Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Grundsätzliche Bedeutung. Verfassungswidrigkeit. Darlegungserfordernis. Entscheidungserhebliche Rechtsfrage. Hinzuverdienst. Rente. Erwerbsminderung. Bergleute. Gleichbehandlung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zwar hat die Frage, ob eine der Entscheidung zu Grunde liegende Gesetzesnorm verfassungswidrig ist, regelmäßig auch grundsätzliche Bedeutung. Aber auch dies ist schlüssig darzulegen. Hierzu gehört nicht nur, dass herausgestellt wird, aus welchen Gründen die beanstandete Norm verfassungswidrig sein könnte und dass das Bundesverfassungsgericht hierüber noch nicht abschließend entschieden hat.

2. Darüber hinaus ist im Einzelnen unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung “darzulegen”, d.h. näher darauf einzugehen, weshalb die bereits ins Feld geführte Argumentation nicht zutrifft und eine weitere höchstrichterliche Klärung erforderlich erscheint.

3. Hat das Berufungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der seiner Entscheidung zu Grunde liegenden Norm im Anschluss an die bereits bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung begründet, so ist jedenfalls zu fordern, dass sich die Beschwerde damit auseinander setzt.

4. Die Hinzuverdienstregelung bei den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit soll eine Übersicherung begrenzen, die sich aus der Summierung der Rentenleistung und eigenem Arbeits- bzw. Erwerbseinkommen ergeben kann und damit verhindern, dass der Versicherte durch Rente und Hinzuverdienst ein höheres Gesamteinkommen erzielen kann, als vor dem Eintritt des Versicherungsfalls versichert war.

 

Normenkette

SGG § 160a Abs. 2; SGB VI §§ 96a, 313; GG Art. 3

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 27.05.2003; Aktenzeichen L 13 KN 3137/02)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Mai 2003 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung vom 7. August 2003 entspricht nicht den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts – einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung gehört es deshalb, dass in der Beschwerdebegründung eine Rechtsfrage klar formuliert und anhand der anwendbaren Rechtsnormen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung und ggf des Schrifttums aufgezeigt wird, dass diese Frage noch nicht geklärt ist, weshalb aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts eine Klärung erforderlich ist, und schließlich, dass das angestrebte Revisionsverfahren diese Klärung erwarten lässt, dh die aufgeworfene Rechtsfrage entscheidungserheblich ist (stRspr – vgl BSG Beschlüsse vom 2. März 1976 – 12/11 BA 116/75 – SozR 1500 § 160 Nr 17, vom 9. Oktober 1986 – 5b BJ 174/86 – SozR 1500 § 160a Nr 59 und vom 22. Juli 1988 – 7 BAr 104/87 – SozR 1500 § 160a Nr 65; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 106 ff mwN).

Die Klägerin formuliert folgende Rechtsfrage:

„Stellt die Einbeziehung der Renten wegen verminderter bergmännischer Berufstauglichkeit in die allgemeine Hinzuverdienstgrenzenregelung bei sonstigen Erwerbsunfähigkeits- und Erwerbsminderungsrenten ein(en) Verstoß gegen Art 3 GG (Gleichbehandlungsgrundsatz) dar?”

und trägt vor, mit §§ 96a und 313 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – (SGB VI) liege historisch betrachtet und vom Grundcharakter der Rente wegen bergmännischer Berufsuntauglichkeit eine verfassungswidrige Gleichbehandlung mit sonstigen Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor. Die Rente wegen verminderter bergmännischer Berufstauglichkeit setze geradezu voraus, dass eine Tätigkeit ausgeübt werde, und es werde bei Vorliegen der verminderten bergmännischen Berufstauglichkeit auch keine Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahrs gewährt. Die Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) verbleibe in der Behauptung, es könne verfassungsrechtliche Bedenken nicht sehen, obwohl doch der vom Grundsatz her andere Charakter der Rente wegen verminderter bergmännischer Berufstauglichkeit es nahe legen würde, diese Rente im Hinblick auf die Hinzuverdienstgrenzenregelung anders zu behandeln als herkömmliche Renten wegen Erwerbsminderung aus dem SGB VI; nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sollten gleiche Sachverhalte gleich und ungleiche Sachverhalte gerade ungleich behandelt werden, der Gesetzgeber habe hier die äußersten Grenzen seines Gestaltungsermessens überschritten. Eine höchstrichterliche Klärung der Rechtsfrage gebe es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, was bereits aus der Zulassung der Revision im Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21. November 2001 (L 8 RA 46/01) über die Anrechnung von Hinzuverdienst auf eine herkömmliche Erwerbsunfähigkeitsrente indiziert sei. Mit diesem Vorbringen ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache indes nicht dargetan.

Abgesehen davon, dass die Beschwerdebegründung den der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt nicht wiedergibt, so dass es dem Senat nicht möglich ist, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten ein Bild über den Streitgegenstand und seine rechtlichen wie tatsächlichen Streitpunkte zu machen (zur Wiedergabe des Sachverhalts als Mindestvoraussetzung für eine Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde vgl BSG Beschluss vom 3. November 1999 – B 7 AL 152/99 B – veröffentlicht in JURIS), und dass Ausführungen dazu, warum es im vorliegenden Fall auf die Beantwortung der herausgestellten Rechtsfrage ankommt, gänzlich fehlen, ist das Vorbringen auch nicht geeignet, deren Klärungsbedürftigkeit darzutun.

Zwar hat die Frage, ob eine der Entscheidung zu Grunde liegende Gesetzesnorm verfassungswidrig ist, regelmäßig auch grundsätzliche Bedeutung. Aber auch dies ist schlüssig darzulegen. Hierzu gehört nicht nur, dass herausgestellt wird, aus welchen Gründen die beanstandete Norm verfassungswidrig sein könnte und dass das BVerfG hierüber noch nicht abschließend entschieden hat (BVerfG Beschluss vom 14. Juni 1994 – 1 BvR 1022/88BVerfGE 91, 93, 106 f = SozR 3-5870 § 10 Nr 5, S 31, 39). Vielmehr ist darüber hinaus im Einzelnen unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung „darzulegen”, dh näher darauf einzugehen (BSG Beschluss vom 19. August 1999 – B 2 U 57/99 B – veröffentlicht in JURIS mwN), weshalb die bereits ins Feld geführte Argumentation nicht zutrifft und eine weitere höchstrichterliche Klärung erforderlich erscheint (vgl BSG Beschluss vom 25. September 2002 – B 7 AL 142/02 B – SozR 3-1500 § 160 Nr 34 mwN; Kummer, aaO, RdNr 146 mwN). Hat das LSG die Verfassungsmäßigkeit der seiner Entscheidung zu Grunde liegenden Norm im Anschluss an die bereits bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung begründet, so ist jedenfalls zu fordern, dass sich die Beschwerde damit auseinander setzt (so auch BSG aaO – SozR 3-1500 § 160a Nr 34 und Beschluss vom 25. April 2003 – B 5 RJ 196/01; BVerwG Beschluss vom 9. März 1993 – 3 B 105/92 – Buchholz 310 § 133 ≪nF≫ Nr 11 mwN). Die Klägerin hätte sich deshalb mit der teilweise auch vom LSG zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Verfassungsmäßigkeit der Hinzuverdienstregelung in §§ 96a und 313 SGB VI (Urteile vom 17. Dezember 2002 – B 4 RA 23/02 R – sowie vom 6. März 2003 – B 4 RA 8/02 R und B 4 RA 35/02 R, alle veröffentlicht in JURIS) auseinander setzen und unter Auswertung der einschlägigen Verfassungsrechtsprechung aufzeigen müssen, warum die Rechtsprechung des BSG die Rechtsfrage noch nicht gelöst hat bzw der Gesetzgeber sein ihm von der Rechtsprechung des BVerfG im Rahmen des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) zugebilligtes Ermessen bei Einbeziehung der Renten für Bergleute in die Regelung über Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Hinzuverdienst verletzt haben könnte. Dies ist nicht geschehen.

Bei dem gebotenen inhaltlichen Eingehen auf die einschlägige Rechtsprechung des BSG und des BVerfG hätte die Klägerin im Übrigen erkennen können, dass danach die Hinzuverdienstregelung bei den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, seien sie – wie die Berufsunfähigkeitsrente (und auch die Rente an Bergleute) – auf Hinzuverdienst angelegt oder nicht, verfassungsgemäß ist. Sie soll eine Übersicherung begrenzen, die sich aus der Summierung der Rentenleistung und eigenem Arbeits- bzw Erwerbseinkommen ergeben kann und damit verhindern, dass der Versicherte durch Rente und Hinzuverdienst ein höheres Gesamteinkommen erzielen kann, als vor dem Eintritt des Versicherungsfalls versichert war (BSG aaO). Das aus Art 3 Abs 1 GG (auch) folgende Differenzierungsgebot verpflichtet den Gesetzgeber nicht, jede „naheliegende” Differenzierung vorzunehmen, vielmehr ist Art 3 Abs 1 GG bei der Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte erst verletzt, wenn die tatsächliche Ungleichheit so groß ist, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht unberücksichtigt bleiben darf (stRspr vgl zB BVerfG Beschluss vom 15. Juli 1998 – 1 BvR 1554/89 ua – BVerfGE 98, 365, 385). Gemessen an diesen Kriterien sind Unterschiede zwischen der Rente an Bergleute und den sonstigen Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die es im Hinblick auf den mit der Hinzuverdienstregelung verfolgten Zweck rechtfertigen könnten, die Renten für Bergleute davon völlig auszunehmen, von der Klägerin nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich; im Übrigen hat der Gesetzgeber den unterschiedlichen Sicherungszielen und Leistungsvoraussetzungen der Renten für Bergleute gegenüber den sonstigen Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit durch höhere Hinzuverdienstgrenzen Rechnung getragen (vgl § 96a Abs 2 Nr 4 SGB VI).

Die nicht formgerecht begründete und damit unzulässige Beschwerde des Klägers war durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1176716

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