Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragserbe. Beeinträchtigende Schenkungen. Benachteiligungsabsicht. Lebzeitiges Eigeninteresse. Gleichbehandlung der Abkömmlinge

 

Leitsatz (amtlich)

Die Absicht des Erblassers, durch lebzeitige Verfügung für eine Gleichbehandlung seiner Abkömmlinge zu sorgen, begründet noch kein im Rahmen von § 2287 BGB beachtliches lebzeitiges Eigeninteresse.

 

Normenkette

BGB § 2287 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Landau (Pfalz) (Urteil vom 21.03.2003; Aktenzeichen 3 S 190/02)

AG Kandel

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Landau in der Pfalz v. 21.3.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien sind Geschwister und Miterben ihrer während des Revisionsverfahrens verstorbenen Mutter. Der Kläger führt deren Rechtsstreit gegen den Beklagten weiter, mit dem die Rückzahlung eines dem Beklagten vom Vater der Parteien übergebenen Betrages von 40.000 DM auf Grund von § 2287 BGB verlangt wird.

Die Eltern der Parteien hatten sich in einem Ehe- und Erbvertrag aus dem Jahre 1959 gegenseitig als Alleinerben eingesetzt, gleichviel ob und welche Pflichtteilsberechtigten beim Tode des Zuerstversterbenden vorhanden sein würden; hinsichtlich der Erbfolge nach dem Überlebenden wurden keine Bestimmungen getroffen. Im September 1995 vereinbarte der Vater der Parteien mit seiner Bank einen Vertrag zu Gunsten Dritter, wonach der Beklagte beim Tod des Vaters das dann vorhandene Guthaben eines Sparkontos des Vaters erhalten sollte; als Ersatzbegünstigte war die Mutter der Parteien angegeben. Dieser Vertrag wurde aus Anlass einer Bankenfusion im Juli 1999 inhaltlich gleich lautend noch einmal abgeschlossen. Beide Verträge wurden auch von der Mutter der Parteien als der Ersatzbegünstigten unterschrieben. Von diesem Sparkonto hob der am 16.11.1999 verstorbene Vater Anfang September 1999 einen Betrag von 40.000 DM ab und händigte ihn dem Beklagten aus.

Die Mutter der Parteien hat als frühere Klägerin vorgetragen, diese Zahlung sei in Benachteiligungsabsicht erfolgt; sie benötige das Geld für die Sicherung ihres Alters dringend. Dem Beklagten stehe der Betrag auch unter Berücksichtigung seines Pflichtteilsanspruchs nach dem Vater nicht zu. Der Beklagte hält die Schenkung dagegen nicht für missbräuchlich, weil sein Vater im Hinblick auf die Vorteile, die sein lange im Haus der Eltern wohnender Bruder und jetziger Kläger erhalten habe, für eine Gleichbehandlung der Brüder habe sorgen wollen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision wird sie weiter verfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache.

1. Das Berufungsgericht sieht in der Unterschrift der Mutter der Parteien unter den Sparverträgen, durch die nach dem Tod des Vaters der Beklagte als Dritter begünstigt wurde, schon dem Sinne nach keine Einwilligung in eine Beeinträchtigung ihrer Rechte aus dem Erbvertrag, die ihr den Schutz des § 2287 BGB hätte nehmen können. Jedenfalls fehle es an der für die Wirksamkeit einer solchen Einwilligung erforderlichen notariellen Beurkundung (BGH v. 12.7.1989 - IVa ZR 174/88, BGHZ 108, 252 [254 f.] = MDR 1989, 1086).

Der Vater der Parteien habe trotz der Bindung durch den Erbvertrag lebzeitig frei über sein Vermögen verfügen können wie hier durch die Auszahlung der von seinem Sparkonto abgehobenen 40.000 DM an den Beklagten. Ob er seine Verfügungsmacht missbraucht habe und der Mutter als Vertragserbin deshalb ein Anspruch aus § 2287 BGB zustehe, hänge nach der Rechtsprechung des BGH davon ab, ob die Gründe, die den späteren Erblasser zu der lebzeitigen Verfügung bestimmt haben, ihrer Art nach auf einem - auch vom Vertragserben anzuerkennenden - lebzeitigen Eigeninteresse beruhen; ob dies der Fall sei, habe der Tatrichter im Einzelfall zu prüfen (BGH v. 27.1.1982 - IVa ZR 240/80, BGHZ 83, 44 [45]). Die Beweislast für einen Missbrauch trage zwar derjenige, der den Anspruch aus § 2287 BGB erhebt; aber der durch die lebzeitige Verfügung Begünstigte müsse die Umstände darlegen, die den Erblasser zu seiner Verfügung bewogen hätten (BGHZ 66, 8 [16 f.]).

Hier habe der Beklagte im Einzelnen dargelegt, dass es dem Vater darum gegangen sei, eine finanzielle Ungleichbehandlung der Parteien zu vermeiden. Das sei schon der Grund für die Anlage des Sparvertrags zu Gunsten des Beklagten als Drittbegünstigten gewesen. Der Vater habe unter der Überschrift "Finanzielle Schädigung durch Vorteilsnahme" aufgelistet, welche Vorteile dem Kläger durch das Wohnen im Elternhaus zugeflossen seien. Dieses Vorbringen des Beklagten sei unstreitig; eine finanzielle Bevorzugung des Klägers habe auch tatsächlich vorgelegen.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Grundidee des Vaters der Parteien, einen Ausgleich unter den Abkömmlingen herbeizuführen, als anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse anzusehen, jedenfalls wenn wie hier der Ehegatte Partner des Erbvertrages sei und der Ausgleich zwischen den gemeinsamen Abkömmlingen herbeigeführt werden solle.

2. Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.

a) Die Zuwendung, um die es hier geht, diente dem Interesse des Beklagten und nicht dem seines Vaters. Wie die Revision hervorhebt, war sich der Vater, als er dem Beklagten Anfang September 1999 die 40.000 DM aushändigte, unstreitig bewusst, dass er in Kürze sterben werde. Anders als in Fällen, in denen ein späterer Erblasser durch lebzeitige Schenkung jemanden an sich binden möchte, dessen Zuwendung und Betreuung er im Alter erhofft (BGH, Urt. v. 17.6.1992 - IV ZR 88/91, MDR 1992, 783 = NJW 1992, 2630, unter II), wollte der Vater der Parteien des vorliegenden Falles dagegen keine eigenen, noch zu seinen Lebzeiten erfüllbaren Interessen mit Hilfe der Zuwendung an den Beklagten fördern.

b) Allerdings ist ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse auch darin gesehen worden, eine sittliche Verpflichtung zu erfüllen, so etwa wenn der Erblasser mit dem Geschenk einer Person, die ihm in besonderem Maße geholfen hatte, seinen Dank abstatten wollte (BGHZ 66, 8 [16]; OLG Köln v. 30.9.1991 - 2 W 140/91, OLGReport Köln 1991, 65 = FamRZ 1992, 607, unter II 3; ferner zu § 2330 BGB BGH, Urt. v. 9.4.1986 - IVa ZR 125/84, MDR 1986, 919 = FamRZ 1986, 1079; zu § 534 BGB BGH, Urt. v. 11.7.2000 - X ZR 126/98, NJW 2000, 3488, unter I). Dass der Vater dem Beklagten aus solchen Gründen sittlich zu Dank verpflichtet gewesen wäre, stellt das Berufungsgericht nicht fest.

Eine sittliche Verpflichtung, die Abkömmlinge gleich zu behandeln, bestand auch nicht etwa im Hinblick auf § 1924 Abs. 4 BGB, wie die Revisionserwiderung meint. In ihrem Erbvertrag haben die Eltern der Parteien ihre Abkömmlinge von der Erbfolge nach dem Zuerstversterbenden ausgeschlossen. Die Parteien waren mithin auf Pflichtteilsansprüche beschränkt. Die Erbfolge nach dem zuletzt versterbenden Elternteil war im Erbvertrag nicht geregelt. Die Ausgleichung von Vorempfängen, um die es dem Vater bei den streitigen Zuwendungen an den Beklagten ging, hätte im Fall der Erhebung von Pflichtteilsansprüchen nach dem Tod des zuerst versterbenden Elternteils im Rahmen von § 2316 BGB erfolgen können; soweit der überlebende Elternteil eine Ausgleichung unter den Kindern nicht durch lebzeitige Verfügung oder Verfügung von Todes wegen herbeiführen würde, wären nach dessen Tod §§ 2050 ff. BGB maßgebend. Im Zeitpunkt der streitigen Zuwendungen an den Beklagten war indessen für eine Ausgleichung durch einseitige Maßnahmen nur eines Elternteils kein Raum.

c) Ein anzuerkennendes Eigeninteresse des Vaters lässt sich schließlich nicht, wie die Revisionserwiderung meint, daraus herleiten, dass die Verträge, durch die der Vater den Beklagten hinsichtlich des Sparkontos begünstigte, von der Mutter mit unterschrieben worden sind. Selbst wenn sie damit, wie das AG im Gegensatz zum Berufungsgericht angenommen hat, der vom Vater beabsichtigten Gleichstellung der Parteien zugestimmt hätte, wäre dies, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, jedenfalls mangels notarieller Beurkundung rechtlich nicht bindend. Diese Rechtsfolge kann nicht dadurch umgangen werden, dass in der formunwirksamen Erklärung eine bindende Anerkennung der Interessen des Vaters an einer Gleichbehandlung der Parteien gesehen und allein daraus auf ein den Missbrauch seiner lebzeitigen Verfügungsbefugnis ausschließendes berechtigtes Eigeninteresse geschlossen wird.

d) Da die Absicht des Vaters, dem Beklagten einen Ausgleich für Vorempfänge seines Bruders zu verschaffen, nach dem hier zu Grunde liegenden Erbvertrag schon ihrer Art nach nicht geeignet war, eine damit verbundene Beeinträchtigung der Mutter als Vertragserbin vom Schutzzweck des § 2287 BGB auszunehmen, kommt es auf die Feststellungen des Berufungsgerichts zur Bevorzugung des Klägers nicht an. Vorsorglich ist aber ggü. der Revisionserwiderung klarzustellen, dass die persönliche Überzeugung des Vaters der Parteien, der Kläger sei erheblich bevorzugt worden, für sich genommen nicht ausreichen würde. Denn ob ein lebzeitiges Eigeninteresse oder andere Gründe gegeben sind, die eine den Vertragserben beeinträchtigende lebzeitige Verfügung des späteren Erblassers trotz seiner erbvertraglichen Bindung billigenswert und gerechtfertigt erscheinen lassen, hat der Tatrichter aus der Sicht eines objektiven Beobachters in Anbetracht der gegebenen Umstände zu beurteilen (BGH v. 12.6.1980 - IVa ZR 5/80, BGHZ 77, 264 [266] = MDR 1980, 915). Dabei sind zwar die persönlichen Verhältnisse und Vorstellungen zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 17.6.1992 - IV ZR 88/91, MDR 1992, 783 = NJW 1992, 2630, unter II 2). Verfügt der Erblasser indessen nur auf Grund einer Einbildung, die in der Realität keine Grundlage hat, fehlt ein vom Vertragserben anzuerkennender Grund, der den Schutzzweck des § 2287 BGB zurücktreten ließe.

3. a) Auch ohne ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers muss dessen Zuwendung nicht in jedem Fall missbräuchlich sein, etwa wenn er eine Schenkung in dem Bestreben vornimmt, auf diesem Wege gerade den Vorteil des Vertragserben wahrzunehmen und dessen Versorgung sicherzustellen (BGH, Urt. v. 23.4.1986 - IVa ZR 97/85, NJW-RR 1987, 2, unter III 3). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Vielmehr spricht für einen die Anwendung des § 2287 BGB rechtfertigenden Missbrauch der lebzeitigen Verfügungsbefugnis des Erblassers, dass die Zuwendung an den Beklagten auf eine Korrektur des Erbvertrages hinauslief: Der Vertragserbin wurde ein wesentlicher Vermögenswert ohne Gegenleistung vorenthalten. Die Vorempfänge des Klägers rechtfertigten eine weitere Verminderung des dem überlebenden Ehegatten vertraglich zugesicherten Vermögens durch Zuwendungen an den Beklagten nicht. Ein über die Vorschriften der §§ 2050 ff., 2316 BGB hinausgehender Ausgleich zwischen den Abkömmlingen konnte auf andere Weise erfolgen, etwa durch Anordnungen nach § 2050 Abs. 3 BGB, durch Anrechnungsbestimmungen nach § 2315 BGB oder durch eine die Vorempfänge des Klägers berücksichtigende letztwillige Verfügung des überlebenden Elternteils.

b) Von seinem Standpunkt aus folgerichtig hat das Berufungsgericht nicht geprüft, ob und ggf. inwieweit die streitige lebzeitige Verfügung des Vaters im Hinblick auf den Pflichtteilsanspruch des Beklagten nach dem Vater schon objektiv nicht die berechtigten Erberwartungen der Mutter als Vertragserbin beeinträchtigen konnte; der Anspruch aus § 2287 BGB ist auf das beschränkt, was nach Begleichung des Pflichtteils des Beschenkten übrig bleibt (BGH v. 28.9.1983 - IVa ZR 168/82, BGHZ 88, 269 [272] = MDR 1984, 127; Urt. v. 27.9.1995 - IV ZR 217/93, ZEV 1996, 25, unter 3a). Diese Prüfung wird das Berufungsgericht nachzuholen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1397863

BGHR 2005, 1379

FamRZ 2005, 1550

NJW-RR 2005, 1462

DNotI-Report 2005, 142

JurBüro 2005, 667

WM 2005, 2098

ZAP 2005, 1175

ZEV 2005, 479

ZEV 2006, 470

ErbBstg 2006, 7

JA 2006, 84

MDR 2006, 29

FamRB 2006, 47

NJW-Spezial 2005, 494

NotBZ 2005, 322

ZErb 2005, 327

EE 2005, 181

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