Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrenskostenhilfe: Verwerfungskompetenz für unzulässige Beschwerden

 

Leitsatz (amtlich)

Im Verfahrenskostenhilfeverfahren ist das Ausgangsgericht bei einer sofortigen Beschwerde gegen eine abänderbare Entscheidung ohne materielle Rechtskraft regelmäßig an einer Zulässigkeitsprüfung der Beschwerde gehindert und zur Begründetheitsprüfung verpflichtet, damit die gesetzliche Anordnung einer Selbstüberprüfung nicht leerläuft (§ 572 Abs. 1 S. 1 ZPO). Zulässigkeitsprüfung und Verwerfungskompetenz für unzulässige Beschwerden liegen in diesen Fällen allein beim Rechtsmittelgericht (vgl. Senat FamRZ 2019, 619; FamRZ 2019, 1155, jew. m.w.N.).

 

Verfahrensgang

AG Neuruppin (Aktenzeichen 54 F 25/18)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird die Sache unter Aufhebung des Nichtabhilfebeschlusses vom 06.07.2020 an das Amtsgericht Neuruppin zur Durchführung eines Abhilfeverfahrens zurückverwiesen.

 

Gründe

1. Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Aufhebung von Verfahrenskostenhilfe für eine Unterhaltssache.

Das Amtsgericht hat die der Antragsgegnerin bewilligte Verfahrenskostenhilfe mit Beschluss vom 24.04.2020 nach §§ 113 Abs. 1 FamFG, 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO wegen unzureichender Mitwirkung im Überprüfungsverfahren aufgehoben (20). Der Beschluss ist der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin am 29.04.2020 zugestellt worden (24).

Mit Schreiben vom 22.06.20, Eingang beim Amtsgericht taggleich, hat die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde erhoben, unter Darstellung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse, sowie einer aktuellen Erklärung über persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (25, 32, 37ff).

Mit Nichtabhilfebeschluss vom 06.07.2020 hat das Amtsgericht die sofortige Beschwerde ohne Sachprüfung dem Senat als verfristet vorgelegt (56).

2. Die nach §§ 113 Abs. 1 S 2 FamFG, 127, 567 ff ZPO statthafte sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin führt zur Aufhebung des Nichtabhilfe- und Vorlagebeschlusses.

Im Verfahrenskostenhilfeverfahren ist das Ausgangsgericht bei einer sofortigen Beschwerde gegen eine abänderbare Entscheidung ohne materielle Rechtskraft regelmäßig an einer Zulässigkeitsprüfung der Beschwerde gehindert und zur Begründetheitsprüfung verpflichtet, damit die gesetzliche Anordnung einer Selbstüberprüfung nicht leerläuft (§ 572 Abs. 1 S. 1 ZPO). Zulässigkeitsprüfung und Verwerfungskompetenz für unzulässige Beschwerden liegen in diesen Fällen allein beim Rechtsmittelgericht (vgl. Senat FamRZ 2019, 619; FamRZ 2019, 1155, jew. m.w.N.).

Unter Verstoß hiergegen hat das Amtsgericht hat die ihm nach § 572 Abs. 1 S 1 ZPO obliegende Abhilfeprüfung unterlassen. Diese hat sich mit der Begründetheit zu befassen und ist dem Amtsgericht unabhängig von einer Zulässigkeit eröffnet (vgl. Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 572 ZPO, Rn. 14 m.w.N.), die im Abhilfeverfahren keine Rolle spielt (vgl. Musielak/Voit/Ball ZPO § 572 Rn. 4), und deren Prüfung § 572 Abs. 2 S 1 ZPO ausdrücklich dem Beschwerdegericht zuweist. Die Befristung der Beschwerde wird damit keineswegs gegenstandslos, sondern versperrt der zu spät eingelegten Beschwerde eine sachliche Überprüfung durch das Beschwerdegericht. Die in § 572 Abs. 1 S 1 ZPO angeordnete Pflicht des Ausgangsgerichts zur Selbstüberprüfung besteht demgegenüber, um nicht ihrerseits leerzulaufen, jedenfalls bei abänderbaren Entscheidungen ohne materielle Rechtskraft (vgl. MüKoZPO/Lipp ZPO § 572 Rn. 7; BeckOK ZPO/Wulf ZPO § 572 Rn. 6). Beschlüsse, mit denen Verfahrenskostenhilfe versagt oder aufgehoben wird, erlangen keine materielle Rechtskraft (vgl. BGH NJW 2009, 857 Rn. 11; LAG Köln Beschl. v. 28.8.2013 - 9 Ta 111/13, BeckRS 2013, 72076; Gottschalk, in: Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 9. Aufl. Rn. 628 m.w.N.).

Mit der Begründetheit der gegen die Aufhebung der Verfahrenskostenhilfe gerichteten sofortigen Beschwerde hat sich das Amtsgericht gar nicht befasst. Es hat nicht geprüft, ob das Beschwerdevorbringen zu einer Abänderung der angefochtenen Entscheidung ausreichen könnte.

Der Senat wählt die Aufhebung und Zurückverweisung zur erneuten Durchführung des Abhilfeverfahrens in der Ausgangsinstanz (vgl. Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 572 ZPO, Rn. 4), damit das Abhilfeverfahren seine Funktion der Selbstkontrolle des erstinstanzlichen Gerichts entfalten kann (vgl. Senat FamRZ 2019, 619; FamRZ 2019, 1155, jew. m.w.N.).

Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist nicht zu entscheiden (§§ 113 Abs. 1 S 2 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO).

Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§§ 113 Abs. 1 S 2 FamFG, 574 Abs. 2, Abs. 3 ZPO), besteht nicht.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13952846

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge