1. Historische Entwicklung des deutschen Internationalen Insolvenzrechts

 

Rn 1

Weder die Konkurs- noch die Gesamtvollstreckungsordnung enthielten umfassende und abschließende Regelungen[1] zum Internationalen Insolvenzrecht.[2] Erst mit dem Inkrafttreten der InsO[3] am 01.01.1999 wurde das deutsche autonome Internationale Insolvenzrecht, wenn auch nur lückenhaft, in den Art. 102 EGInsO a. F. geregelt.[4] Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts[5] vom 14.03.2003[6] wurde damals in Deutschland das Internationale Insolvenzrecht in Art. 102 EGInsO und §§ 335 ff. neu normiert: In Art. 102 §§ 111 EGInsO sind die deutschen Ausführungsvorschriften zur Europäischen Insolvenzverordnung[7] (EuInsVO a. F.) enthalten.[8] In den §§ 335 ff. ist das deutsche autonome Internationale Insolvenzrecht[9] geregelt.

 

Rn 2

Seit dem 26.06.2017 gilt eine reformierte Fassung der EuInsVO[10]. Sie findet auf alle Insolvenzverfahren in den EU-Mitgliedstaaten (mit der Ausnahme von Dänemark und – wegen des kommenden Brexit – bald auch Großbritannien[11]) Anwendung, deren Verfahrenseröffnung nach dem 26.06.2017 erfolgte, vgl. Art. 92 EuInsVO. Mit der Neufassung der EuInsVO hat der deutsche Gesetzgeber in Art. 102c EGInsO Einführungsbestimmungen vorgesehen, die sich an den Regelungen des Art. 102 EGInsO orientieren, aber dabei die mit der Reform der neuen EuInsVO einhergehenden Änderungen und Neuerungen berücksichtigen. Hierbei hat der deutsche Gesetzgeber bei mehreren Normen den Anwendungsvorrang der EuInsVO außer Acht gelassen.[12] Im Ergebnis ist auch eine Wiedergabe des Verordnungstextes innerhalb der EGInsO nicht zu beanstanden, gleichwohl ist dies kritisch zu sehen, denn dadurch wird die unmittelbare Wirkung des Europarechts und damit die der EuInsVO verschleiert.[13]

[1] Lediglich in §§ 237 und 238 KO und § 22 GesO existierten Regelungen zu Insolvenzsachverhalten mit "Auslandsberührung", dazu Kübler/Prütting/Bork-Paulus, Vor §§ 335-358 Rn. 7 ff.
[2] HK-Swierczok, Vor §§ 335 ff Rn. 7.
[3] Insolvenzordnung (InsO) vom 05.10.1994 (BGBl. I S. 2866).
[4] HK-Swierczok, Vor §§ 335 ff Rn. 9.
[5] Vgl. hierzu beispielsweise: Liersch, NZI 2003, 302 ff.; Wimmer, in: FS-Kirchhof, S. 521 ff.; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 301.
[6] BGBl. I 2003 S. 345.
[7] Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ABl. Nr. L 160 S. 1, ber. 2014 Nr. L 350 S. 15, Celex-Nr. 3 2000 R 1346.
[8] Vgl. insoweit die Kommentierung zu den Ausführungsvorschriften in BK-InsO-Pannen, Art. 102 EGInsO; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 301, sowie Wimmer, in: FS-Kirchhof, S. 521 ff.
[9] Bei dem autonomen Internationalen Insolvenzrecht handelt es sich um die Summe der autonomen aufgrund staatlicher Autorität gesetzten innerstaatlichen Rechtsnormen, die das innerstaatliche Internationale Insolvenzrecht bestimmen, vgl. HK-Swierczok, Vor §§ 335 ff Rn. 11.
[10] Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren, ABl. Nr. L 141 S. 19, ber. 2016 Nr. L 349 S. 6, Celex-Nr. 3 2015 R 0848, geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 2017/353 vom 15.02.2017, ABl. Nr. L 57 S. 19.
[11] Durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU (Art. 50 EUV) werden der Binnenmarkt und mit ihm die Grundfreiheiten (Art. 26 Abs. 2 AEUV) sowie die unmittelbare Wirkung der EuInsVO (Art. 288 AEUV) im Verhältnis zum Vereinigten Königreich entfallen. Das Vereinigte Königreich wird zu einem bloßen Drittstaat, so MünchKomm BGB-Kindler, Art. 19 EuInsVO Rn. 19; Freitag/Koch, ZIP 2016, 1849 (1853) gehen davon aus, dass das Regime der EuInsVO auf autonomer englisch-rechtlicher Basis fortgeführt wird; vgl. auch Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 2378 (2382).
[12] FK-Wenner/Schuster, Vor EGInsO Rn. 3; vgl. dazu BK-InsO-Pannen, Art. 102c § 15 EGInsO; zum Konfliktverhältnis von Art. 102c § 15 EGInsO zu Art. 34 Satz 3 EuInsVO ausführlich Madaus, NZI 2017, 203; im Ergebnis ähnlich Skauradszun, DB 2016, 2165, 2166.
[13] MünchKomm-Thole, Vor Art. 102 EGInsO Rn. 5 unter Bezugnahme auf EuGH 28.03.1985, Slg 1985, 1057; kritischer Uhlenbruck-Lüer, Vor Art. 102 EGInsO Rn. 4.

2. Regelungsgegenstand des deutschen Internationalen Insolvenzrechts

 

Rn 3

Das Internationale Insolvenzrecht regelt Sachverhalte bei grenzüberschreitenden Insolvenzen.[14] Klassische Beispiele für international-insolvenzrechtliche Sachverhalte sind die Belegenheit von Vermögen des Insolvenzschuldners im Ausland oder die Anmeldung einer Forderung eines im Ausland ansässigen Gläubigers. Dabei geht insbesondere das UNCITRAL Modellgesetz und auch die EuInsVO bei der Bestimmung von grenzüberschreitenden Sachverhalten davon aus, zuerst das Land zu ermitteln, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (sog. COMI, vgl. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO) und im Weiteren wird dann eine Grenzüberschreitung bejaht, wenn beispielsweise Vermögen des Schuldners in einem anderen Land belegen sind.[15] Im Einzelnen trifft das Internationale Insolvenzrecht Regelungen zu den verfahrensrechtlichen und materiell rechtlichen Wirkungen einer Verfahrenseröffnung außerhalb des Verfahrensstaates.[16] Das deutsche Inter...

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