Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine verzögert abgesandte Sammelanzeige (WinterbauAnO § 15) noch als rechtzeitig erstattet angesehen werden kann.

 

Leitsatz (redaktionell)

Verzögert abgesandte Sammelanzeige: 1. Für die unverzügliche Erstattung ist grundsätzlich Voraussetzung, daß die im entsprechenden Fall abzugebende Sammelanzeige (AFG § 84 Abs 1 Nr 3 iVs WinterbauAnO § 15 Abs 3) am letzten Arbeitstag der Woche zur Post gegeben wird. Eine unverzügliche Anzeigeerstattung kann allerdings auch bei späterer Beförderung dann angenommen werden, wenn hierdurch sichergestellt ist, daß die Sendung das Arbeitsamt zum gleichen Zeitpunkt erreicht, an dem die Sendung auch bei unverzüglicher Absendung dort eingetroffen wäre. Das ist regelmäßig der Dienstbeginn am Montagmorgen.

2. Eine am Freitag abzusendende Ausfallanzeige (AFG § 84 Abs 1 Nr 3) ist nicht unverzüglich erstattet, wenn sie erst am Sonntag in den Briefkasten geworfen wird, den Poststempel von Montag trägt und erst am Dienstag beim Arbeitsamt eingeht.

3. Wählt der Arbeitgeber für die Erstattung der Ausfallanzeige einen anderen Weg als die Postbeförderung, ist die Anzeige unverzüglich erstattet, wenn sie dem Arbeitsamt zu dem Zeitpunkt zur Kenntnis gelangt, in dem sie bei normaler Postbeförderung dort frühestens hätte eintreffen können; das ist bei am Freitag abzusendenden Anzeigen der Dienstbeginn am Montagmorgen.

 

Normenkette

AFG § 84 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1972-05-19, § 88 Abs. 1 Fassung: 1972-05-19; WinterbauAnO § 15 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 03.06.1976; Aktenzeichen L 9 Al 92/75)

SG Nürnberg (Entscheidung vom 06.08.1975; Aktenzeichen S 9 Al 52/74)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 3. Juni 1976 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Anzeige über witterungsbedingten Arbeitsausfall auf einer Baustelle des Klägers in der Zeit vom 2. bis 4. Januar 1974 rechtzeitig erstattet worden ist.

Die für diese Ausfalltage auf dem Formblatt der Bundesanstalt für Arbeit (BA) erstattete, an den Direktor des Arbeitsamtes Nürnberg gerichtete Sammelanzeige wurde der Post als einfache Briefsendung zur Beförderung übergeben. Als Datum der Erstellung dieser Anzeige ist der 4. Januar 1974 (Freitag) angegeben. Die Ehefrau des Klägers warf den die Anzeige enthaltenden Brief am 6. Januar 1974 (Sonntag) um 14.30 Uhr in den Briefkasten des Postamts Feucht, der sonntags nur einmal - um 11.45 Uhr - geleert wird. Der Briefumschlag erhielt den Poststempel vom 7. Januar 1974 (Montag). Die Anzeige ging am 8. Januar 1974 (Dienstag) beim Arbeitsamt Nürnberg ein.

Mit Bescheid vom 9. Januar 1974 lehnte die Beklagte die Zahlung von Schlechtwettergeld (SWG) ab, weil die Anzeige über Arbeitsausfall nicht rechtzeitig erstattet worden sei. Der Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, daß er aufgrund des Rundschreibens der Beklagten vom 19. Oktober 1973 der Auffassung gewesen sei, daß auch die Sammelanzeige noch am 1. Arbeitstag der auf die Ausfalltage folgenden Woche erstattet werden könne, und er den Eingang der Anzeige beim Arbeitsamt erst am Dienstag nicht zu vertreten habe, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 1974). Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Nürnberg durch Urteil vom 6. August 1975 abgewiesen.

Die Berufung hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 3. Juni 1976 zurückgewiesen. Das LSG hat dazu ausgeführt: Nach § 84 Abs 1 Nr 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) sei zwingende Voraussetzung des Anspruchs auf SWG, daß der Arbeitsausfall dem Arbeitsamt unverzüglich angezeigt werde. Bei dieser Anzeige handele es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung oder zumindest um eine auf einen Rechtserfolg gerichtete "geschäftsähnliche Handlung", die entsprechend den Vorschriften über Willenserklärungen im bürgerlichen Recht (§ 130 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB -) erst im Zeitpunkt ihres Zugangs wirksam werde. Rechtzeitig erstattet iS des § 15 Abs 3 der Anordnung des Verwaltungsrats der BA über die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft (Winterbau-Anordnung - WA -) vom 4. Juli 1972 (ANBA S 511) sei die Anzeige, wenn sie den Poststempel des letzten Arbeitstages der Kalenderwoche trage. Darüber hinaus erhebe die Beklagte auch dann keine Bedenken gegen die Rechtzeitigkeit der Anzeige, wenn diese am Montag der folgenden Kalenderwoche beim Arbeitsamt eingehe. Die Anzeige sei vom Kläger weder rechtzeitig erstattet noch nach der die Beklagte selbst bindenden Durchführungsanweisung als rechtzeitig erstattet anzusehen. Den verspäteten Eingang der Anzeige beim Arbeitsamt habe der Kläger zu vertreten, weil er den Brief erst am Sonntag statt am Freitag (dem letzten Arbeitstag der Kalenderwoche) der Post zur Beförderung übergeben habe. Es seien keine Gründe ersichtlich, die den Kläger gehindert hätten, die Sammelanzeige am letzten Arbeitstag der Kalenderwoche abzusenden oder - wenn er dies schon versäumt habe - die Anzeige am folgenden Montag selbst beim Arbeitsamt abzugeben. Die Beklagte habe den Anspruch auf SWG auch nicht deshalb zu erfüllen, weil sie, wie der Kläger meine, ihn zu einer irrigen Rechtsauffassung über den Zeitpunkt der Anzeige bestimmt habe. Der Text des Rundschreibens des Arbeitsamts Nürnberg vom 19. Oktober 1973 sei nicht mißverständlich.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung des § 84 Abs 1 Nr 3 AFG iVm § 15 Abs 3 WA. Er trägt im wesentlichen vor, daß er die Anzeige rechtzeitig, nämlich vor dem 1. Arbeitstag (Montag) der auf die Ausfalltage folgenden Woche, erstattet habe. Der Zweck der Anzeige erfordere nicht einmal, daß diese unbedingt schon am Montag beim Arbeitsamt eingehen müsse. Daß die Anzeige erst am Dienstag beim Arbeitsamt eingegangen sei, habe er nicht zu vertreten, da dies auf die verzögerte Beförderung durch die Post bzw darauf zurückzuführen sei, daß das Arbeitsamt die in sein Postfach einsortierten Sendungen nur einmal täglich gegen 7.00 Uhr - vor Abschluß der täglichen Einsortierung - abholen lasse. Hieraus dürfe ihm kein Rechtsnachteil erwachsen, wie aus Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - und des Oberlandesgerichts (OLG) Celle hervorgehe. Die Beklagte sei aufgrund ihrer Durchführungsanweisung (DA), wonach am Montag der folgenden Kalenderwoche beim Arbeitsamt eingehende Sammelanzeigen ohne Rücksicht auf das Datum des Poststempels als rechtzeitig erstattet angesehen würden, eine Selbstbindung eingegangen. Die von mittelfränkischen Baubetrieben erstatteten Sammelanzeigen erkenne die Beklagte allgemein noch als rechtzeitig an, wenn sie erst dienstags vom Postfach abgeholt würden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Grundgesetz (GG) gebiete es, ihm gegenüber ebenso zu verfahren, dh seine Sammelanzeige als rechtzeitig erstattet anzusehen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

die Urteile des Bayerischen LSG und des SG Nürnberg sowie den Bescheid des Arbeitsamts Nürnberg in der Gestalt des Widerspruchsbescheids aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die witterungsbedingten Arbeitsausfälle seiner Arbeitnehmer in der Zeit vom 2. bis 4. Januar 1974 auf der Baustelle Nürnberg, W. Hauptstraße, anzuerkennen und das von ihm für diese Ausfalltage verauslagte SWG zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.

Gemäß § 84 Abs 1 Nr 3 AFG ist es eine Voraussetzung für den Anspruch auf SWG, daß der Arbeitsausfall dem Arbeitsamt unverzüglich angezeigt wird. Das LSG hat zutreffend diese Anzeige als eine empfangsbedürftige Willenserklärung angesehen, die ihre gesetzliche Wirkung grundsätzlich erst dann entfalten kann, wenn sie dem Adressaten zugegangen ist (vgl BSGE 22, 187; BSG SozR 4100 § 84 AFG Nr 1; Urteile des erkennenden Senats vom 25. Oktober 1976 - 12/7 RAr 33/75 - und - 12/7 RAr 35/75 - sowie vom 16. Dezember 1976 - 12 RAr 30/76 -; Urteil des 7. Senats vom 21. Juni 1977 - 7/12/7 RAr 127/75 -). Die Anzeige konnte demnach im vorliegenden Fall erst am 8. Januar 1974 rechtliche Wirkung entfalten, als das Arbeitsamt durch den Eingang der Briefsendung des Klägers Kenntnis von dem Arbeitsausfall erhalten hat. Auch eine so spät eingegangene Anzeige kann allerdings den gesetzlichen Anforderungen genügen. In § 84 Abs 1 Nr 3 AFG ist bestimmt, daß die Anzeige unverzüglich erfolgen muß, dh ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs 1 Satz 1 BGB). Das Bundessozialgericht (BSG) hat zwar zu der insoweit gleichlautenden Vorschrift des § 143 e des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) entschieden, daß diesen Voraussetzungen nur genügt ist, wenn der Arbeitgeber am Tage des Arbeitsausfalls die Anzeige erstattet und dafür einen Weg wählt, der einen Eingang der Anzeige beim Arbeitsamt noch am gleichen Tage sicherstellt (BSGE 22, 187). Die Rechtslage hat sich aber seit dieser Entscheidung geändert. Durch die Winterbau-Anordnung, die aufgrund der §§ 88, 89 AFG erlassen wurde, ist nunmehr nach §§ 14 Abs 3, 15 Abs 3 WA bestimmt, daß die Anzeige "schriftlich" zu erstatten ist. Das bedeutet, daß die Anzeige - von Ausnahmen abgesehen - nunmehr durch Briefpost zu übermitteln ist. Die Übermittlung durch Boten ist zumindest den Unternehmen, die nicht am Ort des Arbeitsamtes liegen, regelmäßig nicht zuzumuten. Die frühere Auffassung, daß der Arbeitgeber den Eingang der Anzeige noch am Tage des Ausfalles sicherstellen muß, kann danach nicht mehr aufrechterhalten werden. Es kann nur verlangt werden, daß er die Anzeige noch am selben Tag, bei einer Sammelanzeige am letzten Arbeitstag der Kalenderwoche (§ 15 Abs 3 WA), zur Post gibt (vgl BSG SozR 4100 § 84 AFG Nr 1 sowie die genannten Urteile vom 25. Oktober 1976, 16. Dezember 1976 und 21. Juni 1977). Erfüllt er diese Verpflichtung, so ist es für die Wirksamkeit der Anzeige ohne Bedeutung, wann sie beim Arbeitsamt eingeht.

Wird die Anzeige jedoch nicht unverzüglich abgesandt, so ist sie grundsätzlich nicht wirksam erstattet worden. Eine Ausnahme wird allerdings für die Fälle zu gelten haben, in denen der Arbeitgeber auf andere Weise sicherstellt, daß die Anzeigen dem Arbeitsamt zu dem Zeitpunkt zur Kenntnis gelangen, in dem sie bei normaler Postbeförderung dort frühestens hätten eintreffen können. Das ist bei Sammelanzeigen regelmäßig der Dienstbeginn am Montagmorgen.

Im vorliegenden Fall ist aber keine der genannten Möglichkeiten wirksamer Erstattung der Anzeige erfüllt. Der Kläger hat die Anzeige erst am Sonntag, also zwei Tage nach dem letzten Arbeitstag der Kalenderwoche (Freitag), der Post zur Beförderung übergeben. Sie hat dem Arbeitsamt auch nicht am Montag bei Dienstbeginn vorgelegen. Es sind, wie das LSG festgestellt hat, ferner keine Gründe ersichtlich, die den Arbeitgeber oder die beauftragte Ehefrau gehindert hätten, den Brief noch am Sonnabend oder jedenfalls am Sonntag vor Leerung des Briefkastens zur Post zu geben.

Der Kläger macht selbst derartige Hinderungsgründe nicht geltend. Soweit er sich darauf beruft, daß das Rundschreiben des Arbeitsamtes Nürnberg vom 19. Oktober 1973 ihn zu einer irrigen Rechtsauffassung über den Zeitpunkt der Anzeigeerstattung bestimmt habe, fehlt für eine solche Behauptung die tatsächliche Grundlage. In dem Rundschreiben heißt es, "am letzten Arbeitstag jeder Kalenderwoche (diese Worte sind unterstrichen) ist von ihnen eine Sammelanzeige (brauner Vordruck) für Einzeltage einer Woche oder die gesamte Kalenderwoche zu erstatten". Dieser Text ist unmißverständlich.

Die getroffene Entscheidung widerspricht nicht - wie der Kläger meint - dem Grundsatz, daß dem Bürger eine Verzögerung der Briefbeförderung oder Briefzustellung durch die Post, die er nicht zu vertreten habe, nicht zugerechnet werden dürfe (so BVerfGE 41, 23; 41, 323; BVerfG NJW 77, 1233). Da es nach der Rechtsprechung des BSG nur auf die unverzügliche Absendung, nicht aber auf den Eingang der Anzeige ankommt, gehen Verzögerungen der Postbeförderung nicht zu Lasten des Anzeigenden.

Ob die zitierte Rechtsprechung des BVerfG auch dann eingreift, wenn die Anzeige nicht unverzüglich zur Post gegeben worden ist, aber noch in einem Zeitpunkt, in dem damit zu rechnen war, daß sie bei normaler Postbeförderung zum gleichen Zeitpunkt eingehen würde, wie eine unverzüglich erstattete Anzeige, kann hier dahinstehen; denn der Kläger konnte keineswegs damit rechnen, daß eine Sendung, die in einen Briefkasten geworfen wird, der erst am Montag geleert wird, den Empfänger noch in den frühen Morgenstunden desselben Tages erreicht.

Auch die vom Kläger angeführte Entscheidung des OLG Celle (gemeint ist wohl das Urteil vom 9. April 1974 - NJW 1974, 1386) führt zu keinem anderen Ergebnis. Das OLG Celle hat entschieden, daß der Empfänger eines Einschreibens sich nicht auf die Verspätung berufen kann, wenn der verspätete Zugang dieser Sendung darauf zurückzuführen ist, daß er sein Postfach nur einmal am frühen Morgen leert. Auch in diesem Zusammenhang gilt, daß bei unverzüglicher Absendung der Zeitpunkt des Eingangs und damit auch der Zeitpunkt der Leerung des Postfachs nicht rechtserheblich ist; bei verspäteter Absendung wäre hingegen eine erst im Laufe des Tages eingehende Anzeige auch dann nicht wirksam, wenn sie durch häufigere Leerung des Postfachs noch vor Dienstschluß zum Arbeitsamt gelangt wäre.

Die vom Kläger angeführte DA Nr 31.7 zu § 84 AFG im Runderlaß 346/72 des Präsidenten der BA kann sein Klagebegehren ebenfalls nicht stützen. Die in dieser DA genannten Voraussetzungen sind nämlich nicht erfüllt. Auch eine etwaige Praxis der Beklagten, die erst dienstags vom Postfach abgeholten Sammelanzeigen der mittelfränkischen Baubetriebe allgemein (also ohne Rücksicht auf das Datum der Anzeigeerstattung) als rechtzeitig erstattet anzusehen, kann nicht dazu führen, seine Anzeige als rechtzeitig erstattet anzusehen. Für eine solche Praxis fehlt die Rechtsgrundlage. Aus ihr kann deshalb kein Anspruch hergeleitet werden, weil eine Bindung der Verwaltung an bisheriges unrechtmäßiges Handeln und ein Anspruch auf gleichmäßige rechtswidrige Behandlung nicht zu begründen ist (vgl ua BSGE 7, 75, 78; 14, 104, 108; 15, 10, 14; 38, 63, 68).

Der Kläger hat somit den Arbeitsausfall nicht rechtzeitig angezeigt, so daß die Beklagte zu Recht die Gewährung von SWG abgelehnt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652314

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