Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsschadensausgleich. altersbedingtes Ausscheiden aus dem Berufsleben. Nachschaden

 

Leitsatz (amtlich)

Der einem Selbständigen (hier: Landwirt) bewilligte Berufsschadensausgleich kann ihm bei seinem altersbedingten Ausscheiden aus dem Berufsleben im allgemeinen nicht deshalb entzogen werden, weil er die für seinen Berufsstand übliche Altersversorgung erhält.

 

Leitsatz (redaktionell)

"Grundsätzlich" in § 30 Abs 6 Halbs 2 BVG bedeutet soviel wie "im allgemeinen" oder "in der Regel" (vgl BSG vom 1980-07-08 9 RV 20/79 = SozR 3100 § 30 Nr 48). Eine Ausnahme von dieser Ausnahmebestimmung ist also nicht schlechthin ausgeschlossen. Sie läßt sich aber nur annehmen, wenn gewichtige Umstände dies geboten erscheinen lassen. Solche sind zB nicht darin zu sehen, daß dem Beschädigten die in der Landwirtschaft üblichen Altersleistungen (Landabgaberechte, Altersgeld) zukommen.

 

Orientierungssatz

1. Die Wortfassung gilt nicht" in § 30 Abs 5 BVG aF (mit Wirkung vom 1.1.1982 Abs 6) macht deutlich, daß als Ausnahme von dem übergeordnetem Grundsatz, Entschädigung für versorgungsfremde Nachschäden zu vermeiden, bei schädigungsunabhängigem wohl aber altersbedingtem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben, das Fortbestehen eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes weiterhin unterstellt wird.

2. Kausalitätserwägungen bezüglich der finanziellen Auswirkungen des Eintritts in den Ruhestand sind entbehrlich, wenn der Beschädigte im Zeitpunkt des altersbedingten Ausscheidens aus dem Berufsleben bereits Berufsschadensausgleich bezieht. Dann gilt nach § 8 Abs 1 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG mit Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte das 65. Lebensjahr vollendet hat, das um 25 vH gekürzte Vergleichseinkommen.

3. Wirtschaftliche Einbußen wirken in der Regel auch dann noch fort, wenn der Beschädigte aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Daß sich die Einbuße nicht immer konkret nachweisen läßt, hat der Gesetzgeber in Kauf genommen.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 3 Fassung: 1975-12-18, Abs. 5 Fassung: 1975-12-18; BVG§30Abs3u4u5DV § 8 Abs. 1; SGB 10 § 48 Fassung: 1980-08-18; BVG § 30 Abs. 6 Fassung: 1981-11-20, Abs. 6 S. 1 Fassung: 1981-11-20

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 09.09.1982; Aktenzeichen L 7 V 164/81)

SG Münster (Entscheidung vom 02.04.1981; Aktenzeichen S 4 V 124/78)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt, ihm Berufsschadensausgleich auch nach Aufgabe der selbständigen landwirtschaftlichen Tätigkeit einen Monat vor Vollendung des 65. Lebensjahres weiter zu gewähren.

Der im Oktober 1911 geborene Kläger war zeitlebens als Landwirt tätig, zunächst im elterlichen Betrieb und nach seiner Verheiratung im Jahre 1946 auf dem Pachthof seines Schwiegervaters. In dessen Pachtverträge trat er 1969 ein. Er bewirtschaftete den Hof als selbständiger Landwirt. Als mithelfendes Familienmitglied war sein im Jahre 1949 geborener Sohn A beschäftigt. Ihm übergab er den Hof mit Wirkung vom 1. September 1976. Seitdem bezieht der Kläger Landabgaberente, die um das ab 1. Oktober 1976 zustehende landwirtschaftliche Altersgeld gekürzt wird.

Beim Kläger sind als Schädigungsfolgen "Bauchnarbenbruch nach Bauchschuß, mehrere kleinere reizlos eingeheilte Weichteilstecksplitter an den Fingern beider Hände und dadurch bedingte geringe Gebrauchsbehinderung" anerkannt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) war zunächst auf 50 vH festgesetzt. Vergleichsweise vor dem Landessozialgericht (LSG) erreichte der Kläger vom 1. April 1970 an eine Erhöhung der MdE auf 60 vH wegen einer besonderen Berufsbetroffenheit sowie die Gewährung von Berufsschadensausgleich ab 1. Januar 1970 unter Zugrundelegung eines Vergleichseinkommens nach Besoldungsgruppe A 7 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG). Vorausgegangen war die Anhörung eines landwirtschaftlichen Sachverständigen, der bestätigte, daß der Kläger wegen der Schädigungsfolgen einer Hilfskraft bedürfe, um die Landwirtschaft sachgerecht zu bewirtschaften.

Mit Neufeststellungsbescheid vom 7. März 1977 entzog das Versorgungsamt vom 1. September 1976 an den bisher gewährten Berufsschadensausgleich und setzte die MdE auf 50 vH herab. Letzteres machte die Versorgungsbehörde späterhin rückgängig. Es begründete den Entzug des Berufsschadensausgleichs mit der Aufgabe der beruflichen Tätigkeit wegen Erreichens der Altersgrenze. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger ua geltend, daß die Berufsaufgabe wegen der anerkannten Schädigungsfolgen erfolgt sei; zudem sei sein Sohn nicht mehr bereit gewesen, weiterhin unselbständig auf dem Hof zu arbeiten. Die Versorgungsverwaltung blieb bei ihrer Entscheidung (Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 1978).

Mit der Klage berief sich der Kläger im wesentlichen darauf, den landwirtschaftlichen Betrieb aus schädigungsbedingten Gründen aufgegeben zu haben; außerdem hätte er ohne die Schädigungsfolgen den Hof im Nebenerwerb betrieben und wäre hauptberuflich einer versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, der Kläger habe die Tätigkeit als selbständiger Landwirt nicht wegen der anerkannten Schädigungsfolgen und auch nicht aus Altersgründen aufgegeben. Motiv hierfür sei vielmehr gewesen, daß der Sohn A nicht mehr länger habe unselbständig tätig sein wollen. Der schädigungsbedingte Einkommensverlust sei entfallen, da fortan keine Mehraufwendungen für die zusätzlich beschäftigt gewesene Hilfskraft entstünden und außerdem die Landabgaberente sowie das landwirtschaftliche Altersgeld auch ohne Schädigungsfolgen nicht höher seien.

Mit der Berufung hat der Kläger als wesentlichen Verfahrensmangel eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht sowie das Überschreiten des Rechts der freien Beweiswürdigung durch das SG gerügt. Insoweit sei - meint der Kläger - eine medizinische Abklärung unumgänglich gewesen, um festzustellen, ob die Schädigungsfolgen Mitursache für die Berufsaufgabe gewesen seien. Zudem hätte das SG der Frage einer ohne die Schädigungsfolgen ausgeübten Tätigkeit in der Industrie nachgehen und entsprechende Ermittlungen anstellen müssen.

Das LSG hat das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Es hat dies ua wie folgt begründet: Die angefochtene Entscheidung des SG sei unter Verstoß gegen die §§ 103, 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zustandegekommen. Die Berufung sei demgemäß nach § 150 Nr 2 SGG zulässig. Das SG hätte ohne weitere Beweiserhebung eine schädigungsbedingte Berufsaufgabe nicht verneinen dürfen. In der Sache sei das Begehren des Klägers begründet. Er habe einen Monat vor Vollendung des 65. Lebensjahres die Landwirtschaft altersbedingt aufgegeben. Hingegen seien in der Person des Sohnes A liegende Beweggründe nicht entscheidend gewesen. Das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben aus Altersgründen führe nach § 30 Abs 3 bis 5 Bundesversorgungsgesetz (BVG) iVm § 8 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG nicht zum Wegfall des Berufsschadensausgleiches, sondern lediglich zur Kürzung des zugrundeliegenden Vergleichseinkommens um 25 vH.

Der Beklagte hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 150 Nr 2, § 158 Abs 1 SGG, § 30 Abs 3 bis 6 BVG, sowie § 8 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG. Das SG habe - trägt der Beklagte ua vor - seine Aufklärungspflicht nicht verletzt. Es habe sich nach dem Sachvortrag des Klägers nicht gedrängt fühlen müssen, den Sachverhalt medizinisch weiter zu klären. Überdies habe mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben kein schädigungsbedingter Einkommensverlust mehr bestanden, wovon gerade die Nachschadensregelung ausgehe. Die Betriebsabgabe sei auch schon vor Vollendung des 65. Lebensjahres erfolgt, weshalb § 8 Abs 1 DVO nicht anwendbar sei. Ebensowenig komme Abs 2 dieser Vorschrift in Betracht. Der Bezug der Landabgaberente sei nicht der Inanspruchnahme einer gesetzlichen Altersgrenze gleich zu erachten. Ob der Kläger aus wesentlich altersbedingten Gründen nicht mehr als selbständiger Landwirt tätig sei, könne letztlich dahingestellt bleiben, da auch § 30 Abs 6 nF BVG eine Einkommensminderung voraussetze. Der Kläger erhalte die übliche Altersversorgung als ehemaliger selbständiger Landwirt. Das LSG habe auch nicht deutlich gemacht, auf welcher Grundlage (Nachschadensregelung nach § 30 Abs 6 BVG oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nach § 8 DVO) der Berufsschadensausgleich weiter zu gewähren sei.

Der Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG als unzulässig zu verwerfen; hilfsweise, die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist nicht erfolgreich. Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG sowie den angefochtenen Entziehungsbescheid aufgehoben. Dem Kläger steht weiterhin Berufsschadensausgleich zu, allerdings unter Beachtung der Kürzungsvorschrift des § 8 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG.

Die Berufung war ungeachtet des Berufungsausschließungsgrundes nach § 148 Nr 3 SGG wegen eines vom Kläger gerügten und auch tatsächlich vorliegenden Verfahrensmangels zulässig (§ 150 Nr 2 SGG; BSG SozR 1500 § 150 Nr 18).

Der angefochtene Entziehungsbescheid ist entgegen der Meinung der Instanzgerichte nicht mehr nach § 62 BVG zu beurteilen. Vielmehr erfaßt die durch das Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X - vom 18. August 1980 - BGBl I 1469, 2218 -) bewirkte Rechtsänderung rückwirkend den Streitgegenstand. Dabei ist es unerheblich, daß das SGB X erst im Laufe des Gerichtsverfahrens, nämlich am 1. Januar 1981 gemäß Art II § 40 Abs 1 SGB X in Kraft getreten ist (BSGE - GrS - 54, 223, 226 f = SozR 1300 § 44 Nr 3). Nach § 48 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Zu diesen Verhältnissen gehört der schädigungsbedingte Einkommensverlust im Sinne des § 30 Abs 3 BVG, der Grundlage für die Gewährung von Berufsschadensausgleich ist. Der Eingriff in die Bestandskraft (§ 77 SGG) eines Bescheides ist nur zulässig, "soweit" sich die maßgeblichen Umstände geändert haben, ist also vom Ausmaß der Änderung abhängig (vgl zu § 62 Abs 1 BVG aF: Urteile des erkennenden Senats vom 9. Juli 1980 - 9 RV 38/79 und SozR 3100 § 62 Nr 16). Diese Tatbestandsvoraussetzungen sieht der Beklagte als gegeben an. Indessen ist mit der Beendigung der selbständigen beruflichen Tätigkeit der durch die Schädigungsfolgen bewirkte Einkommensverlust nicht beseitigt.

Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, daß der Kläger seine selbständige berufliche Tätigkeit unabhängig von den Schädigungsfolgen aufgegeben hat. Nach den Feststellungen des LSG, die vom Beklagten unangegriffen geblieben und somit für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG) sind, waren hierfür altersbedingte Gründe maßgebend. Ein derart motiviertes Handeln berührt nach § 30 Abs 5 Satz 1 Halbs 2 BVG idF des Art 2 § 1 Nr 4 Buchst a des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 1331; nunmehr Abs 6: mit Wirkung vom 1. Januar 1982 nach Art 1 Nr 13 Buchst d des Gesetzes vom 20. November 1981 - BGBl I 1199 -) den Berufsschadensausgleich nicht. Nach dieser Vorschrift gilt das altersbedingte Ausscheiden aus dem Erwerbsleben grundsätzlich nicht als Nachschaden. Die Wortfassung "gilt nicht" macht deutlich, daß als Ausnahme von dem allgemein in § 30 Abs 5 BVG aF enthaltenen übergeordneten Grundsatz, Entschädigungen für versorgungsfremde Nachschäden zu vermeiden (BT-Drucks 7/4127 S 55, besonderer Teil - Art 22, zu § 1 Nr 3 und S 22), bei schädigungsunabhängigem, wohl aber altersbedingtem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben, das Fortbestehen eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes weiterhin unterstellt wird. Denn nur unter diesen in § 30 Abs 3 BVG normierten Voraussetzungen läßt sich die Weitergewährung des Berufsschadensausgleiches überhaupt rechtfertigen.

Demnach sind Kausalitätserwägungen bezüglich der finanziellen Auswirkungen des Eintritts in den Ruhestand, wie sie der Beklagte anstellen möchte, entbehrlich, wenn der Beschädigte im Zeitpunkt des altersbedingten Ausscheidens aus dem Berufsleben bereits Berufsschadensausgleich bezieht. Dann gilt nach § 8 Abs 1 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG (letzte Fassung vom 18. Januar 1977 - BGBl I 162 -) mit Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte das 65. Lebensjahr vollendet hat, das um 25 vH gekürzte Vergleichseinkommen. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetz- bzw Verordnungsgeber zum einen eine Anpassung an die allgemein geltenden Regeln über die Altersgrenze in Beamten- und Rentenrecht (vgl etwa § 41 Bundesbeamtengesetz und § 1248 Reichsversicherungsordnung) vorgenommen. Zum anderen hat er als Vergleichseinkommen für Altersrentner und Ruhestandsbeamte wie auch für Selbständige kein durchschnittliches Renten- oder Pensionseinkommen, sondern ein allgemein um 25 vH gekürztes Vergleichseinkommen angesetzt. Damit trägt diese Bestimmung in besonderer Weise dem Grundsatz der Generalisierung und Pauschalierung Rechnung, wovon der Berufsschadensausgleich und Schadensausgleich beherrscht wird (BSGE 38, 160, 166 = SozR 3100 § 30 Nr 3; SozR 3100 § 30 Nr 47 mwN). Demgemäß kommt es auf einen konkreten Einkommensschaden nicht an (BSGE 33, 60, 61 = SozR Nr 47 zu § 30 BVG). Der Einkommensverlust ist pauschalierend nach einem durchschnittlichen Berufserfolg festzustellen (BSGE 45, 227, 234 = SozR 3100 § 30 Nr 33 mwN; SozR 3100 § 30 Nr 42 S 186 mwN). Selbständige Landwirte sind von diesem Grundsatz nicht ausgenommen (BSG SozR 3100 § 30 Nr 47). Ist der Berufsschadensausgleich aber danach bemessen worden, verbleibt es bei dieser Versorgungsleistung, auch wenn der Beschädigte die Altersgrenze erreicht und deswegen seine berufliche Tätigkeit aufgegeben hat.

Dieses Ergebnis steht mit der allgemeinen Erfahrung im Einklang, daß Schwerbeschädigte, die während ihres Arbeitslebens infolge der Schädigung wirtschaftliche, berufliche und soziale Einbußen hinnehmen mußten, diesen Nachteilen auch beim Ausscheiden aus dem Berufsleben - wenn auch möglicherweise vermindert - noch ausgesetzt sind (BSGE 38, 160, 163 f = SozR 3100 § 30 Nr 3). Ähnliche Erwägungen haben dem erkennenden Senat Anlaß gegeben anzunehmen, daß der vor Vollendung des 65. Lebensjahres eingetretene Nachschaden sich bei Selbständigen, namentlich bei Landwirten, auch nachher in ihrer wirtschaftlichen Lage auswirkt und ein anderes Bruttoeinkommen aus der früheren Tätigkeit bedingen wird, als das durch die Schädigungsfolgen beeinflußte (BSG SozR 3641 § 8 Nr 1). Daraus läßt sich die Folgerung ableiten, daß wirtschaftliche Einbußen in der Regel auch dann noch fortwirken, wenn der Beschädigte aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Daß sich dies nicht immer konkret nachweisen läßt, wie die zugrundeliegende Fallgestaltung zu zeigen scheint, hat der Gesetzgeber in Kauf genommen. Er hat in Kenntnis der Rechtsprechung des 9. und 10. Senats des Bundessozialgerichts zum vorzeitigen Ausscheiden aus dem Berufsleben, die einen effektiv nachweisbaren schädigungsbedingten Einkommensverlust verlangt hatte und die vor der Nachschadensregelung ergangen war (BSGE 38, 160; SozR 3100 § 30 Nr 4), dennoch die Nachschadensregelung in der geschehenen Weise geschaffen, um, wie ausgeführt, eine versorgungsfremde Einkommensminderung von der Entschädigung auszunehmen und damit der bisherigen Verwaltungspraxis entgegenzuwirken. Die Vorschriften über den Nachschaden enthalten ungeachtet dieser Rechtsprechung jedoch eine Ausnahmeregelung, soweit ua das Ausscheiden aus dem Berufsleben altersbedingt erfolgt ist. Dieses Geschehen gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden (§ 90 Abs 5 Satz 1 Halbs 2 BVG aF).

Das Adverb "grundsätzlich" läßt allerdings die Deutung zu, daß diese Fiktion nicht uneingeschränkt gewollt ist. Vielmehr bedeutet der Wortgebrauch "grundsätzlich" soviel wie "im allgemeinen" oder "in der Regel" (Urteil des erkennenden Senats: SozR 3100 § 30 Nr 48). Eine Ausnahme von dieser Ausnahmebestimmung ist also nicht schlechthin ausgeschlossen. Sie läßt sich aber nur annehmen, wenn gewichtige Umstände dies geboten erscheinen lassen. Solche sind entgegen der Meinung des Beklagten nicht darin zu sehen, daß dem Kläger die in der Landwirtschaft üblichen gesetzlichen Altersleistungen (Landabgaberente, Altersgeld) zukommen. Würde man dies annehmen wollen, wäre ein ganzer Berufsstand wie der der selbständigen Landwirte global von der Gewährung des Berufsschadensausgleiches ausgeschlossen. Andere Berufsgruppen mit berufsspezifischer Altersversorgung könnten ebenfalls davon erfaßt sein. Gerade dies wollte der Gesetzgeber vermeiden. Den Beschädigten sollte der Besitzstand auch beim Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bleiben. Überdies läßt sich im Falle des Klägers nicht ausschließen, daß er - wie er vorträgt - ohne die Schädigungsfolgen höhere Altenteilsleistungen hätte erreichen können. Auch dies ist nicht unbeachtlich. Nach alldem ist eine wirtschaftliche Benachteiligung des Klägers nicht mit einer solchen Gewißheit auszuschließen, daß deshalb eine wesentliche Änderung anzunehmen wäre, die eine Neufeststellung nach § 48 Abs 1 SGB X rechtfertigte.

Im übrigen entspricht es einem allgemeinen versorgungsrechtlichen Prinzip, eine wesentliche Änderung in Verhältnissen jedenfalls nicht darin zu erblicken, daß der Beschädigte in einem späteren Zeitpunkt seinen Beruf wegen fortschreitenden Alters ohnehin nicht mehr ausüben kann. Der 9. Senat (KOV 1969, 124) hat in Übereinstimmung mit dem 8. Senat (SozR Nr 60 zu § 30 BVG) dem 10. Senat (BSGE 36, 21, 25 = SozR Nr 66 zu § 30 BVG) und dem 11. Senat (BSGE 14, 172, 176 = SozR Nr 11 zu § 62 BVG) entschieden, daß das Erreichen einer gesetzlich vorgeschriebenen Altersgrenze für sich allein grundsätzlich keine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG darstellt. In diesen zu § 30 Abs 2 BVG ergangenen Urteilen (vgl außerdem das zu dem gleichen Fragenkomplex ergangene Urteil des erkennenden Senats vom 21. September 1983 - 9a RV 36/82 - zur Veröffentlichung bestimmt -) ist damit geklärt, was in der Wortfassung "gilt grundsätzlich nicht" zum Ausdruck kommt. Danach sollen Beschädigte in einem höheren Lebensalter einen besonderen Schutz genießen und tunlichst vor Beunruhigungen und Rentenminderungen bewahrt bleiben (BSG SozR 3100 § 62 Nr 8); ihnen will man den erworbenen Besitzstand erhalten. Dieser Grundsatz gilt zwar nicht ausnahmslos, läßt sich aber auf Fälle der vorliegenden Art, die keinerlei Besonderheiten in der wirtschaftlichen Entwicklung nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben aufweisen, übertragen.

Ferner scheitert der Anspruch des Klägers nicht daran, daß er einen Monat vor Erreichung des 65. Lebensjahres die Landwirtschaft übergeben hat. Allein die Nähe zu dem hier maßgeblichen Lebensabschnitt gebietet schon eine entsprechende Anwendung. Zudem ist der Kläger nach den Feststellungen des LSG aus altersbedingten Gründen aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Daran hat sich der Beklagte zu halten.

Ebensowenig war das Berufungsgericht, wie der Beklagte meint, verpflichtet, neben der Aufhebung des Entziehungsbescheides zusätzlich zur Leistung zu verurteilen. Mit dem Urteilsausspruch war der zurückgenommene Leistungsbescheid wiederum voll wirksam mit der Folge, daß der in Streit stehende Berufsschadensausgleich weiter zu gewähren ist. Jedoch ist hinsichtlich der Höhe des Berufsschadensausgleiches die Kürzungsvorschrift des § 8 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG zu beachten. Darauf hat offenbar auch das LSG abgestellt. Die Bedeutung, die es dem Umstand des altersbedingten Ausscheidens aus dem Erwerbsleben beigemessen hat, läßt deutlich genug erkennen, daß es die Nachschadensregelung nicht angewendet wissen will.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 121

Breith. 1984, 881

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