Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverwertbarkeit einer Interaktionsbeobachtung ohne Zustimmung des mitsorgeberechtigten Elternteils. Aufenthaltsbestimmungsrecht: Kriterien für die Übertragung auf einen Elternteil

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist im Wege einer Prognoseentscheidung zu prüfen, inwieweit beide Elternteile uneingeschränkt zur Pflege und Erziehung des Kindes geeignet sind, ob ein Wille zur Kooperation besteht und ob keine sonstigen Gründe vorliegen, die es im Interesse des Kindeswohls gebieten, das Sorgerecht nur einem Elternteil zu übertragen.

2. Sind beide Elternteile nicht ernsthaft bereit, ihre unvereinbaren Standpunkte zum künftigen Aufenthalt der Kinder zu überdenken und war während der Praktizierung des letztlich von beiden Seiten ungeliebten Wechselmodells keinerlei Bereitschaft für eine Suche nach einer einvernehmlichen Lösung erkennbar, besteht keine hinreichend tragfähige Basis für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge im Teilbereich Aufenthaltsbestimmungsrecht.

3. Von einem Gutachter festgestellte spürbare Unterschiede auf der emotionalen Beziehungsebene der Kinder zu den Eltern können entscheidendes Gewicht erlangen, wenn bei den übrigen maßgebenden Kriterien für keinen der Elternteile eine klare Priorität besteht.

4. Die – heimliche – Beauftragung einer gutachterlichen Stellungnahme zur Überprüfung/Widerlegung einer aus Sicht des Kindesvaters nicht gerechtfertigten Einschätzung eines gerichtlich beauftragten Sachverständigen außerhalb des anhängigen Verfahrens kann nicht als Angelegenheit des täglichen Lebens gewertet werden, für die der im Rahmen eines Wechselmodells aktuell betreuende Elternteil im Zuge der Alltagssorge allein zu entscheiden berechtigt wäre.

 

Normenkette

BGB § 1671 Abs. 1, 2 Nr. 2, § 1687

 

Verfahrensgang

AG Senftenberg (Beschluss vom 25.01.2010; Aktenzeichen 32 F 111/08)

 

Tenor

Die Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des AG Senftenberg vom 25.1.2010 - Az. 32 F 111/08 - wird zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis 4.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten zu 1. und 2. sind die Eltern des am ... August 2002 geborenen J. S. und der am ... Dezember 2005 geborenen L. S. Sie haben seit Februar 2002 zusammengelebt und am 6.6.2006 geheiratet; die Trennung erfolgte am 15.6.2007. Im August 2007 ist die Kindesmutter aus der vormaligen Familienwohnung ausgezogen. Die Kinder verblieben im Haushalt des Kindesvaters und wurden - wie schon in der Vergangenheit seit dem Jahre 2003 - zeitweise und nicht selten mit Übernachtungen auch von den Großeltern väterlicherseits mitbetreut und mitversorgt, wobei der Umfang dieser Betreuungsleistungen im Einzelnen streitig ist. Ein regelmäßiger Umgang mit der Kindesmutter fand aus im Einzelnen umstrittenen Gründen nach der räumlichen Trennung zunächst nicht statt.

Der Kindesvater hat sich im Dezember 2007 einer neuen Lebenspartnerin zugewandt, mit der er seit Januar 2008 zusammenlebt. Die Kindesmutter unterhält seit September 2007 eine Wochenendbeziehung zu einem in Süddeutschland lebenden Mann.

Mit am 16.4.2008 eingegangenem Schriftsatz hat der Kindesvater mit dem Bemerken, dass er die Gewähr für eine kindgerechte Versorgung, Betreuung und Förderung der Kinder biete, zu denen er eine enge Bindung habe, beantragt, ihm allein das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder zu übertragen; gleichzeitig hat er eine entsprechende Entscheidung im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung erbeten.

Die Kindesmutter hat mit der Behauptung einer engen Bindung zu den Kindern, einer größeren Bindungstoleranz und im Vergleich zum Kindesvater insgesamt größeren Anteilen an der bisherigen Betreuung und Versorgung der Kinder gegenläufige Anträge gestellt, hilfsweise die Anordnung eines Wechselmodells bis zur Entscheidung in der Hauptsache erstrebt.

Im Anhörungstermin am 20.6.2008 haben sich die Beteiligten im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens auf ein Wechselmodell (wöchentlich von/bis Freitag- nachmittag 17.00 Uhr) verständigt.

Der Kindesvater hat unmittelbar im Anschluss daran mit einem am 23.6.2008 eingegangenen Schreiben diese Vereinbarung "bereut" und der Kindesmutter Vernachlässigung der Kinder in der Vergangenheit, fehlende Reife und fehlende psychische Stabilität - die Kindesmutter war nach der Trennung zeitweise in psychologischer Behandlung - vorgeworfen und eine fehlende Bindung zwischen Kindern und Kindesmutter behauptet, die sich in einer unwilligen Haltung der Kinder bei dem anstehenden Wechsel in den Haushalt der Kindesmutter äußere.

Die Kindesmutter hat mit Aufnahme des Wechselmodells Familienhilfe in Anspruch genommen; die Familienhelferin zeichnet in ihrem Entwicklungsbericht vom 7.10.2008 ein positives Bild der Fähigkeiten der Kindesmutter zur Versorgung, Betreuung und Erziehung der Kinder.

Das Jugendamt hat in einer ersten Stellungnahme v...

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