrensfehler des SG habe die Beklagte nicht gerügt.

Die Beklagte rügt mit der Revision Verstöße gegen §§ 144 Abs 1 Nr 2 und 113 Abs 2 SGG und führt dazu im wesentlichen aus: Zu Unrecht habe das LSG ein Prozeßurteil erlassen. Die Bezugsdauer verschiedener prozessualer Ansprüche seien dann zusammenrechnungsfähig, wenn die Ansprüche den gleichen Entstehungsgrund hätten und zu gleichartigen wiederkehrenden Leistungen führten. Das sei hier der Fall. Der Alg-Anspruch, der während der Sperrzeit ruhe, als auch der potentielle Alg-Anspruch vom Erlöschenszeitpunkt an habe seinen Entstehungsgrund materiell-rechtlich in der Erfüllung der Anwartschaftszeit sowie der übrigen Anspruchsvoraussetzungen am 10. Januar 1970. Es mache keinen Unterschied, ob die Anspruchszeiträume nahtlos aneinander anschlössen oder nicht. Im übrigen sei ein innerer Zusammenhang deshalb gegeben, weil der Anspruch nur erloschen sei, wenn die Sperrzeit vorher eingetreten und festgestellt sei; sei die Sperrzeit im Januar 1977 nicht eingetreten, sei der Anspruch nicht erloschen, aber ab 23. April 1977 für vier Wochen zum Ruhen gekommen. Im gegebenen Falle lägen zudem die beiden Anspruchszeiträume zeitlich so nah beieinander, daß das SG die Verbindung beider Verfahren habe vornehmen können. Es sei geboten, die Ansprüche immer dann zusammenzurechnen, solange die Entscheidungen noch nicht bindend bzw. rechtskräftig seien. Durch die vorgenommene Trennung habe das LSG eine Sachentscheidung über die erste Sperrzeit verhindert und damit ohne sachliche Begründung in die Rechte der Beklagten eingegriffen; das sei unzulässig.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zu neuer

Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie führt aus, nach dem Verfahrenslauf habe sie zwei Klagen erheben müssen. Verbindung und Trennung von Rechtsstreitigkeiten stünden im Ermessen des Gerichts; die Trennung sei schon dann gerechtfertigt, wenn der Rechtsstreit teilweise entscheidungsreif sei. Im übrigen habe nicht erst die Trennung zur Unzulässigkeit der Berufung geführt, weil nicht ein einheitlicher Streitgegenstand vorliege, sondern mehrere Ansprüche im Streit seien, die nicht zusammengerechnet werden könnten. Zwar sei der Bestand des Bescheides vom 10. Februar 1977 für das Erlöschen des Alg präjudiziell; das führe aber nur zur Zulässigkeit der Berufung des abhängigen Anspruchs, nicht des präjudiziellen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, daß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wird. Das LSG hat zu Unrecht die Berufung als unzulässig verworfen.

Die Verwerfung der "Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Fulda vom 18. Mai 1978" umfaßt, nimmt man die Urteilsformel wörtlich, die Berufung uneingeschränkt, dh auch, soweit sich die Beklagte gegen die Aufhebung der Bescheide vom 14. und 28. Juli 1977 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 1977) richtet. Das ist ersichtlich nicht die Absicht des LSG gewesen; die Urteilsformel ist daher dahin berichtigend zu verstehen, daß die Berufung der Beklagten verworfen worden ist, soweit diese sich gegen die Aufhebung ihrer Bescheide vom 10. und 25. Februar 1977 richtet. Aber auch diese Teilverwerfung der Berufung läßt sich nicht aufrecht erhalten.

Nach § 143 SGG findet gegen die Urteile der Sozialgerichte die Berufung an das LSG statt, sofern das Gesetz die Berufung nicht ausgeschlossen hat. Die Ausschließungsgründe der §§ 144, 149 SGG, die hier allein in Betracht kommen, greifen nicht Platz.

Die Berufung, die das LSG als unzulässig verworfen hat, betrifft zwei prozessuale Ansprüche, nämlich den Anspruch auf Alg für die Zeit vom 14. Januar bis 10. Februar 1977 und den Anspruch auf Rückforderung von 150,-- DM. Soweit die Berufung den prozessualen Anspruch auf Alg betrifft, erfüllt der Anspruch allerdings, für sich betrachtet, den Berufungsausschließungsgrund gem § 144 Abs 1 Nr 2 SGG (seit BSGE 18, 266 = SozR Nr 22 zu § 144 SGG ständige Rechtsprechung). Jedoch kann der Streit, ob der Klägerin für die Zeit vom 14. Januar bis 10. Februar 1977 Alg zusteht, bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 144 Abs 1 Nr 2 SGG vorliegen, nicht für sich betrachtet werden; vielmehr ist auch zu berücksichtigen, daß die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG auch die vom SG ferner ausgesprochene Aufhebung des Bescheides vom 14. Juli 1977 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 1977) betrifft.

Dem steht nicht entgegen, daß das LSG die vom SG vorgenommene Verbindung der beiden Klagen wieder aufgehoben hat. Ob die Berufung nach den §§ 144 bis 149 SGG ausgeschlossen ist, richtet sich grundsätzlich nicht nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts, sondern nach denen, die bei der Einlegung des Rechtsmittels vorlagen (vgl BSGE 16, 134, 135; 37, 64, 65; BSG SozR Nr 6, 8, 9 und 12 zu § 146 SGG; BSG SozR 1500 § 146 Nr 6 und 7 sowie § 149 Nr 3). Die Aufhebung beendete die Verbindung, vermochte jedoch nicht die Tatsache zu ändern, daß das SG über beide Klagen gemeinsam in einem Urteil entschieden hat und die Berufung der Beklagten sich insgesamt gegen dieses Urteil richtet. Die Prozeßtrennung soll lediglich das Verfahren übersichtlicher gestalten und ggf durch das Ausscheiden von Teilen einer Verschleppung des Ganzen entgegentreten (Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO, 19. Aufl, § 145 Anm I).

Mag eine Prozeßtrennung - wie übrigens auch der Erlaß von Teilurteilen - in Einzelfällen dazu führen, daß künftige, von der Höhe der Beschwer abhängige Rechtsmittel ganz oder zum Teil entfallen, weil die in den abgetrennten Verfahren ergehenden Urteile den Unterlegenen nicht rechtsmittelfähig beschweren (vgl BGH LM § 147 ZPO Nr 1 = NJW 1957, 183; BGH NJW 1977, 1152), ist ein Eingriff in das Rechtsmittelsystem weder gesetzliches Ziel noch Wirkung der Prozeßtrennung; erst recht kommt ihr nicht die Wirkung zu, daß mit ihr die bisher gegebene Statthaftigkeit eines eingelegten Rechtsmittels hinsichtlich eines prozessualen Anspruchs entfällt. Es kann daher offen bleiben, ob die Aufhebung der vom SG vorgenommenen Verbindung durch das LSG nach der Rechtsansicht des LSG gemäß § 113 Abs 2 SGG gerechtfertigt war (vgl § 202 SGG, § 300 Abs 2 ZPO).

Ist somit die von der Beklagten uneingeschränkt eingelegte Berufung maßgebend, ist diese auch hinsichtlich des Bescheides vom 10. Februar 1977 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 1977) zulässig. Wird mit der Klage ein Erlöschensbescheid nach § 119 Abs 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) angefochten, so ist die Berufung, wie der Senat schon entschieden hat, nicht schon deshalb nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGG unzulässig, weil das Leistungsbegehren des Klägers nur einen Anspruch auf Alg oder Alhi für einen - zunächst betroffenen - Zeitraum bis zu 13 Wochen umfaßt; dies gilt allerdings dann nicht, wenn in dem für die Berufung maßgeblichen Zeitpunkt feststeht, daß insgesamt kein von dem Erlöschensbescheid betroffener Leistungszeitraum von mehr als 13 Wochen in Betracht kommt (BSGE 39, 200 = SozR 1500 § 144 Nr 3). Hiernach ist die Berufung hinsichtlich des Bescheides vom 14. Juli 1977 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 1977) nicht nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGG unzulässig, obwohl es insoweit nur um Alg für die Zeit vom 23. April bis zum 4. Juni 1977, nämlich bis zur Arbeitsaufnahme der Klägerin ab 6. Juni 1977, einem Montag, geht. Im Zeitpunkt der im Herbst 1978 erfolgten Berufungseinlegung stand nicht fest, daß sich ein Erlöschen des am 10. Januar 1977 entstandenen Anspruchs auf Alg von 312 Wochentagen nicht weiter auswirkt. Selbst wenn die Klägerin bis dahin die Anwartschaft für einen erneuten Anspruch auf Alg erworben haben sollte, vermag sich ein Erlöschen des am 10. Januar 1977 entstandenen Anspruchs noch auszuwirken; denn die Dauer eines erneuten Anspruchs richtete sich, da die Klägerin allenfalls die Anwartschaft für eine Anspruchsdauer von 156 Tagen erworben haben kann, nach § 106 Abs 2 AFG nach der längeren restlichen Dauer des vorherigen Anspruchs, falls dieser nicht gemäß § 119 Abs 3 AFG erloschen ist. Der Streit um die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 14. Juli 1977 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 1977) betrifft daher nicht nur wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen.

Betrifft die Berufung die Rechtmäßigkeit eines Sperrzeitbescheides nach § 119 Abs 1 AFG und eines darauffolgenden Erlöschensbescheides gemäß § 119 Abs 3 AFG, ist für die Frage, ob das Rechtsmittel hinsichtlich des Sperrzeitbescheides gemäß § 144 Abs 1 Nr 2 SGG zulässig ist, die Bezugsdauer der einzelnen prozessualen Ansprüche zusammenzuzählen (BSG SozR 4100 § 119 Nr 12). Der Streit um die dem Erlöschen unmittelbar vorausgehende Sperrzeit unterliegt zusammen mit dem Erlöschensbescheid auch dann der Berufung, wenn die Bezugszeiten für die zunächst Alg (bzw Alhi) verlangt wird, wie das hier hinsichtlich der Zeiten vom 14. Januar bis 10. Februar und vom 23. April bis 4. Juni 1977 der Fall ist, insgesamt weniger als 13 Wochen ausmachen; denn unterfällt schon die Berufung hinsichtlich des Erlöschens nicht § 144 Abs 1 Nr 2 SGG, obwohl aktuell Alg (bzw Alhi) für weniger als 13 Wochen im Streit ist, ist schon damit die für die Berufung erforderliche Beschwer überschritten. Schließlich sind entgegen der Ansicht des LSG die Bezugsdauern verschiedener prozessualer Ansprüche zusammenzuzählen, obwohl das Ende der streitigen Sperrzeit nicht mit dem streitigen Erlöschen des Anspruchs zusammenfällt, oder anders ausgedrückt, obwohl die streitigen Bezugszeiten nicht unmittelbar aneinander anschließen.

Zwar ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren im allgemeinen die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels für jeden prozessualen Anspruch gesondert zu prüfen; doch gilt diese Regel nicht uneingeschränkt, insbesondere nicht im Falle des § 144 Abs 1 Nr 2 SGG (BSGE 11, 102, 108; SozR 1500 § 144 Nr 1; SozR 4100 § 119 Nr 12; vgl ferner BSGE 24, 260; SozR 1500 § 149 Nr 3). In dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber die Statthaftigkeit der Berufung von einer bestimmten Beschwer abhängig gemacht, die durch die Länge des Zeitraums, für den wiederkehrende Leistungen streitig sind, zum Ausdruck gebracht ist. Sind gleichartige wiederkehrende Leistungen streitig, dh in ihrer Grundstruktur gleiche Einzelansprüche, die auf einem einheitlichen Stammrecht beruhen und für die der Moment zeitlicher Dauer typisch ist, wie das hier beim Alg bei gleichbleibender Arbeitslosigkeit unzweifelhaft der Fall ist, ist es mithin allein die Länge des Zeitraums, für den die Leistungen streitig sind, die die Beschwer ausmacht. Daher kann es keinen Unterschied machen, ob die wiederkehrenden Leistungen durch einen oder durch mehrere prozessuale Ansprüche geltend gemacht werden müssen bzw ob die streitigen Bezugszeiten durch unstreitige Bezugszeiten unterbrochen sind; jedenfalls dann, wenn die verschiedenen Ansprüche den gleichen Entstehungsgrund haben und zu gleichen wiederkehrenden Leistungen führen, hat eine einheitliche Ermittlung des Beschwerdegegenstandes durch Zusammenrechnung der Bezugszeiten zu erfolgen.

Diese Voraussetzungen sind auch im vorliegenden Falle gegeben. Die Klägerin macht hinsichtlich der Bescheide vom 10. Februar und 14. Juli 1977 ihren Anspruch auf Alg geltend, der am 10. Januar 1977 entstanden ist. Die beiden Bescheide unterscheiden sich nur danach, daß mit der Sperrzeit der Anspruch auf Alg während der Sperrzeit ruht (§ 119 Abs 1 letzter Satz AFG) und sich um die Tage der Sperrzeit mindert (§ 110 Nr 1a AFG), während mit dem Tatbestand des § 119 Abs 3 AFG der Anspruch auf Alg, dh das Stammrecht, erlischt. Das ändert jedoch nichts daran, daß die Leistungen gleichartig sind. Dabei ist es unerheblich, daß es zum Teil verschiedene Lebenssachverhalte sind, die zur Sperrzeit bzw zum Erlöschen des Anspruchs führen und zum Teil unterschiedliche Vorschriften zur Anwendung kommen. Der Berufungsausschluß nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGG soll zwar das Berufungsgericht entlasten, jedoch nur dann, wenn die Beschwer des Berufungsklägers die gesetzliche Grenze nicht erreicht. Mit Recht weist daher die Beklagte darauf hin, daß schon bei der bislang vom Senat zugelassenen Zusammenrechnung der rechtlichen Auswirkungen verschiedener Lebenssachverhalte zu beurteilen sind, und dies der Zusammenrechnung zur Feststellung der Beschwer nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGG nicht entgegensteht. Der Senat setzt sich damit nicht in Widerspruch mit den die Entscheidung nichttragenden Ausführungen in BSGE 22, 181, 186, daß im Rahmen des § 144 Abs 1 Nr 2 SGG beim Schlechtwettergeld (früheren Rechts) zwar zusammenhängend verlaufende Ausfalltage, nicht aber mehrere solcher Perioden zusammengerechnet werden könnten; denn während in jenem Falle für die die Perioden unterbrechenden Tage Schlechtwettergeld nicht in Betracht kam, ist der Klägerin die wiederkehrende Leistung in der Zeit vom 11. Februar bis 22. April 1977 gewährt worden.

Die Zusammenrechnung der Bezugszeiten entfällt im vorliegenden Falle schließlich nicht deshalb, weil sie nicht in Betracht gekommen wäre, wenn das SG die beiden Klagen nicht verbunden hätte. Zwar darf die Prozeßverbindung - nicht anders als die Prozeßtrennung - nicht vorgenommen werden, um das Rechtsmittelsystem zu verändern (SozR Nr 5 zu § 113 SGG). Hat die Vorinstanz aber nach einer zulässigen Prozeßverbindung einheitlich entschieden, so richtet sich bei prozessualen Ansprüchen auf gleichartig wiederkehrende Leistungen die Statthaftigkeit der Berufung nach der Beschwer des Berufungsklägers genauso, wie wenn die prozessualen Ansprüche von vornherein in einer Klage erhoben worden wären (BSG SozR 1500 § 144 Nr 1).

Ist schon aus den vorgenannten Gründen die Berufung hinsichtlich der Sperrzeit nicht nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGG ausgeschlossen, stellt sich nicht die Frage, ob die ggf festzustellende Bezugsdauer des weiter von der Klägerin geltend gemachten prozessualen Anspruchs auf Alg ab 7. Juli 1977 ebenfalls mitberücksichtigt werden könnte, hinsichtlich dessen die Berufung schon deshalb statthaft ist, weil für diesen Anspruch der Streit um das Erlöschen des am 10. Januar 1977 entstandenen Anspruchs auf Alg präjudiziell ist und dieser Streit der Berufung unterliegt (vgl BSGE 14, 280; SozR Nr 14 zu § 149; SozR 1500 § 146 Nr 4). Es braucht daher nicht entschieden zu werden, ob der Zusammenrechnung entgegensteht, daß der Klägerin, nachdem sie am 6. Juni 1977 eine Arbeit angetreten hatte, Alg erst wieder aufgrund neu eingetretener Arbeitslosigkeit, einer neuen Arbeitslosmeldung und eines neuen Antrags zustehen konnte, obwohl - wegen der Kürze des Beschäftigungsverhältnisses - ein neuer Anspruch auf Alg nicht entstanden ist (vgl Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 2. Aufl, § 144 Rdnr 9; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zum SGG, § 144 Anm 3).

Soweit die Berufung der Beklagten schließlich die Rückforderung der 150,-- DM betrifft, steht ihr § 149 SGG nicht entgegen; denn für die Rückforderung ist die der Berufung unterliegende Frage präjudiziell, ob der am 10. Januar 1977 entstandene Anspruch auf Alg erloschen ist.

Hat das LSG demnach zu Unrecht die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen, ist die Revision begründet. Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat verwehrt, weil das LSG - von seinem Ausgangspunkt zu Recht - keine Feststellungen getroffen hat, die eine Entscheidung in der Sache erlauben. Gemäß § 170 Abs 2 SGG ist das Urteil des LSG daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1647175

Breith. 1982, 825

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge