Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestimmung des Vergleichseinkommens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die fiktive Nachschadensregelung für eine Arbeitslosigkeit (§ 30 Abs 5 S 1 Halbs 2 BVG) ist nicht auf die Bemessung des Vergleichseinkommens übertragbar.

2. Der hypothetische Verlust eines Arbeitsplatzes ist bei den Umständen, die das Vergleichseinkommen bestimmen, nicht maßgebend.

 

Orientierungssatz

Zur Bestimmung des Vergleichseinkommen sind grundsätzlich auch unabwendbare schädigungsunabhängige Veränderungen der Beschäftigungslage bei der Ermittlung des wahrscheinlich ohne die Schädigungsfolgen zu erwartenden Berufsweges zu berücksichtigen. Diese gedankliche (hypothetische) Beschäftigungssituation würde durch verschiedene bekannte rechtserhebliche Tatsachen bestimmt: teils durch die Kenntnisse des Beschädigten, teils durch sein Alter und teils durch die Arbeitsmarktlage, mithin durch Umstände, die seinen Lebensverhältnissen und der objektiv gegebenen, seiner beruflichen Befähigung entsprechenden Arbeitsmöglichkeit zuzurechnen sind (vgl ua BSG vom 8.5.1981 9 RV 24/80). Eine Berufsstellung, die nach den nachträglich eingetretenen Arbeitsmarktverhältnissen einem Beschädigten verschlossen wäre, bleibt ebenso außer Betracht wie eine, für die der Betroffene nicht die erforderliche Befähigung hätte; die Schädigungsfolgen können sich in solchen Fällen nicht darin auswirken, daß der Beschädigte eine derartige Position nicht erreichen oder auf Dauer behalten kann. Das entspricht dem allgemeinen versorgungsrechtlichen Grundsatz, daß der schädigungsbedingte Einkommensverlust in der Zeit bestehen muß, für die ein Berufsschadensausgleich begehrt wird (vgl ua BSG vom 24.3.1977 10 RV 41/76 = SozR 3100 § 30 Nr 22).

 

Normenkette

BVG § 30 Abs 5 S 1 Halbs 2 Fassung: 1975-12-18; BVG § 30 Abs 6 S 1 Halbs 2 Fassung: 1981-11-20

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 26.05.1983; Aktenzeichen L 9 V 109/81)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 16.10.1981; Aktenzeichen S 33 (28, 35) V 195/80)

 

Tatbestand

Der 1921 geborene Kläger, gelernter Textil-Filmdrucker, bezog wegen Schädigungsfolgen am rechten Arm früher Beschädigtenrente entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vH; seit dem 1. Mai 1971 wird sie unter Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins mit 50 vH bewertet (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 8. Februar 1979 - S 28 V 183/75 -). Ende März 1971 gab der Kläger seine Stelle als Schicht- und Maschinenführer im Angestelltenverhältnis auf. Seit Oktober 1977 bezieht er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der Arbeiterrentenversicherung. Der Beklagte gewährt ihm seit Mai 1971 einen Berufsschadensausgleich nach dem Vergleichseinkommen der Leistungsgruppe 1 der Arbeiter in der Textilindustrie (Bescheid vom 10. Januar 1980, Widerspruchsbescheid vom 11. April 1980). Das SG hat die Verwaltung verurteilt, dem Berufsschadensausgleich das Durchschnittseinkommen der Leistungsgruppe III der technischen Angestellten der Textilindustrie zugrunde zu legen (Urteil vom 16. Oktober 1981). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 26. Mai 1983): Der Kläger habe 1971 seinen Beruf als Schicht- und Maschinenführer, der der im SG-Urteil bezeichneten Leistungsgruppe zuzurechnen sei, wegen seiner Schädigungsfolgen aufgegeben. Der schädigungsbedingte Einkommensverlust sei nicht in der Zeit ab 1. Mai 1979 fortgefallen. Dies sei nicht allein deshalb anzunehmen, weil der Kläger ohne Auswirkungen seiner Schädigungsfolgen zu diesem Zeitpunkt infolge des Konkurses seines letzten Arbeitgebers seinen Arbeitsplatz verloren und angesichts seines Alters, der ungünstigen Arbeitsmarktlage in der Textilindustrie sowie des Fehlens von Kenntnissen im Rotationsdruckmaschinenverfahren keine gleichwertige Anstellung mehr gefunden hätte. Jedoch lasse diese nachträgliche, an sich rechtserhebliche Lage den schädigungsbedingten Einkommensverlust deshalb nicht entfallen, weil die wesentliche Bedingung eine konkursbedingte Arbeitslosigkeit gewesen wäre. Die Folge dieses Umstandes solle nach der Nachschadensregelung des § 30 Abs 5 Bundesversorgungsgesetz (BVG) idF des Haushaltsstrukturgesetzes der öffentlichen Hand zuzurechnen sein, und dieser Grundgedanke müsse auch für das Vergleichseinkommen gelten.

Der Beklagte wendet sich mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision gegen die Bemessung des Berufsschadensausgleichs nach der Leistungsgruppe III der technischen Angestellten über den 30. April 1979 hinaus. Der Kläger wäre von diesem Zeitpunkt ab ohne die Schädigungsfolgen nicht mehr als Schicht- und Maschinenführer tätig, sondern nur noch als Facharbeiter. Für die Bemessung des Berufsschadensausgleichs müsse jeweils für jeden Monat das Bruttoeinkommen dem wahrscheinlich ohne schädigende Einwirkungen zu erzielenden Durchschnittseinkommen gegenübergestellt werden. Dieses Vergleichseinkommen sei nach der Arbeitsmarktsituation zu ermitteln. Die Nachschadensregelung betreffe nicht dieses Vergleichseinkommen, sondern allein das Bruttoeinkommen; insoweit bestehe in Fällen wie dem gegenwärtigen keine auszufüllende Regelungslücke.

Der Beklagte beantragt, die Urteile des SG und des LSG zu ändern und die Klage insoweit abzuweisen, als der Beklagte verurteilt wurde, für die Zeit ab 1. Mai 1979 bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs als Vergleichseinkommen das Durchschnittseinkommen der Leistungsgruppe III der technischen Angestellten in der Textilindustrie zugrunde zu legen.

Der Kläger beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten hat insoweit Erfolg, als der Rechtsstreit unter Aufhebung des Berufungsurteils, soweit es mit der Revision angefochten worden ist, an das LSG zurückverwiesen werden muß.

Seit der Revision ist allein noch streitig, ob dem Kläger auch für die Zeit ab 1. Mai 1979 weiterhin ein Berufsschadensausgleich entsprechend dem Vergleichseinkommen eines Angestellten der Leistungsgruppe III in der Textilindustrie statt eines Facharbeiters (Leistungsgruppe 1) zusteht. Für die Entscheidung über diesen Teilanspruch fehlen ausreichende Tatsachenfeststellungen.

Das Revisionsgericht folgt dem LSG nicht in der Rechtsauffassung, die es zu der Annahme geführt hat, der Kläger habe durch seine Schädigungsfolgen (§ 1 Abs 1 BVG) auch über den genannten Zeitpunkt hinaus einen Einkommensverlust, von dem der Berufsschadensausgleich abhängt und nach dem er bemessen wird, in der für die vorhergehende Zeit zuerkannten Höhe, dh entsprechend dem Unterschied zwischen seinem derzeitigen Bruttoeinkommen und dem höheren Vergleichseinkommen der Leistungsgruppe III der technischen Textil-Angestellten (§ 30 Abs 3 und 4 Satz 1 BVG idF vom 22. Juni 1976 - BGBl I 1633 -/10. August 1978 - BGBl I 1217 - aF -; für die spätere Zeit idF des 11. Anpassungsgesetzes-KOV vom 20. November 1981 - BGBl I 1199 -/ und des 12. Anpassungsgesetzes-KOV vom 20. Dezember 1982 - BGBl I 1857 -nF). Vergleichseinkommen in diesem Sinne ist das monatliche Durchschnittseinkommen der Berufsgruppe, der der Kläger ohne die kriegsbedingte Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten sowie dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte (§ 30 Abs 4 Satz 2 BVG aF, § 30 Abs 5 Satz 1 BVG nF). Das ist seit Mai 1979 nicht allein wegen einer Arbeitslosigkeit weiterhin das Durchschnittseinkommen der Angestellten der Leistungsgruppe III (§ 30 Abs 4 Satz 4 ff, Abs 8 BVG aF, § 30 Abs 5 Satz 3 ff, Abs 9 BVG nF, § 1 Abs 1, § 2 Abs 1 Satz 1 und 2, § 3 Abs 1 der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs 3 bis 5 BVG -DV- vom 18. Januar 1977 - BGBl I 162 -). Andererseits verliert der Kläger nicht allein wegen des Verlustes des letzten Arbeitsplatzes ohne weiteres diesen Berufsschadensausgleich.

Wie das LSG verbindlich festgestellt hat (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), hätte der Kläger, nachdem er ohne seine Schädigungsfolgen über 1971 hinaus als Schicht- und Maschinenführer tätig gewesen wäre, wahrscheinlich diese Beschäftigung zum 1. Mai 1979 infolge Konkurses seines Arbeitgebers verloren; die Schädigungsfolgen hätten dies nicht wesentlich bedingt. Um das Vergleichseinkommen zu bestimmen, sind grundsätzlich auch unabwendbare schädigungsunabhängige Veränderungen der Beschäftigungslage bei der Ermittlung des wahrscheinlich ohne die Schädigungsfolgen zu erwartenden Berufsweges zu berücksichtigen. Diese gedankliche (hypothetische) Beschäftigungssituation würde durch verschiedene bekannte rechtserhebliche Tatsachen bestimmt: teils durch die Kenntnisse des Beschädigten, teils durch sein Alter und teils durch die Arbeitsmarktlage,mithin durch Umstände, die seinen Lebensverhältnissen und der objektiv gegebenen, seiner beruflichen Befähigung entsprechenden Arbeitsmöglichkeit zuzurechnen sind (BSGE 32, 1, 7 = SozR Nr 9 zu § 40a BVG; BSGE 41, 65, 67 = SozR 3100 § 30 Nr 10; SozR 3100 § 30 Nrn 49 und 57; BSG 8. Mai 1981 - 9 RV 24/80 -). Eine Berufsstellung, die nach den nachträglich eingetretenen Arbeitsmarktverhältnissen einem Beschädigten verschlossen wäre, bleibt ebenso außer Betracht wie eine, für die der Betroffene nicht die erforderliche Befähigung hätte; die Schädigungsfolgen können sich in solchen Fällen nicht darin auswirken, daß der Beschädigte eine derartige Position nicht erreichen oder auf Dauer behalten kann. Das entspricht dem allgemeinen versorgungsrechtlichen Grundsatz, daß der schädigungsbedingte Einkommensverlust in der Zeit bestehen muß, für die ein Berufsschadensausgleich begehrt wird (BSG SozR 3100 § 30 Nr 22; BVBl 1971, 95).

Das LSG ist von dieser Auslegung des § 30 BVG ausgegangen, aber zugunsten des Klägers abgewichen; es meint, in Fällen wie dem gegenwärtigen sei eine Arbeitslosigkeit für die Bemessung des Vergleichseinkommens unschädlich. Dieser Rechtsauffassung ist nicht beizupflichten. In rechtlicher Hinsicht ist schon fraglich, ob der Kläger, der seit Oktober 1977 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der Rentenversicherung der Arbeiter bezieht und - nach den Andeutungen des LSG - seit 1979 endgültig keine Beschäftigung als Schicht- und Maschinenmeister mehr gefunden hätte, ohne seine Schädigungsfolgen "arbeitslos" in diesem Rechtssinn geworden wäre, dh nur vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hätte (BSG SozR 3100 § 30 Nr 48). Aber abgesehen davon ist eine Arbeitslosigkeit bei dem hypothetischen Berufsweg, der das Vergleichseinkommen des Klägers bestimmt, nicht deshalb außer Betracht zu lassen, weil sie nach § 30 Abs 5 Satz 1 Halbs 1 BVG aF (Abs 6 Satz 1 Halbs 2 nF) "grundsätzlich" nicht als ein "Nachschaden" iS des Grundes für eine schädigungsunabhängige Minderung des tatsächlichen Bruttoeinkommens "gilt". Im Zusammenhang der Nachschadensregelung, also für den einen der beiden Schadensfaktoren, das tatsächliche Bruttoeinkommen, nimmt diese Ausnahmevorschrift kraft einer Fiktion ("gilt") die Arbeitslosigkeit von den schädigungsunabhängigen Umständen ausdrücklich aus.

Der Gesetzgeber hat indes eine gleiche Anordnung nicht für die Bestimmung des Vergleichseinkommens, das höher sein müßte, getroffen. Ein nicht vollständig ausgestalteter Gesetzesplan, der eine vom Richter zu schließende Lücke ergäbe, ist insoweit nicht zu erkennen, als die Fiktion über die Arbeitslosigkeit nicht auf die Bemessung des Vergleichseinkommens ausgedehnt worden ist. Allgemein erscheint es sachwidrig, diese Vorschrift auf das Vergleichseinkommen zu übertragen, das gerade nicht von der trotz der Schädigungsfolgen tatsächlich erreichten Berufsstellung abhängt, sondern von der wahrscheinlich ohne die Schädigungsfolgen erlangten. Wenn auch diese Ausnahmevorschrift dazu dient, das Bruttoeinkommen von einer nicht schädigungsbedingten nachträglichen Einkommensminderung zu "bereinigen", so ist sie doch nur scheinbar für eine Bemessung des ohne schädigende Einwirkungen erreichten Vergleichseinkommens geeignet. Darüber braucht in diesem Fall aber nicht allgemeingültig entschieden zu werden. Jedenfalls darf in einem Fall wie dem gegenwärtigen das Vergleichseinkommen nicht kraft der Ausnahmevorschrift, die entsprechend angewendet würde, so bestimmt werden, als wäre eine Arbeitslosigkeit auch hier den schädigungsunabhängigen Umständen zuzurechnen. Der Gesetzgeber ist bei der Einführung des § 30 Abs 5 Satz 1 Halbs 2 BVG aF davon ausgegangen, daß erfahrungsgemäß die Schädigungsfolgen bei Arbeitnehmern den Eintritt und die Dauer einer Arbeitslosigkeit wesentlich zu beeinflussen pflegen (Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Rundschreiben vom 27. September 1978, BVBl 1978 S 66 Nr 26). Die darauf beruhende Fiktion kann deshalb gerade nicht einen Schadensbemessungsfaktor bestimmen, der sich allein nach dem ohne die Schädigungsfolgen bestehenden Zustand richtet. Außerdem ist sie naturgemäß auf den Regelfall beschränkt, wie der einschränkende Zusatz "grundsätzlich" klarstellt (Urteil des erkennenden Senats vom 25. Januar 1984 - 9a RV 44/82 -). Dann darf und muß im Einzelfall ein Nachschaden, dh eine von schädigungsunabhängigen Umständen beeinflußte Berufsstellung, maßgebend sein, falls jemand ohne Einwirkungen seiner Schädigungsfolgen arbeitslos geworden ist (Urteil des erkennenden Senats in SozR 3100 § 30 Nr 48). Wenn dies für die Bemessung des trotz der Schädigungsfolgen erzielten Bruttoeinkommens gilt, dessen nachträgliche Minderung durch schädigungsunabhängige Einwirkungen eine Sonderregelung gebietet, dann muß bei der Schadensberechnung auf der anderen Seite eine Arbeitslosigkeit des Beschädigten, die nicht durch seine Schädigungsfolgen verursacht wurde, wie jeder andere schädigungsunabhängige Einfluß auf das Vergleichseinkommen behandelt werden. Es muß also in einem solchen Fall dabei bleiben, daß die berufliche Entwicklung, die nach den bekannten Tatsachen durch den nachträglichen Verlust einer Stellung ohne Einfluß der Schädigungsfolgen wahrscheinlich eingetreten wäre, für das Vergleichseinkommen maßgebend ist.

Warum der Gesetzgeber eine Arbeitslosigkeit "grundsätzlich" nicht als Nachschadensursache bei der Ermittlung des Bruttoeinkommens gelten läßt, wird durch den aufgezeigten Grund für die Ausnahmeregelung des § 30 Abs 5 Satz 1 Halbs 2 BVG aF genauer bestimmt als durch den vom LSG angeführten Gesichtspunkt, Folgen der Arbeitslosigkeit sollten allgemein der öffentlichen Hand zugerechnet werden. Die allgemein gebotene Risikoverteilung, auf die es das Berufungsgericht abgehoben hat, spricht indes gerade gegen seine Gesetzesauslegung. Wenn eine Arbeitslosigkeit, die das tatsächliche Bruttoeinkommen mindert, bei diesem Schadensbemessungsfaktor grundsätzlich berücksichtigt wird und dadurch den Berufsschadensausgleich bestimmt, dann stellt dieser Ausgleich von Nachteilen, die ein Beschädigter durch seine Schädigungsfolgen erleidet, ihn im Vergleich mit anderen, nicht kriegsbeschädigten Arbeitslosen nicht ungerechtfertigt besser, zumal das Arbeitslosengeld auf das Bruttoeinkommen angerechnet wird (§ 9 Abs 3 Satz 1 Halbs 1 DV). Falls jedoch eine Arbeitslosigkeit, die - wie im Fall des Klägers - schädigungsunabhängig eingetreten wäre, den Einkommensverlust und damit den Berufsschadensausgleich auf der anderen Seite der Schadensbemessung, dh bei den Umständen, die ohne die Schädigungsfolgen den zu erwartenden - günstigeren - Berufsweg bestimmen, als unschädlich behandelt würde, wie es das LSG getan hat, dann erhielte der Beschädigte aus der Kriegsopferversorgung einen zusätzlichen Ausgleich für den Verlust seines Arbeitsplatzes. Das würde ihn im Vergleich mit anderen Arbeitslosen begünstigen, und das wäre nach dem Zweck der Kriegsopferversorgung nicht gerechtfertigt (BSGE 34, 216, 220 = SozR Nr 58 zu § 30 BVG). Die derart bemessene Leistung wäre auch nicht vereinbar mit dem beherrschenden Grundsatz, daß der Einkommensverlust durch die Schädigungsfolgen verursacht sein muß (BSGE 34, 216, 219; BSG BVBl 1971, 95).

Nach den dargelegten Rechtsmaßstäben ist aber der Verlust eines bestimmten Arbeitsplatzes, insbesondere durch Konkurs des Arbeitgebers, kein hinreichender Grund für den Fortfall eines Berufsschadensausgleichs entsprechend dem Vergleichseinkommen der Berufsgruppe, zu der die zwangsweise aufgegebene Tätigkeit gehörte. Die wahrscheinlich ohne die Schädigungsfolgen erreichte Berufsstellung bestimmt sich vielmehr nach den allgemeinen Betätigungsmöglichkeiten in einem Beruf innerhalb des gesamten Erwerbslebens, bei Arbeitnehmern nach der allgemeinen Arbeitsmarktlage. Maßgebend sind die Arbeitsmarktverhältnisse im gesamten Bundesgebiet; denn auch von dem durchschnittlichen Einkommen in diesem Bereich hängt ein Einkommensverlust iS des § 30 Abs 3 BVG ab. Wenn ein Beschädigter - wie der Kläger - in der Zeit, in der er tatsächlich nicht mehr erwerbstätig war und ist, ohne seine Schädigungsfolgen seinen Arbeitsplatz durch Konkurs des Arbeitgebers, bei dem er zuletzt beschäftigt war, verloren hätte, dann muß nach der allgemeinen Marktsituation beurteilt werden, ob er wahrscheinlich ungeachtet dieses Einzelereignisses noch in seinem durch die anderen gesetzlichen Umstände bestimmten Beruf tätig wäre. Dies hat das LSG im gegenwärtigen Fall nicht hinreichend geklärt.

Die mit der unrichtigen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zusammenhängende Annahme über das Berufsschicksal, das der Kläger ohne seine Schädigungsfolgen nach der allgemeinen Arbeitsmarktlage zu erwarten gehabt hätte, ist nicht als eine nach § 163 SGG bindende Tatsachenfeststellung zu werten. Diese Ausführungen lassen die Bestimmtheit vermissen, mit der eine richterliche Überzeugung über eine entscheidungserhebliche Sachlage auszudrücken ist. Das LSG hat es angesichts des Alters des Klägers (58 Jahre) und der ungünstigen Arbeitsmarktsituation in der Textilindustrie für "eher unwahrscheinlich" erklärt, daß der Beschädigte 1979 nach dem Konkurs seines Arbeitgebers eine gleichwertige Stellung gefunden hätte; dies gelte um so mehr, als ihm Kenntnisse der heute üblichen Verfahren der Rotationsdruckmaschinen fehlten.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß die ohne die Schädigungsfolgen zu erwartende Berufsstellung bis zum üblichen altersbedingten Ausscheiden aus dem Erwerbsleben beibehalten geblieben wäre. Dementsprechend wird das Vergleichseinkommen nach Vollendung des 65. Lebensjahres mit 75 vH des Durchschnittseinkommens bemessen (§ 8 Abs 1 DV), ab vorzeitigem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben "wegen Erreichens oder unter Inanspruchnahme einer gesetzlichen Altersgrenze" ebenso (§ 8 Abs 2 DV). Anders ist es, wie schon dargelegt, mit Berufen, die infolge allgemeiner, politischer, technischer, wirtschaftlicher oder sonstiger Entwicklungen gänzlich fortgefallen sind und in denen mithin überhaupt keine Arbeitsmöglichkeiten mehr bestehen. Daß es so mit den älteren Schicht- und Maschinenführern der Textilindustrie wäre, die nicht mit dem Rotationsdruckmaschinenverfahren vertraut sind, ergibt das Berufungsurteil für die Zeit ab 1979 nicht. Allerdings besteht nach der Auskunft, auf die das LSG seine Vermutungen stützt, ein gewisser Anhalt zur weiteren Aufklärung. Es ist noch genauer bei sachkundigen Behörden und Organisationen zu ermitteln, welche Arbeitsplatzaussichten seit 1979 Arbeitnehmer in der Lage des Klägers hatten und haben. Dabei ist auf den speziellen Berufstyp abzustellen, den der Kläger verkörpert, der als gelernter Facharbeiter ohne Industriemeisterprüfung in seinem Betrieb zum Schicht- und Maschinenführer der Leistungsgruppe III aufgestiegen ist. Außerdem ist seine Altersgruppe innerhalb seiner Berufskollegen zu berücksichtigen. Je mehr an konkreten Einzelheiten über Lebensverhältnisse, Kenntnisse und Fähigkeiten eines einzelnen Beschädigten über seinen betätigten Ausbildungs- und Arbeitswillen bekannt ist, desto weniger braucht der hypothetische Berufsweg nach allgemeinen Erfahrungen beurteilt zu werden; je weniger andererseits über solche individuellen Umstände ermittelt werden kann, desto weitergehend muß auf allgemeine Erkenntnisse zurückgegriffen werden. Auf einen konkreten Arbeitsplatz kommt es jedoch im allgemeinen nicht an. Die Leistungsgruppe III wäre seit 1979 nur dann nicht mehr maßgebend, wenn seit dieser Zeit für betrieblich erprobte und geförderte Meister spätestens in den fünfziger Lebensjahren keine nennenswerte Anzahl von Stellen in der Textilindustrie bestände. Meister dieser Art müßten seitdem allgemein entlassen worden sein. Es genügt nicht, daß einzelne beim Verlust ihres Arbeitsplatzes so gut wie keine gleichartige oder -wertige Beschäftigung mehr fänden.

Dagegen wäre die weitere Bemessung des Einkommensverlustes entsprechend dem Vergleichseinkommen der Leistungsgruppe III nach der gegenwärtigen Rechtslage noch nicht ausgeschlossen, falls viele Textilmeister dieser Art ab etwa dem 59. Lebensjahr mit sozial- oder arbeitsrechtlichen Übergangsleistungen vorzeitig aus ihrem Beruf ausschieden, wie dies in vielen Berufen angesichts der Arbeitsmarktverhältnisse zunehmend üblich wird, und falls sich diese berufliche Veränderung - vor einem gesetzlich geregelten Ausscheiden (§ 8 DV) - auf ihr Altersruhegeld und auf eine zusätzliche betriebliche Altersversorgung nicht nennenswert nachteilig auswirkte, diese Leistungen also wesentlich vom zuletzt ausgeübten Beruf bestimmt würden. Vorerst mindert nach dem zuvor dargelegten Recht des Berufsschadensausgleichs ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben dieser Art noch nicht das Vergleichseinkommen.

Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

 

Fundstellen

BSGE, 103

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