Rn 15

Über das nur für Insolvenzgläubiger in Abs. 1 geregelte Vollstreckungsverbot hinaus enthält das Gesetz in Abs. 2 auch Vollstreckungsbeschränkungen für alle übrigen Gläubiger. Diesen ist spiegelbildlich zu § 81 Abs. 2 der Vollstreckungszugriff auf künftige Forderungen des Schuldners auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge während der Dauer des Insolvenzverfahrens versagt. Mit diesen künftigen Bezügen sind die nach Verfahrensbeendigung anfallenden Bezüge gemeint, da die während des Verfahrens anfallenden Bezüge – ebenso wie die vor dem Verfahren angefallenen Bezüge – nach § 35 zur Insolvenzmasse gehören und die Unzulässigkeit der Vollstreckung durch Neugläubiger daher schon aus den Regeln über die Verteilung dieser Masse (§§ 38, 49 bis 51, 53) und notfalls aus § 91 folgt.[47] Der Grund für diese auch für Gläubiger vom Verfahren ausgeschlossener Forderungen (§ 40) und für Neugläubiger geltenden Beschränkungen liegt darin, dass künftige Bezüge des Schuldners für die Zwecke der Restschuldbefreiung reserviert werden sollen[48] (vgl. § 287 Abs. 2 Satz 1).

 

Rn 16

Für einen Teil der in Abs. 2 Satz 1 genannten "Gläubiger …, die keine Insolvenzgläubiger sind", nämlich für die Gläubiger von erst nach Verfahrenseröffnung fällig werdenden Unterhaltsforderungen und von Forderungen aus einer nach Verfahrenseröffnung begangenen vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Insolvenzschuldners, macht Abs. 2 Satz 2 eine gegenständlich begrenzte Ausnahme von der in Abs. 2 Satz 1 verordneten Vollstreckungsbeschränkung. Diese Gläubiger dürfen in den Teil der Bezüge vollstrecken, der für andere Gläubiger nicht pfändbar ist, wohl aber nach § 850d, § 850f Abs. 2 ZPO dem Vollstreckungszugriff der erwähnten Unterhalts- oder Deliktsgläubiger unterliegt (sog. erweitert pfändbarer Teil des Arbeitseinkommens). Dieser Teil wird wegen der Regelungen in § 35, § 36 Abs. 1 nicht Bestandteil der Insolvenzmasse und ist im Rahmen der Restschuldbefreiung nicht von der Abtretung der Bezüge an einen Treuhänder nach § 287 Abs. 2 Satz 1 erfasst, so dass durch die Zulassung dieser begrenzten Zwangsvollstreckungsmaßnahme weder die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung noch die Zwecke der Restschuldbefreiung gefährdet werden. Es ist daher kein Grund ersichtlich, diesen besonders schützenswerten Gläubigern den zusätzlichen Vollstreckungszugriff zu verwehren.

 

Rn 17

Das Pfändungsprivileg des Abs. 2 Satz 2 gilt nicht für Gläubiger von vor Verfahrenseröffnung fällig gewordenen Unterhaltsansprüchen oder von Forderungen aus einer vor Verfahrenseröffnung begangenen vorsätzlichen unerlaubten Handlung.[49] Denn diese Gläubiger sind Insolvenzgläubiger (§ 38), und für diese ergibt sich das Verbot der Vollstreckung in nicht zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen des Insolvenzschuldners aus § 89 Abs. 1 ("sonstiges Vermögen"). § 89 Abs. 2 Satz 2 statuiert aber, wie schon der Wortlaut ("Dies gilt nicht …") lehrt, nur eine Ausnahme von der erst durch § 89 Abs. 2 Satz 1 zulasten der dort genannten Gläubiger geregelten Vollstreckungsbeschränkung. Dies erscheint gerechtfertigt, weil die in Abs. 2 genannten Gläubiger – im Unterschied zu den in Abs. 1 behandelten Insolvenzgläubigern – nicht die Möglichkeit haben, bei der Verteilung der Insolvenzmasse berücksichtigt zu werden.

 

Rn 18

Ein Anspruch aus § 844 Abs. 2 BGB auf Ersatz für entgangenen Unterhalt ist ein Schadensersatzanspruch, kein Unterhaltsanspruch[50], kann auch nicht analog § 89 Abs. 2 Satz 2 Fall 1 als Unterhaltsanspruch behandelt werden. Das bedeutet konkret: Wenn der Anspruch auf einer fahrlässig begangenen unerlaubten Handlung beruht, genießt er auf keinen Fall das Privileg des § 89 Abs. 2 Satz 2 Fall 1 oder 2.[51] Liegt ihm eine nach der Insolvenzveröffnung begangene vorsätzliche unerlaubte Handlung zugrunde, so genießt er zwar das Vorrecht aus § 89 Abs. 2 Satz 2 Fall 2 (Anspruch aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung), nicht aber das weiterreichende[52] Vorrecht aus § 89 Abs. 2 Satz 2 Fall 1 (Unterhaltsanspruch).[53] Ist die Tötung vor der Insolvenzeröffnung vorsätzlich verübt worden, so kommt die Vergünstigung des § 89 Abs. 2 Satz 2 Fall 2 auch den auf die Zeit nach der Insolvenzeröffnung fallenden Ansprüchen nicht zugute, wenn man der h.M.[54] folgt, nach der alle, auch die nach der Insolvenzeröffnung eintretenden Folgen einer vor der Verfahrenseröffnung liegenden Rechtsverletzung Insolvenzforderungen begründen. Denn für Insolvenzforderungen gilt § 89 Abs. 2 Satz 2 nicht.[55]

Über die Qualifizierung eines Anspruchs als eines solchen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung hat das Prozessgericht, nicht das Vollstreckungsgericht oder das nach § 89 Abs. 3 als Vollstreckungsgericht fungierende Insolvenzgericht zu entscheiden.[56] Ergibt sich aus dem Vollstreckungstitel – etwa, weil es sich um einen Vollstreckungsbefehl handelt – nichts über die Qualifizierung des Anspruchs, bleibt einem Gläubiger, der das Vollstreckungsprivileg des § 89 Abs. 2 Fall 2 für sich reklamiert, nur die ...

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