Leitsatz (amtlich)

Zur Rücknahme eines Beitragserstattungsbescheides (Anschluß an BSG 1981-12-09 1 RA 35/80 = SozR 2200 § 1303 Nr 23).

 

Normenkette

RVO § 1744 Abs 1 Nr 6 Fassung: 1953-09-03; SGB 10 § 45 Fassung: 1980-08-18; SGB 10 Art 2 § 40 Abs 2 Fassung: 1980-08-18

 

Verfahrensgang

SG München (Entscheidung vom 22.03.1979; Aktenzeichen S 13 An 100/78)

 

Tatbestand

Im Streit ist eine Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung eines Beitragserstattungsbescheides, zur Vormerkung von Versicherungszeiten und zur Zulassung des Klägers zur Beitragsnachentrichtung.

Im Oktober 1966 fragte der Kläger bei der Beklagten an, ob für ihn Beiträge zur Angestelltenversicherung nachgewiesen seien. Die Beklagte erwiderte am 27. Oktober 1966, ein Beitragskonto sei nicht zu ermitteln. Im Dezember 1971 beantragte der seit dem 1. Januar 1964 nicht mehr versicherungspflichtig beschäftigte Kläger unter Vorlage einer nicht aufgerechneten Versicherungskarte Nr. 1 die Erstattung der in der Zeit vom 1. Mai 1962 bis 31. Dezember 1963 entrichteten Beiträge. Nach seinen Angaben im Erstattungsantrag und den Eintragungen in seinem der Beklagten eingereichten Arbeitsbuch war er vom 24. Oktober bis 19. November 1938 bei einem Akkumulatorenwerk und vom 8. April 1943 bis 30. April 1944 bei einer Flugzeugreparaturwerft jeweils als Lagerist beschäftigt. Die Beklagte entsprach mit einem Bescheid (ohne genau feststellbares Datum) vom Mai 1972 seinem Antrag und erstattete ihm die Hälfte der vom 1. Mai 1962 bis 31. Dezember 1963 entrichteten Beiträge.

Mit Schriftsatz vom 11. November 1975 erklärte der Kläger eine Anfechtung des Beitragserstattungsbescheides. Mit der Behauptung, er sei zusätzlich vom 1. Mai 1944 bis zu seiner Verbringung in ein Zwangsarbeitslager am 18. Oktober 1944 bei der Flugzeugreparaturwerft als Sachbearbeiter tätig gewesen, beantragte er zugleich die Vormerkung einer Beitragszeit vom 8. April 1943 bis 18. Oktober 1944 und einer anschließenden Ersatzzeit vom 19. Oktober 1944 bis Herbst 1945. Schließlich begehrte er die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach § 10 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 (BGBl I S 1846; WGSVG). Aus den von der Beklagten beigezogenen Akten des Bayerischen Landesentschädigungsamtes ergab sich, daß der Kläger Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) ist und nach den Vorschriften dieses Gesetzes Entschädigung wegen Schadens im beruflichen Fortkommen sowie wegen Vermögens- und Freiheitsentziehung erhalten hatte.

Mit Bescheid vom 27. Dezember 1976 lehnte die Beklagte den Nachentrichtungsantrag des Klägers ab, weil bisher keine anrechenbaren Versicherungszeiten zurückgelegt worden seien. Zugleich führte sie aus, dem Antrag auf Anfechtung des Beitragserstattungsbescheides könne wegen Fristablaufes nicht entsprochen werden. Auf den Widerspruch des Klägers erkannte die Beklagte durch Bescheid vom 14. Juni 1977 an, daß Beitragsleistungen für die Zeiten vom 24. Oktober bis 19. November 1938 in der Arbeiterrentenversicherung und vom 8. April 1943 bis 19. Oktober 1944 in der Angestelltenversicherung glaubhaft gemacht worden seien. Aus diesen Beitragsleistungen könnten jedoch im Hinblick auf die Beitragserstattung Rechte nicht mehr hergeleitet werden. Die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 27. Dezember 1976 und 14. Juni 1977 wurden zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 1978).

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) München diese Bescheide sowie den Beitragserstattungsbescheid vom Mai 1972 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger zur Nach- und Weiterentrichtung von Beiträgen nach §§ 9 und 10 WGSVG zuzulassen sowie folgende Versicherungszeiten vorzumerken: 24. Oktober bis 19. November 1938 glaubhaft gemachte Beitragszeit in der Arbeiterrentenversicherung; 8. April 1943 bis 18. Oktober 1944 glaubhaft gemachte Beitragszeit in der Angestelltenversicherung; 1. Januar 1940 bis 7. April 1943 und 19. Oktober 1944 bis 19. Januar 1945 Ersatzzeiten nach § 28 Abs 1 Nr 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Zur Begründung hat das SG ausgeführt:

Der Kläger könne eine Aufhebung des Beitragserstattungsbescheides nach § 1744 Abs 1 Nr 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verlangen. Zwar seien die Voraussetzungen der Vorschrift in seiner Person nicht erfüllt. Jedoch sei die Beklagte im Rahmen des mit dem Schriftsatz des Klägers vom 11. November 1975 eingeleiteten Schriftwechsels zur Benutzung von Urkunden in die Lage versetzt worden, welche es ihr bei Vorliegen im Jahre 1972 ermöglicht hätten, damals eine für sie günstigere Entscheidung - Ablehnung des Erstattungsantrages des Klägers anstelle dessen Stattgabe- zu treffen. Nach diesen Urkunden hätte sie damals eine Beitragserstattung ablehnen müssen, weil der Kläger zur freiwilligen Versicherung berechtigt und somit eine Beitragserstattung rechtswidrig gewesen sei. Zwar ergebe sich das Recht des Klägers zur freiwilligen Weiterversicherung nicht aus dem der Beklagten nachträglich vorgelegten Arbeitsbuch. Hierin seien versicherungsrechtlich relevante Beitragszeiten nicht in einem solchen Umfange eingetragen, daß schon danach der Kläger zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt gewesen wäre. Dies ergebe sich jedoch aus rechtlich relevanten Urkunden in der Entschädigungsakte, die die Beklagte erst aufgrund des im Jahre 1975 begonnenen Schriftwechsels habe benutzen können. Aus ihnen gehe hervor, daß der Kläger rassisch Verfolgter sei und daß für ihn Ersatzzeiten der verfolgungsbedingten Arbeitslosigkeit von Januar 1940 bis 7. April 1943 und der Freiheitsentziehung vom 19. Oktober 1944 bis 19. Januar 1945 vorlägen. Zwar seien die Ersatzzeiten für eine Berechtigung zur freiwilligen Versicherung nach § 10 AVG ohne Belang. Hierfür müsse eine Pflichtbeitragszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt worden sein. Eine solche Beitragszeit habe der Kläger nicht erreicht. Er habe jedoch nach § 9 WGSVG ein Recht zur freiwilligen Weiterversicherung. Hierfür ergebe sich aus den von der Beklagten anerkannten Beitragszeiten und den Ersatzzeiten eine Versicherungszeit von 81 Kalendermonaten. Auch das Sonderrecht zur freiwilligen Weiterversicherung nach §9 WGSVG schließe das Recht zur Beitragserstattung aus. Zwar sei für das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung nach § 9 WGSVG ein Antrag erforderlich. Diesem Umstand komme jedoch keine rechtserhebliche Bedeutung zu. Auch die nach § 10 AVG zur Weiterversicherung berechtigten Personen müßten zur Realisierung ihres Rechts Willenserklärungen abgeben, und ihnen stehe ein Wahlrecht zwischen Weiterversicherung und Beitragserstattung nicht zu. Ebenso stehe das Recht zur Fortsetzung der freiwilligen Weiterversicherung nach § 9 WGSVG auch ohne entsprechende Antragstellung der Beitragserstattung entgegen. Der Erstattungsbescheid der Beklagten sei nach alledem aufzuheben mit der Folge, daß das Versicherungsverhältnis des Klägers uneingeschränkt weiterbestehe, er nach § 9 und auch nach § 10 WGSVG zur Weiterversicherung berechtigt und die Beklagte ferner zur Anerkennung von Beitragszeiten und zur Vormerkung von Ersatzzeiten verpflichtet sei.

Das SG hat im Urteil die Sprungrevision zugelassen. Die Beklagte hat mit Zustimmung des Klägers dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 82 Abs 1 AVG iVm § 1744 Abs 1 Nr 6 RVO und trägt zur Begründung vor:

Jedenfalls bis zur Neufassung des § 82 AVG durch das Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972 (BGBl I S 1965) habe ein Recht zur freiwilligen Versicherung nach Sonderrecht - hier nach § 9 WGSVG - eine Beitragserstattung nicht ausgeschlossen. § 82 habe ausdrücklich auf § 10 AVG hingewiesen und somit nur bei Erfüllung der darin genannten Voraussetzungen eine Beitragserstattung ausgeschlossen. Dasselbe sei dann angenommen worden, wenn die freiwillige Versicherung nach der zu § 10 AVG ergangene Übergangsregelung des Art 2 § 5 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) habe fortgesetzt werden können. Für die anderen Sondervorschriften über die freiwillige Weiterversicherung könne dies nicht gelten. Sie könnten hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen für die Beitragserstattung den § 10 AVG und Art 2 § 5 AnVNG nicht gleichgestellt werden. Aber selbst wenn auch die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung nach Sondervorschriften eine Beitragserstattung ausgeschlossen habe, seien zumindest die Voraussetzungen des § 1744 Abs 1 Nr 6 RVO nicht erfüllt. Ein nachträgliches Auffinden einer Urkunde im Sinne dieser Bestimmung liege nicht vor, weil jedenfalls der Kläger zur Zeit der Entscheidung über seinen Erstattungsantrag bereits Kenntnis von der Urkunde gehabt habe.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 22. März 1979 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er meint, entgegen der Ansicht der Beklagten könne es für den Ausschluß der Beitragserstattung nicht darauf ankommen, nach welchen Vorschriften ein Recht zur Weiterversicherung bestehe. Selbst bei Bestehen eines Wahlrechts zwischen Beitragserstattung und Weiterversicherung hätte die Beklagte ihn (Kläger) auf die günstigere Möglichkeit der Weiterversicherung hinweisen müssen. Aber ein solches Wahlrecht habe angesichts der Berechtigung zur freiwilligen Versicherung nach § 9 WGSVG gar nicht bestanden. Das SG habe ferner zu Recht die Voraussetzungen des § 1744 Abs 1 Nr 6 RVO als erfüllt angesehen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Sprungrevision der Beklagten ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Abweisung der Klage.

Der Kläger verlangt in erster Linie eine Aufhebung des Beitragserstattungsbescheides der Beklagten vom Mai 1972. Das SG hat als Rechtsgrundlage dieses Anspruchs den zur Zeit der Verkündung des angefochtenen Urteils noch gültigen § 1744 Abs 1 Nr 6 RVO herangezogen. Von dieser Anspruchsgrundlage hat - unbeschadet der weiteren Frage, ob ihre sachlichen Voraussetzungen im einzelnen erfüllt sind - auch der Senat auszugehen. Zwar ist § 1744 Abs 1 Nr 6 RVO mit Ablauf des 31. Dezember 1980 außer Kraft getreten (vgl Art II § 4 Nr 1, § 40 Abs 1 des Sozialgesetzbuches, Zehntes Buch, Verwaltungsverfahren -SGB 10- vom 18. August 1980; BGBl I S 1469). Seit dem 1. Januar 1981 richten sich die Rücknahme rechtswidriger und der Widerruf rechtmäßiger Verwaltungsakte nach §§ 44 bis 47 SGB 10. Speziell für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte gilt § 45 SGB 10. Diese Vorschriften sind erstmals anzuwenden, wenn nach dem 31. Dezember 1980 ein Verwaltungsakt aufgehoben wird. Dies gilt auch dann, wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden ist. Ausgenommen sind jedoch solche Verwaltungsakte in der Sozialversicherung, die bereits bestandskräftig waren und bei denen auch nach § 1744 RVO in der vor dem 1. Januar 1981 geltenden Fassung eine neue Prüfung nicht vorgenommen werden konnte (Art II § 40 Abs 2 SGB 10).

Allein nach der Übergangsregelung des Art II § 40 Abs 2 Sätze 1 und 2 SGB 10 wäre Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Aufhebung des nach seiner Ansicht rechtswidrigen Beitragserstattungsbescheides vom Mai 1972 § 45 SGB 10. Der Bescheid ist ein begünstigender Verwaltungsakt. Mit ihm ist dem Antrag des Klägers auf Erstattung der Hälfte der in der Zeit vom 1. Mai 1962 bis 31. Dezember 1963 entrichteten Beiträge entsprochen worden. Allerdings hat die Beitragserstattung die für den Kläger wirtschaftlich nachteilige Rechtsfolge eines Verfalls der bisher zurückgelegten Versicherungszeiten und des Ausschlusses des Rechts zur freiwilligen Weiterversicherung nach sich gezogen (§ 82 Abs 7 AVG). Indes steht diese Rechtsfolge, auf deren Eintritt der Kläger ausdrücklich hingewiesen worden ist (vgl Ziffer IX 3 des Erstattungsantrages vom 1. Dezember 1971), dem begünstigenden Charakter des Bescheides nicht entgegen. Dafür ist entscheidend, daß die Beklagte das Recht des Klägers auf Beitragserstattung anerkannt und seinem darauf gerichteten Antrag in vollem Umfange entsprochen hat (vgl Urteil des Senats in BSG SozR 2200 § 1303 Nr 23 S 65 f). Die vom Kläger begehrte Aufhebung des Erstattungsbescheides würde im Falle eines Erfolges seiner Revision auch erst im Sinne des Art II § 40 Abs 2 Satz 1 SGB 10 nach dem 31. Dezember 1980 erfolgen. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (BSG SozR 1300 § 45 Nr 1 S 3 f; 2200 § 1301 Nr 14 S 44; 5866 § 12 Nr 6 S 18) § 45 SGB 10 gem Art II § 40 Abs 2 SGB 10 erstmals auf nach dem 31. Dezember 1980 ergangene Rücknahmebescheide (Aufhebungsbescheide) anzuwenden. Die hier angefochtenen Bescheide vom 27. Dezember 1976 und 14. Juni 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 1978 sind vor diesem Zeitpunkt ergangen. Indes ist durch sie der den Kläger begünstigende Erstattungsbescheid vom Mai 1972 nicht aufgehoben bzw zurückgenommen worden. Vielmehr hat die Beklagte eine Rücknahme gerade abgelehnt. Diesen Fall betreffen die vorgenannten Entscheidungen des BSG nicht. Sie haben Klagen wegen erfolgter Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte zum Gegenstand. Vorliegend hingegen wendet sich der Kläger gegen die Ablehnung einer Rücknahme. Für diesen Fall hat der erkennende Senat in seinem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 27. April 1982 - 1 RJ 84/80 - ausgesprochen, Art II § 40 Abs 2 Satz 1 SGB 10 sei nicht in dem eingeschränkten Sinne zu verstehen, daß die Aufhebung des Verwaltungsaktes nach dem 31. Dezember 1980 durch die Verwaltungsbehörde erfolgt sein müsse. Vielmehr erfasse die Übergangsvorschrift alle Verfahren, in denen nach dem 31. Dezember 1980 ein Verwaltungsakt zur Aufhebung anstehe. Sie sei so zu lesen, als seien dem Wort "wird" die Worte "oder werden soll" angefügt. Damit erfasse sie auch die Fälle, in denen die Verwaltungsbehörde zwar vor dem 1. Januar 1981 die Aufhebung eines Verwaltungsaktes abgelehnt habe, es deswegen jedoch zu einem Rechtsstreit komme und die ihn abschließende gerichtliche Entscheidung erst nach dem 31. Dezember 1980 ergehe. Diese Auslegung finde eine zusätzliche Stütze in Art II § 37 Abs 1 SGB 10, wonach alle bei Inkrafttreten des SGB 10 nicht bindend bzw rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren mit Einschluß derjenigen, die noch vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängig seien, nach den Vorschriften des SGB 10 zu Ende zu führen seien. Daran hält der Senat auch für den vorliegenden Fall fest. Danach sind die Voraussetzungen des Art II § 40 Abs 2 Sätze 1 und 2 SGB 10 für eine Heranziehung des § 45 SGB 10 als Rechtsgrundlage des Begehrens des Klägers auf Aufhebung des Erstattungsbescheides vom Mai 1972 erfüllt.

Indes ist dieser Bescheid gem Art II § 40 Abs 2 Satz 3 SGB 10 von einer Aufhebung nach dem ab 1. Januar 1981 geltenden Recht ausgenommen. Er ist bereits vor diesem Zeitpunkt bestandskräftig geworden (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Auch hat seine erneute Überprüfung nach § 1744 RVO in der vor dem 1.Januar 1981 geltenden Fassung nicht vorgenommen werden können. Zwar gehören grundsätzlich auch Beitragserstattungsbescheide zu den Verwaltungsakten, denen gegenüber unter den Voraussetzungen des § 1744 RVO eine neue Prüfung beantragt oder vorgenommen werden kann (BSGE 38, 207, 209 = SozR 2200 § 1744 Nr 2 S 4; Urteil des Senats in BSG SozR 2200 § 1303 Nr 23 S 66). Indes bietet, wie der Senat in seinem vorgenannten Urteil unter Aufgabe der gegenteiligen Rechtsansicht des 12. Senats des BSG (BSGE 38, 207, 209f = SozR 2200 § 1744 Nr 2 S 4 f) ausgesprochen hat, § 1744 Abs 1 Nr 6 RVO in seiner bis zum 31. Dezember 1980 geltenden Fassung keine Rechtsgrundlage für die Aufhebung eines Beitragserstattungsbescheides mit dem Ziel einer Rückgängigmachung der Erstattung und ihrer Rechtsfolgen. Nach § 1744 Abs 1 Nr 6 RVO kann gegenüber einem bindenden Verwaltungsakt eines Versicherungsträgers eine neue Prüfung beantragt oder vorgenommen werden, wenn ein Beteiligter nachträglich eine Urkunde, die einen ihm günstigeren Verwaltungsakt herbeigeführt haben würde, auffindet oder zu benutzen in Stand gesetzt wird. Ein für den früher Versicherten günstigerer Verwaltungsakt in diesem Sinne ist gegenüber einem Beitragserstattungsbescheid lediglich ein neuer Bescheid, durch welchen Beiträge in noch weiterem Umfange erstattet werden. Das aber verlangt der Kläger nicht. Er begehrt im Gegenteil, daß die bereits erfolgte Beitragserstattung rückgängig gemacht und er damit im Vergleich zu dem ihn begünstigenden Erstattungsbescheid schlechter gestellt wird. Jedenfalls mit einem solchen Ziel kann eine erneute Überprüfung des Erstattungsbescheides aufgrund des § 1744 RVO nicht verlangt und vorgenommen werden. Er ist demnach gem Art II § 40 Abs 2 Satz 3 SGB 10 von einer Aufhebung nach §§ 44 bis 49 und hier speziell nach § 45 SGB 10 ausgenommen.

Das bedeutet allerdings nicht, daß der Erstattungsbescheid vom Mai 1972 seit dem 1. Januar 1981 von jeglicher Überprüfung ausgeschlossen ist. Gemäß Art II § 40 Abs 2 Satz 3 SGB 10 sind Bescheide, welche vor Inkrafttreten des SGB 10 bestandskräftig geworden sind und bei denen auch nach § 1744 RVO eine neue Prüfung nicht hat vorgenommen werden können, nach früherem Recht zu überprüfen, wenn ein Überprüfungsverfahren vor dem Inkrafttreten des SGB 10 anhängig gemacht und noch nicht abgeschlossen worden ist (BSGE 51, 209, 212 = SozR 2200 § 627 Nr 8 S 22; BSG SozR 2600 § 45 Nr 31 S 83). Für den Kläger ist damit aber nichts gewonnen. Auch nach früherem Recht kommt als Rechtsgrundlage für die Aufhebung eines Beitragserstattungsbescheides allein § 1744 RVO in Betracht. Die Vorschrift greift jedoch aus den bereits dargelegten Gründen nicht ein, wenn der früher Versicherte eine Aufhebung des Erstattungsbescheides mit dem Ziel einer Rückgängigmachung der Beitragserstattung begehrt. Andere Rechtsgrundlagen für ein solches Begehren sind nicht vorhanden. § 79 AVG (= § 1300 RVO) in seiner bis zum 31. Dezember 1980 geltenden Fassung ist weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Hiernach hatte die Beklagte, wenn sie sich bei erneuter Prüfung davon überzeugt, daß eine Leistung zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt oder zu niedrig festgestellt worden ist, sie neu festzustellen. Die Vorschrift betrifft nur den Fall, daß eine Leistung zu Unrecht vorenthalten worden ist. Nicht hingegen lassen sich unter Berufung auf sie angeblich rechtswidrige Leistungsgewährungen und damit auch zu Unrecht bewilligte Beitragserstattungen rückgängig machen (vgl Urteil des Senats in BSG SozR 2200 § 1303 Nr 23 S 67 mwN). Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Verwaltungsverfahrens - unterstellt, sie könnten neben § 1744 RVO überhaupt zur Anwendung gelangen - kommt eine Aufhebung des Beitragserstattungsbescheides ebenfalls nicht in Betracht. Zwar verletzt die Aufhebung eines (angeblich) rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes mit Zustimmung oder gar auf Wunsch des Begünstigten grundsätzlich nicht dessen schutzwürdiges Vertrauen (vgl nunmehr § 45 Abs 2 SGB 10). Gleichwohl kann es im öffentlichen Interesse liegen, es bei der durch den Bescheid gewährten Begünstigung zu belassen. Der freien Aufhebbarkeit eines bindenden Erstattungsbescheides steht im übrigen entgegen, daß der durch die Beitragserstattung bewirkte Verfall von Leistungsansprüchen (§ 82 Abs 7 AVG) die von der Beklagten vertretene Solidargemeinschaft der Versicherten von Rentenanwartschaften freistellt und sie insofern begünstigt. Sie hat daher ein anzuerkennendes rechtliches Interesse an der Erhaltung der Bindungswirkung des Erstattungsbescheides. Er kann deswegen trotz Zustimmung des früher Versicherten jedenfalls solange nicht aufgehoben werden, wie der Versicherungsträger sich auf die Bindungswirkung beruft (vgl Urteil des Senats in BSG SozR 2200 § 1303 Nr 23 S 67; vgl ferner 11. Senat aaO Nr 12 S 34).

Der Kläger kann nach alledem eine Aufhebung des Beitragserstattungsbescheides vom Mai 1972 mit der Konsequenz eines Wiederauflebens seines früheren Versicherungsverhältnisses nicht beanspruchen. Damit ist seinen weiteren Ansprüchen auf Vormerkung von Versicherungszeiten - sofern hierfür nicht schon ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt - und auf Zulassung zur Weiterversicherung und zur Nachentrichtung von Beiträgen die Grundlage entzogen. Ansprüche aus den vor der Beitragserstattung zurückgelegten Versicherungszeiten sind verfallen (§ 82 Abs 7 AVG). Eine gleichermaßen für die Weiterversicherung nach § 9 WGSVG wie für die Nachentrichtung von Beiträgen nach § 10 Abs 1 WGSVG erforderliche Versicherungszeit von mindestens 60 Kalendermonaten hat der Kläger nicht (mehr) zurückgelegt. Seine Klage erweist sich als unbegründet

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660537

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