Leitsatz (amtlich)

1. Bereits nach altem Recht musste das Familiengericht den Inhalt der nach § 50b Abs. 1 FGG gebotenen Anhörung der Kinder in der Sitzungsniederschrift, einem Aktenvermerk oder in dem angefochtenen Beschluss selbst und zwar vollständig, im Zusammenhang und frei von Wertungen des Gerichts wiedergeben (BGH, FamRZ 2001, 907; Saarländisches Oberlandes-gericht, Beschl. v. 23.5.2002 - 9 UF 59/02; OLG Köln FamRZ 2002, 337; OLG Karlsruhe FamRZ 1997, 1295). In Anwendung des FamFG gilt nichts anderes. Ein dagegen verstoßender Beschluss konnte keinen Bestand haben (OLGReport Saarbrücken 2006, 398).

2. Wird das Absehen von der Bestellung eines Verfahrensbeistandes entgegen § 158 Abs. 3 S. 3 FamFG nicht oder nur unzureichend begründet, liegt darin ebenso wie in dem Unterbleiben der Beistandsbestellung selbst ein wesentlicher Verfahrensverstoß, der im Beschwerdeverfahren zur Aufhebung der Hauptsacheentscheidung führen kann (Zorn in: Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, Kommentar, § 158 FamFG, Rz. 16 m.w.N.).

 

Normenkette

FGG § 50b Abs. 1; FamFG § 158 Abs. 3 S. 3

 

Verfahrensgang

AG Nauen (Beschluss vom 09.12.2010; Aktenzeichen 20 F 193/10)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Nauen vom 9.12.2010 - 20 F 193/10 - aufgehoben und zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das AG - Familiengericht - Nauen zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Im Übrigen obliegt dem Familiengericht die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe

I. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das AG dem Beschwerdeführer auf Antrag des Jugendamtes im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht, Hilfen zur Erziehung zu beantragen, betreffend die oben genannten Kinder, entzogen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das körperliche und seelische Wohl der Kinder sei nach Maßgabe der §§ 1666, 1666a BGB gefährdet, weil der Beschwerdeführer die Kinder im Alter von den elf und sieben Jahren am Nachmittag des 16.11.2010 nicht versorgt, sondern jede Hinwendung und Fürsorge völlig habe vermissen lassen und die Kinder sodann nach 23:00 Uhr alleingelassen habe. Diese Vernachlässigung entspräche früheren Verhalten des Beschwerdeführers, denn das Jugendamt habe Anfang Juli 2010 Hinweise über ein mögliches Fehlverhalten des Kindesvaters erhalten, der nach einem unangekündigten Hausbesuch vom 21.7.2010 Beratungstermine vom 24.8. und 15.10.2010 ohne Angabe von Gründen nicht wahrgenommen habe.

II. Die nach § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht, Hilfen zur Erziehung zu beantragen und gem. § 69 Abs. 1 S. 2 und S. 3 FamFG zur Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht.

1. Schwerwiegende Verfahrensfehler

a) Auch das Verfahren der einstweiligen Anordnung richtet sich grundsätzlich nach dem der Hauptsache, § 59 Abs. 2 S. 2 FamFG, hier also nach den §§ 151 ff. FamFG. Damit sind nach § 159 Abs. 2 FamFG beide Kinder zu hören, weil deren Neigung, Bindung oder Willen auch innerhalb der §§ 1666, 1666a BGB von Bedeutung sind.

Das AG hat zwar die Kinder gehört, hat es indessen entgegen § 28 Abs. 4 FamFG unterlassen, über die Anhörung einen verwertbaren Aktenvermerk zu fertigen oder das Ergebnis der Anhörung anderweitig - etwa im Beschluss - nachvollziehbar zu dokumentieren. Das Ergebnis der Anhörung lässt sich weder dem Protokoll vom 7.12.2010 (92) entnehmen, noch dem angefochtenen Beschluss vom 9.12.2010 (135). Beide Dokumente schweigen über die Äußerungen der Kinder in der gerichtlichen Anhörung. Bereits nach altem Recht musste das Familiengericht den Inhalt der nach § 50b Abs. 1 FGG gebotenen Anhörung der Kinder in der Sitzungsniederschrift, einem Aktenvermerk oder in dem angefochtenen Beschluss selbst und zwar vollständig, im Zusammenhang und frei von Wertungen des Gerichts wiedergeben (BGH, FamRZ 2001, 907; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 23.5.2002 - 9 UF 59/02; OLG Köln FamRZ 2002, 337; OLG Karlsruhe FamRZ 1997, 1295).

Ein dagegen verstoßender Beschluss konnte keinen Bestand haben (OLGReport Saarbrücken 2006, 398). In Anwendung des FamFG gilt hier nichts anderes.

b) Außerdem ist die Bestellung eines Verfahrensbeistandes für jedes Kind nach § 158 FamFG geboten, da bei jedem Kind der Regelfall des Abs. 2 Nr. 2 dieser Bestimmung vorliegt.

Auch insoweit hat es das AG entgegen § 158 Abs. 3 S. 3 FamFG unterlassen, die fehlende Bestellung eines Verfahrensbeistands zu begründen. Wird von der Bestellung eines Verfahrensbeistands in den in Abs. 2 aufgeführten Regelfällen abgesehen, ist dies nach § 158 Abs. 3 S. 3 FamFG in der Endentscheidung nachprüfbar zu begründen. Wird das Absehen von der Bestellung nicht oder nur unzureichend begründet, liegt darin ebenso wie in dem Unterbleiben der Beistandsbestellung selbst ein wesentlicher Verfahrensverstoß, der im Beschwerdeverfahren zur Aufhebung der Hau...

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