Leitsatz (amtlich)

Die Aufnahme eines durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei unterbrochenen Rechtsstreits über eine Insolvenzforderung ist nur wirksam, wenn die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen für eine Forderungsfeststellungsklage gegeben sind.

Für eine wirksame Forderungsanmeldung erfordert die Angabe des Grundes der Forderung die bestimmte Angabe des Lebenssachverhalts, aus dem die Forderung nach der Behauptung des Gläubigers entspringt; eine schlüssige Darlegung der Forderung ist nicht erforderlich (Klarstellung zu BGH, Urt. v. 22.1.2009 - IX ZR 3/08 WM 2009, 468).

Ob der Insolvenzgläubiger seine Forderung in ausreichend individualisierter Weise angemeldet hat, richtet sich nach den Verhältnissen im Prüfungstermin; eine nachträglich erfolgte Individualisierung wirkt nicht auf den Zeitpunkt der Forderungsanmeldung zurück.

 

Normenkette

InsO § 174 Abs. 2, §§ 176, 180 Abs. 2; ZPO § 240

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 22.01.2019; Aktenzeichen 5 U 85/17)

LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 07.07.2017; Aktenzeichen 3-14 O 128/15)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 22.1.2019 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die R. GmbH (fortan: R. GmbH) verkaufte mit Vertrag vom 10.10.2011 Solarmodule an die S. KG (fortan: Schuldnerin). Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der R. GmbH. Er erhob am 29.12.2015 Klage gegen die Schuldnerin und deren persönlich haftende Gesellschafterin K. GmbH auf Zahlung eines Kaufpreises i.H.v. 4.243.200 EUR zzgl. Umsatzsteuer, Zinsen und Nebenkosten. Der Rechtsstreit gegen die K. GmbH ist seit der mit Beschluss vom 20.4.2016 erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen unterbrochen.

Rz. 2

Mit Beschluss vom 6.5.2016 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter. Der Kläger meldete im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin mit Schreiben vom 23.5.2016 eine Hauptforderung über 5.049.408 EUR nebst 1.642.681,33 EUR Zinsen und 121.662,40 EUR Kosten zur Tabelle an. Im Prüfungstermin vom 20.7.2016 bestritt der Beklagte die angemeldeten Forderungen in vollem Umfang.

Rz. 3

Mit Schriftsatz vom 17.8.2016 hat der Kläger das Verfahren nur gegen den Beklagten als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin aufgenommen. Der Kläger beantragt nunmehr, eine Forderung über insgesamt 6.513.014,60 EUR zur Tabelle festzustellen.

Rz. 4

Das LG hat die Klage mangels Fälligkeit der Forderungen abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Feststellungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 5

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Rz. 6

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe den Rechtsstreit wirksam aufgenommen. Jedoch sei die Klage derzeit unzulässig, weil es an den notwendigen Sachurteilsvoraussetzungen für eine Feststellungsklage fehle. Die Forderung sei nicht wirksam angemeldet und geprüft worden. Die Forderungsanmeldung vom 23.5.2016 sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, weil sie nicht den Mindestanforderungen entspreche. Im Hinblick auf die erneute Forderungsanmeldung vom 16.11.2018 habe bislang kein Prüfungstermin stattgefunden.

Rz. 7

Für eine wirksame Forderungsanmeldung müsse der Grund der Forderung angegeben werden, also die Gesamtheit der Tatsachen, auf die der Gläubiger seinen Anspruch stütze. Die Forderungsanmeldung vom 23.5.2016 nehme zu Grund und Betrag der Hauptforderung auf eine Klageschrift vom 28.12.2015 Bezug. Diese sei der Forderungsanmeldung jedoch nicht als Anlage beigefügt gewesen. Es seien noch nicht einmal die Aktenzeichen mitgeteilt worden. Dies stelle keine wirksame Forderungsanmeldung dar. Der Gläubiger habe schlüssig den Tatbestand anzugeben, aus dem er seine Forderung herleite. Die stichwortartigen Angaben in der Forderungsanmeldung entbehrten der für einen schlüssigen Vortrag erforderlichen Anknüpfungstatsachen. Eine Individualisierung der Forderung genüge nicht für einen schlüssigen Vortrag. Zur Darlegung der Forderung könne die Klageschrift nicht herangezogen werden, weil der Kläger diese der Forderungsanmeldung nicht beigefügt habe. Es reiche nicht aus, dass der Kläger in der Forderungsanmeldung angeboten habe, die Unterlagen auf Anforderung nachzureichen. Ein Sonderwissen des Insolvenzverwalters sei unerheblich, weil § 174 Abs. 2 InsO auch den Gläubigern ermöglichen solle, über die Berechtigung oder Nichtberechtigung der angemeldeten Forderung zu entscheiden.

II.

Rz. 8

Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Klage ist zulässig.

Rz. 9

1. Das Berufungsgericht meint zu Unrecht, eine unwirksame Forderungsanmeldung stehe einer Aufnahme eines nach § 240 ZPO unterbrochenen Prozesses nicht entgegen, sondern führe zur Unzulässigkeit der Klage.

Rz. 10

a) Der Gläubiger kann den wegen einer Insolvenzforderung geführten und durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners unterbrochenen Rechtsstreit erst aufnehmen, wenn die Forderung im Insolvenzverfahren angemeldet und geprüft worden und bestritten geblieben ist (BGH, Urt. v. 3.7.2014 - IX ZR 261/12 ZIP 2014, 1503 Rz. 9). Das Erfordernis des insolvenzrechtlichen Feststellungsverfahrens ist nicht abdingbar; es handelt sich vielmehr um eine zwingende Sachurteilsvoraussetzung sowohl im Falle einer neu erhobenen Feststellungsklage (BGH, Urt. v. 27.9.2001 - IX ZR 71/00 WM 2001, 2180 f.; v. 23.10.2003 - IX ZR 165/02 WM 2003, 2429, 2431; v. 5.7.2007 - IX ZR 221/05, BGHZ 173, 103 Rz. 12; v. 22.1.2009 - IX ZR 3/08 WM 2009, 468 Rz. 16 f.) als auch bei der Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits (BGH, Urt. v. 3.7.2014, a.a.O., Rz. 10 m.w.N.).

Rz. 11

b) Fehlt es an der Durchführung des insolvenzrechtlichen Prüfungsverfahrens, ist die Aufnahme eines nach § 240 ZPO unterbrochenen Prozesses durch den Gläubiger nicht wirksam (BGH, Urt. v. 3.7.2014 - IX ZR 261/12 ZIP 2014, 1503 Rz. 13). Dabei setzt eine wirksame Aufnahme nicht nur voraus, dass die Forderung in einem Prüfungstermin (§§ 176, 177 InsO) geprüft worden ist. Unwirksam ist die Aufnahme eines nach § 240 ZPO unterbrochenen Prozesses auch, wenn es an einer wirksamen Anmeldung der Forderung fehlt.

Rz. 12

§ 180 Abs. 2 InsO ordnet an, dass die Feststellung einer Insolvenzforderung durch Aufnahme des Rechtsstreits zu betreiben ist, wenn zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsstreit über die Forderung anhängig war. Die Bestimmung dient dazu, den Kosten- und Zeitaufwand eines selbständigen Insolvenzfeststellungsprozesses zu vermeiden, die bisherigen Prozessergebnisse zu erhalten und den anhängigen Prozess zu einem Ende zu bringen (Schumacher in MünchKomm/InsO, 4. Aufl., § 180 Rz. 3, 15 m.w.N.; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 180 Rz. 5). Aus dieser Zielsetzung folgt, dass die Bestimmungen über das insolvenzrechtliche Feststellungsverfahren - soweit sie insb. hinsichtlich der Anmeldung der Forderung und der Prüfung der Forderung im Prüfungstermin Sachurteilsvoraussetzungen sind - zugleich Voraussetzungen für die wirksame Aufnahme eines gem. § 240 ZPO unterbrochenen Prozesses sind. Andernfalls käme es entgegen der Zielsetzung des Gesetzes dazu, dass bisherige Prozessergebnisse allein wegen Mängeln des insolvenzrechtlichen Feststellungsverfahrens verloren gingen. Dies widerspräche gerade bei behebbaren Mängeln der Prozessökonomie. Es bliebe - wie im Streitfall - ungeklärt, ob die angemeldete Forderung in der Sache besteht. Um die bisherigen Prozessergebnisse eines gem. § 240 ZPO unterbrochenen Prozesses zu erhalten und eine Sachentscheidung in diesem Prozess zu ermöglichen, ist die Wirksamkeit einer Forderungsanmeldung im Rahmen der Frage zu prüfen, ob die Aufnahme des Prozesses wirksam war. Dies gilt auch für die Frage, ob die Forderungsanmeldung den Anforderungen des § 174 InsO entspricht.

Rz. 13

c) Rechtsschutzüberlegungen stehen der Einordnung als Voraussetzung einer wirksamen Aufnahme eines unterbrochenen Prozesses nicht entgegen. Besteht Streit über die Wirksamkeit der Aufnahme, ist hierüber durch Zwischenurteil gem. § 303 ZPO zu entscheiden; im Beschwerdeverfahren ergeht die Entscheidung entsprechend § 303 ZPO durch Beschluss (vgl. BGH, Beschl. v. 31.10.2012 - III ZR 204/12, BGHZ 195, 233 Rz. 5 m.w.N.). Hält das Gericht die Aufnahme für unwirksam, ist das Zwischenurteil wie ein Endurteil anfechtbar (vgl. BGH, Beschl. v. 8.6.2004 - IX ZR 281/03 WM 2004, 1656; v. 10.11.2005 - IX ZB 240/04 WM 2006, 202, 203 zur Feststellung der Unterbrechung). Indem das Gericht die Aufnahme eines gem. § 240 ZPO unterbrochenen Prozesses für unwirksam erklärt, versagt es der Partei, als Kläger aufzutreten, und hält sie so von der Prozessführung fern. Wegen dieser Wirkungen steht ein solches Zwischenurteil einem Endurteil gleich (vgl. BGH, Beschl. v. 8.6.2004, a.a.O.).

Rz. 14

2. Der Kläger hat den Rechtsstreit wirksam aufgenommen. Anders als das Berufungsgericht meint, genügt die Forderungsanmeldung des Klägers den von § 174 InsO gestellten Anforderungen.

Rz. 15

a) Nach der Rechtsprechung des BGH hat der Gläubiger bei der Anmeldung den Lebenssachverhalt darzulegen, der in Verbindung mit einem - nicht notwendig ebenfalls vorzutragenden - Rechtssatz die geltend gemachte Forderung als begründet erscheinen lässt. Die rechtliche Einordnung der Forderung ist nicht Gegenstand der Anmeldung (BGH, Urt. v. 21.2.2013 - IX ZR 92/12 ZIP 2013, 680 Rz. 15; v. 9.1.2014 - IX ZR 103/13 WM 2014, 270 Rz. 6; Beschl. v. 12.11.2015 - IX ZR 313/14 WM 2016, 46 Rz. 3; Urt. v. 5.7.2018 - IX ZR 167/15 ZIP 2018, 1644 Rz. 11; v. 11.10.2018 - IX ZR 217/17 WM 2018, 2099 Rz. 14).

Rz. 16

b) Diese Anforderungen beziehen sich allein darauf, ob der Streitgegenstand des geltend gemachten Anspruchs hinreichend bestimmt ist. Hingegen ist es für eine wirksame Forderungsanmeldung nach § 174 Abs. 2 InsO nicht erforderlich, dass der Gläubiger einen Sachverhalt vorträgt, aus dem sich bei zutreffender rechtlicher Würdigung schlüssig die geltend gemachte Forderung ergibt.

Rz. 17

aa) Das Schrifttum nimmt an, dass keine schlüssige Darlegung der Forderung erforderlich ist (Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2014, § 174 Rz. 49; BeckOK-InsO/Zenker, 2020, § 174 Rz. 26; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 174 Rz. 24; Eckardt in Kölner Schrift zur InsO, 3. Aufl., Kapitel 17 Rz. 14). Teilweise wird eine schlüssige Darstellung verlangt, bei der eine rechtliche Würdigung nicht notwendig sei (Uhlenbruck/Sinz, InsO, 15. Aufl., § 174 Rz. 29; Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl., § 174 Rz. 24; wohl auch Riedel in MünchKomm/InsO, 4. Aufl., § 174 Rz. 26 ff.), teilweise eine schlüssige Darlegung nach den für den Zivilprozess geltenden Substantiierungserfordernissen (HmbKomm-InsO/Preß/Henningsmeier, 7. Aufl., § 174 Rz. 18; FK-InsO/Kießner, 9. Aufl., § 174 Rz. 15).

Rz. 18

Der BGH hat diese Frage bislang nicht endgültig entschieden. Soweit im Urteil vom 22.1.2009 ( WM 2009, 468 Rz. 10) ausgeführt wird, der Gläubiger habe bei der Anmeldung den Lebenssachverhalt schlüssig darzulegen, war dies nicht tragend. Ausdrücklich entschieden hat der BGH, dass eine der Höhe nach unschlüssige Forderungsanmeldung in vollem Umfang wirksam ist (BGH, Urt. v. 11.2.2016 - III ZR 383/12, NZI 2016, 301 Rz. 18). Für die Anmeldung einer Forderung aus vorsätzlich unerlaubter Handlung hat der BGH ebenfalls angenommen, dass es keiner schlüssigen Darlegung des (objektiven und subjektiven) Deliktstatbestands bedürfe (BGH, Urt. v. 9.1.2014 - IX ZR 103/13 WM 2014, 270 Rz. 8 ff.).

Rz. 19

bb) Richtigerweise ist zwischen der hinreichenden Individualisierung der Forderung und der Schlüssigkeit der Forderungsanmeldung zu unterscheiden. Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 2 InsO sind erfüllt, wenn die Forderung ausreichend individualisiert ist, mithin der Streitgegenstand bestimmt ist. Es ist nicht erforderlich, dass die Forderung auch schlüssig begründet ist.

Rz. 20

§ 174 Abs. 2 InsO meint mit dem Grund der Forderung den Klagegrund und damit den Sachverhalt, aus dem die Forderung entspringt. Da die Anmeldung eine Form der Rechtsverfolgung darstellt und der Gläubiger aus der Eintragung in die Tabelle die Zwangsvollstreckung betreiben kann (§ 178 Abs. 3 InsO), muss die Forderung zur Bestimmung der Reichweite der Rechtskraft eindeutig konkretisiert werden (BGH, Urt. v. 27.9.2001 - IX ZR 71/00, NZI 2002, 37; v. 22.1.2009 - IX ZR 3/08 WM 2009, 468 Rz. 10 m.w.N.; v. 21.2.2013 - IX ZR 92/12 ZIP 2013, 680 Rz. 15; v. 9.1.2014 - IX ZR 103/13 WM 2014, 270 Rz. 6; Beschl. v. 12.11.2015 - IX ZR 313/14 WM 2016, 46 Rz. 3). Die Individualisierung der Forderung dient daneben dem Zweck, den Verwalter und die übrigen Insolvenzgläubiger in den Stand zu versetzen, den geltend gemachten Schuldgrund einer Prüfung zu unterziehen (BGH, Urt. v. 22.1.2009, a.a.O., m.w.N.; vom 21.2.2013, a.a.O.; vom 9.1.2014, a.a.O.). Die Angabe des Grundes der Forderung nach § 174 Abs. 2 ZPO zielt mithin allein auf den den Streitgegenstand bildenden Lebenssachverhalt.

Rz. 21

Hierfür spricht, dass die Anmeldung einer Insolvenzforderung nach §§ 174 ff. InsO eine Maßnahme der Rechtsverfolgung darstellt (BGH, Urt. v. 22.1.2009 - IX ZR 3/08 WM 2009, 468 Rz. 10; Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2014 § 174 Rz. 47; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 174 Rz. 16). Sie hemmt - wie eine Klage oder ein Mahnbescheid - die Verjährung (§ 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB). Die Wirksamkeit der vom Gesetz eröffneten Möglichkeiten der Rechtsverfolgung hängt in der Regel nicht davon ab, ob der geltend gemachte Anspruch schlüssig dargelegt ist. Erforderlich aber auch ausreichend ist, dass der Grund des Anspruchs, also der Lebenssachverhalt, auf dessen Grundlage die Forderung bestehen soll, hinreichend bestimmt festgelegt ist.

Rz. 22

So muss nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs enthalten. Zur Erfüllung dieser gesetzlichen Vorgaben kommt es nicht darauf an, ob der maßgebende Lebenssachverhalt bereits in der Klageschrift vollständig beschrieben oder der Klageanspruch schlüssig und substantiiert dargelegt worden ist. Vielmehr ist es im Allgemeinen ausreichend, wenn der Anspruch als solcher identifizierbar ist, indem er durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt wird, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann (BGH, Urt. v. 18.7.2000 - X ZR 62/98 NJW 2000, 3492 unter II 1c; v. 11.2.2004 - VIII ZR 127/03 NJW-RR 2005, 216 unter II; v. 26.6.2013 - IV ZR 39/10 WM 2013, 1462 Rz. 34; v. 16.11.2016 - VIII ZR 297/15 NJW-RR 2017, 380 Rz. 12, jeweils m.w.N.). Für den Mahnbescheid gilt entsprechendes; auch hier genügt eine Individualisierung und ist eine Substantiierung nicht erforderlich (vgl. BGH, Urt. v. 8.5.1996 - XII ZR 8/95 NJW 1996, 2152 f unter 2.b).

Rz. 23

Die Interessen des Insolvenzverwalters und der übrigen Insolvenzgläubiger sind durch eine hinreichende Individualisierung der angemeldeten Forderung ausreichend geschützt. Weder Streitgegenstand noch Rechtskraft hängen davon ab, ob der Vortrag schlüssig ist (vgl. Musielak/Voit/Foerste, ZPO, 17. Aufl., § 253 Rz. 25; Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 253 Rz. 10 ff.; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 253 Rz. 54). Der Zweck, Verwalter und Insolvenzgläubiger in den Stand zu setzen, den geltend gemachten Schuldgrund einer Prüfung zu unterziehen (BGH, Urt. v. 22.1.2009, a.a.O.; vom 9.1.2014, a.a.O., Rz. 6), erfordert keinen schlüssigen Sachvortrag, sondern nur einen Sachvortrag, der eine Prüfung ermöglicht, welche bestimmte Forderung aus welchem Lebenssachverhalt Gegenstand der Forderungsanmeldung sein soll. Steht der Sachverhalt fest, aus dem die Forderung nach der Behauptung des Gläubigers entspringt, können Insolvenzverwalter und Insolvenzgläubiger im Rahmen der Forderungsprüfung beurteilen, ob dieser die behauptete Forderung rechtfertigt. Hat der Gläubiger die Forderung nicht schlüssig dargelegt, genügt es für die Interessen des Insolvenzverwalters und der übrigen Insolvenzgläubiger, dass diese der Forderungsanmeldung widersprechen können. Der Gläubiger, der seine Forderung nicht schlüssig oder mit unzureichenden Belegen anmeldet, läuft Gefahr, dass seine Forderung bestritten wird und er im Feststellungsstreit bei sofortigem Anerkenntnis nach § 93 ZPO die Kosten zu tragen hat (vgl. Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2014, § 174 Rz. 52; BeckOK-InsO/Zenker, 2020, § 174 Rz. 26).

Rz. 24

Auf diese Anforderungen zur hinreichenden Bestimmtheit und Individualisierung des Lebenssachverhalts bezieht sich die Rechtsprechung des BGH, dass der Gläubiger bei der Anmeldung den Lebenssachverhalt darzulegen hat, der in Verbindung mit einem - nicht notwendig ebenfalls vorzutragenden - Rechtssatz die geltend gemachte Forderung als begründet erscheinen lässt (BGH, Urt. v. 21.2.2013 - IX ZR 92/12 ZIP 2013, 680 Rz. 15; v. 9.1.2014 - IX ZR 103/13 WM 2014, 270 Rz. 6; Beschl. v. 12.11.2015 - IX ZR 313/14 WM 2016, 46 Rz. 3; Urt. v. 5.7.2018 - IX ZR 167/15 ZIP 2018, 1644 Rz. 11; v. 11.10.2018 - IX ZR 217/17 WM 2018, 2099 Rz. 14). Soweit sich aus dieser Rechtsprechung des BGH auch die Forderung nach einer schlüssigen Darlegung des Anspruchs ergeben sollte, wird daran nicht festgehalten.

Rz. 25

c) Die Forderungsanmeldung des Klägers ist hinreichend individualisiert.

Rz. 26

aa) Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Prüfungstermin. Die Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle erfolgt im Prüfungstermin; sie gilt nach § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO als festgestellt, soweit gegen sie weder im Prüfungstermin noch im schriftlichen Verfahren ein Widerspruch erhoben wird. Bestrittene Forderungen sind im Prüfungstermin einzeln zu erörtern (§ 176 Satz 2 InsO). Eine erst im Prüfungstermin erfolgte ausreichende Individualisierung wirkt allerdings nicht auf den Zeitpunkt der Anmeldung zurück.

Rz. 27

Hinsichtlich der ausreichenden Individualisierung entspricht der Prüfungstermin der (letzten) mündlichen Verhandlung im streitigen Prozess. Dort ist es anerkannt, dass eine fehlende Individualisierung bis zur mündlichen Verhandlung nachgeholt werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 17.3.2016 - III ZR 200/15 NJW 2016, 2747 Rz. 27). Es sind keine Gründe ersichtlich, im Verfahren über die Feststellung von Insolvenzforderungen strengere Anforderungen zu stellen. Sollte der Gläubiger die ausreichende Individualisierung erst im Prüfungstermin vornehmen, steht dies einer Prüfung nicht entgegen. Dies folgt aus § 177 Abs. 1 InsO, wonach auch Forderungen zu prüfen sind, die erst nach dem Ablauf der Anmeldefrist angemeldet worden sind. Dem steht eine Forderung gleich, die innerhalb der Anmeldefrist nicht hinreichend individualisiert worden ist. Um die Rechte des Insolvenzverwalters und der Insolvenzgläubiger zu wahren, genügt es, dass diese bei einer erst nachträglichen Individualisierung der Prüfung gem. § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO widersprechen können. Lassen sie sich auf eine Prüfung der verspätet individualisierten Forderung ein, besteht kein Grund, sie in weiterem Umfang zu schützen.

Rz. 28

bb) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hat der Kläger Grund und Betrag der Forderung hinreichend bestimmt angegeben. Dies kann der Senat selbst feststellen, weil die maßgeblichen Umstände geklärt sind und die Auslegung der Forderungsanmeldung keine weiteren Feststellungen erfordert.

Rz. 29

In der Forderungsanmeldung vom 23.5.2016 hat der Kläger mehrere Forderungen nach Hauptforderung, Zinsen und Kosten im Einzelnen aufgelistet. Die im vorliegenden Rechtsstreit verfolgten Forderungen hat der Kläger bezeichnet als "Forderung aus Kaufvertrag vom 10.10.2011 gemäß Klageschrift vom 28.12.2015" über 4.243.200 EUR, als "Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus vom 16.01.2012 bis 05.05.2016" i.H.v. 1.377.747,74 EUR, als "Forderung aus Kaufvertrag wie vor, gem. Klageerweiterung vom 29.12.2015" i.H.v. 806.208 EUR und als "Kosten der Kaufpreisklage beim Landgericht Frankfurt" i.H.v. 102.840,50 EUR. Zur Erläuterung hat der Kläger in der Forderungsanmeldung ausgeführt, dass zur Begründetheit der Ansprüche auf die beim LG Frankfurt anhängigen Rechtsstreite verwiesen werde und er davon ausgehe, dass diese Unterlagen dem Beklagten vollständig vorlägen.

Rz. 30

Mit diesen Angaben sind Gegenstand und Grund des erhobenen Leistungsanspruchs unter den Umständen des Streitfalls hinreichend bezeichnet. Es handelt sich nicht um eine unzulässige Sammelanmeldung, bei der mehrere Forderungen zusammengefasst werden, ohne Grund und Betrag der einzelnen Forderung jeweils ausreichend bestimmt zu bezeichnen (vgl. BGH, Urt. v. 22.1.2009 - IX ZR 3/08 WM 2009, 468 Rz. 11). Ebenso wenig handelt es sich um die Forderung eines Dritten, bei der zur Bestimmtheit des Grundes eine Darlegung des Erwerbstatbestandes erforderlich ist (vgl. BGH, a.a.O., Rz. 11, 13). Der Kläger hat vielmehr die einzelnen Forderungen getrennt voneinander in der Forderungsanmeldung dargestellt. Aus dem Zusammenhang der Forderungsanmeldung ergibt sich, dass Streitgegenstand der angemeldeten Forderung aus Kaufvertrag die Kaufpreiszahlung und von ihr abhängige bestimmte Nebenforderungen sind. Durch die Angabe des Datums des Kaufvertrags, des Datums der Klageschrift, des Datums der Klageerweiterung und des Gerichts, vor dem die Kaufpreisklage erhoben worden ist, hat der Kläger die einzelnen Forderungsbeträge unverwechselbar einem Lebenssachverhalt zugeordnet. Dies ist im Streitfall angesichts der angegebenen Umstände möglich, auch ohne das Aktenzeichen des Gerichtsverfahrens zu kennen.

Rz. 31

Das Berufungsgericht hat keine Umstände festgestellt, dass es andere Forderungen als die im Streitfall verfolgten Kaufpreisansprüche der R. GmbH gegen die Schuldnerin geben könnte, welche mit den Angaben des Klägers in der Forderungsanmeldung gemeint sein könnten. Vielmehr ist jeder Gläubiger in der Lage, aufgrund der Angaben in der Forderungsanmeldung zu entscheiden, welche Forderungen aufgrund welchen Lebenssachverhaltes der Kläger zur Insolvenztabelle festgestellt haben möchte. Damit ist der Grund der Forderungsanmeldung auch im Hinblick auf die materielle Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO) eines späteren Urteils in dieser Sache ausreichend individualisiert. Denn es ist unter Beachtung der Regeln über die materielle Rechtskraft eines Urteils ausgeschlossen, dass eine erneut auf die genannten Forderungen gestützte Feststellungsklage als zulässig angesehen werden würde (vgl. BGH, Urt. v. 16.11.2016 - VIII ZR 297/15 NJW-RR 2017, 380 Rz. 14).

Rz. 32

Soweit das Berufungsgericht als Voraussetzung einer ausreichenden Bestimmtheit der Forderungsanmeldung vom Kläger die Vorlage der Klageschrift verlangt, überspannt es die Anforderungen des § 174 Abs. 2 InsO (vgl. zu § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO BGH, a.a.O., Rz. 15 zur Vorlage von mit Datum und Rechnungsnummer bezeichneten Rechnungen). Denn die Angaben in der Forderungsanmeldung ergeben bereits, dass der Kläger als Grundlage der Forderung den Kaufvertrag vom 10.10.2011 heranzieht und es sich bei der Forderung um den Kaufpreis aus diesem Kaufvertrag und damit zusammenhängende Nebenforderungen handelt. Dies liegt aufgrund der Formulierung der Forderungsanmeldung nicht nur nahe, sondern wird durch die Bezeichnung der erhobenen Klage als "Kaufpreisklage" zweifelsfrei klargestellt. Dann dienen das Datum der Klageschrift und das Gericht der Klage nur einer zusätzlichen Individualisierung.

III.

Rz. 33

Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Das Berufungsgericht wird zur prüfen haben, ob die geltend gemachten Ansprüche bestehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 13941396

BB 2020, 1602

DB 2020, 2122

DStR 2020, 11

NJW 2020, 3102

EWiR 2020, 501

WM 2020, 1443

WuB 2020, 502

ZIP 2020, 1561

ZIP 2020, 55

DZWir 2020, 622

JZ 2020, 541

NZI 2020, 782

ZInsO 2020, 1761

ErbR 2021, 169

InsbürO 2020, 458

InsbürO 2021, 106

KSI 2020, 242

NJW-Spezial 2020, 599

ZVI 2020, 428

IR 2020, 281

ZRI 2020, 414

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