Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein nachträglich ergangener Bescheid in ein anhängiges Verfahren einbezogen (SGG § 96), so ist eine neue Klage bezüglich dieses Bescheides wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig (SGG § 94 Abs 2) (Anschluß an BSG 1957-05-28 2 RU 18/55 = BSGE 5, 158, 163, BSG 1976-03-24 9 RV 460/74 = SozR 1500 § 96 Nr 4).

2. Die Entscheidung durch einen nach der Geschäftsverteilung nicht zuständigen Spruchkörper stellt dann keinen absoluten Revisionsgrund dar, wenn der Spruchkörper seine Zuständigkeit lediglich irrtümlich angenommen hat und im übrigen für Rechtsstreitigkeiten des Gebietes, auf dem die Entscheidung ergangen ist, sachlich zuständig ist (Anschluß an BGH 1962-05-16 V ZR 155/60 = BGHZ 37, 125, 128, BSG 1962-09-07 9 RV 1186/61 = BSGE 18, 18, 21, BVerwG 1974-04-26  VII C 77.72 = NJW 1974, 18885).

3. Der Wanderversicherte kann eine Beschränkung auf einzelne Versicherungszweige gemäß RVO § 1310 Abs 1 S 2 nicht nur bei der (Neu-) Feststellung einer Leistung aus Anlaß des Eintritts eines (neuen) Versicherungsfalls, sondern auch bei der Neufeststellung aus anderem Anlaß als wegen des Eintritts eines neuen Versicherungsfalls vornehmen, sofern er nicht bereits bei einer vorhergegangenen Feststellung durch Beschränkung auf einzelne Versicherungszweige eine höhere Leistung hätte erlangen können.

 

Normenkette

RVO § 1310 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-07-27; SGG § 96 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 94 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 551 Fassung: 1950-09-12

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 10.11.1977; Aktenzeichen L 8 J 41/76)

SG Berlin (Entscheidung vom 11.03.1976; Aktenzeichen S 36 J 2545/74)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 10. November 1977 insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin für die Zeit vom 1. Juni 1971 bis 31. Dezember 1972 eine höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen.

In diesem Umfange wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob ein nachträglich ergangener Bescheid Gegenstand eines anhängigen Klageverfahrens geworden ist und ob die Klägerin die Neufeststellung einer Rente unter Beschränkung auf einen einzelnen Versicherungszweig verlangen kann.

Die Klägerin ist Verfolgte im Sinne des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Sie hat ihren Wohnsitz seit März 1938 in Israel und besitzt neben der israelischen seit 1953 wieder die deutsche Staatsangehörigkeit. Vor ihrer Übersiedlung nach Israel hatte sie außer zur Invalidenversicherung im Jahre 1928 auch einen Beitrag zur Angestelltenversicherung entrichtet.

Mit Bescheid vom 9. April 1969 bewilligte ihr die Beklagte für die Zeit ab 1. Oktober 1967 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU-Rente). Durch Bescheid vom 13. November 1972 ließ die Beigeladene gemäß § 10 Abs 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVÄndG) vom 22. Dezember 1970 (BGBl I S. 1846) die Nachentrichtung von Beiträgen zu. Im April 1973 nahm die Klägerin eine Nachentrichtung für die Zeit von Januar 1933 bis Juli 1934 sowie für den Monat Januar 1950 vor.

Bereits vorher hatte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Dezember 1972 die EU-Rente der Klägerin unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Ersatzzeit vom Beginn der Bezugszeit an neu festgestellt. Durch einen weiteren Bescheid vom 10. April 1973 errechnete sie die Rente gemäß § 13 Abs 1 WGSVG neu. Diese Neuberechnung ergab einen niedrigeren als den bisher gewährten Zahlbetrag der EU-Rente. Sie wurde daher in der bisherigen Höhe weitergezahlt. Die Klägerin erhob wegen dieses Bescheides Klage. Sie wurde bei der 28. Kammer des Sozialgerichts (SG) Berlin anhängig.

Mit Bescheid vom 12. November 1973 stellte die Beklagte die EU-Rente der Klägerin unter Berücksichtigung der nachentrichteten Beiträge für die Bezugszeit ab 1. Juni 1971 neu fest. Der Bescheid enthielt den Hinweis, er werde nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des vor dem SG Berlin laufenden Verfahrens. Dem widersprach die Klägerin mit Schriftsatz vom 22. November 1973; sie beanstandete darin außerdem, daß die Beklagte bei der Neufeststellung der EU-Rente eine von ihr - der Klägerin - mit Schreiben vom 8. März 1973 erklärte Beschränkung des Leistungsbegehrens auf die Invalidenversicherung (Rentenversicherung der Arbeiter) unberücksichtigt gelassen habe. Mit weiterem Schriftsatz vom 13. Dezember 1973 erklärte die Klägerin ihre Klage wegen des Bescheides vom 10. April 1973 als erledigt. Mit Bescheid vom 18. März 1974 wandelte die Beklagte die EU-Rente der Klägerin mit Wirkung ab 1. April 1973 in das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres um.

Die Vorsitzende der 28. Kammer des SG Berlin verfügte am 31. Oktober 1974, daß die Klage wegen des Bescheides vom 10. April 1973 als zurückgenommen anzusehen und die Klage wegen des Bescheides vom 12. November 1973 als neue Klage einzutragen sei. Diese gelangte in die Zuständigkeit zunächst der 22. und sodann der 36. Kammer des SG.

Das SG (36. Kammer) hat nach Beiladung der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz mit Urteil vom 11. März 1976 unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 12. November 1973 die Beigeladene verurteilt, der Klägerin eine höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Juni 1971 mit der Maßgabe zu zahlen, daß bei der Rente die Berücksichtigung der Beiträge zur Angestelltenversicherung außer Acht gelassen wird.

Auf die Berufung der Beigeladenen und die Anschlußberufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin (Urteil vom 10. November 1977) unter Zurückweisung der weitergehenden Berufungsanträge das Urteil des SG geändert und unter Änderung des Bescheides vom 12. November 1973 die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Juni 1971 bis zum 31. Dezember 1972 mit der Maßgabe zu zahlen, daß bei der Berechnung die Beiträge zur Angestelltenversicherung nicht berücksichtigt werden. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt:

Die Klage wegen des Bescheides vom 12. November 1973 sei zu Recht als neue Klage angesehen worden. Der Bescheid sei nicht Gegenstand des bei der 28. Kammer des SG anhängigen Verfahrens geworden. Er habe die Beschwer der Klägerin durch den Bescheid vom 10. April 1973 nicht geändert und mit diesem nicht in einem sachlichen, sondern lediglich in einem losen zeitlichen Zusammenhang gestanden. Aber selbst wenn der Bescheid vom 12.November 1973 Gegenstand des bei der 28. Kammer des SG anhängigen Verfahrens geworden sei, habe die dadurch begründete Rechtshängigkeit einer Entscheidung durch die 36. Kammer des SG nicht entgegengestanden. Denn die Rechtshängigkeit der Klage bei der 28. Kammer sei mit der Abgabe des Verfahrens an die 36. Kammer beendet worden. Diese Abgabe begründe keinen wesentlichen Verfahrensmangel. Der gesetzliche Richter werde den Beteiligten nicht schon durch eine an sich unzutreffende Abgabe der Sache an eine andere Kammer, sondern nur in dem - hier nicht vorliegenden - Fall der Manipulation entzogen.

In der Sache müsse die Berufung der Beigeladenen insoweit zum Erfolg führen, als sie der Klägerin die höhere EU-Rente nur für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1973 (Beginn des Altersruhegeldes) zu gewähren habe. Für die vorhergehende Zeit vom 1. Juni 1971 bis zum 31. Dezember 1972 habe die Beklagte die höhere Leistung zu gewähren. Die durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel über Soziale Sicherheit vom 17. Dezember 1973 (BGBl II 1975, S. 245) begründete Zuständigkeit der Beigeladenen für die Rentenfeststellung und -zahlung bestehe nach dem Schlußprotokoll zum Abkommen erst für die Zeit ab 1. Januar 1973. Für die Zeit vorher bleibe die Beklagte zuständig. Hinsichtlich der Rentenhöhe sei die Berufung der Beigeladenen nicht begründet. Die Klägerin könne gemäß § 1310 Abs 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verlangen, daß bei der Neuberechnung der EU-Rente der im Jahre 1928 zur Angestelltenversicherung entrichtete Beitrag unberücksichtigt bleibe. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe die Klägerin mit der Beitragsnachentrichtung einen neuen Sachverhalt geschaffen, für den die Bindungswirkung des ersten Bewilligungsbescheides vom 9. April 1969 wirkungslos sei und der auch unter Berücksichtigung dessen, daß die Nachentrichtung von Beiträgen zwecks Rentenerhöhung erfolge und damit in der Nachentrichtung zugleich der Antrag auf höhere Rente liege, die Möglichkeit der Beschränkung auf einen Versicherungszweig eröffne. Nicht erforderlich sei, daß diese Beschränkung nur bei dem Leistungsantrag anläßlich des Eintritts des Versicherungsfalls geltend gemacht werde.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision trägt die Beklagte vor, der Bescheid vom 10. April 1973 habe im Zeitpunkt seines Erlasses nicht mehr der materiellen Rechtslage entsprochen, weil die Klägerin inzwischen am 10. Februar 1973 Beiträge nachentrichtet und am 8. März 1973 ihr Leistungsbegehren auf die zur Arbeiterrentenversicherung entrichteten Beiträge beschränkt habe. Insofern habe der Bescheid vom 12. November 1973 denjenigen vom 10. April 1973 unter Verminderung der Beschwer der Klägerin in vollem Umfange ersetzt. Damit sei er Gegenstand des bei der 28. Kammer des SG Berlin noch anhängigen Prozesses geworden. Die spätere Rücknahme der Klage wegen des Bescheides vom 10. April 1973 habe diese kraft Gesetzes eingetretene Rechtshängigkeit nicht berührt. Damit zugleich sei eine Verfahrenstrennung unzulässig gewesen, weil im Falle des § 96 SGG nicht mehrere Rechtsstreitigkeiten anhängig seien. Den Entscheidungen der 36. Kammer des SG und des LSG habe somit das Prozeßhindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit entgegengestanden. In materiell-rechtlicher Hinsicht könne nach eingetretener Bindungswirkung des Erstbescheides das Bestimmungsrecht aus § 1310 Abs 1 Satz 2 RVO für einen Neufeststellungsanspruch nicht mehr ausgeübt werden. Die vom LSG für seine gegenteilige Ansicht herangezogene Rechtsprechung des BSG sei nicht einschlägig.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. März 1976 sowie das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 10. November 1977 insoweit aufzuheben, als ihre - der Beklagten - Verurteilung zur Neufeststellung der der Klägerin gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erfolgt sei, und die Klage abzuweisen;

hilfsweise:

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Berlin zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die nach ihrer Auffassung zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils.

Die Beigeladene hat von einer Stellungnahme abgesehen.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht begründet.

Nicht durchgreifen kann die von der Beklagten erhobene Rüge einer Verletzung des § 94 Abs 2 SGG.

Hiernach ist, wenn die Streitsache schon bei einem Gericht der Sozialgerichtsbarkeit rechtshängig ist, eine neue Klage während der Rechtshängigkeit unzulässig. Eine solche Rechtshängigkeit wird auch dadurch begründet, daß ein nachträglich ergangener Bescheid kraft Gesetzes (§ 96 SGG) in ein bereits anhängiges Verfahren einbezogen wird. In diesem Falle ist eine neue Klage bezüglich des nachträglich ergangenen Bescheides wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig (BSGE 5, 158, 163; BSG SozR 1500 § 96 Nr 4).

Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, ob der Bescheid der Beklagten vom 12. November 1973 gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des bei der 28. Kammer des SG wegen des Bescheides vom 10. April 1973 anhängigen Verfahrens geworden ist. Selbst wenn dies entsprechend der Meinung der Beklagten der Fall ist, verletzt das Urteil des SG vom 11. März 1976 nicht § 94 Abs 2 SGG. Die 36. Kammer des SG hat dann weder über eine "neue Klage" noch "während der Rechtshängigkeit" im Sinne dieser Vorschrift entschieden. Vielmehr ist das Urteil vom 11. März 1976 dann auf diejenige Klage ergangen, die zunächst bei der 28. Kammer rechtshängig gewesen, dort durch die Einbeziehung des Bescheides vom 12. November 1973 erweitert und nach teilweiser Rücknahme bezüglich des Bescheides vom 10. April 1973 durch die neue Eintragung in das Klageregister in die Zuständigkeit der 36. Kammer des SG gelangt ist. Es hat sich somit - mit Ausnahme des durch die Rücknahme erledigten Teils - um dieselbe wie die zunächst bei der 28. Kammer anhängig gewesene und nicht etwa um eine neue Klage gehandelt. Über sie ist zudem nicht während einer anderweitigen Rechtshängigkeit der Streitsache entschieden worden. Im Zeitpunkt der Verkündung des Urteils vom 11. März 1976 ist die Streitsache nicht mehr bei der 28. Kammer des SG rechtshängig gewesen. Diese Rechtshängigkeit ist durch die Eintragung als neue Klage beendet worden.

Allerdings hat in diesem Fall eine nach der Geschäftsverteilung unzuständige Kammer entschieden. Unterstellt, der Bescheid vom 12. November 1973 sei Gegenstand des bereits anhängigen Verfahrens geworden und für dieses im damaligen Zeitpunkt die 28. Kammer des SG zuständig gewesen, hätte diese auch über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 12. November 1973 entscheiden müssen und nicht statt dessen das Verfahren als neue Klage eintragen lassen dürfen. Dementsprechend wäre die 36. Kammer des SG zur Entscheidung des Rechtsstreits nach der damaligen Geschäftsverteilung nicht zuständig gewesen. Die Entscheidung durch einen nach der Geschäftsverteilung nicht zuständigen Spruchkörper kann eine Entscheidung durch ein nicht vorschriftsmäßig besetztes Gericht im Sinne des § 551 Nr 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) darstellen; die unbedingten Revisionsgründe des § 551 ZPO wiederum gelten über § 202 SGG auch im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (BSGE 3, 180, 185; 4, 281, 287; 5, 176, 177; 9, 153, 158; 18, 18, 22) und sind wegen ihrer bis in die Revisionsinstanz fortdauernden Wirkung auf die Grundlagen des Verfahrens bei einer zulässigen Revision von Amts wegen zu berücksichtigen (BSGE 11, 22, 25; BSG SozR 1500 § 31 Nr 1). Nicht jede Entscheidung durch einen nach der Geschäftsverteilung nicht zuständigen Spruchkörper stellt jedoch einen absoluten Revisionsgrund dar. Das ist vielmehr nur dann der Fall, wenn der mit der Sache befaßte Spruchkörper seine Zuständigkeit willkürlich und damit unter Verstoß insbesondere gegen Art 101 Abs 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) angenommen hat. Hat er sich hingegen aufgrund eines Irrtums über die Geschäftsverteilung oder aufgrund eines sonstigen Irrtums, der mittelbar zu einem unrichtigen Verständnis des Geschäftsverteilungsplans geführt hat, für zuständig gehalten, so begründet allein dieser Irrtum jedenfalls dann keinen absoluten Revisionsgrund, wenn der Spruchkörper im übrigen für Rechtsstreitigkeiten des Gebietes, auf welchem die Entscheidung ergangen ist (vgl §§ 10, 31 SGG), sachlich zuständig ist (vgl § 22d des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG - in Verbindung mit § 6 SGG; BGHZ 37, 125, 128; BSGE 18, 18, 21; BVerwG NJW 1974, 1885). So liegt der Fall hier. Nach Lage der Dinge hat die 36. Kammer ihre geschäftsverteilungsplanmäßige Zuständigkeit deswegen angenommen, weil die Klage wegen des Bescheides vom 12.November 1973 auf Veranlassung der Vorsitzenden der 28. Kammer als neue Klage eingetragen worden ist. Dies wiederum beruht darauf, daß nach Ansicht der Vorsitzenden der 28. Kammer der Bescheid vom 12. November 1973 nicht gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Selbst wenn diese Ansicht nicht zutreffen sollte, so beruht sie nach den Feststellungen des LSG jedenfalls auf einer sachlichen Darlegung der Rechtsauffassung der Vorsitzenden der 28. Kammer und ist daher nicht willkürlich. Zumindest aus diesem Grunde leidet das dem Urteil des SG vom 11. März 1976 zugrunde liegende Verfahren nicht an einem bis in die Revisionsinstanz fortwirkenden wesentlichen Mangel. Insoweit vermag das Vorbringen der Beklagten ihrer Revision nicht zum Erfolg zu verhelfen.

Sie wendet sich jedoch zu Recht gegen die eigentliche Sachentscheidung des LSG. Ob die Beklagte - nur der gegen sie erhobene Anspruch ist noch im Streit - der Klägerin für die Zeit vom 1. Juni 1971 bis 31. Dezember 1972 eine unter Außerachtlassung des im Jahre 1928 zur Angestelltenversicherung entrichteten Beitrages errechnete höhere EU-Rente zu zahlen hat, kann auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend entschieden werden.

Nach § 1310 Abs 1 RVO in der Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften der RVO und des Angestelltenversicherungsgesetzes an Vorschriften des Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes und des Soldatenversorgungsgesetzes vom 27. Juli 1957 (BGBl I S. 1105) wird bei den sogen. Wanderversicherten beim Eintritt des Versicherungsfalles eine Leistung nur aus den Zweigen der Rentenversicherung gewährt, deren Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind (Satz 1). Der Leistungsantrag gilt für alle beteiligten Versicherungszweige, es sei denn, daß er ausdrücklich auf einzelne Versicherungszweige beschränkt wird (Satz 2). Nach Auffassung des LSG fordert das Gesetz nicht, daß die Beschränkung nur bei dem Leistungsantrag anläßlich des Eintritts des Versicherungsfalls geltend gemacht wird. Vielmehr soll eine solche Möglichkeit auch dann bestehen, wenn ohne Eintritt eines (neuen) Versicherungsfalls aufgrund der Nachentrichtung von Beiträgen eine bereits bewilligte Rente neu festgestellt wird. Dem kann in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden.

Allein nach seinem Wortlaut und nach seinem systematischen Zusammenhang mit Satz 1 der Vorschrift ist § 1310 Abs 1 Satz 2 RVO auf den Fall der Feststellung bzw Neufeststellung der Rente aus anderem Anlaß als wegen des Eintritts eines (neuen) Versicherungsfalls nicht unmittelbar anwendbar. Die Vorschrift läßt eine ausdrückliche Beschränkung des "Leistungsantrages" auf einzelne Versicherungszweige zu. Rein begrifflich kann ein "Leistungsantrag" sowohl ein Antrag auf Gewährung einer Leistung aus Anlaß des Eintritts eines Versicherungsfalls als auch ein Antrag auf Neufeststellung einer bereits gewährten Leistung aus einem anderen Anlaß als wegen des Eintritts eines (neuen) Versicherungsfalls sein. Letztere Anträge gehören jedoch nicht zu den "Leistungsanträgen" im Sinne des § 1310 Abs 1 Satz 2 RVO. Das ergibt sich aus Satz 1 dieser Bestimmung. Dieser regelt die Gewährung einer Leistung "beim Eintritt eines Versicherungsfalls" und betrifft somit nicht Anträge auf Leistungen aus anderem Anlaß. Hieran schließt § 1310 Abs 1 Satz 2 RVO an mit der Folge, daß unter einem Leistungsantrag ausschließlich der Antrag auf Gewährung einer Leistung beim Eintritt des Versicherungsfalls zu verstehen ist. Allerdings braucht es sich dabei nicht um den erstmaligen Antrag auf Gewährung einer Leistung zu handeln. Vielmehr kann der Leistungsantrag auch bei Eintritt eines neuen und in der Stufen- und Wertfolge der §§ 1245 ff RVO höherwertigen Versicherungsfalls (vgl BSGE 33, 41, 43) auf einzelne Versicherungszweige beschränkt werden (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-8. Aufl, Band III, S. 810; Koch/Hartmann/v.Altrock/Fürst, Das Angestelltenversicherungsgesetz, 2./3. Aufl, § 89, Anm E I, S. V 594). Stets jedoch kann die Beschränkung auf einzelne Versicherungszweige nur in dem Antrag auf Leistung aufgrund des Eintritts eines Versicherungsfalls vorgenommen werden. Hingegen läßt § 1310 Abs 1 RVO seinem Wortlaut nach eine solche Beschränkung anläßlich der Feststellung der Leistung aus anderen Gründen als wegen des Eintritts eines Versicherungsfalls selbst dann nicht, wenn die Feststellung - was für diejenige aufgrund einer Beitragsnachentrichtung nach § 10 WGSVG ohnehin nicht gilt (vgl Art 4 § 2 Abs 1 Halbsatz 2 WGSVÄndG) - ausschließlich auf Antrag zu erfolgen hat.

Hierfür spricht auch der Rechtscharakter des § 1310 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 2 RVO als Ausnahmevorschrift. Grundsätzlich soll die Rente das gesamte Versicherungsleben des Versicherten widerspiegeln (vgl Urteil des BSG vom 26. April 1968 - 12 RJ 478/65 -; Verbandskommentar zur RVO, 6. Aufl, § 1310 RVO, Anm 6). Dem trägt § 1310 Abs 1 Satz 2 RVO Rechnung durch die Grundregelung, daß bei Wanderversicherten der Leistungsantrag für alle beteiligten Versicherungszweige gilt. Von diesem Regelfall wird eine Ausnahme für den Fall zugelassen, daß der Wanderversicherte seinen Leistungsantrag ausdrücklich auf einzelne Versicherungszweige beschränkt. Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, daß er dem Wanderversicherten die an sich systemwidrige Möglichkeit einer Beschränkung seines Leistungsantrages auf einzelne Versicherungszweige nicht generell für jeglichen Fall der Feststellung oder Neufeststellung der Leistung, sondern nur aus Anlaß einer Feststellung aufgrund des Eintritts eines (neuen) Versicherungsfalls hat einräumen wollen.

Den Urteilen des Senats vom 25. Juni 1971 (BSGE 33, 41 = SozR RVO § 1419 Nr 5) und vom 6. Februar 1975 (SozR 5070 § 8 Nr 1) kann insoweit nichts Gegenteiliges entnommen werden. Der Senat hat hierin ua ausgesprochen, daß, wenn nach Eintritt der Bindungswirkung eines ein Altersruhegeld bewilligenden Bescheides für Zeiten vor Beginn der Leistung zulässigerweise Beiträge nachentrichtet werden können, diese auch die Höhe des Altersruhegeldes beeinflussen müssen. In diesen Fällen, zu denen auch die Beitragsnachentrichtung nach §§ 8 und 10 WGSVG gehört, ist der Versicherungsträger zur Neufeststellung der Rente verpflichtet, weil ein neuer Sachverhalt gegeben ist, für den die Bindungswirkung der früheren Bescheide nach § 77 SGG bedeutungslos ist. Der Senat hält an dieser Rechtsansicht fest. Sie gibt jedoch für den vorliegenden Fall nichts her. Im Streit ist hier nicht eine Verpflichtung der Beklagten zur Neufeststellung der EU-Rente der Klägerin unter Berücksichtigung der nach § 10 WGSVG nachentrichteten Beiträge; dieser Verpflichtung ist die Beklagte durch Erlaß des Bescheides vom 12. November 1973 nachgekommen. Die Beteiligten streiten vielmehr darum, ob die Klägerin anläßlich dieser Neufeststellung die Beschränkung auf einen einzelnen Versicherungszweig verlangen kann. Hierfür ist es unerheblich, daß durch die Beitragsnachentrichtung ein neuer Sachverhalt geschaffen worden und deswegen die Bindungswirkung des früheren Bescheides bedeutungslos geworden ist. Maßgebend ist allein, ob die Beschränkung auf einen einzelnen Versicherungszweig nur aufgrund des Eintritts eines (neuen) Versicherungsfalls oder aber auch anläßlich der Neufeststellung der Rente aus anderem Anlaß begehrt werden kann. Dies hat der Senat bislang nicht entschieden.

Für diese Entscheidung sind vornehmlich Sinn und Zweck des § 1310 Abs 1 Satz 2 RVO maßgebend. Sie gebieten eine gesetzesergänzende Anwendung der Vorschrift entsprechend dem in ihrem Wortlaut nur unvollständig zum Ausdruck gekommenen Plan des Gesetzgebers. Dieser hat ein Dispositionsbedürfnis des Wanderversicherten für den Fall anerkannt, daß sich daraus, daß der Leistungsantrag grundsätzlich für alle beteiligten Versicherungszweige gilt, im Einzelfall leistungsrechtliche Nachteile ergeben können. In diesem Fall soll der Versicherte die Möglichkeit haben, durch ausdrückliche Beschränkung seines Leistungsantrages auf einzelne Versicherungszweige die sich aus der Zugehörigkeit zu mehreren Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung ergebenden Nachteile zu vermeiden und die ihm günstigste Berechnung der Leistung herbeizuführen. Ein entsprechendes Dispositionsbedürfnis des Versicherten besteht vor allem bei der Feststellung oder Neufeststellung der Leistung aufgrund des Eintritts eines (neuen) Versicherungsfalls. Denn typischerweise bei diesem Anlaß stellt sich heraus, ob die Berechnung der Leistung unter Einbeziehung aller beteiligten Versicherungszweige oder aber die Beschränkung des Leistungsantrages auf einzelne Versicherungszweige die dem Versicherten günstigere Leistung ergibt. Das vom Gesetzgeber ausdrücklich für diese Fälle anerkannte Dispositionsbedürfnis des Versicherten kann jedoch ebenso bei einer Neufeststellung der Leistung aus einem anderen Anlaß als wegen des Eintritts eines (neuen) Versicherungsfalls gegeben sein. Das ist dann der Fall, wenn die vorhergegangene Feststellung der Leistung unter Einbeziehung aller beteiligten Versicherungszweige dem Versicherten nicht nachteilig gewesen ist und sich erstmals bei der Neufeststellung herausstellt, daß die Beschränkung auf einzelne Versicherungszweige eine dem Versicherten günstigere Leistung ergeben würde. In diesem Falle ist ebenso wie bei dem Eintritt eines (neuen) Versicherungsfalls entsprechend dem Grundgedanken des § 1310 Abs 1 Satz 2 RVO ein Dispositionsbedürfnis des Versicherten dahingehend anzuerkennen, daß ihm die Möglichkeit zu Gebote stehen muß, die Neufeststellung der Leistung unter Beschränkung auf einzelne Versicherungszweige zu verlangen. Hingegen kann der dem § 1310 Abs 1 Satz 2 RVO zugrundeliegende Rechtsgedanke dann nicht eingreifen, wenn sich nicht erst bei der Neufeststellung der Leistung ergibt, daß die Beschränkung auf einzelne Versicherungszweige dem Versicherten günstiger wäre, sondern dies bereits bei der vorhergegangenen Feststellung der Fall gewesen ist. Unter dieser Voraussetzung kann ein Dispositionsbedürfnis des Versicherten nicht mehr anerkannt werden, weil er bereits bei der vorhergegangenen Feststellung durch Beschränkung seines Leistungsantrages auf einzelne Versicherungszweige die ihm günstigere Leistung hätte erlangen können und diese Möglichkeit nicht erstmals aus Anlaß der Neufeststellung der Leistung erhält. Der Senat gelangt somit zu folgendem Ergebnis: Eine Beschränkung auf einzelne Versicherungszweige gemäß § 1310 Abs 1 Satz 2 RVO ist nicht nur bei der Feststellung oder Neufeststellung der Leistung aufgrund eines (neuen) Versicherungsfalls zulässig. Vielmehr kann sie auch bei der Neufeststellung aus anderem Anlaß als wegen des Eintritts eines (neuen) Versicherungsfalls beantragt werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß sie erstmals bei dieser Neufeststellung zu einer dem Versicherten günstigeren Leistung führt. Hätte der Versicherte hingegen schon bei der vorhergegangenen Feststellung durch Beschränkung auf einzelne Versicherungszweige eine ihm günstigere Leistung erzielen können, so ist eine entsprechende Beschränkung erst anläßlich der Neufeststellung nicht mehr zulässig.

Hiermit setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu dem Urteil des 5. Senats des BSG vom 31. Januar 1974 (SozR 2200 § 1268 Nr 1). Diesem Urteil kann nicht entnommen werden, daß der Versicherte bei jeglicher Neufeststellung seiner Rente ohne Rücksicht auf deren Anlaß stets eine Beschränkung auf einzelne Versicherungszweige verlangen kann. Der 5. Senat hat in jener Entscheidung über einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente befunden und insoweit ausgesprochen, daß die Witwe eines Wanderversicherten bei einer durch das nachträgliche Auffinden zusätzlicher Versicherungsunterlagen entstandenen neuen Situation noch nachträglich in entsprechender Anwendung des § 1310 Abs 1 Satz 2 RVO von der Möglichkeit Gebrauch machen kann, die für die Höhe der Witwenrente maßgebende Versichertenrente jedenfalls mit Wirkung für die Berechnung der Witwenrente auf einzelne Versicherungszweige zu beschränken. Dabei hat der 5. Senat entscheidend darauf abgehoben, daß der Tod des Versicherten einen neuen Versicherungsfall darstellt, aus dem neue Ansprüche entstehen (aaO, S. 4). Allerdings hat er weiter ausgeführt, daß im Rahmen einer Überprüfung des Bescheides über eine Versichertenrente durch den Versicherungsträger wegen des nachträglichen Eingangs zusätzlicher Versicherungsunterlagen nach § 1744 Abs 1 Nr 6 RVO auch der Versicherte berechtigt sein müsse, nunmehr nachträglich in entsprechender Anwendung des § 1310 Abs 1 Satz 2 RVO die Möglichkeit einer Beschränkung seines Leistungsanspruchs auf einzelne Versicherungszweige in Anspruch zu nehmen. Insofern unterscheidet sich jedoch der vorliegende von dem damals entschiedenen Sachverhalt in wesentlicher Hinsicht. Weder hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid vom 12. November 1973 im Rahmen eines Verfahrens nach § 1744 Abs 1 Nr 6 RVO erlassen, noch ist die Klägerin erst nachträglich damit konfrontiert worden, daß für sie im Jahre 1928 ein Beitrag zur Angestelltenversicherung entrichtet worden ist. Dies ist vielmehr bereits aus dem Bescheid vom 9. April 1969 ersichtlich.

Die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer höheren EU-Rente für die Zeit vom 1. Juni 1971 bis 31. Dezember 1972 unter Außerachtlassung des im Jahre 1928 zur Angestelltenversicherung entrichteten Beitrages kann nach alledem nur Bestand haben, wenn die von der Klägerin vorgenommene Beschränkung auf den Versicherungszweig der Arbeiterrentenversicherung erstmals anläßlich der Neufeststellung der EU-Rente durch den Bescheid vom 12. November 1973 zu einer ihr günstigeren Berechnung der Leistung geführt hat. Hätte die Klägerin hingegen bereits bei einer vorhergegangenen Feststellung der EU-Rente, insbesondere durch die Bescheide vom 9. April 1969 und 15. Dezember 1972, durch eine Beschränkung gemäß § 1310 Abs 1 Satz 2 RVO eine höhere Leistung erlangen können, so steht ihr ein entsprechendes Recht anläßlich der Neufeststellung durch den Bescheid vom 12. November 1973 nicht mehr zu; die Klage wäre dann abzuweisen. Das LSG wird somit - etwa durch Einholung einer Vergleichsberechnung - festzustellen haben, welche leistungsrechtlichen Auswirkungen es gehabt hätte, wenn die Klägerin bereits anläßlich der vorhergegangenen Rentenfeststellungen ihr Leistungsbegehren auf die Arbeiterrentenversicherung beschränkt hätte. Zwecks Nachholung dieser Feststellungen ist der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Dieses wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 13

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