Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 22.03.2022; Aktenzeichen 5/31 KLs 11/21)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22. März 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

Rz. 1

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung in drei Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt wird. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensbeanstandungen kommt es daher nicht an.

I.

Rz. 2

Dem Angeklagten wurde mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift vom 20. Oktober 2021 zur Last gelegt, er habe seine Ehefrau              S.    aus Eifersucht in der gemeinsamen Wohnung in K.    im T.    gegen ihren Willen festgehalten, ihr jeglichen Kontakt zur Außenwelt verwehrt und sie misshandelt. Er habe sie mit Fäusten oder Gegenständen geschlagen, sie in Arme und Beine gezwickt und sie mit einem Messer oder einer Schere gestochen. Mittels metallischer Fußfesseln, Kabelbindern oder Schnürsenkeln habe er sie nachts am Heizkörper im Schlafzimmer gefesselt und ihr - um sie weiter einzuschüchtern und unter Kontrolle zu haben - mit weiteren Schlägen oder dem Tod gedroht. Im Einzelnen wurden dem Angeklagten folgende Vorwürfe zur Last gelegt:

Rz. 3

1. Zwischen Februar 2021 und 29. April 2021 habe der Angeklagte die Geschädigte regelmäßig über Nacht mittels Schnürsenkeln an den Händen und Füßen an die Heizung gefesselt und ihr, wenn sie dies hinterfragte, „heftigere Schläge“ angedroht. Er habe sie mit Fäusten ins Gesicht geschlagen und sie in Arme und Oberschenkel gezwickt. Ab Ende April habe er metallische Fußfesseln und Kabelbinder verwendet, um die Geschädigte nachts an den Heizkörper zu fesseln. Zudem habe er mehrfach, „fast jeden Abend“ mit einem Messer oder einer Schere in ihre Haut an Beinen und Armen gestochen, um ihr Qualen zu bereiten. Anfang April 2021 habe der Angeklagte die Geschädigte in die Rippen geboxt, so dass es zu einer Rippenserienfraktur gekommen sei, habe ihr durch Verdrehen des Unterarms das Handgelenk ausgekugelt und den Unterarmknochen gebrochen. Die Fraktur sei nicht ärztlich behandelt worden und unter Schmerzen schief zusammengewachsen. Im Rahmen einer Auseinandersetzung um Betäubungsmittel habe der Angeklagte die Geschädigte mit einer Schere dreimal so fest auf den Unterarm geschlagen, dass dieser aufgeplatzt sei. Die Geschädigte sei daraufhin am Morgen des 29. April 2021 alleine mit einem Taxi in ein Krankenhaus gefahren und habe dort aus Angst berichtet, sich an einer Brotschneidemaschine geschnitten zu haben.

Rz. 4

2. Nach der medizinischen Behandlung sei die Geschädigte aus Angst und emotionaler sowie substanzgebundener Abhängigkeit in die gemeinsame Wohnung zurückgekehrt. Der Angeklagte habe ihr eine weitere Behandlung der Wunde untersagt, so dass diese sich stark entzündet habe. Nachts habe er die Geschädigte abermals regelmäßig mittels Fußfesseln an die Heizung gekettet. An einem Abend im Tatzeitraum habe er sie beim Duschen bis zur Ohnmacht gewürgt. Am Abend des 15. Mai 2021 sei es zu einer erneuten Auseinandersetzung aufgrund von Betäubungsmitteln gekommen, woraufhin der Angeklagte die Geschädigte zunächst mit Füßen getreten und dann mit einem Wischmopp geschlagen habe. Die Geschädigte habe einen Schlag mit ihrem linken Arm abgewehrt, sodass sich die Nähte ihrer Schnittverletzung geöffnet hätten. Weiterhin habe der Angeklagte auf den Körper der Geschädigten uriniert, um sie zu erniedrigen. Die Geschädigte sei daraufhin vom Balkon gesprungen, um sich zu retten. Nach einem Polizeieinsatz sei sie in ein Frauenhaus gebracht und ärztlich behandelt worden.

Rz. 5

3. Kurze Zeit später, etwa am 17. Mai 2021, sei sie aus denselben Gründen wie zuvor zur gemeinsamen Wohnung zurückgekehrt. Der Angeschuldigte habe sie weiterhin nachts mit den Fußfesseln gefesselt, sie regelmäßig „nach Lust und Laune“ mit Fäusten oder Gegenständen geschlagen und sie unter der Brust gezwickt. Am 8. Juni 2021 habe die Geschädigte in einem unachtsamen Moment des Angeklagten flüchten können.

II.

Rz. 6

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Rz. 7

Der Angeklagte lebte mit seiner Ehefrau, der Zeugin S., von Februar 2021 bis zum 8. Juni 2021 in einer Sozialunterkunft am Rande von K.    im T.. Die Zeugin S.    begab sich zur medizinischen Behandlung einer frischen Schnittverletzung an ihrem linken Unterarm am 29. April 2021 zur ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus und suchte nach einem Polizeieinsatz wegen häuslicher Gewalt am 15. Mai 2021 für einige Tage die eheliche Wohnung nicht auf. Am 8. Juni 2021 begab sich die Zeugin S.    nach Kö.    im T.   zu einer Bekannten, der Zeugin G.. Nach einer Woche „kalten Entzugs“ bei dieser erstattete die Zeugin S.    Anzeige gegen den Angeklagten.

Rz. 8

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe, so das Landgericht, nicht fest, dass der Angeklagte, der sich zu den Tatvorwürfen nicht eingelassen hat, die Taten begangen habe. Die Zeugin S.    habe als das „einzige direkte Beweismittel für die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten“ in ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung keinen einzigen Anklagevorwurf bestätigt. Mangels konkretisierter Tatvorwürfe sei es auch durch Vernehmung der die Zeugin S.    vorprozessual vernehmenden Zeugen nicht möglich gewesen, Tatvorwürfe zu bestätigen und ggf. zu konkretisieren. Die gleichwohl vernommenen Zeugen vom Hörensagen, denen gegenüber die Zeugin S.    von den Übergriffen des Angeklagten berichtet habe, hätten die konkreten Tatvorwürfe nicht bestätigen können.

III.

Rz. 9

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

Rz. 10

1. Die dem Freispruch des Angeklagten zugrundeliegende Beweiswürdigung hält - auch eingedenk des beschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 30. Januar 2019 - 2 StR 500/18, NStZ-RR 2019, 224, 225; BGH, Urteile vom 18. Mai 2021 - 1 StR 144/20, NZG 2021, 1466, 1469 und vom 4. Juni 2019 - 1 StR 585/17, NZWiSt 2020, 123, 125 jeweils mwN) - sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Rz. 11

a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft. Die Strafkammer hat das Aussageverhalten der Zeugin S.    als „frappierend inkonsistent“ und „durchzogen von Ungereimtheiten“ gewertet und ihre Erklärungsversuche für die auf Lichtbildern dokumentierten Verletzungen, insbesondere die Behauptung, es handele sich um Selbstverletzungen, als „durchweg unglaubhaft“ und „abstrus“ angesehen. Die für die Bewertung der weiteren Beweismittel und für die Gesamtwürdigung zentrale Frage, woher die Verletzungen der Zeugin herrührten, hat das Landgericht indes nicht beantwortet.

Rz. 12

b) Eine Lücke der Beweiswürdigung besteht auch darin, dass sich das Landgericht nicht näher damit auseinandergesetzt hat, welche Motive den unterschiedlichen Aussagen der Zeugin S.    zugrunde lagen. Soweit die Strafkammer ausgeführt hat, die Zeugin S.    habe sich „in der Hauptverhandlung als wendige und allein ihre Interessen verfolgende Zeugin präsentiert, welche ein höchst taktisches Verhältnis zur Wahrheit pflegt“, bleibt damit die für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Zeugin wesentliche Frage offen, was die Zeugen bewogen hat, den Angeklagten gegenüber der Zeugin G.      sowie in zwei polizeilichen und einer richterlichen Vernehmung erheblich zu belasten, in der Hauptverhandlung die Vorwürfe jedoch als frei erfunden zu bezeichnen.

Rz. 13

c) Soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, die Tatvorwürfe ließen sich auch deshalb nicht durch die Vernehmung anderer Zeugen bestätigen, weil es „schlechterdings nicht möglich [sei], die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugin S.    gegenüber den Vernehmungspersonen und der Zeugin vom Hörensagen zu beurteilen“, hat es einen rechtlich unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt.

Rz. 14

Sind Zeugen, die über die zu beweisende Tatsache aus eigener Wahrnehmung berichten können, nicht vorhanden, aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erreichbar oder ändern sie in der Hauptverhandlung ihr Aussageverhalten, darf an ihrer Stelle ein Zeuge vom Hörensagen vernommen werden (vgl. Senat, Urteil vom 8. Juni 2016 - 2 StR 539/15, StV 2016, 774, 775; BGH, Urteile vom 1. August 1962 - 3 StR 28/62, BGHSt 17, 382, 383, und vom 30. Oktober 1951 - 1 StR 67/51, BGHSt 1, 373, 375 f.; MüKo-StPO/Miebach, § 261 Rn. 293). Da der Zeuge vom Hörensagen nicht aus eigenem Erleben bestätigen kann, ob das ihm Berichtete der Wahrheit entspricht, hat seine Aussage einen geringeren Beweiswert als diejenige eines unmittelbaren Zeugen. Sie muss daher vom Tatrichter besonders sorgfältig und kritisch geprüft werden (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 14. Januar 2016 - 2 StR 7/15, StV 2018, 791, 792; BeckOK-StPO/Eschelbach, 46. Ed., § 261 Rn. 56 ff. mwN). Damit sind Bekundungen eines Zeugen vom Hörensagen aber - anders als die Strafkammer meint - einer Würdigung zugänglich und dürfen einer Verurteilung zugrunde gelegt werden, wenn dessen Angaben durch andere wichtige Beweisanzeichen bestätigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Februar 2021 - 1 StR 489/20, juris Rn. 12 mwN; LR-StPO/Sander, 27. Aufl., § 261 Rn. 137 ff.). Als solche kommen vorliegend die ambulante Behandlung der Armverletzung der Zeugin S.    am 29. April 2021, die Flucht aus der Wohnung am 15. Mai 2021 sowie die Lichtbilder zahlreicher Verletzungen in Betracht.

Rz. 15

d) Schließlich lässt die formelhafte Erwähnung einer Gesamtschau, im Rahmen derer die vorhandenen Beweisanzeichen nicht erkennbar zueinander in Beziehung gesetzt und gegeneinander abgewogen werden, besorgen, dass das Landgericht den Blick dafür verloren hat, dass Indizien, auch wenn sie einzeln für sich betrachtet nicht zum Nachweis der Täterschaft ausreichen, doch in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Urteil vom 7. November 2018 - 2 StR 361/18, juris Rn. 25), und dass es hierdurch zugleich überspannte Anforderungen an die tatgerichtliche Überzeugungsbildung gestellt hat.

Rz. 16

2. Der Freispruch des Angeklagten hat daher keinen Bestand. Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung.

Franke     

Appl     

Zeng

Grube     

Schmidt     

 

Fundstellen

Haufe-Index 15724332

NStZ-RR 2023, 287

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