Entscheidungsstichwort (Thema)

Anpassung einer nach DDR-Familienrecht getroffenen Vereinbarung zum nachehelichen Unterhalt an die wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Wiedervereinigung

 

Leitsatz (amtlich)

Haben Ehegatten, die in der ehemaligen DDR geschieden worden und dort verblieben sind, nach dortigem Recht eine nacheheliche Unterhaltsrente vereinbart, so kann der Unterhaltsberechtigte nach dem Beitritt eine Anpassung seiner Unterhaltsrente an die wirtschaftlichen Veränderungen verlangen, die im Gebiet der ehemaligen DDR seit deren Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland eingetreten sind. Das Erhöhungsverbot des § 33 Satz 2 DDR-FGB steht dem nicht entgegen.

 

Normenkette

BGB § 242; DDR:FGB § 29; DDR:FGB § 33 S. 2; FGB DDR §§ 29, 33 S. 2

 

Verfahrensgang

OLG Dresden (Urteil vom 11.11.1993)

AG Leipzig

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats – Familiensenat – des Oberlandesgerichts Dresden vom 11. November 1993 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die am 6. Januar 1962 geschlossene Ehe der Parteien ist auf Antrag der Beklagten durch Urteil des Kreisgerichts vom 20. April 1989 geschieden worden. Der Kläger hat gegen das Scheidungsurteil Berufung eingelegt, diese aber zurückgenommen, nachdem sich die Beklagte im Berufungsverfahren in der gerichtlich protokollierten Vereinbarung vom 3. Juli 1989 verpflichtet hat, an ihn unbefristet monatlich 60 Mark Unterhalt zu zahlen. Das Scheidungsurteil ist am 3. Juli 1989 rechtskräftig geworden. Grundlage der unbefristeten Unterhaltsvereinbarung waren die lange Ehedauer und der Umstand, daß der Kläger aufgrund zweier Schlaganfälle linksseitig gelähmt und auf Dauer erwerbsunfähig ist. Bei der Festlegung des Unterhalts sind die Parteien zum Zeitpunkt der Scheidung von einer Invalidenrente des Klägers von monatlich 440 Mark netto und von einem Verdienst der Beklagten als Versicherungskauffrau von monatlich 820 Mark netto ausgegangen.

Nach der Wiedervereinigung wurde die Rente des Klägers wiederholt angehoben. Seit Juli 1993 verfügte er nach Abzug der Krankenversicherungsbeiträge über eine monatliche Rente von 1.239,65 DM und 400 DM Pflegegeld. Die in ihrem bisherigen Beruf weiter tätige, inzwischen wiederverheiratete Beklagte bezog 1992 ein monatliches Gehalt von 2.411,78 DM netto. Beide Parteien sind wie bisher in dem Gebiet der ehemaligen DDR wohnhaft.

Mit seiner Abänderungsklage hat der Kläger die Auffassung vertreten, daß sich die Unterhaltsberechnung nunmehr nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch richte und seine Unterhaltsrente auf 305 DM monatlich zu erhöhen sei. Das Amtsgericht – Familiengericht – hat die Unterhaltsrente auf 200 DM monatlich aufgestockt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht (veröffentlicht in FamRZ 1994, 708) das Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

I.

1. Grundlage des Abänderungsbegehrens des Klägers ist die von den Parteien im Berufungsverfahren gegen das erstinstanzliche Scheidungsurteil getroffene Einigung vom 3. Juli 1989, mit der sie gemäß § 29 Abs. 2 FGB für den auf Dauer erwerbsunfähigen Kläger eine unbefristete Unterhaltszahlung von monatlich 60 Mark vereinbart haben. Gegen die Wirksamkeit dieser Unterhaltsvereinbarung bestehen keine Bedenken und sind von den Parteien im Laufe des Verfahrens auch nicht erhoben worden. Zwar fehlt ihr eine Bestätigung im Ehescheidungsurteil. § 46 Abs. 4 Satz 1 DDR-ZPO sah gegenüber der Grundregel des § 46 Abs. 1 DDR-ZPO für Ehesachen insoweit eine Sonderregelung vor, als eine für den Fall der Auflösung der Ehe geschlossene Einigung der Bestätigung im Urteil bedurfte. Darunter fielen auch Vereinbarungen über den Ehegattenunterhalt, die gemäß § 30 Abs. 3 a.F. Familiengesetzbuch der DDR (im folgenden FGB) rechtswirksam nur im Scheidungsverfahren getroffen werden durften. Eine solche Bestätigung war für die hier gegebene prozessuale Konstellation nicht möglich. Denn die Vereinbarung wurde erst im Berufungsrechtszug geschlossen, und das erstinstanzliche Urteil wurde infolge der Rechtsmittelrücknahme des Klägers und der Erklärung der Beklagten, keinen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens zu stellen (§ 155 Abs. 1 und Abs. 2 DDR-ZPO), rechtskräftig. Für diesen Fall war keine gesonderte Regelung vorgesehen. Daher gelten die allgemeinen Wirksamkeitsbestimmungen, weil andernfalls im Berufungsverfahren keine verbindliche Vereinbarung geschlossen werden könnte. Die Voraussetzungen für die Verbindlichkeit gemäß §§ 46 Abs. I und 2 und 83 Abs. 4 DDR-ZPO waren gegeben: Nach dem Sitzungsprotokoll vom 3. Juli 1989 wurden die Feststellungen über die Einkommens- und sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien im Protokoll festgehalten, die Parteien über die Bedeutung und Wirksamkeit einer gerichtlichen Einigung und über ihr Widerrufsrecht belehrt und der Wortlaut der Einigung mit anschließendem Widerrufsverzicht der Parteien protokolliert. Das Gericht verfügte ferner nach Rechtsmittelverzicht der Parteien die Einstellung des Berufungsverfahrens. Gemäß § 83 Abs. 4 Satz 2 DDR-ZPO wurde der Eintritt der Verbindlichkeit auf der Einigung vermerkt. Damit war die Einigung auch vollstreckbar gemäß § 88 Abs. 1 Nr. 1 DDR-ZPO.

2. Das Oberlandesgericht hat die Abänderungsklage gemäß § 323 Abs. 1 und Abs. 4 i.V.m. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO für zulässig gehalten. Das ist zutreffend. Zwar ergibt sich dies nicht unmittelbar aus der Bestimmung des Einigungsvertrages in Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 5 Buchstabe i, die § 323 ZPO im Beitrittsgebiet in Kraft gesetzt hat, deren Wortlaut sich aber nur auf rechtskräftig gewordene Entscheidungen bezieht. Das bedeutet indessen nicht, daß für andere vollstreckbare Titel die verfahrensrechtlichen Regelungen der ZPO nicht gelten sollen, wie schon die rechtsähnliche Regelung in Buchstabe e a.a.O. für die Abänderung von Unterhaltstiteln minderjähriger Kinder im vereinfachten Verfahren nach § 6411 ZPO zeigt (vgl. Senatsurteil vom 23. September 1992 – XII ZR 157/91 – FamRZ 1993, 43). Die verbindlich gewordene Einigung steht einem vollstreckbaren Prozeßvergleich im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gleich und weist wie dieser eine Doppelnatur mit materiell-rechtlichen und prozessualen Zügen auf. Demgemäß erfolgt die Abänderung der Einigung wie bei einem Prozeßvergleich nach § 323 Abs. 4 ZPO in der Form des § 323 Abs. 1 ZPO (Senatsurteil vom 2. Februar 1994 – XII ZR 191/92 – FamRZ 1994, 562, 563; KG DtZ 1992, 222, 223; Zöller/Vollkommer ZPO 19. Aufl. § 323 Rdn. 50; Maurer DtZ 1993, 130, 135; derselbe FamRZ 1994, 337, 344 f.)

Der Kläger macht eine wesentliche Veränderung der für die damalige Unterhaltsbemessung maßgebenden Verhältnisse geltend. Damit bestehen auch insoweit keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage.

II.

1. Die inhaltlichen Voraussetzungen der Abänderung eines Prozeßvergleichs sind nicht dem § 323 Abs. 1 ZPO, sondern – als Ausprägung des materiell-rechtlichen Grundsatzes der clausula rebus sie stantibus und des daraus abgeleiteten Begriffs des Wegfalls der Geschäftsgrundlage – dem anzuwendenden Sachrecht zu entnehmen (BGHZ GS 85, 64, 73; Senatsurteil vom 23. April 1986 – IVb ZR 30/85 – FamRZ 1986, 790; KG DtZ 1992 a.a.O. S. 223; Gottwald Festschrift für Karl-Heinz Schwab 1990, S. 151, 160 gegen Leipold Festschrift für Nagel 1987 S. 189, 199 f., 205; Maurer DtZ a.a.O. S. 131; derselbe FamRZ a.a.O. S. 338; Johannsen/Henrich Eherecht 2. Aufl. Art. 234 § 5 EGBGB Rdn. 14; vgl. auch Vogel DtZ 1991, 338, 339 m.w.N.). Bei der Beurteilung, nach welchem Recht sich die Abänderung der Einigung sachlich-rechtlich richtet, ist das Oberlandesgericht von der Geltung des Rechts der ehemaligen DDR ausgegangen. Auch das ist insoweit nicht zu beanstanden:

Art. 234 § 5 EGBGB bestimmt unter Einschränkung des Art. 234 § 1 EGBGB, daß für den Unterhaltsanspruch eines Ehegatten, dessen Ehe vor dem Wirksamwerden des Beitritts geschieden worden ist, das bisherige Recht maßgeblich bleibt. In welchen Fällen das Recht der DDR „bisheriges Recht” war, ist dabei nach dem innerdeutschen Kollisionsrecht zu beantworten, und zwar – im Interesse eines Entscheidungseinklanges – in der Ausprägung, die es in Anlehnung an das internationale Privatrecht der Art. 3 ff. EGBGB erfahren hat lediglich mit dem unterschied, daß in deutsch-deutschen Fällen nicht auf das Heimatrecht, sondern auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Anknüpfungsperson abgestellt wird (Senat BGHZ 85, 16, 22 f.; 124, 57 f. mit Anmerkung Lohmann EWiR 1/94 zu Art. 18 EGBGB; Senatsurteile vom 23. September 1992 a.a.O. S. 44 und vom 2. Februar 1994 a.a.O. S. 563; BGHZ 124, 270 f. mit Anmerkung Thode JZ 1994, 472, 473; Brudermüller FamRZ 1994, 1022 f.). Die Regeln des innerdeutschen Kollisionsrechts sind nach Art. 8 des Einigungsvertrages (Überleitung von Bundesrecht, vgl. Erläuterungen zum Einigungsvertrag Kapitel III Sachgebiet B Abschnitt II zu Art. 230 EGBGB) mit dem Wirksamwerden des Beitritts auch im Beitrittsgebiet zu beachten. Da die Ehe der Parteien nach DDR-Recht geschieden wurde, ist analog Art. 18 Abs. 4 EGBGB für die Unterhaltspflichten zwischen den geschiedenen Ehegatten und für die Änderung von Entscheidungen über diese Pflichten das DDR-Recht als das auf die Ehescheidung angewandte Recht maßgebend und gilt als Partikularrecht im Beitrittsgebiet fort (Johannsen/Henrich a.a.O. Rdn. 14). Die Ausnahmevorschrift des Art. 18 Abs. 5 EGBGB, die zur Anwendung bundesdeutschen Rechtes führen kann, kommt dagegen nicht in Betracht, da beide Parteien zum Zeitpunkt der Scheidung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der ehemaligen DDR hatten und auch jetzt noch dort leben (vgl. Senat BGHZ 124 a.a.O. S. 62).

2. Die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen für eine Erhöhung des in der gerichtlichen Einigung festgesetzten Unterhaltsbetrages hat das Oberlandesgericht verneint. Es hat sich dabei auf § 33 FGB gestützt, den es den materiell-rechtlichen Unterhaltsregelungen des hier anwendbaren DDR-Rechts zugeordnet hat. Danach kommt bei einer Änderung der Umstände grundsätzlich nur eine Herabsetzung oder ein Wegfall des Unterhalts in Betracht. Eine Erhöhung ist nach Satz 2 nur zulässig, wenn der Unterhaltsverpflichtete im Zeitpunkt der Scheidung ein sein normales Einkommen wesentlich unterschreitendes Einkommen (z.B. aufgrund Arbeitslosigkeit) gehabt hat. Einen solchen Ausnahmefall hat das Oberlandesgericht verneint. Es hat ausgeführt, die Erhöhung lasse sich nicht damit rechtfertigen, daß der Einigung die clausula rebus sie stantibus innewohne und die Wiedervereinigung mit der Einführung des marktorientierten Wirtschaftssystems zu einer Abänderbarkeit wegen unvorhergesehener wesentlicher Änderung der Geschäftsgrundlage führe. Die clausula rebus sie stantibus sei kein allgemeines Rechtsprinzip, das für die Auslegung des über Art. 234 § 5 EGBGB weiter geltenden § 33 Satz 2 FGB anwendbar sei. Sowohl der Wortlaut der genannten Bestimmungen als auch der Wille der Parteien des Einigungsvertrags, das bisherige Unterhaltsrecht der DDR weitgehend beizubehalten, dürften nicht durch die Anwendung von Rechtsgrundsätzen unterlaufen werden, die zum Gedanken der clausula rebus sie stantibus entwickelt wurden. Die durch die Nichtabänderbarkeit von DDR-Unterhaltstiteln bedingte Entwertung des Unterhaltsanspruchs verstoße auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Beim politischen Zusammenschluß zweier Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen seien weiterbestehende Differenzen in den privaten Rechten Einzelner als unvermeidbar hinzunehmen, zumal die restriktive Regelung von Unterhaltsansprüchen auch heute noch dem Verständnis der Bevölkerung im Beitrittsgebiet entspreche.

3. Dem vermag der Senat in einem Fall wie dem vorliegenden nicht zu folgen.

a) In Literatur und Rechtsprechung stößt die vorbehaltlose Anwendung des Erhöhungsverbots, welches nur eine Ausnahme zuläßt, deshalb auf Bedenken, weil sie für den Unterhaltsberechtigten, insbesondere wenn ihm wie hier eine unbefristete Unterhaltsrente zugebilligt wurde, im Hinblick auf die währungs- und wirtschaftspolitischen Umwälzungen im Gefolge des Beitritts gravierende nachteilige Folgen habe. Sie führe dazu, daß der Unterhaltsverpflichtete auch bei einem erheblichen Anstieg seiner Leistungsfähigkeit durch die grundsätzliche Nichtabänderbarkeit der Unterhaltsvereinbarung einseitig begünstigt werde, der Unterhaltsberechtigte hingegen eine Anpassung seiner Unterhaltsrente – auch im Fall der Not – nicht erreichen könne. Mit fortschreitender Lohnangleichung zwischen den alten und den neuen Bundesländern und damit einhergehender Erhöhung der Lebenshaltungskosten im Beitrittsgebiet werde das Einkommensgefälle zwischen dem Unterhaltsberechtigten und dem Unterhaltsverpflichteten und damit der Unterschied im beiderseitigen Lebensstandard immer größer. Die vereinbarte Unterhaltsrente könne ihre Aufgabe, den Lebensunterhalt des Berechtigten ganz oder zumindest teilweise sicherzustellen, nicht mehr erfüllen. Die Regelung des § 33 DDR-ZPO wird als Verstoß gegen den Grundsatz der Waffengleichheit und als extrem ungerecht empfunden, weil die Abänderungsmöglichkeit zwischen den Parteien nicht ausgewogen verteilt sei und sie den Unterhaltsberechtigten einseitig benachteilige. Darüber hinaus werden von einem großen Teil der Literatur gegen die in Art. 234 § 5 EGBGB vorgesehene uneingeschränkte Beibehaltung des früheren DDR-Unterhaltsrechts in Altfällen verfassungsrechtliche Bedenken aus Art. 3 und 6 GG erhoben (vgl. hierzu sowie zu den gegen § 33 FGB angeführten Bedenken Palandt/Diederichsen BGB 54. Aufl. Art. 234 § 5 EGBGB Rdn. 4; FamK-Rolland/Hülsmann vor § 1569 Rdn. 67; Griesche in FamGB Anhang §§ 1361, 1569–1586 b zu Art. 234 EGBGB Rdn. 15; Bosch FamRZ 1991, 1370, 1386 f.; Sehrig AnwBl. 1991, 468, 474; Coester-Waltjen Jura 1991, 516, 519; Lohmann EWiR 1994 aaO; Brudermüller a.a.O. 1025, 1026). Zumindest aber wird – bei grundsätzlicher Anwendbarkeit der DDR-Regelungen – ihre verfassungskonforme Auslegung befürwortet (BGHZ 124, 270 f. für Erbrechtsfälle; KG FamRZ 1993, 567, 569; Maurer DtZ a.a.O. S. 135; Adlerstein/Wagenitz FamRZ 1990, 1300, 1304). Eine vorbehaltlose Anwendung des Familiengesetzbuches und damit auch des § 33 FGB auf Altfälle wird dagegen, soweit sie überhaupt problematisiert wird, nur vereinzelt vertreten (MünchKomm/Richter BGB 3. Aufl. Ergänzung zum Einigungsvertrag Rdn. 468; Staudinger/Rauscher BGB 12. Aufl. Art. 234 § 5 EGBGB Rdn. 3, 4, 35, 44, 45; Grandke NJ 1991, 261, 262).

b) Die gegen die vorbehaltlose Anwendung des Erhöhungsverbots erhobenen Bedenken lassen sich allerdings nicht bereits dadurch ausräumen, daß § 33 FGB nicht als materiell-rechtliche, sondern als rein prozessuale Vorschrift anzusehen wäre, die zusammen mit § 10 Abs. 1 Nr. 4 DDR-ZPO durch § 323 ZPO – jedenfalls soweit dieser rein verfahrensrechtliche Regelungen enthält – verdrängt würde (vgl. Senatsurteil vom 23. September 1992 a.a.O. S. 43). Das Prozeßrecht regelt nur die Rechtsverfolgung, nicht aber die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Veränderung der materiellen Sachlage zu einer Anspruchsveränderung führt. Eine diese Aufgabe erfüllende Norm hat (auch) materiellen Gehalt vgl. Gottwald Festschrift Schwab a.a.O. S. 160). Das trifft auf § 33 FGB zu.

aa) Dafür spricht zum einen sein Standort im Familiengesetzbuch. Die Vorschriften über die Unterhaltsabänderung in §§ 22, 33 FGB wurden seinerzeit mit Schaffung des zum 1. April 1966 in Kraft getretenen FGB (vgl. § 1 Einführungsgesetz zum FGB vom 20. Dezember 1965 GBL I 1966 S. 19) nicht in das Prozeßrecht (die Familienverfahrensordnung vom 17. Februar 1966) aufgenommen, weil die Voraussetzungen für die Neugestaltung der Unterhaltsbeziehungen nach der Rechtsauffassung der DDR nach materiellem Recht beurteilt wurden (vgl. Latka NJ 1968, 179). Zum anderen ergibt sich dies aus seinem Regelungsgehalt im Zusammenhang mit den anderen unterhaltsrechtlichen Bestimmungen. Während § 22 FGB die Voraussetzungen der Abänderbarkeit von titulierten oder vertraglich festgelegten Unterhaltsansprüchen während bestehender Ehe regelt und sowohl Herabsetzungen wie Erhöhungen zuläßt, trifft § 33 FGB eine einschränkende Sonderregelung für den nachehelichen Unterhalt. Eine Erhöhung des Unterhalts über den zum Zeitpunkt der Scheidung festgesetzten Betrag hinaus ist danach grundsätzlich deshalb ausgeschlossen, weil sich die Unterhaltshöhe nach der zu jenem Zeitpunkt bestehenden wirtschaftlichen Situation richtet und der Unterhaltsberechtigte, der nach der Scheidung nicht mehr am Leben des Unterhaltsverpflichteten teilnimmt, auch nicht mehr an der Erhöhung seines Einkommens beteiligt sein soll (so die offizielle Begründung Kommentar zum FGB 5. Aufl. 1982 § 33 Vorbemerkung 0 und Anm. 2; Lehrbuch zum Familienrecht 1981 S. 291). Die Teilhabe an einer späteren wirtschaftlichen Besserstellung des Unterhaltsverpflichteten ist nur möglich, wenn der Unterhaltsverpflichtete zum Zeitpunkt der Scheidung vorübergehend weniger als sein Normaleinkommen hatte (vgl. OG NJ 1979, 338, 340) oder wenn die Grundlagen für das spätere höhere Einkommen schon während bestehender Ehe unter aktiver Beteiligung des Unterhaltsberechtigten geschaffen wurden (vgl. BG Dresden NJ 1968, 479 und Lehrbuch a.a.O. S. 291 f.). Hinter dieser Konzeption stand die Auffassung des ehemaligen DDR-Gesetzgebers, daß nach der Scheidung die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Ehegatten prinzipiell beendet sein sollten, damit jeder geschiedene Ehegatte seine Zukunft unbelastet sollte gestalten können (Lehrbuch a.a.O. S. 288). Dementsprechend waren die planwirtschaftlichen Ausgangsbedingungen nach dem Programm der ehemaligen DDR so angelegt, daß jeder unterhaltsbedürftige Ehegatte aufgrund einer Arbeitsplatzgarantie und mit Hilfe von Einrichtungen für die Unterbringung von Kindern erwerbstätiger Eltern die Möglichkeit haben sollte, nach der Scheidung alsbald in den Arbeitsprozeß zurückzukehren und sich eine eigene wirtschaftliche Basis zu schaffen (Lehrbuch a.a.O. S. 290; Eberhard FamRZ 1990, 917, 919). Daher sah § 29 Abs. 1 FGB eine längstens auf zwei Jahre nach Rechtskraft der Scheidung befristete Unterhaltszahlung vor. Ein unbefristeter Unterhalt kam nur in Betracht, wenn sich der Unterhaltsberechtigte voraussichtlich auf Dauer keinen eigenen Erwerb schaffen konnte und die Zahlung dem Unterhaltsverpflichteten zumutbar war (§ 29 Abs. 2 FGB). Nach § 31 FGB konnte die Fortdauer eines zunächst befristeten Unterhalts ausgesprochen werden, wenn sich nachträglich herausstellte, daß sich der Unterhaltsberechtigte keinen eigenen Erwerb schaffen konnte. Für die Geltendmachung des Unterhalts in diesen Fällen sahen §§ 29 Abs. 3 und 31 Abs. 1 FGB bestimmte Fristen vor. Der in diese Gesamtkonzeption eingestellte § 33 FGB betraf daher vorrangig materielle Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs und erst in zweiter Linie auch Fragen der Rechtsschutzgewährung.

bb) Die teilweise Erweiterung der Unterhaltsregelungen durch das Gesetz zur Änderung des FGB vom 20. Juli 1990 (Erstes Familienrechtsänderungsgesetz – GBL I 1990, 1038 – in Kraft getreten am 1. Oktober 1990) hat hieran nichts geändert. § 33 FGB ist von der Novellierung nicht betroffen (zur Novellierung im übrigen vgl. Dieckmann Festschrift Lange 1992, 805, 810 f.; Eberhard FamRZ 1990 a.a.O. S. 919 f.).

c) Damit bleibt § 33 Satz 2 FGB als materiell-rechtliche Vorschrift für die Abänderung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs in Artfällen weiterhin maßgebend. Das Bedeutet indessen nicht, daß er jede Unterhaltserhöhung ausschließt. Vielmehr ergibt seine Auslegung, daß er angesichts der tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, die im Gefolge des Beitritts in den neuen Bundesländern aufgetreten sind und noch auftreten, einer Berücksichtigung dieser Veränderungen nicht entgegensteht. Das folgt aus dem auch hier anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben und dem daraus abgeleiteten Gedanken der clausula rebus sie stantibus, der eine Anpassung der Vereinbarung an die veränderten Verhältnisse erfordert.

aa) Dem Argument des Oberlandesgerichts, die clausula rebus sie stantibus könne nicht herangezogen werden, weil sie kein allgemeines Rechtsprinzip sei, kann nicht gefolgt werden. Zwar ist die ursprünglich als stillschweigende Vertragsbedingung angesehene Klausel nicht ausdrücklich als Rechtssatz in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen worden (RGZ 50, 255, 257; MünchKomm/Roth BGB 3. Aufl. § 242 Rdn. 501 m.N.). Sie ist jedoch – in ihrer Weiterentwicklung zur Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage bzw. der Vertragsanpassung an die veränderten Verhältnisse (vgl. Gottwald FamRZ 1992, 1374, 1381 m.N.) – insbesondere für Dauerschuldverhältnisse und Verträge mit Versorgungscharakter von Bedeutung (Palandt/Heinrichs a.a.O. § 242 Rdn. 110 f. m.N.). Auch dem Rechtssystem der früheren DDR war sie nicht fremd. Sie fand hier sogar eine ausdrückliche Regelung in § 78 DDR-ZGB. Danach konnte ein Gericht auf Klage einen Vertrag ändern oder aufheben, wenn sich die für den Vertragsschluß maßgebenden Umstände später so verändert hatten, daß einem der Partner die Erfüllung nicht mehr zumutbar war. Auch §§ 22 und 33 FGB sind Anwendungsfälle der clausula rebus sie stantibus, die für Unterhaltsschuldverhältnisse eine grundsätzliche Abänderung ermöglichen, wenn sich die hierfür zugrunde gelegten Verhältnisse wesentlich geändert haben. Der Grundsatz von Treu und Glauben, dessen Ausprägung die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage ist, beherrscht als übergesetzlicher Rechtssatz auch das hier fortgeltende DDR-Recht. Er hat in dem Gemeinsamen Protokoll über die Leitsätze zum Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 unter A I Nr. 2 Satz 2 ausdrücklich Eingang gefunden (BGBl. II S. 537, 545). Die Leitsätze sind gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 1 des Vertrages verbindlich und bei der Auslegung fortbestehenden Rechts anzuwenden. Die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage werden demgemäß auch auf vor dem 1. Juli 1990 in der DDR entstandene Altverträge, für die das DDR-Recht grundsätzlich weitergilt, angewendet (BGHZ 120, 10, 22; 121, 378, 391; Palandt/Heinrichs a.a.O. Rdn. 152a).

bb) Diese Auslegung führt zu einer vom Standpunkt des Oberlandesgerichts abweichenden Beurteilung. § 33 Satz 2 FGB trifft eine die allgemeine Abänderbarkeit einschränkende Sonderregelung, indem er Unterhaltserhöhungen auf den Ausnahmefall beschränkt, daß der Unterhaltsverpflichtete in dem für die Unterhaltsberechnung maßgebenden Zeitpunkt der Scheidung vorübergehend nicht über sein Normaleinkommen verfügte, so daß bei einem späteren Wiederanstieg des Einkommens auf das während der Ehe erzielte Durchschnittsniveau der Unterhalt lediglich auf das an sich gerechtfertigte Maß angehoben wird (Kommentar zum, FGB a.a.O. § 33 Anm. 2). Kerngehalt der Bestimmung ist, die Höhe des Unterhaltsanspruchs auf die (Normal-) Verhältnisse zum Zeitpunkt der Scheidung festzuschreiben und den Unterhaltsberechtigten nicht mehr an einer späteren wirtschaftlichen Besserstellung des Unterhaltsverpflichteten teilhaben zu lassen, die dieser nach der Scheidung aufgrund von Umständen erzielt, die mit der Ehe nicht zusammenhängen und die auch nicht die Folge einer Einkommensentwicklung sind, deren Grund bereits in der Ehe geschaffen wurde und an der der Unterhaltsberechtigte aktiv beteiligt war (vgl. dazu BG Dresden aaO). Im wesentlichen betrifft dies individuelle Umstände, z.B. ein berufliches Fortkommen. Diese Regelung war nach den damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen in der DDR auch für jene Fälle bedenkenfrei, in denen dem Unterhaltsberechtigten gemäß § 29 Abs. 2 FGB eine unbefristete, nach den beiderseitigen Verhältnissen angemessene (vgl. § 29 Abs. 1 FGB) Unterhaltsrente zugesprochen wurde, die ihm – allein oder zusammen mit eigenen Einkünften – einen Lebensunterhalt sichern sollte, der den zum Zeitpunkt der Scheidung gegebenen ehelichen Lebensverhältnissen entsprach. Denn da nach der damaligen Planwirtschaft in der DDR allgemeine Einkommenssteigerungen einerseits und inflationäre Entwicklungen andererseits nicht in dem Maße auftraten wie in der freien Marktwirtschaft, sondern wesentliche Einkommenserhöhungen in der Regel auf individuellen Umständen, etwa einem beruflichen Aufstieg, beruhten, blieben die für die Unterhaltsbemessung maßgebenden Grundlagen im wesentlichen stabil (vgl. KG a.a.O. S. 569). Unter diesen Umständen konnte davon ausgegangen werden, daß auch unter der Regelung des § 33 Satz 2 FGB eine den Interessen beider Ehegatten gerecht werdende und auf längere Sicht ausgewogene Unterhaltsregelung möglich sei.

Mit dem beitrittsbedingten Übergang zur Marktwirtschaft änderten sich die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen indessen so grundlegend, daß das nach der damaligen sozialistischen Wirtschaftsordnung abgestimmte Verhältnis von § 29 Abs. 2 FGB einerseits und § 33 Satz 2 FGB andererseits empfindlich gestört wird. Diese Auswirkungen der wirtschaftlichen Neuordnung können bei der Anwendung des § 33 Satz 2 FGB nicht negiert werden. Denn die Beibehaltung des Nominalbetrages einer durch Urteil oder Prozeßvergleich festgelegten Unterhaltsrente ohne Anpassungsmöglichkeit an die veränderten Kaufkraftverhältnisse würde zu einem erheblichen Defizit führen, das sich mit zunehmender Angleichung der Preise und Einkommen in den Beitrittsländern an das Westniveau noch verstärken kann. Die Ausgewogenheit der Unterhaltsregelung wäre nicht mehr gewährleistet, da dem Unterhaltsberechtigten kein entsprechender Unterhaltsbeitrag mehr zustünde, mit dem er seine Unterhaltsbedürfnisse wie zum Zeitpunkt der Scheidung befriedigen könnte. Andererseits würde sich auf selten des Unterhaltsverpflichteten, dessen Gehalt allein durch die beitrittsbedingte Einkommensangleichung angestiegen ist, die Unterhaltslast in einem Maße verringern, das mit der bisherigen Regelung nicht mehr in vernünftiger Relation steht. Ein solches Ergebnis stünde auch mit der nach dem früheren DDR-Verständnis gegebenen Zielsetzung der §§ 29 Abs. 2 und 33 Satz 2 FGB nicht in Einklang. Daher muß der Unterhaltsbetrag in einem Maße angehoben werden, das der nach dem Beitritt eingetretenen Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, d.h. dem Anstieg der Einkommen und Lebenshaltungskosten im Beitrittsgebiet entspricht (vgl. BGHZ 123, 65, 73 für die Anpassung von sogenannten Ausgleichsansprüchen für erlittene Unfallfolgen; Hampel Bemessung des Unterhalts, 1994, Rdn. 185; Rotax FamRZ 1993, 1143). Dieser nach der marktwirtschaftlichen Entwicklung bemessene Anstieg bildet zugleich die Obergrenze der Anpassung. Andererseits ist nicht ausgeschlossen, daß dabei gegenläufige Entwicklungen auf seiten des Unterhaltsverpflichteten, die seine Leistungsfähigkeit verringern, etwa in Gestalt von Arbeitslosigkeit oder Teilzeitbeschäftigung, nach § 33 Satz 1 FGB mit berücksichtigt werden, so daß der Unterhalt nur in geringerem Umfang anzuheben ist.

Bei einer derartigen Anpassung bleibt der Kerngehalt der Regelung des § 33 Satz 2 FGB nach dem unterhaltsrechtlichen Vorverständnis der früheren DDR erhalten. Denn diese Anpassung ist nicht einer Unterhaltserhöhung gleichzusetzen, die aus einer Teilhabe an individuellen nachehelichen Einkommensverbesserungen resultiert und die § 33 Satz 2 FGB vermeiden will. Soweit es sich daher um derartige, z.B. beruflich bedingte Einkommenssteigerungen handelt, die sich ein Ehegatte nach der Scheidung durch seinen persönlichen Arbeitseinsatz erwirbt, bleiben sie auch künftig außer Betracht. Dagegen beruhen die beitrittsbedingten Einkommenssteigerungen auf der grundlegenden Umgestaltung eines Wirtschaftssystems im Zuge eines außergewöhnlichen geschichtlichen Ereignisses. Sie sind mit den in § 33 Satz 2 FGB gemeinten Tatbeständen nicht vergleichbar. Der Anpassung eines Unterhaltsbetrages an solche gewandelten Verhältnisse steht § 33 Satz 2 FGB nicht entgegen.

cc) Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes für den Unterhaltsverpflichteten hindern eine solche Anpassung nicht. Zwar wird unter Hinweis auf die gesetzgeberische Zielrichtung des Art. 234 § 5 EGBGB vertreten, daß es bei den Maßstäben des Familiengesetzbuches verbleiben müsse und nicht die ehelichen Lebensverhältnisse und ihre Aufrechterhaltung über die Scheidung hinaus, wie sie wesentliche Kriterien für den Scheidungsunterhalt nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch seien, in die FGB-Regelung hineingelegt werden dürften (so Grandke a.a.O. S. 262; vgl. auch Staudinger/Rauscher a.a.O. Rdn. 4). Ob dem uneingeschränkt, insbesondere auch für die Fälle eines nur auf zwei Jahre befristeten Unterhalts (§ 29 Abs. 1 FGB) gefolgt werden kann, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Auch die verfassungsrechtliche Problematik stellt sich nicht. Die Grundsätze des Familiengesetzbuches werden hier nicht aufgegeben. Vielmehr trägt dieses Verständnis des § 33 Satz 2 FGB lediglich den veränderten Verhältnissen Rechnung, Die Parteien des Einigungsvertrages haben eine Fortgeltung des bisherigen Unterhaltsrechts der DDR vereinbart in der Befürchtung, daß die Anwendung des bundesrepublikanischen Rechts auf die in der DDR geschiedenen Ehegatten zu einer erheblichen Störung des Rechtsfriedens führen würde, wenn Unterhaltsansprüche entstünden, mit denen keiner der Ehegatten gerechnet habe (vgl. Erläuterungen zu den Anlagen zum Einigungsvertrag BT-Drucks. 11/7817 s. 44). Dabei war in erster Linie an den Schutz jener Ehegatten gedacht, die sich unter der Geltung des eingeschränkten Unterhaltsrechts der DDR in ihrer Lebensführung darauf eingestellt haben, von Unterhaltslasten gegenüber dem geschiedenen Ehegatten in der Regel spätestens nach Ablauf von zwei Jahren frei zu sein. Ein solcher Fall liegt bei unbefristeten Unterhaltsregelungen gemäß § 29 Abs. 2 FGB – wie hier – nicht vor, weil der Unterhaltsverpflichtete nicht mit überraschenden neuen Unterhaltsansprüchen belastet wird. Auch nach DDR-Recht sollte in solchen Fällen dem Unterhaltsberechtigten ein auf Dauer auskömmlicher Lebensunterhalt zugesichert sein. Ein Vertrauensschutz kommt hier allenfalls insofern in Betracht, als der Unterhaltsverpflichtete nicht damit rechnen muß, seine – auf individuellen Umständen beruhenden – nachehelichen Einkommensverbesserungen mit dem geschiedenen Ehegatten zu teilen. Dagegen besteht kein schützenswertes Vertrauen dahin, trotz des beitrittsbedingten erheblichen Anstiegs der Einkommen und der Lebenshaltungskosten weiterhin nur den Nominalbetrag einer (im Verhältnis 1:1 umgestellten) Unterhaltsrente zu zahlen. Denn dies würde im tatsächlichen Ergebnis dazu führen, daß die Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltsberechtigten auf einen Minimalbetrag zurückgeführt wird. Dies ist nicht Sinn des § 33 Satz 2 FGB, der zwar den Unterhalt auf die Verhältnisse der Ehegatten im Scheidungszeitpunkt festschreiben, nicht aber einer dauerhaften Befriedigung der gerechtfertigten Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten entgegenstehen will (vgl. FGB Textausgabe 1989 Anm. zu § 29 S. 19).

4. a) Die Vorschrift des Art. 234 § 5 Satz 2 EGBGB, nach der Unterhaltsvereinbarungen „unberührt” bleiben sollen, steht einer Anpassung der Vereinbarung der Parteien nach diesen Grundsätzen nicht entgegen. Sie besagt lediglich, daß Unterhaltsvereinbarungen, die die Ehegatten früher nach dem Recht der DDR geschlossen haben, grundsätzlich weiterbestehen und sich ein Ehegatte davon nicht schon mit der Begründung lösen kann, durch die als Folge des Beitritts eingetretene allgemeine Rechtsänderung sei die Geschäftsgrundlage der Vereinbarung entfallen. Das schließt eine Abänderung wegen Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse oder wegen Wegfalls der individuellen Geschäftsgrundlage nicht aus (Senatsurteil vom 2. Februar 1994 a.a.O. S. 563 f. m.N.).

b) Ob eine solche Veränderung eingetreten ist, bestimmt sich nach dem der Einigung zugrunde gelegten Parteiwillen.

Er ist Geltungsgrund der Vereinbarung und entscheidet darüber, welche Verhältnisse zu ihrer Grundlage gehören und wie die Parteien sie bewerten (Senatsurteile vom 23. April 1986 a.a.O. S. 790 und vom 20. Februar 1994 a.a.O. S. 564). Liegt danach eine Veränderung der Verhältnisse oder Erwartungen vor, die von beiden Parteien oder zumindest von einer Partei in für die andere erkennbarer Weise dem Vertrag zugrunde gelegt worden sind, verstößt es gegen Treu und Glauben, wenn eine Partei unter diesen Umständen dennoch an der bisherigen Regelung festhält. Die Rechtsfolge besteht dann in einer Anpassung der Vereinbarung an die jetzigen Verhältnisse (vgl. Senatsurteile vom 26. Januar 1983 – IVb ZR 344/81 – FamRZ 1983, 569, 574 und vom 2. Februar 1994 a.a.O. S. 564). Solange eine Bindung an den Vertrag grundsätzlich sinnvoll ist sind die Eingriffe gering zu halten, und Anpassungen haben nach Möglichkeit unter Wahrung der dem Parteiwillen entsprechenden Grundlagen zu erfolgen. Erst wenn sich die Verhältnisse so tiefgreifend verändert haben, daß dem Parteiwillen für die gebotene Abänderung des Vertrages keine Anhaltspunkte mehr zu entnehmen sind, kann eine Neufestsetzung des Unterhalts ohne fortwirkende Bindung an die unbrauchbar gewordenen Grundlagen vorzunehmen sein (Senatsurteil vom 2. Februar 1994 aaO).

c) Das Oberlandesgericht hat – aus seiner Sicht folgerichtig – eine Auslegung der Parteivereinbarung unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht vorgenommen. Es fehlt daher bislang an einer Prüfung, von welchen Grundlagen die Parteien ausgegangen sind und welche Vorstellungen sie mit der Vereinbarung der unbefristeten Unterhaltsrente im einzelnen verbunden haben. Vor allem kommt es darauf an, ob die Parteien beim Abschluß der Vereinbarung im Juli 1989 in Vorausschau auf die nachfolgenden Ereignisse bereits die Möglichkeit tiefgreifender politischer und wirtschaftlicher Veränderungen in Betracht gezogen haben und gleichwohl davon ausgegangen sind, daß eine Erhöhung der Rente über den Nominalbetrag hinaus auch unter solchen Umständen ausgeschlossen sein solle, oder ob sie die Vereinbarung (lediglich) auf dem Boden des damals geltenden Unterhaltsrechts und der damals gegebenen und als fortbestehend angenommenen Verhältnisse getroffen haben. Für letzteres könnte der Wortlaut der Vereinbarung sprechen, der Anhaltspunkte dafür erkennen läßt, daß es sich allein um die vertragliche Ausgestaltung des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs nach § 29 Abs. 2 FGB handeln sollte und dem Kläger mit dem Betrag der Unterhaltsrente – bei Fortgeltung der bisherigen allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse – in Ergänzung seiner eigenen Invalidenrente ein Auskommen gesichert werden sollte, das den zum Zeitpunkt der Scheidung gegebenen Lebensverhältnissen der Parteien entspricht.

Letztlich bedarf diese Frage jedoch der weiteren Prüfung. Insbesondere müssen vor ihrer abschließenden Beurteilung die Parteien Gelegenheit haben, dazu vorzutragen. Damit muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur Nachholung dieser Prüfung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen werden. Dieses wird gegebenenfalls außerdem unter Heranziehung von § 287 ZPO zu beurteilen haben, wie sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in den neuen Ländern, insbesondere am Wohnort der Parteien, geändert haben und auf welchen Betrag die von der Beklagten zu zahlende Unterhaltsrente unter Berücksichtigung jener Veränderungen, insbesondere des zwischenzeitlichen Anstiegs der Einkommens- und Lebenshaltungskosten, anzupassen ist.

 

Unterschriften

Blumenröhr, Krohn, Zysk, Hahne, Gerber

 

Fundstellen

Haufe-Index 1131009

BGHZ

BGHZ, 320

NJW 1995, 1345

Nachschlagewerk BGH

JZ 1995, 829

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge