Entscheidungsstichwort (Thema)

Erbunwürdigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Wer den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich getötet hat und deshalb für erbunwürdig erklärt werden soll, trägt die Beweislast dafür, daß er zur Tatzeit unzurechnungsfähig war.

 

Normenkette

BGB § 2339 Nr. 1, § 827

 

Tatbestand

Die Klägerin will den Beklagten für erbunwürdig erklären lassen, weil er seinen Vater, den Erblasser Ernst Georg H., getötet hat.

Der Beklagte hatte am 21. April 1981 eine Unterredung mit seiner Mutter, die sich über finanzielle Forderungen ihres geschiedenen Ehemannes, des Erblassers, beklagte. Er hatte ein Grippemedikament eingenommen und drei bis vier Flaschen Bier sowie größere Mengen Rum getrunken. Gegen Mitternacht faßte er den Entschluß, seinen Vater in dessen Wohnung aufzusuchen, um mit ihm über die finanzielle Situation der Mutter zu sprechen. Er fuhr die etwa 5 km lange Strecke bis zum Haus seines Vaters mit dem Fahrrad, betrat das unverschlossene Haus und begann ein Gespräch mit seinem Vater, das zunächst ruhig, dann immer erregter geführt wurde. Der Vater äußerte sich abfällig über seine geschiedene Ehefrau, worauf ihn der Beklagte als "schwule Sau" beschimpfte. Dieser schlug den Beklagten schließlich heftig auf die linke Wange. Darauf griff der Beklagte seinen Vater tätlich an, führte mit einer Flasche mindestens fünf wuchtige Schläge gegen dessen Kopf, ergriff, als die Flasche zerbrochen war, ein Küchenmesser und stach damit seinen Vater mindestens acht mal in dessen linke vordere Halsseite, so daß die Messerspitze abbrach und in einem Halswirbel stecken blieb. Er ließ von seinem Vater ab, als dieser sich nicht mehr regte. Der Vater verstarb auf der Stelle an inneren Blutungen. Der Beklagte entnahm darauf der Brieftasche des Getöteten einen 1000 DM-Schein, fuhr mit dem Fahrrad zurück, warf es unterwegs in einen Fluß und lief zu Fuß nach Hause. Dort zog er sich in seinem Zimmer aus, wickelte seine blutbeschmierte Kleidung in eine Decke und duschte. Später warf er auch die beschmutzte Kleidung in den Fluß. Der Beklagte wurde wegen dieser Tat rechtskräftig zu fünf Jahren Freiheitsstrafe wegen fahrlässigen Vollrausches verurteilt.

Der Getötete hat kein Testament hinterlassen. Sein einziger Abkömmling ist der Beklagte. Die Klägerin, die Schwester des Getöteten, macht geltend, der Beklagte sei erbunwürdig. Dieser hat sich darauf berufen, er sei zur Zeit der Tat aufgrund eines durch affektive Erregung und vorausgegangenen Alkohol- und Kokaingenuß verursachten Rauschzustandes unzurechnungsfähig gewesen. Außerdem habe sich eine ererbte krankhafte Störung der Geistestätigkeit ausgewirkt. Landgericht und Oberlandesgericht haben den Beklagten antragsgemäß für erbunwürdig erklärt. Seine Revision hatte keinen Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht vermochte sich - sachverständig beraten - nicht davon zu überzeugen, daß bei dem Beklagten zum Zeitpunkt der Tat eine die freie Willensbildung ausschließende Störung der Geistestätigkeit, sei es als Folge eines Affektes, sei es wegen der Alkohol- und Kokaineinwirkung oder einer Summierung dieser Einflüsse vorgelegen habe. Es lasse sich nicht feststellen, daß die Realitätskontrolle und damit die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit während des Tatgeschehens gänzlich aufgehoben gewesen sei. Der Beklagte habe zur Tatzeit nicht an einer krankhaften seelischen Störung, insbesondere nicht an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie oder einer schizophrenen Psychose gelitten.

Gegen diese Würdigung wendet sich die Revision ohne Erfolg (von der weiteren Darstellung wird abgesehen).

Die Folge der Beweislosigkeit lastet der Berufungsrichter dem Beklagten an. Wer sich auf einen die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit im Sinne von § 827 BGB berufe, habe zu beweisen, daß er sich zur Tatzeit in einem solchen Zustand befunden habe.

Dieser Auffassung tritt der Senat bei. Die Frage der Beweislast für die Zurechnungsfähigkeit dessen, der den Erblasser getötet hat, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung für § 2339 Nr. 1 BGB - soweit ersichtlich - bisher nicht entschieden. Der erkennende Senat hat es in seinem Urteil vom 29. Mai 1985 (IVa ZR 248/83 = FamRZ 1985, 919 = NJW-RR 1986, 371) für die Entziehung des Pflichtteils als allgemeine Auffassung bezeichnet, daß derjenige, der die Entziehung geltend macht, nach § 2336 Nr. 3 BGB mit dem Grund der Entziehung auch das Nichtvorliegen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen beweisen müsse. Die Entscheidung befaßt sich allerdings nicht mit der Entziehung des Pflichtteils, vielmehr mit dem Rücktritt von einem Erbvertrag wegen Verfehlungen gegen den Erblasser (§ 2294 BGB), bei dem nach Rechtsprechung und Lehre der Bedachte insoweit beweispflichtig ist, als er sich für seine Schuldlosigkeit an einer körperlichen Mißhandlung des Erblassers auf wirkliche oder vermeintliche Notwehr oder Unzurechnungsfähigkeit beruft (aaO m. Nachw.). Ob bei der Entziehung des Pflichtteils zum Grunde der Entziehung im Sinne des § 2336 Nr. 3 BGB auch die Zurechnungsfähigkeit des Pflichtteilsberechtigten zählt, oder ob insoweit die Beweislastregel des § 827 BGB als die speziellere Norm vorgeht, hat der Senat damit nicht entschieden. Diese Frage bedarf auch hier keiner Entscheidung. Der frühere IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat ferner in der unveröffentlichten Entscheidung vom 25. Oktober 1972 (IV ZR 235/69, mitgeteilt bei Johannsen WM 1973, 530, 543) beiläufig erwähnt, bei der Entziehung des Pflichtteils nach § 2333 Nr. 5 BGB wegen Trunkenheit gingen Zweifel an der Schuldfähigkeit zu Lasten dessen, der sich auf den Entziehungsgrund berufe. Ob an dieser nicht näher begründeten und damals nicht entscheidungserheblichen Auffassung für § 2333 Nr. 5 BGB festzuhalten ist, bedarf hier gleichfalls keiner Entscheidung.

Jedenfalls für den Fall der Erbunwürdigkeit nach § 2339 Nr. 1 BGB hält der Senat es für geboten, die allgemeine Beweislastregel des § 827 BGB anzuwenden, wonach derjenige die Beweislast für die Voraussetzungen eines Haftungsausschlusses wegen Unzurechnungsfähigkeit trägt, der ihn für sich in Anspruch nimmt (ebenso: Lange/Kuchinke, Erbrecht 2. Auflage S. 86 = § 6 I .2 Fn. 21). Es ist allgemein anerkannt, daß die Beweislastregel des § 827 BGB nicht auf den Bereich der unerlaubten Handlungen beschränkt ist, vielmehr alle Fälle einer Verschuldenshaftung im Auge hat. Das Gesetz nimmt die Regel in § 276 Abs. 1 Satz 3 BGB für bestehende Schuldverhältnisse allgemein ausdrücklich in Bezug. Der Bundesgerichtshof hat sie auch auf die Fälle einer Kündigung oder des Rücktritts angewendet, soweit die jeweiligen Rechtsfolgen ein schuldhaftes Verhalten voraussetzen (Urteil vom 22. März 1968, V ZR 3/67 = NJW 1968, 1132). Auch im Rahmen des § 254 BGB wird die Anwendung der Beweislastregel vielfach befürwortet (vgl. MünchKomm/Mertens § 827 Rdn. 1 m. Nachw.). Der Senat hat ferner § 827 BGB im Rahmen des § 61 VVG entsprechend berücksichtigt (Urteil vom 23. Januar 1985, IVa ZR 128/83 = NJW 1985, 2648 = VersR 1985, 440). Die Vorschrift enthält einen allgemeinen Rechtsgedanken, der alle Fälle betrifft, bei denen Rechtsfolgen aus der schuldhaften Verletzung rechtlich begründeter Pflichten oder Obliegenheiten abgeleitet werden (Staudinger/Schäfer, BGB 12. Aufl. Vorb. vor §§ 827 ff. Rdn. 6 und 8).

§ 2339 Nr. 1 BGB knüpft die Erbunwürdigkeit an eine vorsätzlich begangene widerrechtliche Tötungshandlung. Sie ist eine spezifisch erbrechtliche Sanktion auf schwerstes vorsätzlich begangenes Handlungsunrecht, das es als unerträglich erscheinen ließe, wenn der Nachlaß des Opfers auf den Täter überginge. Das rückt die Erbunwürdigkeit in die Nähe schuldhaft begangener unerlaubter Handlungen und legt die Anwendung der Beweislastregel des § 827 BGB nahe. Daß die Rechtsfolge hier nicht in einer Schadensersatzpflicht, sondern in einer Verwirkung des Erbrechts besteht, rechtfertigt nach Auffassung des Senats keine unterschiedliche Behandlung bei der Beweislast. Auch bei zweifelhafter Zurechnungsfähigkeit des Mörders oder Totschlägers erschiene es dem Senat schwer erträglich, sollte er dennoch Erbe seines Opfers werden. Eine Übernahme des strafprozessualen Beweisgrundsatzes in dubio pro reo hält der Senat dagegen für nicht angebracht. Die Verwirkung des Erbrechts stellt ungeachtet ihres strafähnlichen Charakters doch eine rein zivilrechtliche, nur den privaten Bereich berührende Sanktion dar, die nur auf Anfechtungsklage hin (§§ 2340 ff. BGB) eintritt. Sie hebt sich dadurch so entscheidend von der von Staats wegen verhängten, den Verurteilten in allen Rechtsbereichen treffenden und ihm als Übel zugefügten Kriminalstrafe ab, daß sich eine Übertragung dieser zum Schutz des Angeklagten vor der Übermacht des Staates herausgebildeten Beweisregel verbietet.

Da der Beklagte den Erblasser widerrechtlich getötet hat und er seine Unzurechnungsfähigkeit zur Tatzeit nicht nachzuweisen vermochte, hat der Berufungsrichter ihn zu Recht für erbunwürdig erklärt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456500

BGHZ, 227

NJW 1988, 822

JZ 1988, 314

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