Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschiedenenwitwenrente

 

Orientierungssatz

Kriegs- oder wehrdienstbedingte Beeinflussung der Unterhaltsverpflichtung - notwendiger Unterhalt iS des EheG.

 

Normenkette

BVG § 42 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28; EheG § 66 Fassung: 1938-07-06, § 67 Fassung: 1938-07-06

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 06.03.1973; Aktenzeichen L 6 V 13/72)

SG Köln (Entscheidung vom 10.12.1968; Aktenzeichen S 14 V 149/68)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. März 1973 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Rente gemäß § 42 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nach ihrem seit Februar 1945 als Soldat vermißten und mit dem Todeszeitpunkt 31. Dezember 1945 für tot erklärten früheren Ehemann, von dem sie aus dessen Alleinschuld im Jahre 1937 rechtskräftig geschieden worden war. Sie hat von ihm keinen Unterhalt bekommen, weil einerseits er seinen Gärtnereibetrieb im Jahre 1938 durch Zwangsversteigerung verloren und seitdem als unselbständiger Gärtner in verschiedenen Gärtnereien gearbeitet hatte. Die Klägerin andererseits hatte Einkünfte aus eigenem Blumengeschäft und aus Hausbesitz (ihr in K belegenes Haus wurde 1943 im Luftkrieg zerstört). Den im Januar 1967 gestellten Rentenantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Oktober 1967 ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. August 1968), weil die Klägerin trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen niemals von ihrem geschiedenen Ehemann Unterhalt verlangt hatte.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 10. Dezember 1968 die Klage abgewiesen. Dem früheren Ehemann der Klägerin sei es wegen seiner Schulden unmöglich gewesen, Unterhaltsleistungen an die Klägerin zu erbringen. Das Landessozialgericht (LSG) hat zunächst mit Urteil vom 4. August 1970 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Auf die Revision der Klägerin hat der Senat durch Urteil vom 30. November 1971 die Entscheidung des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, die Klägerin sei im Jahre 1945 unterhaltsbedürftig gewesen; nach der Lebenserfahrung hätte damals ein unverheirateter und arbeitsfähiger Gärtner durchaus die Möglichkeit gehabt, eine auf Erwerb gerichtete und wirtschaftlich ergiebige Tätigkeit auszuüben, wenn er nicht zum Kriegsdienst eingezogen gewesen wäre. Da es auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (§ 67 Ehegesetz - EheG - von 1938) des früheren Ehemanns im Jahre 1945 ankomme, werde das LSG feststellen müssen, welche Einkünfte dieser als Gärtner im Jahre 1945 hätte erzielen können, wobei es nicht allein darauf ankomme, ob er selbständig tätig gewesen wäre.

Das LSG hat dementsprechend Auskünfte vom Landesverband Gartenbau Rheinland e.V. vom 13. April und 17. November 1972 sowie von der Landwirtschaftskammer Rheinland vom 12. September und 27. Oktober 1972 eingeholt. Es hat sodann durch Urteil vom 6. März 1973 die Berufung der Klägerin erneut zurückgewiesen und ausgeführt, es sei nicht wahrscheinlich, daß der frühere Ehemann der Klägerin im Jahre 1945, wenn er nicht Soldat gewesen, als Gärtner selbständig tätig gewesen wäre. Als Gärtner in abhängiger Stellung hätte er in Anwendung des § 67 EheG nicht genügend verdient, um der Klägerin Unterhalt leisten zu können. Nach der Auskunft der Landwirtschaftskammer sei von einem Stundenlohn-einschließlich eines Berufsalterszuschusses - von 1,15 RM auszugehen. Bei einer Arbeitszeit von 10 Stunden täglich und wöchentlich 55 Stunden - mehr wäre ihm sicher nicht zuzumuten gewesen - hätte er brutto 63,25 RM verdient. Nach Abzug der Invalidenversicherungsbeiträge und Steuern hätte sein Netto-Lohn wöchentlich rd. 54.75 RM betragen. Sein notwendiger Unterhalt hätte 37,42 RM ausgemacht, woraus ein angemessener Unterhalt von rd. 50 RM zu schätzen sei, so daß er wöchentlich nur 4,75 RM für die Klägerin hätte erübrigen können. Diese geringfügige Leistung aber sei nicht als Unterhalt ins Gewicht gefallen, so daß die Voraussetzungen des § 42 BVG nicht erfüllt seien.

Die Klägerin hat Revision eingelegt und beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. März 1973 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Sie rügt mit näherer Begründung eine unzureichende Sachaufklärung und Verletzung des § 128 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das LSG habe nicht erkennbar gemacht, warum es trotz der Auskunft der Landwirtschaftskammer Rheinland nur eine Arbeitszeit von 10 Stunden "für zumutbar" gehalten und die Sonntagsarbeit nicht berücksichtigt habe. Auch die Schätzungen des Unterhalts für den früheren Ehemann der Klägerin seien nicht so begründet, daß das Revisionsgericht den Weg zur Urteilsfindung des Berufungsgerichts nachprüfen könnte.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Beide Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Klägerin hat die Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Das LSG hat das Rechtsmittel zwar nicht zugelassen. Es findet aber statt, weil die Klägerin einen wesentlichen Mangel des Verfahrens vor dem LSG gerügt hat und dieser auch vorliegt. Die Revision mußte in dem Sinne Erfolg haben, daß die Sache an das LSG zurückverwiesen werden mußte.

Durch das erste Urteil des Senats vom 30. November 1971 ist die Rechtslage klargestellt: Nach § 42 Abs. 1 Satz 2 BVG in der Fassung des 3. Neuordnungsgesetzes (3. NOG) sind unter den "kriegs- und wehrdienstbedingten Gründen" bei der Prüfung der Unterhaltsverpflichtung solche Umstände zu verstehen, aus denen wegen des Krieges oder des Wehrdienstes zum Beispiel die Ehefrau nicht mehr unterhaltsbedürftig war (§ 66 des hier maßgebenden Ehegesetzes - EheG - von 1938) oder der geschiedene Ehemann seine ursprüngliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (§ 67 EheG) verloren hatte. Es sind aber nicht alle Umstände bei der Prüfung der Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehemannes außer Betracht zu lassen, gleichgültig, ob sie sich negativ oder positiv auf diese Verpflichtung auswirkten. Vielmehr ist nur unberücksichtigt zu lassen, daß der frühere Ehemann der Klägerin wegen seiner Einberufung zum Kriegs- oder Wehrdienst wirtschaftlich nicht leistungsfähig gewesen ist und aus diesem Grunde die Klägerin im Zeitpunkt seines Todes nach den eherechtlichen Vorschriften keinen Unterhaltsanspruch gegen ihn hatte. Auf die finanziellen Verhältnisse vor der Einberufung des Ehemanns kommt es nicht an, vielmehr darauf, was er im Jahre 1945 hätte verdienen können, wenn er nicht Soldat gewesen wäre. Die Feststellungen, welche das LSG insoweit anschließend getroffen hat, hat die Revision begründet angegriffen.

Es ist an sich nicht ausgeschlossen, daß das LSG auf Grund der Auskunft der Landwirtschaftskammer die unterste Grenze der täglichen Arbeitszeit von 10 Stunden festgestellt hat. Die Erwägung allerdings, welche für die Annahme dieser Zeit leitend gewesen ist, genügt nicht; hat sich doch das Berufungsgericht darauf beschränkt, eine tägliche Arbeitszeit von mehr als 10 Stunden nicht als "zumutbar" zu bezeichnen. Es wäre erforderlich gewesen, daß es hierzu weitere Erwägungen angestellt hätte und die mangelnde Zumutbarkeit entweder aus dem Alter oder aus dem Gesundheitszustand des früheren Ehemanns der Klägerin näher begründet hätte. Bei den gerichtsnotorisch völlig ungeregelten Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten, welche auch in der Auskunft der Landwirtschaftskammer vom 27. Oktober 1972 zum Ausdruck kommen, wäre es erforderlich gewesen darzulegen, warum hier der frühere Ehemann der Klägerin dem damaligen Drang zur Arbeitsleistung im Gartenbau offenbar weniger entsprochen haben sollte als andere Arbeitskräfte. Infolgedessen greift insoweit die Rüge einer Verletzung des § 128 SGG durch. Bereits aus diesem Grunde konnte die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben.

Hinsichtlich der Arbeitszeit ist die weitere Rüge, das LSG habe die Sonntagsarbeit nicht berücksichtigt, ebenfalls begründet. Mag sie auch im Hinblick auf den nicht großen Umfang der Sonntagsarbeit im Laufe eines Monats nicht schwer ins Gewicht fallen, so kann sie doch bei diesem Grenzfall die Entscheidung beeinflussen. Deshalb wird das LSG auch insoweit weitere Feststellungen zu treffen haben. Dies könnte im übrigen auch für die damalige Dauer der Samstagarbeit im Gartenbau in Betracht kommen.

Schließlich hat die Revision zu Recht auch den Betrag bemängelt, welcher dem früheren Ehemann der Klägerin nach den Berechnungen im angefochtenen Urteil verbleiben sollte. Dabei kann mit dem Berufungsgericht von einem Stundenlohn von insgesamt 1,15 RM ausgegangen und auch ein aus der Lohnpfändungs-Verordnung vom 30. Oktober 1940 zu ermittelnder notwendiger Unterhalt in Höhe von 37,42 RM zugrunde gelegt werden. Die weitere Berechnung des Berufungsgerichts über den angemessenen Unterhalt aber ist nicht frei von Bedenken; denn die Schätzung, warum das LSG einen wöchentlichen Mehrbetrag von 12,58 RM für gerechtfertigt erachtet hat, entbehrt der näheren Begründung. Auch insoweit hat das LSG die Erwägungen nicht mitgeteilt, welche für seine richterliche Urteilsbildung maßgebend gewesen sind. Infolgedessen ist auch in diesem Funkte die Rüge einer Verletzung des § 128 SGG begründet. In dem weiteren Verfahren wird das LSG zu beachten haben, daß auf den angemessenen Unterhalt eines selbständigen Gärtners nicht zurückgegriffen werden darf, weil der frühere Ehemann der Klägerin diese Berufsstellung bereits im Jahre 1938 verloren hatte und seitdem unselbständiger Gärtner und Arbeitnehmer gewesen ist und dies auch zur Zeit der Inanspruchnahme gewesen wäre.

Im übrigen wird das LSG in diesem Zusammenhang auch noch zu berücksichtigen haben, daß nach dem Ehegesetz der Bedarf beider Ehepartner in entsprechendem Verhältnis eingeschränkt werden muß, wenn das Einkommen des Unterhaltspflichtigen zur Unterhaltszahlung ohne Gefährdung eines eigenen angemessenen Unterhalts nicht ausreicht. In solchen Fällen muß der Unterhaltspflichtige allerdings das zur Erhaltung seiner Arbeitskraft Notwendige in jedem Falle behalten.

Demgemäß war, wie geschehen, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Urteil vorbehalten, durch welches das Verfahren abgeschlossen wird.

Da die Voraussetzungen der §§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs.2 SGG erfüllt waren, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650680

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