Rn 109

Im Gegensatz zu § 1 KO wird gem. § 35 Abs. 1 Var. 2 auch der Neuerwerb, d. h. dasjenige Vermögen, welches während des laufenden Insolvenzverfahrens vom Insolvenzschuldner erworben wird, zur Insolvenzmasse gerechnet. Dabei kann die Abgrenzung zwischen dem in die Masse fallenden Neuerwerb und dem Erwerb im Anschluss an das Insolvenzverfahren schwierig sein. Dieses Problem entspricht der Trennung von Insolvenzmasse und Neuerwerb im alten Recht, so dass bei einmalig entstehenden Vermögengegenständen entscheidend ist, ob der Rechtsgrund für den Erwerb bereits vor der Beendigung des Verfahrens gelegt wurde und der Vermögenswert deshalb den Gläubigern haftungsrechtlich zugewiesen ist.[214] Abzustellen ist überwiegend auf die wirtschaftliche und nicht auf die rechtliche Zuordnung.[215]

 

Rn 110

Relevant ist diese Neuerung zum einen insbesondere beim Arbeitseinkommen des natürlichen Insolvenzschuldners. Dieses fällt, soweit es nicht dem Pfändungsschutz der §§ 850 ff. ZPO i. V. m. § 36 Abs. 1 Satz 2 unterliegt[216] (zur Zuständigkeit bei Streit über dessen Höhe siehe Rn. 134 f.), in die Insolvenzmasse. Die Intention der KO, dem Schuldner über den Neuerwerb die Möglichkeit zu schaffen, sich eine neue Existenz aufzubauen, wurde nach der BegrRegE zur InsO ausdrücklich aufgegeben.[217] Die Schaffung einer neuen Existenz soll nunmehr über die Restschuldbefreiung (§§ 286 ff.) sowie die Möglichkeiten im Rahmen eines Insolvenzplans (§§ 217 ff.) erreicht werden.

 

Rn 111

Beim selbstständigen Schuldner gehören sämtliche Einkünfte aus seiner Tätigkeit, die er nach Verfahrenseröffnung erzielt, in vollem Umfang zur Insolvenzmasse.[218] Insoweit wird nicht nur der nach Abzug der Ausgaben verbleibende Gewinn von § 35 Abs. 1 Var. 2 erfasst.[219] Allerdings kann der Schuldner beantragen, dass ihm von den erwirtschafteten Einnahmen ebenso viel belassen wird, wie ihm bei Einkünften aus abhängiger Tätigkeit zustehen würde, § 850 i ZPO.[220]

 

Rn 112

Eine vor Eröffnung vorgenommene Abtretung der künftigen Bezüge des Insolvenzschuldners[221] verbleibt seit der Streichung des § 114 nicht mehr für einen Zeitraum von zwei Jahren nach Eröffnung dem absonderungsberechtigten Gläubiger; die Zwangsvollstreckung in dieses Vermögen unterliegt vor Beantragung des Insolvenzverfahrens regelmäßig der Anfechtung nach § 131.

 

Rn 113

Die laufenden Einnahmen des Insolvenzschuldners hindern nicht die Einstellung des Verfahrens. Die Schlussverteilung erfolgt, sobald alle sonstigen Gegenstände der Insolvenzmasse verwertet sind, § 196 Abs. 1. Nach § 300 a endet der Insolvenzbeschlag betreffend den Neuerwerb des Schuldners auch dann mit Erteilung der Restschuldbefreiung, wenn das Verfahren selbst noch nicht abgeschlossen ist.[222]

 

Rn 114

Zum anderen führt die Einbeziehung des Neuerwerbs dazu, dass Neugläubiger nicht mehr während eines laufenden Insolvenzverfahrens und unter Ausschluss der beteiligten Altgläubiger auf den Neuerwerb des Schuldners zugreifen können. Die InsO passt sich damit den international üblichen Regelungen anderer Insolvenzordnungen an.[223] Während des Verfahrens können Neugläubiger somit nur in das insolvenzfreie Vermögen vollstrecken.[224]

 

Rn 115

Als Neuerwerb und damit jetzt auch als Teil der Insolvenzmasse sind vor allem folgende Vorgänge (nach Verfahrenseröffnung und vor Aufhebung bzw. Einstellung) zu nennen:

  • Erwerb aufgrund von Verträgen, die vom Schuldner nach Verfahrenseröffnung geschlossen werden;
  • hierzu zählen auch Gegenstände, die der Schuldner nach Verfahrenseröffnung aus seinem nicht pfändbaren Teil des Einkommens angeschafft hat, vorausgesetzt, dass die Gegenstände selbst der Zwangsvollstreckung unterliegen;[225] die Grundsätze der dinglichen Surrogation greifen insoweit nicht ein;[226]
  • Schenkungen;
  • Lotteriegewinne;
  • Erbschaften und Vermächtnisse, soweit sie der Schuldner annimmt;[227]
  • Gehalts- und Lohnansprüche, soweit sie nach den §§ 850 ff. ZPO der Pfändung unterliegen;[228]
  • Beamtenbezüge, soweit pfändbar;
  • sämtliche Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit, soweit diese nicht nach § 850 i ZPO begrenzt werden;
  • Geldbeträge, die der Schuldner anspart, soweit diese nicht gem. § 811 Abs. 1 Nr. 8 bzw. § 850 k ZPO geschützt sind.[229]
 

Rn 116

Kein Neuerwerb in diesem Sinne sind Vermögenswerte, die der Insolvenzverwalter mit Mitteln der Insolvenzmasse erwirbt. Diese waren bisher[230] und sind auch weiterhin per se – kraft Surrogation und ohne dass es einer Bezeichnung als Neuerwerb bedürfte – Teil der Insolvenzmasse.

[214] Bork, Rn. 119.
[215] Kilger/K. Schmidt, KO § 1 Anm. 3 A c); Bork, ZIP 1991, 988 (993).
[216] Und daher auch nur in dieser Höhe, Steder, ZIP 1999, 1874 (1875 f.); a. A. (in voller Höhe) Smid/Wehdeking, InVo 2000, 293 (295 f.).
[217] BegrRegE zu § 35 InsO, in: Kübler/Prütting, 2. Aufl., S. 203.
[218] BGH NJW 2004, 1349.
[220] BGH NJW 2004, 1349; BGH NJW 2003, 2167.
[221] Zu deren Wirksamkeit siehe Grote, ZInsO 1999, 31 (32).
[222] Dies galt auch schon vor der Einführung des § 300 a, vgl. BGH ZInsO 201...

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