Verfahrensgang

AG Senftenberg (Entscheidung vom 30.06.2003; Aktenzeichen 54 OWi 468/02)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Senftenberg vom 30. Juni 2003 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Senftenberg zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 500,00 EUR verurteilt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 23. Juni 2002 gegen 8:22 Uhr mit dem Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... die Bundesstraße ... innerhalb der Ortschaft L... aus Richtung ... kommend mit einer Geschwindigkeit von mindestens 107 km/h und überschritt die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um mindestens 57 km/h.

Von der Verhängung eines Fahrverbots gegen den Betroffenen hat das Amtsgericht abgesehen. Das Urteil enthält in diesem Zusammenhang die folgenden Ausführungen:

"...

Der Betroffene ist 44 Jahre alt und seit dem 03.09.2001 selbstständig.

Er betreibt eine Firma, die auf dem Gebiet der Kellerabdichtung tätig ist. Er beschäftigt 5 Angestellt, davon 2 mit Fahrerlaubnis.

Ca. 90 Prozent seiner Aufträge stammen von der Firma S... Fertigbau, seinem ehemaligen Arbeitgeber. Mit diesem besteht ein Kooperationsvertrag. Der Betroffene führt seine Arbeiten auf der Baustelle und die Akquise zum großen Teil selbst aus, und zwar auch außerhalb der üblichen Arbeitszeiten.

Die Baustellen befinden sich im gesamten Bundesgebiet, also überall, wo die bundesweit tätige Firma S... Fertighäuser baut, und zurzeit auch im größeren Umfang in der Schweiz.

Im ersten Geschäftsjahr hat die vom Betroffenen betriebene Firma Verluste eingefahren. Für das laufende Geschäftsjahr hofft der Betroffene auf eine "schwarze Null". Der Betroffene bezieht aus dem Betrieb seiner Firma ca. 2000,00 EUR monatlich.

...

Durch sein Verhalten hat der Betroffene zumindest fahrlässig gegen § 3 Abs. 3 StVO, 24 StVG verstoßen. Zur Ahndung der Ordnungswidrigkeit sieht der Bußgeldkatalog in lfd. Nr. 11.3.8 ein Bußgeld in Höhe von 175,00 EUR sowie ein Fahrverbot von 2 Monaten vor.

Das Gericht hat vorliegend jedoch ausnahmsweise davon abgesehen, ein Fahrverbot zu verhängen.

Denn dieses stellt sich bei der besonderen Situation des Betroffenen als unverhältnismäßige Härte dar.

Zur besonderen persönlichen Situation folgt das Gericht den - wie noch im Einzelnen dargelegt - nachvollziehbaren Einlassungen des Betroffenen und den Angaben des Verteidigers, dessen Sozietät den Betroffenen - auch im Hinblick auf seinen Gewerbebetrieb - steuerrechtlich betreut, so dass der Verteidiger aus eigenem Wissen Angaben machen konnte.

Der Betroffene ist demnach beruflich dringend auf seine Fahrerlaubnis angewiesen, um seine Firma zu betreiben.

Es versteht sich zunächst von selbst, dass der Betroffene die in Deutschland und in der Schweiz liegenden Baustellen nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann, um halbwegs effizient zu arbeiten.

Angesichts der Größe und der Tatsache, dass sich der Betrieb des Betroffenen noch in der Konsolidierungsphase befindet, folgt das Gericht auch der Einlassung, wonach die Arbeit des Betroffenen nicht durch einen anderen Mitarbeiter ausgeführt werden kann.

Es erscheint gut nachvollziehbar, das bei einem jungen Betrieb mit fünf Mitarbeitern der "Chef" selbst die Arbeiten auf der Baustelle ausführen muss.

Auch folgt das Gericht der Einlassung, dass sich der Betroffene in einer Zeit des Fahrverbots nicht von einem anderen Mitarbeiter chauffieren lassen kann. Es erscheint gut nachvollziehbar, dass im Betrieb des Betroffenen auf Grund der geschilderten Situation jeder Mitarbeiter voll einsatzfähig sein muss und nicht einer zum Fahrer und Handlanger degradiert werden kann.

Aus den genannten Gründen folgt das Gericht der Einlassung, dass die verschiedenen Mitarbeiter Arbeiten auf verschiedenen Baustellen gleichzeitig ausführen müssen. Hinzu kommt, dass der Betrieb des Betroffenen sich nach dessen Einlassungen nur durch eine Art überobligatorischen Einsatz, also außerhalb der üblichen Arbeitszeiten, konsolidieren lasse.

Es ist allgemein bekannt, dass sich Selbstständige - insbesondere auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ihres Betriebs - nicht auf die üblichen Arbeitszeiten beschränken können und müssen, sondern Arbeiten nach den Terminsvorgaben der Auftraggeber auch zur - aus Arbeitnehmersicht betrachtet - "Unzeit" auszuführen haben. Die Inanspruchnahme eines Chauffeurs zu diesen "Unzeiten" stellte eine besondere Belastung dar, die ein junger Betrieb in der Regel nicht verkraften kann und wird.

Nach allem ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts, dass der Betroffene - wie er sich selbst eingelassen hat - bei Verhängung eines zweimonatigen Fahrverbots zur Betriebsaufgabe gezwungen sein kann....

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