Rn 13

Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Besitzergreifung durch den Insolvenzverwalter werden nicht nur durch den Sinn und Zweck von § 148, sondern auch von der Dogmatik zum Besitz nach den §§ 854 ff. BGB bestimmt; hierbei sind sowohl Grundlagen wie Details umstritten.

2.3.1 Inbesitznahme von beweglichen und unbeweglichen Sachen

 

Rn 14

Der Verwalter nimmt Grundstücke und bewegliche Gegenstände des Schuldners grundsätzlich durch die Übernahme der tatsächlichen Sachherrschaft daran nach § 854 Abs. 1 BGB in Besitz. Der Verwalter wird dadurch (auf der Grundlage der herrschenden Amtstheorie[17]) unmittelbarer Fremdbesitzer und der Schuldner mittelbarer Eigenbesitzer.[18] Voraussetzung ist unmittelbarer Besitz des Schuldners; besitzt dieser mittelbar (§ 868 BGB) oder als Besitzdiener (§ 855 BGB), können nur Herausgabeansprüche gegen unmittelbar besitzende Dritte bestehen (siehe dazu sogleich). Die Übernahme des mittelbaren Besitzes des Schuldners stellt lediglich das Einrücken des Verwalters in die Rechtsstellung des Schuldners im Besitzmittlungsverhältnis zum unmittelbaren Besitzer dar.

 

Rn 15

Die Besitzerlangung nach § 854 Abs. 1 BGB setzt zum einen die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über eine Sache voraus. Herrschaft über eine Sache setzt physische Einwirkungsmöglichkeiten durch ein räumliches Näheverhältnis voraus; dabei muss weder der Gebrauch der Sache ununterbrochen gewährleistet noch die Herrschaftsbeziehung besonders verfestigt sein. Deshalb muss der Verwalter Massegegenstände nicht etwa in eigene Räume verbringen.[19] Insbesondere reicht es aus, wenn der Verwalter über Schlüssel zu Räumen des Schuldners verfügt oder sich in sonstiger Weise die jederzeitige Einwirkungsmöglichkeit auf die Gegenstände der Masse sichert (Einlagerung bei Dritten, tatsächliche Zutrittsmöglichkeiten, Anbringung äußerlicher Kennzeichen, Kontrollen durch Bewachungspersonal usw.) Auch bei Grundstücken genügt i.d.R. der Besitz an den Schlüsseln der darauf errichteten Gebäude.[20] Auch der Besitzbegründungswille des Verwalters muss nicht ausdrücklich in Bezug auf alle einzelnen Gegenstände der Masse manifestiert werden. Vielmehr genügt der generelle Besitzwille des Verwalters, der regelmäßig schon durch die Annahme des Verwalteramtes (§ 56) nach außen hin erkennbar wird.[21]

 

Rn 16

Abgesehen vom praktisch kaum vorkommenden Fall besitzloser Massegegenstände setzt der Besitzerwerb nach h.L. zu § 854 Abs. 1 BGB zum anderen – als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal – das Einigsein zwischen altem und neuem Besitzer über die Änderung der Gewaltverhältnisse voraus.[22] Daher kommt es nach § 854 Abs. 1 BGB, § 148 Abs. 1 zum abgeleiteten Besitzerwerb durch den Insolvenzverwalter, wenn der Schuldner die Sache freiwillig herausgibt und damit zumindest konkludent das Einverständnis zur Änderung der Besitzverhältnisse erklärt. Der ebenfalls mögliche derivative Besitzerwerb nach § 854 Abs. 2 BGB ist so besehen nichts anderes als lediglich der zeitliche Auseinanderfall von (im Voraus begründeter Möglichkeit zu) tatsächlicher Sachherrschaft und Einigsein zwischen den Beteiligten.[23]

 

Rn 17

Der beim Insolvenzbeschlag von Grundstücken im Grundbuch anzubringende Insolvenzvermerk (§ 32 Abs. 1) soll allein die materiell-rechtliche Verfügungsbefugnis des Verwalters (§ 80 Abs. 1) umsetzen, so dass er an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geknüpft ist, nicht aber an die tatsächliche Inbesitznahme des Grundstücks. Dennoch lässt sich auf dem Insolvenzvermerk regelmäßig auf die Inbesitznahme des Grundstücks durch den Verwalter schließen, denn damit dokumentiert sich sein Besitzwille. Da tatsächliches Abhandenkommen bei Grundstücken ausscheidet, bedarf es grundsätzlich nur dieser Verlautbarung des Besitzwillens.

 

Rn 18

Ohne oder gegen den Willen des Schuldners kann der Insolvenzverwalter nur die tatsächliche Sachherrschaft über Massegegenstände erlangen. Dieser "originäre Erwerb" ist dem Schuldner gegenüber aber widerrechtlich.[24] Der Verwalter wird zwar Besitzer nach § 854 Abs. 1 BGB, der Schuldner kann aber Selbsthilfe gegen die verbotene Eigenmacht des Verwalters üben (§ 859 BGB) und die Besitzschutzansprüche nach §§ 861 f. BGB geltend machen.[25] Genau das erklärt die Regelung des § 148 Abs. 2 Satz 1: Gegen den nicht herausgabebereiten Schuldner darf der Verwalter nicht eigenmächtig vorgehen, sondern er muss die Herausgabevollstreckung betreiben (Einzelheiten im Anschluss). Nur so ist die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über Massegegenstände und damit die originäre Besitzerlangung durch den Verwalter nach § 854 Abs. 1 BGB rechtmäßig.

 

Rn 19

Hat der Verwalter durch Übergabe oder Herausgabevollstreckung unmittelbaren Fremdbesitz an Gegenständen des Schuldnervermögens begründet, steht ihm insoweit gegen Jedermann (auch den Schuldner) sowohl das Selbsthilferecht nach § 859 BGB als auch die petitorischen (§ 1007 BGB) wie die possessorischen Besitzschutzansprüche (§ 861 f. BGB) zu. Die Besitzschutzansprüche des Schuldners aus mittelbarem Besitz fallen in die Masse und können allein vom Verwalter geltend gemacht werde...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge