Leitsatz (amtlich)

Der Auskunftsanspruch aus § 242 BGB kann grundsätzlich nicht vor dem Hauptanspruch, dem er dient, verjähren.

 

Normenkette

BGB §§ 195, 242, 372, 812; HintG NRW §§ 4, 22 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 12.05.2016; Aktenzeichen 6 S 146/15)

AG Leverkusen (Entscheidung vom 12.05.2015; Aktenzeichen 21 C 403/14)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Köln vom 12.5.2016 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Parteien streiten um Auskunftsansprüche im Zusammenhang mit einem Hinterlegungsverfahren.

Rz. 2

Im Jahr 2004 wurden in einem vor dem LG K. geführten Strafverfahren H. und S. (im Folgenden "Angeklagte"), die unter zahlreichen Firmenbezeichnungen Pensionsversicherungen und andere Kapitalanlagen vertrieben hatten, u.a. wegen Betrugs und Untreue verurteilt. Die Angeklagten verzichteten auf die Rückzahlung von im Rahmen des vorangegangenen Ermittlungsverfahrens aufgefundenen Geldern und überließen sie der Staatsanwaltschaft zur Auskehrung an die Geschädigten. Die Staatsanwaltschaft hinterlegte daraufhin noch im Jahr 2004 insgesamt 1.266.854,64 EUR bei der Hinterlegungsstelle des AG K., die die Annahme des zu hinterlegenden Betrags zwar zunächst abgelehnt hatte, auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft dann aber vom Präsidenten des AG K. unter Verweis auf § 372 Satz 2 Alt. 2 BGB zur Annahme angewiesen worden war. Beigefügt wurde der Hinterlegung eine von der Staatsanwaltschaft erstellte Liste (im Folgenden "Hinterlegungsliste") mit mehr als 900 Personen und Firmen, die die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage der im Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse als mögliche Geschädigte ansah. Ob und in welcher Höhe den dort Genannten tatsächlich Ansprüche gegen die Angeklagten zustehen, hat die Staatsanwaltschaft nicht geprüft. Auf der Hinterlegungsliste befinden sich auch die Namen der Parteien, der Name des Beklagten sogar zweimal, einmal mit der Ortsangabe "Bergisch Gladbach", einmal mit der Ortsangabe "Leverkusen". Der Beklagte meldete mit Schreiben vom 20.8.2005 einen Auszahlungsanspruch von 27.147,05 EUR bei der Hinterlegungsstelle an.

Rz. 3

Die Klägerin, die über einen rechtskräftigen Titel gegen die Angeklagten über 14.333,98 DM zzgl. Zinsen verfügt, begehrt mit ihrer Klage vom Beklagten in der Hauptsache noch, ihr darüber Auskunft zu geben, "welche Forderung seiner Eintragung als Beteiligter im Sinne der HinterlegungsO [...] in der Hinterlegungssache Dr. H[...]/S[...] zugrunde liegt, insb. mitzuteilen und Auskunft darüber zu geben, ob ihm eine durch rechtskräftiges Urteil festgestellte Forderung gegen die Herren Dr. H[...] und/oder S[...] zusteht". Darüber hinaus verlangt sie den Ersatz außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.

Rz. 4

Das AG hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Das LG hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 5

Das Berufungsgericht, dessen Urteil in Juris sowie unter BeckRS 2016, 09816 veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, der von der Klägerin geltend gemachte Auskunftsanspruch sei verjährt und infolge der vom Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung daher nicht mehr durchsetzbar. Es teile die Auffassung des AG, wonach der streitgegenständliche Anspruch gem. § 195 BGB der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren unterliege. Diese Frist sei für den Auskunftsanspruch selbständig zu berechnen und richte sich nicht nach dem Lauf der Verjährung des Hauptanspruchs, im Streitfall also nicht nach der Verjährung eines Anspruchs aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB auf Erklärung der Freigabe des hinterlegten Betrages. Die Annahme des AG, der streitgegenständliche Auskunftsanspruch sei verjährt, weil er im Jahre 2010 erstmals geltend gemacht, erst im Jahr 2014 eingeklagt worden und in den Jahren 2010 bis 2014 nicht gehemmt worden sei, treffe zu.

II.

Rz. 6

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

Rz. 7

1. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann nicht davon ausgegangen werden, der streitgegenständliche Auskunftsanspruch sei verjährt.

Rz. 8

a) Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung unterliegt der im Streitfall alleine in Betracht kommende Auskunftsanspruch aus § 242 BGB grundsätzlich selbständig und unabhängig vom Hauptanspruch der allgemeinen Verjährungsfrist (vgl. BGH, Urt. v. 10.5.2012 - I ZR 145/11, AfP 2012, 571 Rz. 22 - Fluch der Karibik; v. 26.5.1994 - IX ZR 39/93, NJW 1994, 3102, 3106, nicht abgedruckt in BGHZ 126, 138 ff.; v. 12.6.1991 - XII ZR 17/90, NJW 1991, 3031, 3032; v. 4.10.1989 - IVa ZR 198/88, BGHZ 108, 393, 399 [zu einem Auskunftsanspruch aus § 2314 BGB]; v. 10.12.1987 - I ZR 198/85, juris Rz. 34; v. 3.10.1984 - IVa ZR 56/83, NJW 1985, 384 f.; ferner BGH, Urt. v. 3.4.1996 - VIII ZR 54/95, NJW 1996, 2100, 2101 m.w.N. [zu Ansprüchen aus § 87c HGB]; Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 259 Rz. 11; a.A. allerdings BGH, Urt. v. 28.4.1992 - X ZR 85/89, juris Rz. 30; v. 18.2.1972 - I ZR 82/70, GRUR 1972, 558, 560 - Teerspritzmaschinen; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB Neubearbeitung 2014, Anhang zu § 217 Rz. 8). Hieraus wurde geschlossen, dass ein solcher Auskunftsanspruch nicht schon deshalb verjährt ist, weil der Hauptanspruch verjährt ist, mag er nach der Verjährung des Hauptanspruchs auch regelmäßig, allerdings nicht zwingend (vgl. BGH, Urt. v. 4.10.1989, a.a.O.; v. 3.10.1984 - IVa ZR 56/83;, a.a.O.; jeweils zu § 2314 BGB), am fehlenden Informationsbedürfnis des die Auskunft Verlangenden scheitern (vgl. BGH, Urt. v. 12.6.1991 - XII ZR 17/90, a.a.O.; vom 4.10.1989, a.a.O., [zu § 2314 BGB]; v. 3.10.1984 - IVa ZR 56/83, a.a.O.; ferner Urt. v. 17.7.2008 - I ZR 109/05, BGHZ 177, 319 Rz. 42 - Sammlung Ahlers; v. 24.4.2002 - IV ZR 126/01, juris Rz. 8; v. 26.5.1994 - IX ZR 39/93, a.a.O.; anders noch BGH, Urt. v. 2.11.1960 - V ZR 124/59, BGHZ 33, 373, 379 [zu § 2314 BGB]). Hingegen wurde aus dem Prinzip der vom Hauptanspruch unabhängigen, selbständigen Verjährung des Auskunftsanspruchs in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang nicht der Schluss gezogen, dies könne dazu führen, dass der Auskunftsanspruch vor dem Hauptanspruch verjährt. Im Gegenteil hat der X. Zivilsenat (Urt. v. 28.4.1992 - X ZR 85/89, juris Rz. 30), wenn auch in der Meinung, die Verjährung des Auskunftsanspruchs richte sich schon grundsätzlich nach derjenigen des Hauptanspruchs, zum Ausdruck gebracht, der Auskunftsanspruch könne nicht vor dem Anspruch, dem er diene, verjähren. Im Ergebnis trifft dies zu.

Rz. 9

b) Die Verjährung beruht auf den Gedanken des Schuldnerschutzes, des Rechtsfriedens (BGH, Urt. v. 23.11.1994 - XII ZR 150/93, BGHZ 128, 74, 82 f.; ferner Urt. v. 20.4.1993 - X ZR 67/92, BGHZ 122, 241, 244 f.; jeweils m.w.N.) und der Rechtssicherheit (Grothe in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., BGB vor § 194 Rz. 7; zum Aspekt der Rechtssicherheit vgl. ferner Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, Vorbemerkungen zu §§ 194-225). Diese Zwecke stehen der Annahme entgegen, der Hilfsanspruch auf Auskunft könne vor dem Hauptanspruch verjähren, zu dessen Geltendmachung die Auskunft benötigt wird.

Rz. 10

Für die Aspekte des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit liegt dies auf der Hand. Zwar führte die Verjährung nur des Auskunftsanspruchs dazu, dass der Streit über das Bestehen dieses Anspruchs nicht mehr (fort)geführt zu werden braucht. Kern des zwischen den Beteiligten bestehenden Streits ist in solchen Fällen aber regelmäßig nicht der Hilfs-, sondern der Hauptanspruch. Der Streit über ihn würde durch die Verjährung nur des Hilfsanspruchs nicht gelöst. Im Gegenteil würde die Lösung des eigentlichen Streits über Bestehen und/oder Umfang des Hauptanspruchs mit der Annahme der Verjährung nur des Hilfsanspruchs erschwert, weil dem Gläubiger mit dem Auskunftsanspruch ein Mittel aus der Hand genommen würde, mit dessen Hilfe er zur Klärung des Hauptanspruchs hätte beitragen können. Dass ein Ausschluss des Hilfsanspruchs den Streit um das Bestehen des noch nicht verjährten Hauptanspruchs im Einzelfall deshalb beenden kann, weil dessen Geltendmachung ohne die vom verjährten Hilfsanspruch umfasste Auskunft tatsächlich unmöglich ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn der Wegfall der Durchsetzbarkeit des Hauptanspruchs allein infolge Zeitablaufs ist nach dem Willen des Gesetzgebers erst nach Eintritt der für ihn bestimmten Verjährung und nicht bereits nach Eintritt der für den Auskunftsanspruch bestimmten Verjährung gerechtfertigt.

Rz. 11

Entsprechendes gilt für den Gedanken des Schuldnerschutzes. Das vom Institut der Verjährung geschützte Interesse des Schuldners, nicht wegen länger zurückliegender Vorgänge, die er nicht mehr aufklären kann, weil ihm die Beweismittel für etwa begründete Einwendungen abhandengekommen oder Zeugen nicht mehr auffindbar sind, in Anspruch genommen zu werden (vgl. BGH, Urt. v. 20.4.1993 - X ZR 67/92, BGHZ 122, 241, 244), bezieht sich erkennbar auf den Hauptanspruch und nicht auf bloße Hilfsansprüche, die allein den Zweck haben, dem Gläubiger die Durchsetzung des - noch nicht verjährten - Hauptanspruchs zu ermöglichen. Denn auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Annahme einer Verjährung des Hilfsanspruchs die Durchsetzung des Hauptanspruchs allein wegen Zeitablaufs erschwerte oder sogar ganz unmöglich machte, obwohl die für den Hauptanspruch bestimmte Verjährungsfrist gerade noch nicht eingetreten ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers überwiegt das dargestellte Interesse des Schuldners dasjenige des Gläubigers an der Durchsetzung seines (Haupt-)Anspruchs aber erst nach Eintritt der für diesen Anspruch bestimmten Verjährung.

Rz. 12

2. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Auf der Grundlage des für die rechtliche Prüfung maßgeblichen Sachverhalts kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Klägerin der geltend gemachte Auskunftsanspruch aus § 242 BGB durchsetzbar zusteht.

Rz. 13

a) Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben besteht eine Auskunftspflicht bei jedem Rechtsverhältnis, dessen Wesen es mit sich bringt, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, er sich die zur Vorbereitung und Durchsetzung seines Anspruchs notwendigen Auskünfte nicht in zumutbarer Weise selbst beschaffen kann und der Verpflichtete unschwer, d.h. ohne unbillig belastet zu sein, die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu geben vermag. Unter diesen Voraussetzungen ist ein Anspruch auf Auskunftserteilung auch dann gegeben, wenn nicht der Inanspruchgenommene, sondern ein Dritter Schuldner des Hauptanspruchs ist, dessen Durchsetzung der Hilfsanspruch auf Auskunftserteilung ermöglichen soll. Allerdings begründet allein die Tatsache noch keine Auskunftspflicht, dass jemand über Sachverhalte informiert ist oder sein könnte, die für einen anderen von Bedeutung sind (st.Rspr., z.B. BGH, Urt. v. 20.1.2015 - VI ZR 137/14, NJW 2015, 1525 Rz. 7 f.). Voraussetzung ist vielmehr, dass zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten eine besondere rechtliche Beziehung besteht, wobei ein gesetzliches Schuldverhältnis, beispielsweise aus unerlaubter Handlung, genügt (st.Rspr., BGH, Urt. v. 13.6.1985 - I ZR 35/83, BGHZ 95, 285, 288; v. 14.7.1987 - IX ZR 57/86, NJW-RR 1987, 1296; Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 260 Rz. 5).

Rz. 14

b) Ein solcher Auskunftsanspruch könnte im Streitfall bestehen. Die Klägerin macht geltend, sie benötige die von ihr verlangte Auskunft, weil sie über das Bestehen und den Umfang ihres sich aus ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) ergebenden Rechts, die anderen Hinterlegungsbeteiligten, mithin auch den Beklagten, auf Bewilligung der Herausgabe des zu ihren Gunsten titulierten Betrags in Anspruch nehmen zu können, im Unklaren sei.

Rz. 15

aa) Nach § 22 Abs. 1 des nordrhein-westfälischen Hinterlegungsgesetzes (HintG NRW) ergeht auf Antrag eine Herausgabeanordnung, wenn die Berechtigung des Empfängers nachgewiesen ist. Nach § 22 Abs. 3 HintG NRW ist der Nachweis namentlich dann als geführt anzusehen, wenn die Beteiligten entweder die Herausgabe an den Empfänger schriftlich oder zur Niederschrift der Hinterlegungsstelle, eines Gerichts oder eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bewilligt oder seine Empfangsberechtigung in gleicher Weise anerkannt haben oder die Berechtigung des Empfängers durch rechtskräftige Entscheidung mit Wirkung gegen die Beteiligten oder gegen das Land festgestellt ist. Verweigert ein Prätendent - wie hier der Beklagte - mithin die Abgabe der Herausgabebewilligung, kann derjenige, der die Herausgabe des hinterlegten Gegenstands an sich verlangt, seine Berechtigung diesem Prätendenten gegenüber rechtskräftig feststellen lassen. Dies geschieht dadurch, dass er den Prätendenten im Klageweg auf Bewilligung der Herausgabe in Anspruch nimmt (vgl. nur BGH, Urt. v. 30.1.2015 - V ZR 63/13, NJW 2015, 1678 Rz. 8; Bülow/Schmidt, HinterlegungsO, 4. Aufl., § 13 Rz. 30). Anspruchsgrundlage dafür ist regelmäßig § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB (vgl. nur BGH, Urt. v. 30.1.2015 - V ZR 63/13, NJW 2015, 1678 Rz. 8).

Rz. 16

bb) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie hier - die Hinterlegungsvoraussetzungen nicht vorgelegen haben, die Hinterlegung von der Hinterlegungsstelle mithin nicht hätte angenommen werden dürfen.

Rz. 17

(1) Der Präsident des AG K. hat die Anweisung der Hinterlegungsstelle, die betreffenden Gelder zur Hinterlegung anzunehmen, auf den Hinterlegungsgrund des § 372 Satz 2 Alt. 2 BGB gestützt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, die Staatsanwaltschaft K. sei über die Person der Gläubiger im Ungewissen, ohne dass dies auf Fahrlässigkeit beruhen würde. Er hat dabei verkannt, dass eine Hinterlegung nach § 372 Satz 2 Alt. 2 BGB nur dann in Betracht kommt, wenn sich der von der Vorschrift verlangte Zweifel ausschließlich auf die Person des Gläubigers bezieht. § 372 Satz 2 Alt. 2 BGB ist hingegen nicht einschlägig, wenn mehrere Verbindlichkeiten in Frage stehen, deren Erfüllung mehrere Gläubiger aus verschiedenen Rechtsgründen vom Schuldner verlangen (BGH, Urt. v. 1.2.2012 - VIII ZR 307/10, NJW 2012, 1718 Rz. 44; v. 17.1.2007 - VIII ZR 171/06, BGHZ 170, 311 Rz. 15; v. 22.10.1980 - VIII ZR 334/79, WM 1980, 1383, 1384; MünchKomm/BGB/Fetzer, 7. Aufl., BGB § 372 Rz. 11; jeweils m.w.N.). Letzteres ist vorliegend aber der Fall; Gegenstand der Ungewissheit ist nicht, welchem der Hinterlegungsbeteiligten ein einziger konkreter Anspruch zusteht, sondern vielmehr die Frage, welchen Hinterlegungsbeteiligten infolge ihnen gegenüber begangener Schädigungshandlungen Schadensersatzansprüche in welcher Höhe zustehen.

Rz. 18

(2) Trotzdem gelten für die Hinterlegung und die Geltendmachung der Herausgabe durch einen Hinterlegungsbeteiligten die oben dargestellten Grundsätze. Insbesondere kann der besser Berechtigte die Abgabe der Bewilligungserklärung gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB von den übrigen Prätendenten auch dann verlangen, wenn die Voraussetzungen für eine Hinterlegung nicht vorlagen, die Hinterlegung von der Hinterlegungsstelle aber dennoch angenommen wurde (BGH, Urt. v. 30.1.2015 - V ZR 63/13, NJW 2015, 1678 Rz. 8; v. 22.10.1980 - VIII ZR 334/79, WM 1980, 1383, 1384; jeweils m.w.N.). Denn die anderen Hinterlegungsbeteiligten haben durch die auch zu ihren Gunsten erfolgte Hinterlegung schon deshalb eine günstige Rechtsposition auf Kosten des besser Berechtigten erlangt, weil es zur Auszahlung des hinterlegten Betrages an den besser Berechtigten ihrer Einwilligung bedarf (BGH, Urt. v. 22.10.1980 - VIII ZR 334/79, a.a.O.).

Rz. 19

cc) Sofern - was im weiteren Verfahren aufzuklären sein wird - der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB dem Grunde nach zusteht und sie über den Umfang ihrer gegenüber dem Beklagten und den anderen Beteiligten bestehenden Berechtigung in entschuldbarer Weise im Unklaren ist, kann sie den Beklagten auf die von ihr benötigte Auskunft in Anspruch nehmen. Das Bestehen eines Bereicherungsanspruchs dem Grunde nach erscheint schon deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen, weil der von dem Beklagten für sich beanspruchte Betrag i.H.v. 27.147,05 EUR zusammen mit dem zugunsten der Klägerin titulierten die hinterlegte Summe bei weitem nicht erreicht.

Rz. 20

Dabei ist der Inhalt des zuzubilligenden Auskunftsanspruchs, wie stets bei der Anwendung des § 242 BGB, unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit des verlangten Mittels zu dem angestrebten Erfolg und unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen der Parteien zu bestimmen (vgl. BGH, Urt. v. 24.3.1994 - I ZR 42/93, BGHZ 125, 322, 331).

Rz. 21

In Anwendung dieser Grundsätze stünde einem Auskunftsanspruch unter den besonderen Umständen des Streitfalles auch nicht entgegen, dass die Klägerin den Beklagten unmittelbar auf Abgabe der Erklärung in Anspruch nehmen könnte, in die Herausgabe des hinterlegten Betrages einzuwilligen, soweit der zu ihren Gunsten titulierte Betrag betroffen ist. Denn vorliegend ist zu Unrecht zugunsten von mehr als 900 Hinterlegungsprätendenten hinterlegt worden. Eine Auszahlung des hinterlegten Betrages kann von der über einen Titel verfügenden Klägerin nach den obigen Ausführungen nur dann erreicht werden, wenn sie sämtliche Hinterlegungsbeteiligten auf Abgabe der Erklärung, in die - teilweise - Herausgabe des hinterlegten Betrages einzuwilligen, in Anspruch nimmt, widrigenfalls der hinterlegte Betrag absehbar nach § 30 HintG NRW an das Land verfällt. Eine solche unmittelbare Inanspruchnahme aller Hinterlegungsbeteiligten ist der Klägerin indes schon allein aufgrund des damit verbundenen Kostenrisikos nicht zuzumuten. Dagegen kann der Beklagte die verlangte Auskunft unschwer geben. Erhält die Klägerin die begehrten Auskünfte von allen oder zumindest von einer größeren Anzahl der Hinterlegungsbeteiligten, kann sie auf dieser Grundlage entscheiden, ob und in welcher Höhe sie die Hinterlegungsbeteiligten auf Abgabe einer Bewilligungserklärung in Anspruch nehmen will.

III.

Rz. 22

Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, sondern ist aufzuheben und mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Rz. 23

Für das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass der Auskunftsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten jedenfalls dann nicht (mehr) besteht, wenn die Klägerin im vorliegenden Verfahren an die von ihr benötigten Informationen gelangt wäre oder der Beklagte die entsprechende Auskunft - wie von ihm behauptet - der Hinterlegungsstelle gegenüber erteilt hätte und es der Klägerin dadurch möglich geworden wäre, über eine ihr nach § 4 HintG NRW zustehende Einsicht in die Hinterlegungsakten an die Informationen zu gelangen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 11119911

NJW 2017, 2755

IBR 2017, 588

JR 2018, 519

JurBüro 2017, 554

WM 2017, 2158

ZAP 2017, 995

DZWir 2017, 500

JZ 2017, 1175

JZ 2017, 628

JZ 2017, 699

MDR 2017, 1045

VersR 2017, 1160

Mitt. 2017, 518

ZVertriebsR 2019, 101

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