Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg. Krankenkasse. Leistungserbringer. Schadensersatz. Erfüllungsanspruch. Vertrag. Kündigung. Nachwirkung. Anspruchskonkurrenz. Kartellrecht. Vorabentscheidung. Kosten. Beschwerdefrist. Abhilfe

 

Leitsatz (amtlich)

  • Die Zuständigkeit der Sozialgerichte für Streitigkeiten zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern aufgrund von Verträgen erstreckt sich auch auf vertragliche Schadensersatzansprüche.
  • Soweit bei einem einheitlichen Streitgegenstand der Schwerpunkt des Rechtsstreits Inhalt und Folgen von Verträgen zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer betrifft, haben die Sozialgerichte auch über wettbewerbsrechtliche Anspruchsgrundlagen zu entscheiden.
  • Im Beschwerdeverfahren über die Zulässigkeit des Rechtswegs findet eine Abhilfe nicht statt.
 

Normenkette

SGG § 51 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, § 174; GVG § 17a Abs. 4 S. 3, § 17 Abs. 2, § 17b Abs. 5; WettbewG § 87

 

Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Beschluss vom 16.08.1993; Aktenzeichen L 3 K 2/92 S)

SG für das Saarland (Beschluss vom 20.05.1992; Aktenzeichen S 1 K 69/89)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des Landessozialgerichts für das Saarland vom 16. August 1993 aufgehoben.

Die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluß des Sozialgerichts für das Saarland vom 20. Mai 1992 wird zurückgewiesen.

Kosten der Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Es ist vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu entscheiden. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Zwischen der klagenden Krankenkasse (KK) und dem beklagten Zentralverband der Krankengymnasten bestanden seit 1971 ein Rahmenvertrag über die Zulassung von Krankengymnasten zur Behandlung von Versicherten der Klägerin und weitere Verträge über die Vergütung der Leistungen. Diese Verträge sind von dem Beklagten gekündigt worden. Die zuletzt geschlossene Vergütungsvereinbarung lief zum 31. Dezember 1988 aus. Nachdem ein erneuter Vertragsschluß nicht zustande kam, verzichteten die Mitglieder des Beklagten auf dessen Empfehlung auf ihre Kassenzulassung und behandelten die Versicherten der Klägerin nur noch auf Privatrezept. Die Klägerin erstattete ihren Versicherten die von ihnen bezahlten Rechnungsbeträge, die über den früher vereinbarten lagen. Mit ihrer im November 1989 beim Sozialgericht (SG) erhobenen Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten Schadensersatz für die Mehraufwendungen, die sie durch Erstattung der höheren Rechnungsbeträge aufgrund der privaten Abrechnung bis einschließlich Juni 1990 gehabt hat. Sie sieht das schadensersatzpflichtige Verhalten des Beklagten darin, daß er seine Mitglieder vertragswidrig, sittenwidrig und unter Ausnutzung einer Monopolstellung zu ihrem Verhalten veranlaßt hat. Sie stützt ihren Schadensersatzanspruch in erster Linie auf positive Vertragsverletzung, ferner auf § 823 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) iVm §§ 240, 253 Strafgesetzbuch und §§ 1, 25, 26 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie auf §§ 826 BGB, 35 GWB.

Das SG hat durch Beschluß vom 20. Mai 1992 den Sozialrechtsweg bejaht. Auf die Beschwerde des Beklagten, der das SG nicht abgeholfen hat, hat das Landessozialgericht (LSG) den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht (LG) verwiesen (Beschluß vom 16. August 1993, zugestellt am 17. September 1993). Entgegen dem SG hat es die Auffassung vertreten, daß § 51 Abs 2 Satz 1 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eine Zuständigkeit der SG'e für Schadensersatzansprüche nicht begründe, selbst wenn sie in erster Linie auf eine Verletzung der zwischen KK und Leistungserbringer bestehenden Verträge gestützt werden. Die Zuständigkeit der SG'e beschränke sich auf Erfüllungsansprüche. Der zugelassenen weiteren Beschwerde der Klägerin hat das LSG nicht abgeholfen.

Mit ihrer am 12. Oktober 1993 eingelegten Beschwerde macht die Klägerin geltend, die Zuständigkeit der SG'e beschränke sich nicht auf bloße Erfüllungsansprüche, sondern auf sämtliche Ansprüche, die sich aus den abgeschlossenen Verträgen ergeben. Darunter fielen auch Erstattungsansprüche und Schadensersatzansprüche. Mit der Geltendmachung solcher Ansprüche erfülle die KK unmittelbar die ihr nach dem Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – (SGB V) obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben. Das LSG habe zwar zu Unrecht angenommen, daß dem Wettbewerbsrecht zuzurechnende Ansprüche nicht im Streit stünden. Auch für solche kartellrechtlichen Ansprüche seien wegen des Sachzusammenhangs mit vertraglichen Ansprüchen die SG'e zur Entscheidung berufen.

Der Beklagte hält die Beschwerde für unzulässig, weil sie nicht binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses eingelegt worden sei. Er vertritt die Auffassung, daß gemäß § 202 SGG iVm § 577 Abs 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) die für eine sofortige Beschwerde vorgesehene Notfrist von zwei Wochen maßgebend sei. Im übrigen hält er den angefochtenen Beschluß für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat über die weitere “sofortige” Beschwerde gemäß § 17a Abs 4 Satz 4 Gerichtsverfassungsgesetz (≪GVG≫, idF durch das Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens – 4. Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung ≪4. VwGOÄndG≫ vom 17. Dezember 1990 ≪BGBl I 2809≫) ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden. Gemäß § 12 Abs 1 Satz 2 iVm §§ 165 und 153 Abs 1 SGG wirken die ehrenamtlichen Richter bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung nicht mit (Beschluß des Senats vom 11. August 1994 – 3 BS 1/93 – zur Veröffentlichung bestimmt; ferner für das arbeitsgerichtliche Verfahren: Bundesarbeitsgericht, AP Nr 19 zu § 2 Arbeitsgerichtsgesetz 1979 = NJW 1994, 1172).

Die weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Entgegen der Auffassung des Beklagten gilt nicht die Notfrist des § 577 Abs 2 ZPO, sondern die für das sozialgerichtliche Verfahren allgemein vorgesehene Frist von einem Monat (§ 173 SGG). § 17a Abs 4 GVG sieht keine eigenständige Regelung des Rechtswegbeschwerdeverfahrens vor, sondern erklärt in Satz 2 die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung für gegeben (vgl hierzu Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫ vom 28. April 1994 – 2 WDB 1/94 –). Da das SGG die sofortige Beschwerde nicht kennt, tritt an deren Stelle die Beschwerde nach § 172 SGG (Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 24. August 1994 – 4 BS 4/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, Kapitel II RdNr 87; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand: Februar 1993, § 52 RdNr 82; Wolff in MünchKomm, ZPO, § 17a GVG RdNr 30). Die in § 173 SGG vorgesehene Frist von einem Monat gilt auch für die weitere Beschwerde gegen die Rechtswegentscheidung des LSG nach § 17a Abs 4 Satz 4 GVG (BSG aaO; Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 173 RdNr 5). Diese Frist hat die Klägerin gewahrt. Im übrigen sind auf die Rechtswegentscheidung hinsichtlich der Rechtsbehelfsbelehrung die §§ 142 Abs 1, 136 Abs 1 Nr 7 und 66 SGG anzuwenden, so daß infolge fehlender Belehrung die Jahresfrist eingreift.

Die Beschwerde ist zutreffend beim LSG und nicht beim BSG eingelegt worden, weil auch insoweit die Vorschrift des § 577 Abs 2 ZPO, die die Einlegung beim Beschwerdegericht vorsieht, nicht gilt. Die im sozialgerichtlichen Verfahren vorgesehene Beschwerde ist gemäß § 173 SGG bei dem SG einzulegen. Entsprechend ist die weitere Beschwerde beim LSG einzulegen.

Das LSG hat aber ebenso wie das SG irrig gemeint, darüber entscheiden zu müssen, ob der Beschwerde abzuhelfen ist. Eine solche Prüfung ist zwar nach § 174 SGG vorgeschrieben. Die in § 17a Abs 4 Satz 3 GVG vorgenommene Verweisung ist jedoch nicht auf diese Vorschrift auszudehnen, da sie dem Sinn und Zweck des Vorab-Entscheidungsverfahrens zuwiderläuft. Der Sinn des Abhilferechts und der Abhilfepflicht liegt in der gewissenhaften Überprüfung der eigenen Entscheidung und in der Entlastung der Rechtsmittelinstanz. Soweit einer Beschwerde abgeholfen wird, führt sie zu einer einfacheren und schnelleren Erledigung des Verfahrens, im umgekehrten Fall aber zu einer Verzögerung. Im Verfahren der Vorab-Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs führt eine vorherige Nichtabhilfe-Entscheidung in aller Regel nicht zu einer Erledigung, sondern nur zur Verzögerung der abschließenden Entscheidung. Denn über die Zulässigkeit des Rechtswegs ist durchweg in den Fällen vorab zu entscheiden, in denen dies streitig ist (§ 17a Abs 3 GVG). Das Gericht hat sich dann mit den widerstreitenden Argumenten auseinanderzusetzen und zu einer Entscheidung zu kommen. Es ist in aller Regel nicht zu erwarten, daß eine Beschwerde des Unterlegenen, die nur die von ihm vorgebrachten Gründe wiederholt, zu einer Abhilfe des Gerichts führt. Sollte dies ausnahmsweise der Fall sein, wird sich die Gegenseite veranlaßt sehen, nun ihrerseits Beschwerde einzulegen, um die Rechtswegfrage abschließend zu klären. Eine Entlastung des Rechtsmittelgerichts kann auf diese Weise nicht eintreten; die Entscheidung wird nur verzögert. Vordringliches Anliegen des Gesetzgebers war es aber gerade, mit der Einführung des Vorab-Entscheidungsverfahrens durch das 4. VwGOÄndG die Klärung der Rechtswegzuständigkeit so schnell wie möglich zu erreichen, um der bis dahin bestehenden Gefahr vorzubeugen, daß ein Rechtsschutzbegehren nach Jahren in der letzten Instanz wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges abgewiesen wird und ein anderer Rechtsweg wieder in der ersten Instanz begonnen werden muß. Der Gesetzgeber hat deshalb für den Zivilprozeßweg mit der sofortigen Beschwerde gegen Vorab-Entscheidungen ein Rechtsmittel gegeben, das binnen kurzer Frist und ohne Abhilfemöglichkeit eingelegt werden muß. Da das SGG eine sofortige Beschwerde in diesem Sinne nicht kennt, ist es geboten, bei der sinngemäßen Verweisung zwar anstelle der Zwei-Wochen-Frist für das sozialgerichtliche Verfahren die dort übliche Ein-Monats-Frist anzuwenden, weil sonst der Grundsatz der Fristenklarheit in Gefahr geraten würde, und eine Frist von einem Monat gegenüber der nach der ZPO gegebenen Notfrist keine erhebliche Verzögerung des Verfahrens bewirkt. Es besteht aber kein einleuchtender Grund, die im Zivilprozeß fehlende Abhilfemöglichkeit im sozialgerichtlichen Verfahren einzuführen, obwohl dadurch eine nicht unerhebliche Verfahrensverzögerung eintritt und sonstige wichtige Grundsätze wie derjenige der Fristenklarheit nicht berührt werden. Die jeweiligen Verfahren der Vorinstanzen zur Prüfung der Abhilfe haben hier nur zu weiteren Verfahrensverzögerungen geführt. Sie haben das Verfahren nicht gefördert, den Beteiligten allerdings auch – abgesehen von der Verzögerung – verfahrensrechtlich nicht geschadet.

Die Beschwerde ist auch begründet. Das LSG hat zu Unrecht den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das LG verwiesen. Die Zuständigkeit der SG'e ergibt sich aus § 51 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGG (idF des Art 32 Nr 3 des Gesundheitsreformgesetzes ≪GRG≫ vom 20. Dezember 1988 ≪BGBl I 2477≫). Danach entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch über Streitigkeiten, die in Angelegenheiten nach dem SGB V aufgrund von Entscheidungen oder Verträgen der Krankenkassen (KKn) oder ihrer Verbände entstehen, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Hier liegt eine Angelegenheit nach dem SGB V aufgrund der zwischen der Klägerin und dem Beklagten abgeschlossenen Verträge vor.

Entgegen der Auffassung des Beklagten handelt es sich um eine Angelegenheit nach dem SGB V, obwohl die hier streitigen Verträge bereits vor Inkrafttreten des SGB V geschlossen und auch wieder gekündigt wurden. Das BSG hat bereits entschieden, daß § 51 Abs 2 SGG als prozeßrechtliche Vorschrift den heute im SGB V geregelten Bereich des Krankenversicherungsrechts erfaßt, auch wenn sich der geltend gemachte Anspruch materiell-rechtlich nach dem alten Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) richtet (BSG SozR 3-2500 § 125 Nr 1; BSG Urteil vom 30. März 1993 – 3 RK 2/91 –). Es besteht kein Grund für die Annahme, der Gesetzgeber habe Rechtsstreitigkeiten auf der Grundlage der Vorschriften der RVO in der Zuständigkeit der Zivilgerichtsbarkeit belassen und nur für die nach Inkrafttreten des SGB V abgeschlossenen Verträge die Zuständigkeit der SG'e begründen wollen, selbst wenn sich das Recht dem Inhalt nach nicht verändert hat. So liegt der Fall hier. Dadurch, daß § 125 SGB V den Abschluß von Verträgen zwischen den Landesverbänden der KKn und den Leistungserbringern vorsieht, wird lediglich das gesetzlich geregelt, was bis dahin der Praxis schon entsprach. An der Rechtsnatur solcher Verträge hat sich dadurch nichts geändert. Sie haben auch nach Inkrafttreten des SGB V grundsätzlich fortgegolten. Daß dies im konkreten Fall von dem Beklagten bestritten wird, ist nur eine Folge der unterschiedlichen Auffassungen über die Wirkung der Kündigung, also der materiellen Rechtslage. Es ändert nichts daran, daß es sich prozessual bereits bei Klageerhebung um eine Angelegenheit nach dem SGB V handelte.

Die vorliegende Streitigkeit beruht auf Verträgen zwischen der Klägerin und dem Beklagten. Entgegen der Ansicht des LSG ist die Rechtswegzuweisung nicht dahin zu verstehen, daß davon nur Erfüllungsansprüche erfaßt werden und nicht aus dem Vertrag resultierende Schadensersatzansprüche, die die Klägerin hier geltend macht. Eine solche Einschränkung würde vertragliche Erfüllungsansprüche einerseits und Schadensersatzansprüche andererseits unterschiedlichen Rechtswegen zuweisen, obwohl diese in sachlichem Zusammenhang stehen und in der Praxis oft nur schwierig zu unterscheiden sind. Bei Unterlassungsansprüchen wäre maßgebend, ob diese als Hauptpflicht oder als Nebenpflicht einzustufen wäre. Dafür gibt es keinen überzeugenden Grund. Die Entstehungsgeschichte rechtfertigt die einschränkende Auslegung des LSG nicht. Das LSG bezieht sich auf den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 24. November 1988 (BT-Drucks 11/3480). Dieser will die Regelungen der Nrn 2 und 3 des § 51 Abs 2 SGG auf Maßnahmen beschränkt wissen, die unmittelbar der Erfüllung der den KKn nach dem SGB V obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen. Daraus läßt sich eine Beschränkung auf bloße Erfüllungsansprüche nicht ableiten. Die Äußerung unterscheidet nach der Art der Maßnahme, nicht nach der Art der aus einer Maßnahme abgeleiteten Ansprüche. Sie ist dahin zu verstehen, daß nur die sog fiskalischen Hilfsgeschäfte ausgeklammert bleiben sollten. Dabei handelt es sich um Geschäfte, die die KK als Teilnehmerin am allgemeinen Wirtschaftsverkehr wie jeder Privatmann abschließt, etwa den Einkauf von Büromaterial oder Verträge zur Gebäudeunterhaltung. Daß Streitigkeiten aus derartigen Verträgen in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit fallen, ist nie umstritten gewesen. Das gilt für den Erfüllungsanspruch und für sonstige Ansprüche aus solchen Verträgen in gleicher Weise. Wegen der Eindeutigkeit der Zuordnung solcher Verträge hat es der Gesetzgeber wohl für entbehrlich gehalten, die im Ausschußbericht gegebene Erläuterung noch in den Gesetzeswortlaut einfließen zu lassen. Ein Regelungsbedürfnis hat der Gesetzgeber nur dort gesehen, wo die Rechtswegfrage in der Vergangenheit zwischen den Gerichtsbarkeiten unterschiedlich entschieden worden ist; dies war nur dort der Fall, wo die Leistungsträger unmittelbar in Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgabe gehandelt haben, die Versorgung ihrer Versicherten sicherzustellen (vgl GmSOGB SozR 1500 § 51 Nr 39, 47 und 48). Die Entscheidung des Gesetzgebers, Streitigkeiten aus diesem Bereich der Sozialgerichtsbarkeit zuzuweisen, kann vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht dahin verstanden werden, daß dies, soweit Verträge eine Rolle spielen, nur für reine Erfüllungsansprüche klargestellt, im übrigen es aber wegen sonstiger Ansprüche wie solche auf Schadensersatz oder Unterlassung weiterhin darauf ankommen soll, ob die Verträge als öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich zu qualifizieren sind. Eine solche Gesetzesauslegung liefe darauf hinaus, daß die streitigen Rechtswegfragen zur Abwicklung der Krankenversicherung in § 51 Abs 2 SGG nur für einen Teilbereich geklärt wären. Dafür, daß sich der Gesetzgeber mit einer solchen Teillösung begnügen wollte, gibt es weder ausdrücklich erklärte noch überhaupt denkbare vernünftige Gründe. Besondere Gesichtspunkte des Kartellrechts (dazu unten) können in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben.

Für die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den SG'en ist es ohne Bedeutung, daß das dem Beklagten vorgeworfene schadensersatzpflichtige Verhalten in einen Zeitraum fällt, als die Verträge bereits gekündigt waren. Die Klägerin macht insoweit geltend, daß trotz der Kündigung die Verträge weiter gegolten haben, bis es zu Neuabschlüssen gekommen ist. Sie beruft sich insoweit auf entsprechend anzuwendende Vorschriften des Tarifvertragsrechts (§ 4 Tarifvertragsgesetz) und des Kassenarztrechts (§ 89 Abs 1 Satz 4 SGB V). Jedenfalls geht sie von einer Nachwirkung der Verträge aus, die es dem Beklagten verboten hätten, in der geschehenen Weise auf seine Mitglieder einzuwirken. Für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs kann es offenbleiben, ob diese Auffassung der Klägerin zutreffend ist. Dies ist im Rahmen der Begründetheit der Klage zu entscheiden. Die Rechtsbehauptung der Klägerin ist immerhin nachvollziehbar, jedenfalls nicht ohne jede Substanz und nicht nur vorgeschoben, um den gewünschten Rechtsweg zu erschleichen.

Der Zulässigkeit des Rechtswegs zu den SG'en steht nicht entgegen, daß die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch auch aus den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über unerlaubte Handlungen sowie Vorschriften des Wettbewerbs- und Kartellrechts herleitet. Nach § 17 Abs 2 GVG (idF des 4. VwGOÄndG aaO) entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Das bedeutet, daß das für eine Anspruchsgrundlage zuständige Gericht auch über solche Anspruchsgrundlagen entscheidet, die für sich allein die Zuständigkeit einer anderen Gerichtsbarkeit begründen würden (vgl Albers in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 52. Aufl, § 17 GVG RdNrn 5 und 6). Die Ausnahmen in § 17 Abs 2 Satz 2 GVG für Ansprüche aus Enteignung und Amtspflichtverletzung kommen hier nicht in Betracht. Desgleichen greift die von der Rechtsprechung entwickelte Ausnahme nicht ein, daß die vom Kläger vorrangig geltend gemachte materielle Anspruchsgrundlage, für die der beschrittene Rechtsweg zulässig wäre, die Rechtswegzuständigkeit dann nicht begründen kann, wenn diese Anspruchsgrundlage aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts offensichtlich nicht gegeben sein kann, und kein Bedürfnis dafür besteht, die Klage insoweit mit Rechtskraftwirkung abzuweisen, so daß in diesem Ausnahmefall trotz der Rechtswegzuweisung für eine geltend gemachte Anspruchsgrundlage eine Verweisung erfolgen muß (BVerwG vom 15. Dezember 1992 – 5 B 144/91 – NVwZ 1993, 358; BGH, Urteil vom 5. Juli 1990 – III ZR 166/89 – NVwZ 1990, S 1103). Das ist hier nicht der Fall. Hier liegt vielmehr der Schwerpunkt des Rechtsstreits bei dem Schadensersatzanspruch aus dem Leistungserbringer-Vertragsrecht, der in die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit fällt. Schon nach der früheren Rechtslage (vor dem 4. VwGOÄndG) war anerkannt, daß die SG'e für Rechtsstreitigkeiten zuständig sind, in denen Leistungsträger Schadensersatzansprüche auch auf unerlaubte Handlung gestützt haben, sofern dieser Schadensersatzanspruch in ein Sozialrechtsverhältnis eingebettet ist (BSGE 66, 176 = SozR 3-4100 § 155 Nr 1 im Anschluß an BGHZ 103, 255). Weil in solchen Fällen das Bestehen und der Umfang deliktischer Schadensersatzansprüche davon abhängen, inwieweit sozialrechtliche Vorschriften dafür noch Raum lassen, liegt der Schwerpunkt des Rechtsstreits auf sozialrechtlichem Gebiet. Nichts anderes gilt im vorliegenden Fall. Hier sind die gesetzlichen Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung und wegen Wettbewerbsverstoßes davon geprägt, ob und inwieweit der Beklagte schuldrechtlichen Verpflichtungen zuwidergehandelt hat. Auch die Klägerin hat ihr Klagebegehren ausdrücklich in erster Linie auf vertragliche Schadensersatzansprüche gestützt.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß gemäß § 87 Abs 1 GWB bürgerlich-rechtliche Rechtsstreitigkeiten mit kartellrechtlichem Streitgegenstand in die ausschließliche Zuständigkeit der Zivilgerichte fallen. Denn Ansprüche aus dem GWB oder dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) sind in § 17 Abs 2 Satz 2 GVG nicht wie die dort genannten grundgesetzlichen Anspruchsgrundlagen ausgenommen. Soweit der Bundesgerichtshof (BGH) auch nach der Einfügung des § 51 Abs 2 Nr 3 SGG durch das GRG die Auffassung vertritt, für kartellrechtliche Streitigkeiten zwischen Leistungserbringern und KKn verbleibe es bei der ausschließlichen Zuständigkeit der Kartellgerichte (BGHZ 114, 218 und BGH NJW 1992, 1561; kritisch dazu Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 51 RdNr 36; Hommel in Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 51 RdNr 150 f; Manssen, SGb 1992, 339; Schliesky, DÖV 1994, 114; zweifelnd auch BSGE 72, 148 = SozR 3-2500 § 15 Nr 1), kann der Senat offenlassen, ob dies zutreffend ist. Denn mit der Bejahung der Zuständigkeit der SG'e im vorliegenden Fall weicht der Senat nicht von der Rechtsprechung des BGH ab, so daß kein Grund besteht, den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) anzurufen. In den vom Kartell-Senat des BGH entschiedenen Fällen, in denen der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten bejaht worden war, waren die Klageansprüche ausschließlich auf wettbewerbsrechtliche Vorschriften gestützt, nämlich auf § 1 UWG und § 35 Abs 1 iVm § 26 Abs 2 GWB. Der BGH hatte keine Veranlassung dazu Stellung zu nehmen, wie die Rechtswegfrage zu entscheiden ist, wenn die Klage auch auf vertragliche Anspruchsgrundlagen iS von § 51 Abs 2 Nr 3 SGG gestützt wird. Das BSG hat mit Urteil vom 24. Januar 1990 (SozR 3-2500 § 125 Nr 1) in einem Rechtsstreit zwischen einem Leistungserbringer und einer KK neben vertraglichen Ansprüchen auch solche aus dem GWB geprüft und verneint. Diese Entscheidung, die etwa ein Jahr vor der Entscheidung BGHZ 114, 218 ergangen ist und dem BGH deshalb bekannt gewesen sein muß, war für ihn keine Veranlassung, sich abweichend damit auseinanderzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG. § 17b Abs 2 GVG idF des 4. VwGOÄndG (aaO), wonach im Falle der Verweisung des Rechtsstreits an ein anderes Gericht keine selbständige Kostenentscheidung zu treffen ist, findet – unabhängig vom Inhalt der Entscheidung – auf das Beschwerdeverfahren bei der Vorab-Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs keine Anwendung (BGH NJW 1993, 2541; Albers in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 52. Aufl, § 17b GVG RdNr 5 mwN).

 

Fundstellen

NJW 1995, 1575

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