Rn 14

Eine Modifizierung der Rechtsfolgen der Anfechtung gilt Kraft des auf europäischer Richtlinie beruhenden § 147 Satz 2. Die Vorschrift betrifft Rechtshandlungen, die den in § 96 Abs. 2 Satz 1 genannten Ansprüchen und Leistungen (aus Zahlungs-, Überweisungs- oder Übertragungsverträgen) zugrunde liegen. Gemeinsames Merkmal aller dieser Rechtshandlungen ist ihre interne Abrechnung zwischen Teilnehmern an einem Zahlungs- oder Wertpapierliefer- und -abrechnungssystem des Kreditgewerbes. Dabei ist Abrechnung als ein umfassender Oberbegriff für Skontration, Aufrechnung und Verrechnung zu verstehen,[33] der jede Form wechselseitiger "Forderungssaldierung" erfasst. Hierfür wird auch der Begriff "Netting" benutzt.

 

Rn 15

Die Gefahr solcher Verrechnungssysteme besteht darin, dass die Insolvenz eines Teilnehmers unter Umständen etliche weitere Insolvenzen nach sich ziehen kann.[34] Ein solcher Dominoeffekt könnte entstehen, wenn die mit einem Systemteilnehmer erfolgte, einheitliche Abrechnung mit den übrigen Teilnehmern dadurch in Frage gestellt würde, dass die gegenüber einem Teilnehmer erklärten Aufrechnungen isoliert unwirksam oder anfechtbar wären. Die an den einzelnen Aufrechnungen beteiligten Institute müssten zwar einerseits die volle Leistung in die Masse des insolventen Teilnehmers erbringen, würden andererseits selbst aber nur eine quotale Befriedigung erhalten. Durch § 147 Satz 2 soll demgegenüber sichergestellt werden, dass die Rechtswirkungen der Verrechnungen nicht durch ein insolvenzbedingtes Erlöschen der Verrechnungsabrede rückwirkend in Frage gestellt werden.[35] Zusammen mit den Ansprüchen werden dann auch die dafür gestellten Sicherheiten vorrangig behandelt. Schutzzweck des § 147 Satz 2 ist daher die gesamtwirtschaftliche Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Zahlungs- und Abrechnungssystemen der im europäischen Raum agierenden Kreditinstitute. Insbesondere sind auch Verrechnungen ausländischen Rechts als wirksam anzuerkennen.[36]

 

Rn 16

Den Umfang der unter diesen Begriff fallenden Systeme können die Mitgliedsstaaten jeweils selbst bestimmen.[37] Zu dem Kreis der privilegierten Gläubiger gehören neben der Europäischen Zentralbank sowie den Zentralbanken der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (bzw. der Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums) des Weiteren auch noch alle Teilnehmer von Verrechnungssystemen i.S.d. § 96 Abs. 2. Grundsätzlich ist hierfür nach Art. 2 lit. a) der RiLi[38] erforderlich, dass

1. an dem System mindestens drei Teilnehmer mitwirken,[39]
2. das Recht eines Mitgliedsstaats, in dessen Gebiet einer der Teilnehmer seine Hauptverwaltung hat, maßgeblich ist und
3. dieser Mitgliedsstaat das System kontrolliert und an die Europäische Kommission gemeldet hat. Nach § 24b Abs. 1 Satz 3 KWG n.F. werden diese Befugnisse für die in Deutschland bestehenden Systeme durch die Deutsche Bundesbank wahrgenommen.[40]
 

Rn 17

Weitere Voraussetzung ist, dass auch der Insolvenzschuldner Teilnehmer des Systems ist, was sich zwar nicht aus der Begründung des Regierungsentwurfs ergibt, wohl aber aus den Erwägungen der Richtlinie.[41] Daher greift die Privilegierung nicht in der Insolvenz eines einfachen Bankkunden ein. Regelmäßig wird in letztgenanntem Fall zu Gunsten des Kreditinstituts ein Bargeschäft (§ 142) anzunehmen sein, so dass als Anfechtungsgegner nur der Empfänger der Zahlung in Betracht kommt. Als Anwendungsfall für § 147 Satz 2 bleiben damit lediglich Insolvenzen von Kredit- und ähnlichen Institutionen, da nur diese an den Zahlungssystemen teilnehmen können.[42]

 

Rn 18

Erfasst werden nur diejenigen Rechtshandlungen, die der Verrechnung von Ansprüchen oder Leistungen innerhalb des Systems zugrunde liegen. Regelungsgegenstand sind mithin alle von einem Teilnehmer in das System hereingegebenen Aufträge. Für den Anwendungsbereich des § 147 Satz 2 kommt es also entscheidend auf den Zeitpunkt der Rechtshandlung an. Handlungen vor Eröffnung des Verfahrens sind prinzipiell wirksam; eine Insolvenzanfechtung wird durch die Spezialregelung des § 96 Abs. 2 verdrängt. Regelungsbedürftig bleibt damit nur die Zeit nach Eröffnung.[43] Weil § 96 Abs. 2 andererseits verlangt, dass noch am Tag der Eröffnung verrechnet worden sein muss, erfasst § 147 Satz 2 allein den Eröffnungstag. Maßgebend für den Verrechnungstatbestand ist nach den allgemeinen Regelungen der §§ 145 ff. BGB der Zugang[44] der rechtsgeschäftlichen Willenserklärung des ersten Teilnehmers beim folgenden Systemteilnehmer. Mit diesem Zugang ist eine Einbringung in das System erfolgt. Innerhalb dieses Systems besteht üblicherweise eine antizipierte Aufrechnungsabrede, so dass die am jeweiligen Geschäftstag entstehenden und zur Verrechnung gelangenden wechselseitigen Forderungen der Systemteilnehmer bereits mit ihrer Entstehung mit dem Verrechnungsmechanismus behaftet sind.[45] Vor diesem Hintergrund stellt Satz 2 klar, dass alle noch am Tage der Verfahrenseröffnung in das System eingebrachten Aufträge und daraus res...

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