Rn 1

Die §§ 4a–d wurden durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze (InsOÄndG)[1] mit Wirkung ab 01.12.2001 eingeführt. Durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.07.2013 wurde die Norm mit Wirkung zum 01.07.2014 geändert.[2] Die Bestimmungen dokumentieren das zentrale Anliegen des Reformgesetzgebers, auch völlig mittellosen Personen ("Ärmste der Armen") die Teilnahme an einem Insolvenzverfahren mit dem Ziel ihrer Restschuldbefreiung zu ermöglichen.[3] Die Norm soll dazu beitragen, einen wirtschaftlichen Neuanfang zu bewirken.[4]

 

Rn 2

Es wurde als eine der wesentlichen Schwächen des Verbraucherinsolvenzverfahrens angesehen, dass Personen, die noch nicht einmal die Kosten des Insolvenzverfahrens aus ihrem (pfändbaren) Vermögen aufbringen konnten, nur dann die Möglichkeit hatten, ein Insolvenzverfahren zumindest bis zu einer Einstellung wegen Masseunzulänglichkeit gemäß § 211 zu durchlaufen und anschließend das Restschuldbefreiungsverfahren zu erreichen (vgl. § 289), wenn das zuständige Insolvenzgericht die (analoge) Anwendbarkeit der Bestimmungen über die Prozesskostenhilfe befürwortete und bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 114 ff. ZPO entsprechend gewährte.[5]

 

Rn 3

Die Frage der Anwendbarkeit der Bestimmungen zur Prozesskostenhilfe hatte sich seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung tatsächlich zu einem der meistdiskutierten und umstrittensten Themen entwickelt,[6] wobei letztlich der BGH in einem obiter dictum der Auffassung nahe getreten ist, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe an den Schuldner im Insolvenzverfahren zur Deckung der Verfahrenskosten unzulässig ist.[7]

 

Rn 4

Der Gesetzgeber hat maßgeblich aus fiskalischen Gründen davon abgesehen, die Anwendbarkeit der §§ 114 ff. ZPO für die Kosten eines von dem Schuldner initiierten Insolvenzverfahrens zu regeln und so Rechtsklarheit und -sicherheit zu schaffen. Vielmehr wurde ein sog. Stundungsmodell entwickelt, wonach die Verfahrenskosten grundsätzlich weiterhin von dem Schuldner aufzubringen sind, aber im Falle der Stundung durch das Insolvenzgericht zunächst bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens bzw. ggf. des sich anschließenden Restschuldbefreiungsverfahrens nicht eingefordert werden können.

 

Rn 5

Die Stundung der Verfahrenskosten soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers "ultima ratio" sein und dementsprechend unterbleiben, wenn zwar das pfändbare Vermögen des Schuldners nicht ausreicht, um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken, aber z.B. eine karitative Organisation oder andere Dritte dem Schuldner die Verfahrenskosten zur Verfügung stellt.[8]

Diese Sichtweise erscheint indes etwas praxisfremd, da weder für karitative Einrichtungen noch für dem Schuldner ggf. nahestehende Dritte ein Anlass bestehen dürfte, dem Schuldner die Verfahrenskosten zur Verfügung zu stellen, wenn dieser doch anderenfalls einen Stundungsanspruch hat.

 

Rn 6

Den fiskalischen Bedenken der Bundesländer, welche eine erhebliche Belastung ihrer Haushalte mit den Kosten der Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen befürchtet haben, sieht der Bundesgesetzgeber durch die "Stundungslösung" hinreichend Rechnung getragen, da er von einem Rückfluss von ca. 50 % der zunächst eingesetzten und gestundeten Kosten ausgeht.[9] Abgesehen davon, dass auch nach Einschätzung des Bundesgesetzgebers in mindestens der Hälfte aller Stundungsverfahren keine Verfahrenskostenstundung, sondern eine Verfahrenskostenschenkung stattfindet, erscheint die Erwartung, dass etwa die Hälfte der gestundeten Kosten durch Leistungen der betroffenen Schuldner wieder zurückgeführt wird, nicht zuletzt vor dem Hintergrund deutlich angehobener Pfändungsfreigrenzen als sehr optimistisch.[10] Die erhoffte Schonung der öffentlichen Haushalte hat sich vielmehr ins Gegenteil verkehrt.[11]

 

Rn 7

Als realistisch zeigt sich hingegen die Erwartung des Gesetzgebers, mit der Einführung der Stundungsregelung die Zugangsmöglichkeit zum Insolvenzverfahren für natürliche Personen mit der Zielstellung nicht der anteiligen Befriedigung der Insolvenzgläubiger, sondern der vollständigen Entlastung des Schuldners von seinen Verbindlichkeiten deutlich zu erweitern.

 

Rn 8

Der massive Anstieg der eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen seit Einführung der Verfahrenskostenstundung kann kaum anders interpretiert werden.[12]

[1] BGBl. I S. 2710.
[2] BGBl. I S. 2379.
[4] BGH, Beschl. v. 19.05.2022, IX ZB 6/21, NZI 2022, 743; AG Ludwigshafen a.R., Beschl. v. 11.01.2016, 3 c IK 486/15 Lu, BeckRS 2016, 20164.
[5] BegrRegE, BT-Drs. 14/5680, S. 12.
[6] Siehe hierzu die Nachweise in der Kommentierung zu § 4.
[7] BGH, Beschl. v. 16.03.2000, IX ZB 2/00, BGHZ 144, 78 = ZInsO 2000, 280 m. Anm. Pape = NZI 2000, 260.
[8] BegrRegE, BT-Drs. 14/5680, S. ...

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