Rn 4

Gemäß § 122 Abs. 1 Satz 1 kann der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Arbeitsgerichts dazu beantragen, dass die Betriebsänderung durchgeführt wird, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorangegangen ist. Voraussetzung ist, dass eine Betriebsänderung geplant ist und nicht innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungs- beginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ein Interessenausgleich nach § 112 BetrVG zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat zustande kommt, obwohl der Verwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat.

1.1 Planung einer Betriebsänderung

 

Rn 5

Der Begriff der "geplanten Betriebsänderung" ist in § 122 nicht definiert, sondern wird vorausgesetzt. Es gilt die Legaldefinition in § 111 BetrVG, so dass auf die Ausführungen vor § 121, 122, Rn. 13 ff. verwiesen werden darf.

 

Rn 6

Die Betriebsänderung muss durch den Insolvenzverwalter geplant sein. Auf den vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 22) findet § 122 ebenso wie §§ 113, 120 ff. keine Anwendung. Dies folgt bereits aus der Gesetzessystematik, nach der diese insolvenzarbeitsrechtlichen Bestimmungen dem Dritten Teil "Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens" zugeordnet sind. Eine planwidrige Lücke, die eine analoge Anwendung der §§ 113, 120 bis 128 rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die weit reichenden Konsequenzen, die die Instrumentarien der §§ 113, 120 ff. ermöglichen, erst in einem eröffneten Insolvenzverfahren entstehen lassen wollte. Ansonsten könnte der Schuldner durch Stellung des Eröffnungsantrags die Einhaltung der kollektiv- und individualrechtlichen Schutzvorschriften umgehen und damit die vorläufige Insolvenzverwaltung zu insolvenzfremden Zwecken missbrauchen.[5]

Für das Verfahren nach § 122 ist demgegenüber unerheblich, ob die geplante Betriebsänderung vor oder nach dem Berichtstermin durchgeführt werden soll (§§ 157, 158). Zwar sieht § 158 Abs. 2 unter bestimmten Voraussetzungen eine Entscheidung des Insolvenzgerichts vor, wenn das Unternehmen stillgelegt werden soll. Das Insolvenzgericht entscheidet dabei jedoch nur über die Frage der Stilllegung vor dem Berichtstermin, während Streitgegenstand des Verfahrens nach § 122 die Frage ist, ob der Stilllegung ein Einigungsstellenverfahren vorzuschalten ist oder nicht.[6] Dass infolge fehlender gesetzlicher Abstimmung widersprechende Entscheidungen der Arbeitsgerichte und der Insolvenzgerichte nicht auszuschließen sind, ist misslich, jedoch bis zu einer Korrektur durch den Gesetzgeber hinzunehmen.[7]

[5] Berscheid, ZInsO 1998, 9, 13; Kuhn/Uhlenbruck, § 106 Rn. 13b zu § 22 KO in der Sequestration; a.A. Caspers, Rn. 519 ff.
[6] Kübler/Prütting-Moll, § 122 Rn. 34; Caspers, Rn. 407 ff.
[7] Eingehend Berscheid, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, S. 1099 Rn. 131 f.

1.2 Rechtzeitige und umfassende Unterrichtung des Betriebsrats

 

Rn 7

Auch diese Tatbestandsmerkmale des § 122 Abs. 1 Satz 1 entsprechen denen des § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, so dass auf die Ausführungen vor § 121, 122, Rn. 31 ff. verwiesen wird.

 

Rn 8

Die Dreiwochenfrist des § 122 Abs. 1 Satz 1 beginnt jedoch erst dann zu laufen, wenn der Betriebsrat umfassend unterrichtet ist.[8]

Sollte der Betriebsrat der Auffassung sein, dass die Unterrichtung nicht vollständig ist, trifft ihn wegen des Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 2 BetrVG die Obliegenheit, die aus seiner Sicht unvollständige Unterrichtung unverzüglich zu rügen und die aus seiner Sicht fehlenden Informationsgegenstände zu benennen.[9]

Dem Betriebsrat ist es daher in dem Verfahren nach § 122 verwehrt, Mängel in der Unterrichtung seitens des Insolvenzverwalters aufzuzeigen, die er schon zeitnah anlässlich der Unterrichtung durch den Insolvenzverwalter hätte vorbringen können.[10]

 

Rn 9

Obwohl das Gesetz für die Unterrichtung des Betriebsrats die Einhaltung einer bestimmten Form nicht vorsieht, empfiehlt es sich, wegen der Wechselwirkung zwischen Unterrichtung und Fristbeginn die rechtzeitige und umfassende Unterrichtung des Betriebsrats zu Beweiszwecken schriftlich zu dokumentieren. Mit dieser schriftlichen Unterrichtung des Betriebsrats kann die Aufforderung zur Aufnahme der Beratungen verbunden werden, so dass der Lauf der Fristen mit einem Akt in Gang gesetzt wird.[11]

[8] Zu der parallelen Regelung in § 113 Abs. 3 BetrVG a.F. vgl. Fitting/Kaiser/Heither/Engels, 19. Aufl., § 111 Rn. 106.
[9] BAG 14.3.1989, AP Nr. 64 zu § 99 BetrVG 1972.
[11] Fitting/Kaiser/Heither/Engels, a.a.O. Rn. 104; Löwisch, RdA 1997, 83.

1.3 Kein Interessenausgleich innerhalb von drei Wochen

 

Rn 10

Der Verwalter kann den Antrag nach § 122 erst dann bei dem Arbeitsgericht stellen, wenn ein Interessenausgleich nach § 112 BetrVG nicht innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen zustande gekommen ist.

 

Rn 11

Der Begriff "Verhandlung" beinhaltet den Austausch von zumindest zwei, meist unterschiedlichen Meinungen. Die Unterrichtung des Betriebsrats nach § 111 Abs. 1 S...

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