Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beiladung

 

Orientierungssatz

Beim 8. Senat des BSG wird angefragt, ob er an seiner in den Urteilen vom 19.3.1986 in den Streitsachen 8 RK 15/85 (=SozR 1500 § 75 Nr 59) und 8 RK 14/85 (=USK 86108) vertretenen Rechtsansicht festhält, daß der Träger eines Krankenhauses zu dem zwischen einem im Krankenhaus aufgenommenen Versicherten und seiner Krankenkasse anhängigen Gerichtsverfahren nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beizuladen ist, wenn darüber gestritten wird, ob dem Versicherten ein Anspruch auf Krankenhauspflege zusteht.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2 Alt 1; RVO § 184 Abs 1

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch auf Krankenhauspflege bzw auf Übernahme der bereits angefallenen Krankenhauspflegekosten.

Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Krankenkasse. Für ihren 1942 geborenen Sohn Rainer (R.), den Beigeladenen, hat sie Anspruch auf Familienkrankenhilfe gemäß § 205 Abs 1, Abs 2 und Abs 3 Satz 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO). R. leidet an einer schizophrenen Psychose. Ab 1964 befand er sich wiederholt in stationärer Behandlung. Seit 1972 hält er sich durchgehend im Nervenkrankenhaus G. auf. Die Beklagte trug die Kosten des Krankenhausaufenthalts bis zum 31. Juli 1982. Eine weitere Kostenübernahme lehnte sie ab, weil die Voraussetzungen für eine Krankenhausbehandlung iS des § 184 RVO nicht mehr gegeben seien. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies sie mit der Begründung zurück, sie habe bereits am 4. Dezember 1979 eine weitere Kostenübernahme bestandskräftig abgelehnt; sie sei lediglich aufgrund einer mit dem Bezirk Oberbayern abgeschlossenen "Vereinbarung über die Kostentragung bei der Unterbringung von psychisch Kranken in den Nervenkrankenhäusern der bayerischen Bezirke" (VP) im Verhältnis zum Bezirk zur Übernahme der Unterbringungskosten vom 1. Juli 1979 bis zum 31. Juli 1982 verpflichtet gewesen. Diesen Entscheidungen der Beklagten war eine Entscheidung des nach Anlage 1 zur VP gebildeten Einigungsausschusses vorausgegangen. Der Ausschuß hatte am 8. November 1982 mit Stimmenmehrheit rückwirkend ab 1. August 1982 einen Pflegefall angenommen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, weil die medizinische Versorgung des R. nicht mehr des Einsatzes apparativer und personeller Mittel eines Krankenhauses bedürfe. Das Landessozialgericht hat das Urteil des SG und die Verwaltungsentscheidungen aufgehoben und die Beklagte verurteilt, "Krankenhauspflege für R. K. im Bezirkskrankenhaus G. über den 31. Juli 1982 hinaus weiterhin zu gewähren". Für die Zeit bis 8. April 1983 ergebe sich die Verpflichtung der Beklagten bereits aus den Vorschriften des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X). Die gesetzliche Vertreterin des R. habe erst durch den Brief des Bezirks vom 6. April 1983 von der Entscheidung des Einigungsausschusses vom 8. November 1982 erfahren (§§ 31, 48 SGB X). Darüber hinaus stehe aber auch aus medizinischen Gründen fest, daß für R. ein Anspruch auf Krankenhauspflege fortbestehe.

Mit der Revision rügt die Beklagte zunächst die Unterlassung der Beiladung des Krankenhausträgers. Sie beruft sich insoweit auf das Urteil des 8. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. März 1986 - 8 RK 15/85 -. Ferner rügt sie Verstöße gegen § 128 und § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie die Verletzung des § 184 RVO und der §§ 48, 31 SGB X.

Die Beklage beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts

vom 30. Oktober 1985 - L 4 Kr 0085/84 -

aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen

das Urteil des Sozialgerichts München vom

24. Mai 1984 - S 37 Kr 0225/83 - zurückzuweisen.

Der Beigeladene beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Streitsache zur erneuten Verhandlung und

Entscheidung an das Landessozialgericht

zurückzuverweisen.

Er nimmt keine Stellung zur gerügten Verletzung des § 75 Abs 2 SGG, die übrigen Revisionsrügen hält er für unbegründet.

Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren bisher nicht beteiligt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist zulässig. Gleichwohl kann der Senat zur Zeit keine Entscheidung darüber treffen, ob und ggf in welchem Sinne die Revision begründet ist.

Sollte, wie die Beklagte unter Berufung auf das von ihr zitierte Urteil des 8. Senats geltend macht, die bisher unterbliebene Beiladung des Trägers des Nervenkrankenhauses G. nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG notwendig sein, wäre allein deshalb das Berufungsurteil aufzuheben. In diesem Falle müßte im übrigen, um nicht dem weiteren Verfahren vorzugreifen und dadurch den Anspruch des Beizuladenden auf rechtliches Gehör zu beeinträchtigen, von einer umfassenden revisionsgerichtlichen Prüfung der Streitsache Abstand genommen werden. Die Streitsache wäre mit der Maßgabe an das LSG zurückzuverweisen, die Beiladung nachzuholen. Der erkennende Senat ist jedoch der Auffassung, daß die Beiladung des Krankenhausträgers nicht notwendig ist. Der Senat sieht sich gehindert, entsprechend seiner Rechtsauffassung zu verfahren. Er würde damit von dem oa Urteil des 8. Senats und dem Urteil dieses Senats vom selben Tage in der Sache 8 RK 14/85 abweichen (s auch das Urteil des 8. Senats vom 24. September 1986 in der Sache 8 RK 2/86 mit einer abweichenden Fallgestaltung). Er hat aus diesem Grund beschlossen, die aus dem Beschlußtenor ersichtliche Anfrage an den 8. Senat zu richten.

Den Urteilen des 8. Senats vom 19. März 1986 ist der Grundsatz zu entnehmen: Ist zwischen einer Krankenkasse und einem Patienten, der in einem Krankenhaus gepflegt und behandelt wird, streitig, ob dieser einen Anspruch auf Krankenhauspflege hat, ist der Krankenhausträger nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG notwendig beizuladen. Diese Aussage wird mit der Annahme begründet, aus der Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Krankenhauspflegeanspruchs nach § 184 RVO folge einerseits die Verpflichtung des Krankenhausträgers der Krankenkasse gegenüber, den Patienten zu behandeln, und andererseits der Anspruch des Krankenhausträgers auf Zahlung des Pflegesatzes durch die Beklagte. Die Entscheidung könne daher nur einheitlich sowohl gegenüber den Patienten als auch gegenüber dem Krankenhaus ergehen (vgl auch Urteil des 8. Senats vom 11. März 1987 - 8 RK 19/85 - SozR 7323 § 9 BPflV Nr 1).

Der vom 8. Senat aufgestellte Grundsatz, bliebe er bestehen, wäre auch für die Entscheidung in der dem erkennenden Senat vorliegenden Streitsache maßgeblich. Die Fallgestaltung entspricht in wesentlicher Hinsicht den Umständen, an die die Aussage des 8. Senats geknüpft ist: Der Patient ist bereits im Krankenhaus aufgenommen und die Krankenkasse hat die Gewährung von Krankenhauspflege bzw die Übernahme der Krankenhauskosten abgelehnt.

Nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG sind Dritte zu einem Sozialgerichtsverfahren beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (Identität des Streitgegenstandes). Die Entscheidung muß aus Rechtsgründen nur einheitlich ergehen können; es genügt nicht, daß eine einheitliche Entscheidung lediglich angesichts der tatsächlichen Verhältnisse oder logisch notwendig erscheint (Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 3. Aufl, § 75 RdNr 10 ff; Kopp, VwGO mit Erläuterungen, 7. Aufl, § 65 RdNrn 14 f; jeweils mwN). Die Beiladung ist aus Rechtsgründen notwendig, wenn die vom Kläger begehrte Sachentscheidung nicht getroffen werden kann, ohne daß dadurch gleichzeitig unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden (Kopp aaO mwN; BVerwG vom 19. Januar 1984 - 3 C 88/82 - Buchholz 310 § 121 Nr 49). Es kommt also darauf an, ob durch die Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingegriffen wird (Meyer-Ladewig aaO RdNr 10 mwN; BSG SozR 2200 § 1304c Nr 1 = BSGE 61, 271; Urteile des 2. Senats des BSG vom 22. November 1984 - 2 RU 49/83 -, vom 26. März 1986 - 2 RU 77/84 - und vom 27. Oktober 1987 - 2 RU 27/87 -).

Der Streitgegenstand und damit das streitige Rechtsverhältnis iS des § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG ergibt sich aus dem Klageantrag, zu dessen Auslegung der zugrundeliegende Sachverhalt heranzuziehen ist. In einem Streitverfahren, in dem der Versicherte gegen die Krankenkasse eine von dieser verweigerte Krankenpflegeleistung - wie im Gesetz vorgesehen - als Sachleistung geltend macht, wird der Streitgegenstand durch das Begehren des Versicherten auf Aufhebung des Ablehnungsbescheids und Verpflichtung der Krankenkasse zur Gewährung der Sachleistung bestimmt (vgl Meyer-Ladewig aaO § 95 RdNrn 6 ff mwN). Dieser Streitgegenstand beschränkt sich auf das Leistungsrechtsverhältnis zwischen dem Versicherten und der Krankenkasse (geregelt durch §§ 179 ff, §§ 507 ff RVO sowie die leistungsrechtlichen Vorschriften der Satzung bzw der Versicherungsbedingungen der Krankenkasse). Von diesem Rechtsverhältnis ist das zwischen der Krankenkasse und dem Leistungserbringer bestehende Rechtsverhältnis, das Leistungserbringungsrechtsverhältnis, zu unterscheiden. An dem Leistungsrechtsverhältnis, also an dem Rechtsverhältnis, das darüber Auskunft gibt, ob und ggf welcher Leistungsanspruch dem Versicherten zusteht, ist der Leistungserbringer nicht beteiligt. Nicht er ist aus dem Leistungsrechtsverhältnis verpflichtet, sondern die Krankenkasse. Mit seiner Leistung erfüllt die Krankenkasse ihre Verpflichtung. Seine Rechte und Pflichten ergeben sich aus dem Leistungserbringungsverhältnis (geregelt durch das Kassen- und Vertragsarztrecht - §§ 368 ff RVO und Arzt-Ersatzkassenvertrag - hinsichtlich der ambulanten ärztlichen Versorgung und durch die §§ 371 ff, § 525c Abs 4 Satz 1 RVO sowie die zwischen den Krankenkassen und den Krankenhäusern geschlossenen Verträgen hinsichtlich der Krankenhauspflege). Die Entscheidung über einen Antrag des Versicherten, seine Krankenkasse zur Gewährung einer Sachleistung zu verurteilen, greift somit nicht unmittelbar und zwangsläufig in die Rechtssphäre eines Leistungserbringers ein, also bei einem Antrag auf Krankenhauspflege nicht unmittelbar in die Rechtssphäre irgend eines Krankenhausträgers.

Das gilt grundsätzlich auch, wenn eine Sachleistung von der Krankenkasse abgelehnt worden ist und deshalb der Versicherte sie sich selbst beschafft hat und daraufhin von der Krankenkasse Kostenerstattung verlangt. In diesem Fall wird die Leistung aufgrund eines zwischen dem Versicherten und dem Leistungserbringer geschlossenen Vertrages erbracht, der unmittelbar nur die Vertragsparteien gegenseitig berechtigt und verpflichtet. Dagegen ist für den Kostenerstattungsanspruch des Versicherten das zwischen ihm und seiner Krankenkasse bestehende Leistungsrechtsverhältnis maßgeblich.

Bezieht sich der vom Versicherten gegen die Krankenkasse geltend gemachte Anspruch auf Krankenhauspflege auf einen bereits angetretenen und noch fortdauernden Krankenhausaufenthalt, so ergibt sich zunächst folgendes: Soweit das Begehren des Versicherten auf Krankenhauspflege für die Zukunft gerichtet ist, hat es einen Sachleistungsanspruch zum Inhalt. Eine Entscheidung darüber greift in die Rechtssphäre des Krankenhausträgers nicht unmittelbar ein. Eine zusprechende Entscheidung begründet nicht zwangsläufig auch Rechte des Krankenhausträgers. Dem Versicherten steht es frei, für eine ihm zuerkannte Krankenhauspflege ein anderes Krankenhaus zu wählen (§ 184 Abs 2 RVO). Erst die Inanspruchnahme des Krankenhauses durch den Versicherten bringt Rechte und Pflichten des Krankenhausträgers zum Entstehen, erst dadurch wird das Leistungserbringungsverhältnis zwischen Krankenhaus und Krankenkasse begründet. Hat der Versicherte mit seiner Klage keinen Erfolg, wird ebenfalls nicht zwangsläufig in Rechtspositionen des Krankenhausträgers eingegriffen. Ein eigenes Recht auf Fortsetzung der Behandlung des Versicherten hat der Krankenhausträger nicht. Soweit die Entscheidung des Gerichts die zurückliegende Zeit betrifft, so regelt sie unmittelbar auch nur einen Anspruch des Versicherten, nämlich einen Anspruch auf Erstattung der bzw auf Freistellung von den Kosten.

Auch bei der zuletzt behandelten, den Entscheidungen des 8. Senats zugrundeliegenden Fallgestaltung wird eine notwendige Beiladung jedenfalls dann zu verneinen sein, wenn der Rechtsstreit ausschließlich um den Anspruch des Versicherten auf Krankenhauspflege geführt wird. Für die bereits erbrachten Leistungen, also für die Krankenhauspflege bis zur endgültigen Entscheidung über den vom Versicherten geltend gemachten Anspruch, kommen für den Krankenhausträger mehrere Kostenschuldner des einheitlichen Pflegesatzes in Betracht, ua auch die Krankenkasse. Ein Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse setzt im allgemeinen einen Leistungsanspruch des Versicherten voraus. Es handelt sich dabei aber um einen von mehreren Voraussetzungen. Weitere Voraussetzungen sind ua, daß das Krankenhaus als Leistungserbringer zugelassen ist (§ 371 RVO) und daß die tatsächlich erbrachte Leistung dem Anspruch des Versicherten aus der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht (vgl die entsprechende Regelung in der ambulanten kassen- und vertragsärztlichen Versorgung: Dem Arzt steht in der Regel ein Vergütungsanspruch nur zu, soweit er an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt ist und Leistungen im Rahmen des § 368e RVO erbringt). Andererseits kann aber auch dann, wenn der Versicherte keinen Anspruch auf Krankenhauspflege hat, dem Krankenhausträger ein Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse zustehen, zB aufgrund einer rechtsverbindlichen Kostenzusage, die sich ihrerseits unmittelbar nur auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Krankenhausträger und der Krankenkasse beschränkt und nicht zwangsläufig Rechte des Versicherten begründet (vgl Urteil des 8. Senats vom 9. Dezember 1987 - 8 RK 10/87 -) oder eventuell aufgrund einer Verordnung des Kassenarztes gemäß § 368 Abs 2 Satz 2 RVO bis zu einer gegenteiligen Entscheidung der Krankenkasse (vgl aber Urteil des 8. Senats vom 24. September 1986 - 8 RK 2/86 -). Durch die Entscheidung über den vom Versicherten geltend gemachten Krankenhauspflegeanspruch werden also nicht unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Krankenhausträgers festgestellt, bestätigt, verändert oder aufgehoben.

Es ist hier nicht dazu Stellung zu nehmen, wie es sich verhält, wenn nach dem Antrag und dem diesem zugrundeliegenden Sachverhalt nicht der Krankenhauspflegeanspruch als solcher, sondern die Erfüllung des Anspruchs im Krankenhaus streitig ist, zB wenn die Krankenkasse die Übernahme der Behandlung in einem vom Versicherten gewählten Krankenhaus mit der Begründung ablehnt, gerade dieses Krankenhaus scheide als Leistungserbringer aus (kein Krankenhaus iS des § 371 RVO), oder wenn die vom Krankenhaus bereitgestellten Leistungen nicht zur Erfüllung des dem Versicherten zustehenden Anspruchs geeignet sind. Über ein solches Streitverhältnis hat weder der 8. Senat durch die oben angegebenen Urteile entschieden, noch der erkennende Senat im vorliegenden Fall zu entscheiden.

Der erkennende Senat ist aus diesen Gründen der Auffassung, daß die Beiladung des Krankenhausträgers bei den hier infrage stehenden Streitverhältnissen jedenfalls nicht grundsätzlich notwendig ist.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664083

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