Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.09.1987)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. September 1987 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die Klägerin sich von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) bei der Berechnung der Arbeitslosenhilfe (Alhi) so behandeln lassen muß, als ob sie die Voraussetzungen eines Unterhaltsanspruchs gegen ihren Vater herbeigeführt habe.

Die Klägerin war kinderlos verheiratet von 1976 bis zur Scheidung im Jahre 1980. Sie war als ausgebildete Erzieherin in ihrem Beruf tätig, unterbrochen durch Zeiten berufsfremder Tätigkeit als Angestellte bei einer Sparkasse und anderen Einrichtungen sowie durch Zeiten der Arbeitslosigkeit. Sie erhielt Arbeitslosengeld (Alg) und Anschluß-Alhi. Nach einer weiteren Beschäftigung von drei Monaten als Büroangestellte bewilligte ihr die Beklagte erneut Alhi für die Zeit vom 7. November 1984 bis zum 31. August 1985 unter Anrechnung eines (fiktiven) Unterhaltsanspruchs gegen ihren Vater in Höhe von wöchentlich 31,35 DM, da das angegebene Eigenvermögen der Klägerin von 6.000,– DM einen Unterhaltsanspruch nicht ausschließe (Bescheid vom 17. Dezember 1984; Widerspruchsbescheid vom 26. März 1985). Während des Bezuges der Alhi hätte die Klägerin – wie später vom Landessozialgericht (LSG) festgestellt – durch die Aufnahme einfacher Reinigungs- oder anderer Hilfsarbeiten am Wohnort ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften können; darüber hinaus waren offene Arbeitsplätze in ihrem Beruf als Erzieherin in Kinderheimen an der Ost- und Nordsee vorhanden.

Das Sozialgericht (SG) hat die BA verurteilt, der Klägerin „Alhi ohne Anrechnung von Einkommen ihres Vaters … zu gewähren” (Urteil vom 17. November 1986). Das LSG hat die zugelassene Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 25. September 1987).

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 138 Abs 1 Ziff 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), des § 10 Ziff 1 der Alhi-Verordnung und des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. September 1987 sowie das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 17. November 1986 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Die vom LSG bestätigte Verurteilung der Beklagten, der Klägerin „Alhi ohne Anrechnung von Einkommen ihres Vaters zu gewähren”, bringt mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, daß die Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs der Klägerin gegen ihren Vater zu unterbleiben hat. Dabei ist die Verurteilung für die Zeit ab 7. November 1984 nach dem Gesamtzusammenhang des erstinstanzlichen Urteils auf den Zeitraum bis zum 31. August 1985 beschränkt, auch wenn sich letzteres nicht aus der Urteilsformel ergibt, weil die Beklagte im angefochtenen Bescheid nur über den Zeitraum bis zum 31. August 1985 entschieden hatte. Daß die Beklagte mit weiteren Bescheiden die Alhi für anschließende Zeiträume wiederum unter Anrechnung eines Unterhaltsanspruches festgesetzt hat, die dann nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden wären, hat weder das LSG festgestellt noch die Revision geltend gemacht. Daher ist nur über den im angefochtenen Bescheid bezeichneten Zeitraum zu befinden.

Wie das LSG im Anschluß an das Urteil des 7. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. Juni 1985 (BSGE 58, 165 ff = SozR 4100 § 138 Nr 12) zur Anrechnung des Unterhaltsanspruchs eines volljährigen Arbeitslosen gegen seine Eltern nach § 138 Abs 1 Nr 1 AFG zutreffend entschieden hat, stand der Klägerin für die streitige Zeit zwar Anspruch auf Alhi, nicht aber der ihr darauf angerechnete Unterhaltsanspruch zu. Die unterschiedliche Regelung des Unterhaltsanspruchs im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und des Anspruchs auf Alhi im AFG führt dazu, daß bei dem hier zu beurteilenden Verhalten der Arbeitslosen ein Anspruch auf Alhi gegeben ist, nicht aber der – an sich vorrangige – Anspruch auf Unterhalt gegen den Vater.

Nach bürgerlichem Recht (§§ 1601 ff BGB) haben volljährige Kinder mit abgeschlossener Ausbildung einen Unterhaltsanspruch gegen ihre Eltern nur dann, wenn sie außerstande sind, sich selbst zu unterhalten. Maßstab für die Zumutbarkeit eines möglichen Erwerbseinkommens ist dabei die Forderung nach wirtschaftlicher und sozialer Eigenverantwortung des volljährigen Unterhaltsberechtigten. Dieser ist nach Abschluß seiner Ausbildung verpflichtet, auch berufsfremde Tätigkeiten aufzunehmen, wenn es ihm nicht möglich ist, in dem erlernten Beruf eine Stellung zu finden. Dabei sind ihm auch Arbeiten unterhalb seiner gewohnten Lebensstellung zuzumuten (BGHZ 93, 123, 127 und BGH FamRZ 1985, 1245, 1246). Eine nichtverheiratete Person muß im allgemeinen auch Tätigkeiten außerhalb ihres bisherigen Wohnortes in Betracht ziehen (OLG Köln FamRZ 1983, 942). Diese Anforderungen sind bewußt strenger gewählt als gegenüber der Sozialbehörde oder dem Arbeitsamt (Köhler in Münchener Kommentar, BGB § 1603 RdNr 6). Die Zumutbarkeit des Einsatzes der Arbeitskraft ist für den Unterhaltsanspruch unter Berücksichtigung der zivilgerichtlichen Rechtsprechung eigenständig und damit unabhängig von der Zumutbarkeit im Alhi- und Sozialhilferecht zu bestimmen (BSGE 58, 165, 170). Dabei ist, wie allgemein bei bürgerlich-rechtlichen Vorfragen, ein Einklang mit der zivilgerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wünschenswert (SozR 2200 § 1265 Nr 56). Das schließt es zwar nicht von vornherein aus, den Bedürfnissen des Sozialrechts Rechnung zu tragen (vgl BSG SozR Nr 64 zu § 1265 RVO). Soweit jedoch – wie hier – ein Unterhaltsanspruch auf eine Sozialleistung angerechnet und der Unterhaltsberechtigte damit im Ergebnis auf die Geltendmachung dieses zivilrechtlichen Anspruchs verwiesen wird, ist eine enge Anlehnung an die zivilgerichtliche Rechtsprechung geboten.

Auf dieser Grundlage hat das LSG einen Unterhaltsanspruch für den streitigen Zeitraum zutreffend verneint. Es hat festgestellt, daß die Klägerin bei entsprechenden Bemühungen durchaus ihren Lebensunterhalt durch die Aufnahme ungelernter Arbeiten an ihrem Wohnort habe sicherstellen können. Von ihrem körperlichen Leistungsvermögen her habe sie einfache Reinigungs- und andere Hilfsarbeiten übernehmen können, soweit es sich nicht um andauernd schwere körperliche Arbeiten handele. Die von der Beklagten gegen die hierin liegende Feststellung, daß offene Arbeitsplätze dieser Art am Wohnort der Klägerin vorhanden waren, erhobene Verfahrensrüge genügt – wie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt – nicht den Anforderungen des § 164 SGG. Deshalb schließt schon der vom LSG für das Revisionsgericht nach § 163 SGG bindend festgestellte Sachverhalt einen Unterhaltsanspruch aus.

Angesichts dieser Feststellung ist auch das Revisionsvorbringen unerheblich, wenn keine (offenen) Arbeitsplätze vorhanden seien, komme es auf ein (dann von vornherein aussichtsloses) eigenes Bemühen nicht mehr an. Der Senat braucht daher die schon vom 7. Senat (BSGE 58, 165, 170) aufgeworfene Frage nicht abschließend zu entscheiden, ob das Fehlen einer Beschäftigungsmöglichkeit nur durch vergebliche nachhaltige Bemühungen des Arbeitslosen, oder auch durch vergebliche Vermittlungsbemühungen der Beklagten, die sich auf alle dem Arbeitslosen nach Unterhaltsrecht zumutbaren Beschäftigungen bezogen haben, bewiesen werden kann. Nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung genügt zum Beweis, daß der Arbeitslose außerstande ist, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, eine Meldung beim Arbeitsamt nicht (OLG Köln FamRZ 1980, 362). Die BA hat zwar nach § 3 Abs 1 Satz 2 und § 6 AFG Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu betreiben. Jedoch können weder die Erfüllung dieser Aufgaben noch das nach § 4 AFG bestehende Vermittlungsmonopol der Beklagten ausreichend sicherstellen, daß der BA alle offenen Arbeitsstellen bekannt werden. Der Senat neigt daher zu der Auffassung, daß ein bundesweites Nichtvorhandensein offener Stellen für einfachste Arbeiten in aller Regel nur durch zur Arbeitslosmeldung hinzukommende vergebliche nachhaltige Bemühungen des Arbeitslosen bewiesen werden kann.

Die vom LSG festgestellte Einschränkung des Arbeitswillens schließt nur den Unterhaltsanspruch, nicht aber den Anspruch auf Alhi aus, und zwar weder unter dem Gesichtspunkt der Verfügbarkeit, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, noch unter dem der Bedürftigkeit. Der Anspruch auf Alhi setzt nach § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG ua Verfügbarkeit voraus. Damit ist die für den Anspruch auf Alg in § 103 AFG geregelte Verfügbarkeit gemeint. Die in § 134 Abs 4 AFG für die Alhi angeordnete entsprechende Anwendung der für das Alg geltenden Vorschriften bezieht sich auch auf die Umschreibung der Verfügbarkeit in § 103 AFG, insbesondere auf die in § 103 Abs 2 Satz 2 der BA erteilte Ermächtigung, das Nähere durch Anordnung zu regeln. Dementsprechend ist die Zumutbarkeit in der Zumutbarkeits-Anordnung vom 16. März 1982 (AN 1982, 523) nicht nur für das Alg geregelt; vielmehr erwähnt § 6 ausdrücklich auch den Anspruch auf Alhi.

Während der ersten Zeit der Arbeitslosigkeit sind dem Arbeitslosen nach der Zumutbarkeits-Anordnung Beschäftigungen nur zumutbar, die den üblichen Bedingungen entsprechen, zu denen Arbeitnehmer mit vergleichbarem Berufsabschluß oder vergleichbarem beruflichem Werdegang Beschäftigungen ausüben (§ 9). War es während der ersten Zeit der Arbeitslosigkeit trotz ausreichender und angemessener Vermittlungsbemühungen nicht möglich, den Arbeitslosen in eine solche Beschäftigung zu vermitteln, so ist die Beschäftigung einer der in § 12 Abs 2 der Zumutbarkeits-Anordnung gebildeten fünf Qualifikationsstufen zuzuordnen (1. Hochschul- und Fachhochschulausbildung; 2. Aufstiegsfortbildung auf einer Fachschule oder in einer vergleichbaren Einrichtung; 3. Ausbildung in einem Ausbildungsberuf; 4. Anlernausbildung; 5. alle übrigen Beschäftigungen), und es werden jeweils während eines weiteren Zeitraums auch Beschäftigungen der nächstniedrigeren Qualifikationsstufe zumutbar (§ 12 Abs 1). Danach waren die vom LSG zum Unterhaltsanspruch erörterten „einfachen Reinigungs- und anderen Hilfsarbeiten” der Klägerin, die nach einer Ausbildung zur Erzieherin in diesem Beruf mehrjährig tätig war, zumindest während der ersten Zeit der Arbeitslosigkeit nicht zumutbar. Dies hätte allerdings nach § 12 Abs 4 der Zumutbarkeits-Anordnung auch vorausgesetzt, daß die Gründe, welche die Beschäftigungen in einer niedrigeren Qualifikationsstufe zumutbar machen, zuvor mit der Klägerin in einem Beratungsgespräch erörtert worden wären. Solche Beratungsgespräche hat weder die Beklagte geltend gemacht noch das LSG festgestellt; sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Damit erweisen sich die vom LSG erwähnten einfachen Reinigungs- und Hilfsarbeiten als der Klägerin im Rahmen des Anspruchs auf Alhi nicht zumutbar. Entsprechendes muß aber auch für die Frage des mit einer Erziehertätigkeit an der Nord- und Ostsee verbundenen Ortswechsels gelten, solange die Beklagte die Klägerin nicht darauf hinwies, daß sie eine Vermittlung im Bereich des Wohnorts als aussichtslos ansah, und ihr insbesondere nicht die Notwendigkeit des Ortswechsels zur Vermittlung einer Beschäftigung als Erzieherin in einem Kinderheim an der Nord- oder Ostsee eröffnete.

Der Anspruch auf Alhi setzt neben der Verfügbarkeit nach § 134 Abs 1 Satz 1 Ziff 3 AFG Bedürftigkeit voraus. Bedürftig ist nach § 137 Abs 1 AFG der Arbeitslose, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann und das Einkommen, das nach § 138 AFG zu berücksichtigen ist, die nach § 136 AFG berechnete Alhi nicht erreicht. Nach den Feststellungen des LSG besaß die Klägerin ein Sparvermögen, das im April 1987 etwa 6.600,– DM betrug und während des Anspruchszeitraums 8.000,– DM nicht erreichte. § 6 der aufgrund des § 137 Abs 2 AFG erlassenen Alhi-Verordnung (Alhi-VO) vom 7. August 1974, geändert durch Art 16 des Gesetzes vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S 1497), läßt jedoch die Anrechnung eigenen Vermögens bis zu 8.000,– DM nicht zu.

Die vom LSG festgestellte Möglichkeit, durch eine nach Maßgabe der Zumutbarkeits-Anordnung unzumutbare Arbeit den Lebensunterhalt zu bestreiten, schließt die Bedürftigkeit im Sinne der Alhi nicht aus. Nach § 10 Nr 1 Alhi-VO ist anzunehmen, daß der Arbeitslose seinen Lebensunterhalt auf andere Weise als durch Alhi bestreiten kann, wenn er eine Tätigkeit als Arbeitnehmer, selbständiger oder mithelfender Familienangehöriger aufnehmen oder fortsetzen und hierdurch (1. Alternative) oder durch Wahrnehmung einer sonstigen zumutbaren Möglichkeit (2. Alternative) Einkommen erzielen könnte, das zur Minderung oder Versagung der Alhi führen würde. Auch wenn im Wortlaut der Begriff der Zumutbarkeit nur in Verbindung mit der 2. Alternative verwandt wird, erstreckt er sich gleichwohl auch auf die in der 1. Alternative genannten Erwerbstätigkeiten. Denn es kann ohne besonderen Anhalt nicht davon ausgegangen werden, daß die Grenze der Zumutbarkeit nur für sonstige Einkommensmöglichkeiten, nicht aber für die in der Mehrzahl der Fälle in Betracht kommende und deshalb zu Recht vorrangig genannte Tätigkeit als Arbeitnehmer gelten soll, wovon auch die Beklagte ausgeht.

Zu Unrecht meint die Beklagte jedoch, die Zumutbarkeit der Einkommenserzielung durch Arbeit habe in § 10 Nr 1 Alhi-VO eine andere Bedeutung als in der Zumutbarkeits-Anordnung. Während letztere die Zumutbarkeit einer Arbeit anhand der bisherigen Tätigkeit, der Qualifikation des Arbeitslosen und der Dauer der Arbeitslosigkeit beurteile, verlange § 10 Alhi-VO mehr. Ihr Argument, wenn der Zumutbarkeitsbegriff aus der Zumutbarkeits-Anordnung herangezogen werde, käme der Erwähnung der Arbeit in § 10 Alhi-VO keine Bedeutung zu, vermag nicht zu überzeugen. Hätte der Verordnungsgeber nicht die Zumutbarkeit im Sinne der Zumutbarkeits-Anordnung gewollt, so hätte er einen anderen Begriff benutzt oder dies sonst kenntlich gemacht. Gegen die Auffassung der Beklagten spricht ferner der Grundsatz einer gesetzeskonformen Auslegung nachrangigen Rechts. Die im Gesetz getroffene Entscheidung, daß die Verfügbarkeit im Sinne der Zumutbarkeits-Anordnung auch für den Anspruch auf Alhi gelten soll, zeigt, daß die fehlende Bereitschaft, eine danach unzumutbare Arbeit anzunehmen, den Anspruch auf Alhi nicht ausschließen soll. Damit darf sich die Alhi-VO nicht in Widerspruch setzen. Der § 137 AFG erwähnt nämlich nur allgemein die Möglichkeit, den Lebensunterhalt auf andere Weise als durch Alhi zu bestreiten, bringt aber nicht zum Ausdruck, daß bei der Prüfung der Bedürftigkeit die Zumutbarkeit einer Arbeit anders als bei der Prüfung der Verfügbarkeit zu bewerten ist.

Der Maßstab der Zumutbarkeits-Anordnung ist auch dann im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung anzuwenden, wenn der Arbeitslose unterhaltsfähige Verwandte ersten Grades hat. Der Einwand, Arbeiten, die einem solchen Arbeitslosen im Verhältnis zu den unterhaltsfähigen Verwandten zumutbar seien, müßten dann auch im Verhältnis zur BA als zumutbar angesehen werden, findet im geltenden Recht keine Stütze. Der Arbeitslose ist zwar nach § 10 Nr 1, 2. Alternative Alhi-VO nicht nur gehalten, einen bestehenden Unterhaltsanspruch geltend zu machen, sondern auch, jede zumutbare Möglichkeit zu nutzen, einen Unterhaltsanspruch herbeizuführen. Diese Verpflichtung kann indes jedenfalls dann, wenn nach dem Unterhaltsrecht zumutbare offene Arbeitsplätze vorhanden sind, wie dies hier nach den Feststellungen des LSG der Fall war, eine Verneinung der Bedürftigkeit in Höhe eines fiktiven Unterhaltsanspruchs nicht rechtfertigen. Beim Vorhandensein entsprechender Arbeitsplätze kann der Arbeitslose nämlich einen Unterhaltsanspruch nicht herbeiführen. Nimmt er eine solche Arbeit auf, so „ist” er tatsächlich nicht mehr unterhaltsbedürftig; verweigert er die Arbeitsaufnahme, so „gilt” er als nicht unterhaltsbedürftig. Kommt aber ein Unterhaltsanspruch beim Vorhandensein offener Arbeitsstellen ohnehin nicht in Betracht, so fehlt dem Gesetzgeber ein sachlicher Grund, für die Zumutbarkeit einer solchen Arbeit auf das Vorhandensein unterhaltsfähiger Verwandter abzustellen. Eine verfassungsrechtlich so bedenkliche Lösung kann dem Gesetz mangels ausreichender Anhaltspunkte bei einer am Gleichheitssatz als Wertentscheidung des Grundgesetzes orientierten verfassungskonformen Auslegung nicht entnommen werden. Ob eine solche Lösung nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich, sondern sogar verfassungswidrig wäre, wie dies die verfassungskonforme Auslegung im engeren Sinne oder die Vorlagepflicht des Art 100 GG voraussetzt, kann offenbleiben.

Auch der Auffassung der Beklagten, das Gesetz gehe von der Rangfolge der Unterhaltssysteme in der Reihenfolge Arbeitslosengeld, Familienverband, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe aus und räume deshalb einen Anspruch auf Alhi nur beim Fehlen unterhaltsfähiger Verwandter ein, vermochte der Senat nicht zu folgen. Selbst wenn der gesetzlichen Regelung eine solche Vorstellung über die Reihenfolge der Unterhaltssicherungssysteme zugrunde liegt, so ist sie zunächst hinsichtlich des Familienverbandes auf die Verwandtschaft 1. Grades beschränkt. Aber auch insoweit legt das Gesetz nur die Reihenfolge bei der Konkurrenz zwischen bestehenden Ansprüchen fest. Dabei räumt es dem Anspruch auf Unterhalt gegenüber dem auf Alhi zwar den Vorrang ein. Es macht den Anspruch auf Alhi aber nicht entsprechend der erwähnten Reihenfolge davon abhängig, daß leistungsfähige Verwandte 1. Grades nicht vorhanden sind.

Das Begehren der Beklagten, „Alhi nicht ohne, sondern nur unter teilweiser Anrechnung des Einkommens des Vaters gewähren zu müssen”, kennzeichnet, daß der von der Beklagten angenommene fiktive Unterhalt im Ergebnis auf die teilweise Anrechnung von Einkommen der Eltern eines volljährigen Arbeitslosen hinausläuft. Die Anrechnung eines fiktiven Unterhalts in diesen Fällen ist indes mit der gesetzlichen Regelung über die Anrechnung des Einkommens Dritter nicht vereinbar. § 138 Abs 1 Nr 2 AFG läßt sie nämlich nur bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten und bei minderjährigen unverheirateten Arbeitslosen zu. Insoweit würde die Berücksichtigung eines nur fiktiven – die wirtschaftliche Lage des Arbeitslosen also nicht wirklich beeinflussenden – Unterhaltsanspruchs auch dem Sinn der gesetzlichen Bedürftigkeitsprüfung widersprechen. Diese wird, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, „von dem Grundsatz beherrscht, daß nicht möglicherweise bestehende Rechtsansprüche, sondern die faktischen wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen maßgebend sind” (BVerfGE 9, 20, 29).

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Bedürftigkeit iS des Alhi-Anspruchs nicht mit der iS des Unterhaltsanspruchs identisch. Deshalb ist weder bei bestehendem Alhi-Anspruch und damit beim Vorliegen der Bedürftigkeit iS der Alhi auch die Bedürftigkeit iS des Unterhaltsrechts zu fingieren noch ein Schonvermögen bis zu 8.000,– DM, das nach § 6 Alhi-VO die Bedürftigkeit iS des AFG nicht ausschließt, auch für die Bedürftigkeit iS eines fiktiven Unterhaltsanspruchs außer acht zu lassen.

Das Vorhandensein eines unterhaltsfähigen Verwandten 1. Grades führt auch nicht im Wege der Lückenfüllung zur Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs. Der Beklagten ist zuzugeben, daß der Unterschied zwischen der Bedürftigkeit des Berechtigten iS des Unterhaltsrechts einerseits und des AFG andererseits die am Subsidiaritätsgrundsatz ausgerichtete Reihenfolge der Unterhaltssicherungssysteme in Frage stellt. Der Gedanke, dieses Ergebnis durch Schließung der zwischen beiden Bedürftigkeitsbegriffen bestehenden Lücke zu vermeiden, liegt daher nahe, erweist sich aber als im Wege der Rechtsprechung nicht durchführbar.

Schon die Annahme einer vom Gesetzgeber unbemerkten Gesetzeslücke ist nicht gerechtfertigt. Die Ermächtigung der Beklagten, durch eine als Satzungsrecht geltende Anordnung, hilfsweise der Bundesregierung, durch Rechtsverordnung die Zumutbarkeit einer Arbeit auch für den Anspruch auf Alhi näher zu regeln, zeigt, daß der Gesetzgeber insoweit nicht lediglich die Zumutbarkeitsgrundsätze des BGB übernehmen wollte. Hätte er das getan, wäre eine einheitliche Auslegung im ordentlichen Rechtsweg und im Sozialrechtsweg letztlich durch den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes gewährleistet worden. Die Regelungsermächtigung eines Satzungsorgans, das in diesen Ausgleich abweichender Entscheidungen nicht eingebunden ist, bestätigt daher den Willen zu einer eigenständigen Regelung. Es fehlt auch jeder Anhalt dafür, daß der Gesetzgeber dabei nur an solche Abweichungen gedacht haben könnte, bei denen das nachrangige Arbeitsförderungsrecht in seinen Anforderungen über das Unterhaltsrecht hinausgeht. Auf die Unterschiedlichkeit der Regelungen wurde nämlich wiederholt hingewiesen, sowohl von der Rechtsprechung (Urteile des BSG vom 3. Juni 1975 – 7 RAr 81/74 – und vom 13. Juni 1985, BSGE 58, 165) als auch im Schrifttum (vgl Schlegel, Unterhaltsansprüche erwachsener Arbeitsloser gegen ihre Eltern und subsidiäre Sozialleistungen, FamRZ 1986, 856 ff; Hummel-Liljegren, Sinnlose Widersprüche bei Bedürftigkeit, zumutbarer Arbeit und eheähnlicher Gemeinschaft zwischen Arbeitslosen-, Unterhalts- und Sozialhilferecht ZRP 1987, 310 ff; Berlinger in einer zustimmenden Anmerkung zum Urteil des BSG vom 13. Juni 1985, AuB 1987, 31), ohne daß der Gesetzgeber tätig geworden wäre.

Die Rechtsprechung hat bisher auch hinsichtlich anderer Widersprüche zwischen dem Unterhaltsrecht und dem Arbeitslosenhilferecht die Voraussetzungen für eine Lückenfüllung im Wege der Rechtsprechung verneint. So hat der 7. Senat entschieden, daß bei der Prüfung, ob der Arbeitslose einen Unterhaltsanspruch hat, als Einkommen des Unterhaltspflichtigen auch eine Witwengrundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz zu berücksichtigen ist, obgleich nach § 138 Abs 3 Nr 5 AFG ein solcher Rentenanspruch bei Prüfung der Bedürftigkeit des Arbeitslosen nicht anzurechnen ist, da diese Vorschrift für den Unterhaltsanspruch nicht gelte (SozR 4100 § 138 Nr 10). Dem tritt der Senat nach eigener Prüfung bei, zumal der Gesetzgeber auch diese Entscheidung des 7. Senats (vom 14. Februar 1985) bisher nicht zum Anlaß genommen hat, Unterhaltsrecht und Arbeitslosenhilferecht besser zu harmonisieren.

Würde gleichwohl eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Gesetzeslücke unterstellt, so stünde ihrer Schließung im Wege der Rechtsprechung entgegen, daß die vorhandene gesetzliche Regelung keine eindeutigen Anhaltspunkte dafür bietet, wie sie nach dem Willen des Gesetzgebers auszufüllen wäre, da sie nicht nur eine Lösung, sondern vier Lösungen zuläßt (vgl SozR 2200 § 1304a Nr 10 auf Blatt 17). Einmal könnte die Zumutbarkeit von Tätigkeiten iS des AFG beim Bezuge von Alhi so ausgestaltet werden, daß sie in ihren Anforderungen nicht hinter dem Unterhaltsrecht zurückbleibt. Zum zweiten könnte umgekehrt die Zumutbarkeit von Tätigkeiten iS des Unterhaltsrechts auf die iS des AFG reduziert werden. Zum dritten käme – wenn man von verfassungsrechtlichen Bedenken absieht – die von der Beklagten erstrebte Regelung in Betracht, das Vorhandensein eines unterhaltsfähigen Verwandten 1. Grades dem Unterhaltsanspruch gleichzustellen. Und schließlich bleibt viertens die Möglichkeit, in den Fällen, in denen Bedürftigkeit nach dem AFG besteht, nicht aber iS des Unterhaltsrechts, stets einen Anspruch auf Alhi einzuräumen und die aus der unterschiedlichen Definition der Zumutbarkeit resultierende Einschränkung der Subsidiarität der Alhi hinzunehmen. Unter Berücksichtigung aller für und gegen diese Lösungsmöglichkeiten sprechenden Erwägungen kann der geltenden gesetzlichen Regelung nicht entnommen werden, wie nach dem Willen des Gesetzgebers das Problem im Wege der Lückenfüllung zu lösen wäre. Unter diesen Umständen muß die Entscheidung nach der Auffassung des Senats dem bestehenden – lückenhaften – Rechtszustand folgen.

Dabei geht der Senat davon aus, daß die Lücke zwischen Unterhaltsrecht und Arbeitslosenhilferecht nicht so groß ist, wie die Beklagte anzunehmen scheint. Die Zumutbarkeits-Anordnung erlaubt es der Beklagten nämlich, im Laufe ihrer Vermittlungsbemühungen die Zumutbarkeitsgrenze bis zu der nach dem Unterhaltsrecht maßgebenden Grenze abzusenken. Die Lücke besteht damit bei einem entsprechenden Verhalten der Verwaltung nur während einer Übergangszeit. Diese wird regelmäßig weitgehend in die Bezugsdauer des Alg und nur mit einer Restdauer in den Bezug der Anschluß-Alhi fallen. Aber auch in den Fällen der originären Alhi hält sich die Übergangszeit zeitlich in engen Grenzen. Die Zumutbarkeits-Anordnung schreibt den „4-Monats-Rhythmus” nur für den Regelfall vor. Der Zeitraum verlängert sich nach § 8 der Zumutbarkeits-Anordnung um die Hälfte, wenn der Arbeitslose die für die Zuordnung zu seiner Qualifikationsstufe maßgebende Beschäftigung innerhalb der letzten 8 Jahre vor Eintritt der Arbeitslosigkeit mindestens 6 Jahre ausgeübt hat. Damit enthält § 8 der Zumutbarkeits-Anordnung keine Regelung, wie in Fällen einer ungewöhnlich kurzen Vorbeschäftigung, die in den Fällen originärer Alhi im allgemeinen anzutreffen ist, zu verfahren ist. In diesen Fällen ist der unbestimmte Rechtsbegriff der „ersten Zeit der Arbeitslosigkeit” im Einzelfall von der Verwaltung anzuwenden und dabei der Zeitraum von 4 Monaten entsprechend abzukürzen.

Auch die im Unterhaltsrecht geforderten nachhaltigen eigenen Bemühungen des Arbeitslosen um eine Arbeitsstelle bedeuten keinen absoluten Gegensatz zum Alhi-Recht. Denn der Alhi-Empfänger darf sich nach der Meldung beim Arbeitsamt nicht völlig passiv verhalten, sondern muß sich selbst bemühen, die Bedürftigkeit zu beseitigen (Gemeinschaftskommentar-AFG, § 137 RdNr 5); er darf sich nicht nur auf das Arbeitsamt verlassen (Krebs, Kommentar zum AFG, § 137 RdNr 6). Das ergibt sich auch aus der Rechtsentwicklung. Nach § 147 Abs 2 Satz 2 des früheren Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hatte der Arbeitslose für den Anspruch auf Unterstützung auf Verlangen der Arbeitsverwaltung nachzuweisen, daß er sich ernstlich bemüht hatte, Arbeit zu finden. Nach dem § 140 des Entwurfs eines AFG sollte der Arbeitslose nicht erst nach drei Jahren auf Aufforderung, sondern schon nach sechs Monaten nachweisen, daß er sich ernstlich bemüht hatte, Arbeit zu finden; der Anspruch auf Alhi sollte erlöschen, wenn der Arbeitslose dieser Verpflichtung nicht nachkam (BT-Drucks V/2291 auf S 87). Die Vorschrift wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren gestrichen, da sie dazu führen könnte, daß Arbeitslose ihren Anspruch ungerechtfertigt verlören; die Arbeitswilligkeit der Bezieher von Alhi könne auch auf andere Weise überprüft werden (zu BT-Drucks V/4110 zu § 140). Der Gesetzgeber wollte also mit dem AFG nicht die Verpflichtung zu eigenen Bemühungen, sondern nur das Erlöschen des Anspruchs als Rechtsfolge unterbliebener Bemühungen ausschließen. Die insbesondere aus § 10 Alhi-VO erkennbare Verpflichtung zu eigenen Bemühungen steht damit nicht im Gegensatz zum Gesetz. Ob das von der Beklagten verwendete – insoweit nicht eindeutige – Merkblatt für Arbeitslose den Eindruck vermittelt, der Arbeitslose dürfe sich völlig passiv verhalten, und ob dies eine Versagung der Alhi wegen völliger Passivität ohne vorherige Belehrung ausschließt, ist hier nicht entscheidungserheblich.

Desgleichen war nicht abschließend zu beurteilen, in welchen Grenzen der Beklagten eine noch weitergehende Verkleinerung der Lücke möglich ist durch eine Änderung der Zumutbarkeits-Anordnung. Bei einer Überprüfung des im Range unter dem Gesetz stehenden hier einschlägigen Rechts, sollte die unterschiedliche Höhe des Schonvermögens – nach Unterhaltsrecht 2.000,– DM, nach dem Recht der Alhi 8.000,– DM (§ 6 Alhi-VO) – nicht übersehen werden. Nach geltendem Recht ist der Arbeitslose nicht gehalten, das Schonvermögen einzusetzen. Er muß sich deshalb entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht so behandeln lassen, als ob er das Schonvermögen eingesetzt hätte. Eine solche Behandlung schreibt § 9 der Alhi-VO nur für das die Grenzen des Schonvermögens übersteigende Vermögen vor. Eine entsprechende Anwendung auf das Schonvermögen würde die Unterscheidung zwischen dem Schonvermögen und dem seinen Betrag übersteigenden Vermögen unterlaufen. Die genannten Änderungen des geltenden Rechts sind aber nicht Aufgabe der Rechtsprechung.

Die Revision der Beklagten war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BSGE, 52

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