Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen, unter denen die Abänderung eines Prozeßvergleichs über Unterhalt verlangt werden kann.

 

Normenkette

ZPO § 323 Abs. 4, § 794 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 242

 

Verfahrensgang

AG Lünen

OLG Hamm

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 13. März 1985 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die am 13. Dezember 1968 geschlossene Ehe der Parteien ist seit dem 31. Mai 1983 geschieden. Der Ehe entstammen der im August 1970 geborene Sohn Kai-Uwe und der im November 1971 geborene Sohn Markus. Das Sorgerecht für Kai-Uwe wurde der Beklagten, das Sorgerecht für Markus dem Kläger übertragen. In der mündlichen Verhandlung vom 20. April 1983, auf die das Scheidungsurteil erging, schlossen die Parteien einen gerichtlichen Vergleich. Darin verpflichtete sich der Kläger, an die Beklagte monatlich 225,78 DM Vorsorge- und 931,81 DM Elementarunterhalt sowie zu ihren Händen monatlich 497,50 DM Unterhalt für den Sohn Kai-Uwe zu zahlen.

Seit dem 9. Dezember 1983 ist der Kläger erneut verheiratet. Bei ihm und seiner Ehefrau lebt seit November 1984 auch sein Sohn Kai-Uwe. Insbesondere aus diesen Gründen verlangt er im vorliegenden Rechtsstreit eine Abänderung des Unterhaltsvergleichs. Im ersten Rechtszug hat er beantragt, den gesamten Unterhaltsanspruch der Beklagten (Elementar- und Vorsorgeunterhalt) ab Klagezustellung (8. Juni 1984) auf 821,37 DM herabzusetzen. Das Amtsgericht – Familiengericht – hat den Prozeßvergleich dahin geändert, daß der Kläger ab 8. Juni 1984 an die Beklagte nur noch einen Vorsorgeunterhalt von 181,10 DM und einen Elementarunterhalt von 825 DM zu zahlen habe. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die – zugelassene – Revision des Klägers, der die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erstrebt.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Nach den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof für die Unterhaltsbemessung im Abänderungsverfahren nach § 33 ZPO – sowohl gegenüber Urteilen als auch gegenüber Prozeßvergleichen – entwickelt hat (vgl. Urteil vom 16. Mai 1979 – IV ZR 57/78 – FamRZ 1979, 694, 695; Senatsurteile vom 21. Mai 1980 – IVb ZR 522/80 – FamRZ 1980, 771; vom 8. Dezember 1982 – IVb ZR 338/81 – FamRZ 1983, 260, 261 und vom 26. Januar 1983 – IVb ZR 344/81 – FamRZ 1983, 569, 570), ermöglicht das Abänderungsverfahren keine freie, von der bisher festgesetzten Höhe unabhängige Neubemessung des Unterhalts und keine abweichende Beurteilung der zugrundeliegenden Verhältnisse. Vielmehr kann die Abänderungsentscheidung nur in einer unter Wahrung der Grundlagen des Unterhaltstitels vorzunehmenden Anpassung des Unterhalts an veränderte Verhältnisse bestehen. Dabei kommt es für das Ausmaß der Abänderung darauf an, welche Umstände für die Bemessung der Unterhaltsrente in dem abzuändernden Urteil oder Vergleich maßgebend waren und welches Gewicht ihnen dabei zugekommen ist. Auf dieser durch Auslegung zu ermittelnden Grundlage hat der Richter im Abänderungsverfahren unter Berücksichtigung der gesamtem neuen Verhältnisse festzustellen, welche Änderung in diesen Umständen eingetreten ist und welche Auswirkungen sich aus der Änderung für die Höhe der Rente ergeben.

Wenn es sich – wie im vorliegenden Fall – bei dem abzuändernden Titel um einen Prozeßvergleich handelt, erfolgt die in § 323 Abs. 4 i.V. mit § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgesehene Anpassung wie bei sonstigen privatrechtlichen Rechtsgeschäften, insbesondere außergerichtlichen Vergleichen, allein nach den Regeln des materiellen Rechts. § 323 Abs. 1 ZPO ist dann bedeutungslos. Maßgebend sind die aus § 242 BGB abgeleiteten Grundsätze über die Veränderung oder den Fortfall der Geschäftsgrundlage (BGHZ – GSZ – 85, 64, 73; Senatsurteil vom 16. Januar 1985 – IVb ZR 61/83 – FamRZ 1985, 362). Geltungsgrund von gerichtlichen Vergleichen ist allein der Parteiwille (BGHZ a.a.O.). Er entscheidet die Frage, welche Verhältnisse zur Grundlage des Vergleichs gehören und wie die Parteien diese Verhältnisse bewerten. Die danach maßgebenden Umstände und ihre Bewertung sind hier in dem Sitzungsprotokoll vom 20. April 1983 festgehalten (näher unten unter III 1).

II. Die insoweit eingetretenen Änderungen im Blick sowohl auf unterhaltsmindernde als auch auf unterhaltserhöhende Momente (näher unten unter III 2) hat das Berufungsgericht dahin gewürdigt, daß die daraus resultierende Verringerung der für die Beklagte errechneten Unterhaltsrente – für das Jahr 1985 knapp – unter einem Satz von 10% bleibe. Deshalb hat es die Klage auf Abänderung des gerichtlichen Vergleichs abgewiesen. Dafür, daß erst bei einer Rentenabweichung von 10% die sie verursachende Änderung der Verhältnisse als „wesentlich” (wohl i.S. von § 323 Abs. 1 ZPO) angesehen werden könne, hat sich das Berufungsgericht auf eine weithin geübte Praxis berufen.

Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Ob die Abänderung von Unterhaltsurteilen davon abhängig gemacht werden könnte, daß sich eine Rentenabweichung von mindestens 10% ergibt, mag auf sich beruhen. Hier handelt es sich um de Abänderung eines Prozeßvergleichs. Für diese ist, wie dargelegt, allein das materielle Recht maßgebend. Es kommt also darauf an, ob die Veränderung nach den Regeln über die Veränderung oder den Fortfall der Geschäftsgrundlage rechtlich erheblich ist. Diese sind eine Ausprägung des Satzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Eine Störung der Geschäftsgrundlage hat rechtliche Bedeutung, wenn das Festhalten am bisherigen Vertrag einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde (vgl. BGHZ 84, 1, 9) und deshalb der bisher betroffenen Partei nicht zugemutet werden kann.

Das kann bei gerichtlichen Vergleichen über Unterhaltsleistungen insbesondere bei beengten wirtschaftlichen Verhältnissen bereits deutlich unterhalb der vom Berufungsgericht, wenn auch nicht starr angenommenen 10%-Schwelle der Fall sein; es entzieht sich einer schematischen Beurteilung. Der Tatrichter kann die Frage, ob bei einem Festhalten am Unterhaltsvergleich die Opfergrenze überschritten würde, vielmehr nur aufgrund einer an den Verhältnissen des Falles ausgerichteten, umfassenden Würdigung aller Umstände zutreffend beantworten. Wegen des rechtsfehlerhaften Ansatzes des Berufungsgerichts fehlt es an einer solchen Prüfung. Deshalb kann das angefochtene Urteil mit der ihm gegebenen Begründung nicht bestehen bleiben.

III. Das Berufungsurteil bliebe allerdings bei Bestand, wenn es sich aus anderen Gründen als richtig darstellen würde (§ 563 ZPO). Das wäre der Fall, wenn die festgestellten Änderungen der für die Unterhaltsbemessung in dem Vergleich maßgebenden Umstände keine Minderung der Unterhaltsrente oder doch keine solche in einer für eine Änderung des Titels überhaupt erwägenswerten Höhe ergäben. So liegen die Dinge jedoch nicht. Vielmehr hat bereits das Berufungsgericht – jedenfalls für das Jahr 1985 – ein Absinken der Unterhaltsrente errechnet, das seiner Höhe nach nicht von vornherein eine Änderung des Titels ausschließt, wobei die Berücksichtigung der neuen Umstände zudem in einem Punkte einen Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers enthält.

1. Als Umstände, die nach dem Willen der Parteien Grundlage der Unterhaltsbemessung in dem gerichtlichen Vergleich vom 20. April 1983 waren, und als deren einverständliche Würdigung sind in dem Sitzungsprotokoll vom selben Tage festgehalten:

Der – jetzige – Kläger erzielte aus Arbeitseinkommen und Renten monatliche Netto-Einkünfte von 3.541,17 DM. Davon wurden für berufsbedingte Aufwendungen pauschal 141,17 DM in Abzug gebracht. Von den verbleibenden 3.400 DM zogen die Parteien das mit der Rente gezahlte staatliche Kindergeld (150 DM) ab, so daß sich ein monatliches Einkommen von 3.250 DM ergab. Als Unterhalt für den Sohn Kai-Uwe ergab sich daraus nach der zugrunde gelegten Unterhaltstabelle ein Betrag von 460 DM zuzüglich 37,50 DM anteiliges Kindergeld, also von 497,50 DM. Zur Bestimmung des Vorsorgeunterhalts für die – jetzige – Beklagte wurde das Einkommen des Klägers (3.250 DM) um (460 DM + 390 DM =) 850 DM Unterhalt für beide Söhne auf 2.400 DM verringert, daraus mit 1.028,57 DM eine 3/7-Quote gebildet, diese auf ein fiktives Bruttoeinkommen von 1.254,34 DM hochgerechnet und der Vorsorgeunterhalt mit 18% dieser Summe auf 225,78 DM bemessen. Zur Berechnung des Elementarunterhalts zogen die Parteien den Kindesunterhalt und den Vorsorgeunterhalt der Beklagten von dem Einkommen des Klägers ab. Von den verbleibenden (3.250 DM – 850 DM – 225,78 =) 2.174,22 DM erhielt der Beklagte 3/7, also 931,81 DM.

2. Das Berufungsgericht hat die folgenden Änderungen der ursprünglichen Verhältnisse berücksichtigt:

Die Beklagte, die nach der Feststellung des Berufungsgerichts aus gesundheitlichen Gründen erwerbsunfähig ist, versorgt seit November 1984 den Sohn Kai-Uwe nicht mehr, weil dieser bei dem Kläger lebt, dem inzwischen auch die elterliche Sorge für dieses Kind übertragen worden ist. Sie hat ihren volljährigen, arbeitslosen Sohn Achim bei sich aufgenommen; er trägt monatlich 150 DM zur Wohnungsmiete bei. Der Kläger ist seit 9. Dezember 1983 wieder verheiratet. In seinem Haushalt befinden sich seit November 1984 beide Söhne der Parteien und ein ebenfalls noch minderjähriges Kind seiner jetzigen Ehefrau, die nicht erwerbstätig ist und alle drei Kinder versorgt. Zur Zeit der Einreichung der Klage, im Mai 1984, erzielte der Kläger aus Renten (einschließlich 150 DM Kindergeld) und Arbeitslohn ein Nettoeinkommen von monatlich 3.700,25 DM. Jedenfalls für das Jahr 1985, möglicherweise bereits für die Zeit ab Mitte 1984, rechnet das Berufungsgericht mit einer leichten Steigerung des Einkommens, deren Höhe es jedoch nicht festgestellt hat.

3. Die Würdigung dieser Änderungen begegnet nur in einem Punkte rechtlichen Bedenken.

a) Diese gelten nicht der Feststellung der Unterhaltsbedürftigkeit der nunmehr nach § 1572 Nr. 2 BGB anspruchsberechtigten Beklagten. Als Zuwendung des jetzt bei ihr lebenden Sohnes Achim hat das Berufungsgericht ihr nur den Mietbeitrag von monatlich 150 DM angerechnet. Die Revision rügt nicht, daß dieser Betrag zu niedrig sei oder daß weitere – gegebenenfalls fiktive – Einkünfte angesetzt werden müßten.

b) Im Rahmen der Feststellung der Leistungsfähigkeit des Klägers hat das Berufungsgericht dem Umstand, daß er im November 1984 auch den Sohn Kai-Uwe zu sich genommen hat und eine neue Ehefrau nunmehr – neben einem, eigenen Kind – beide Söhne der Parteien betreut, dadurch Rechnung getragen, daß es ihm Einkommen in Höhe von monatlich 300 DM unangerechnet gelassen hat. Dazu hat es ausgeführt, der Kläger erbringe zumindest jetzt, seit dem beide Kinder bei ihm lebten, eine Arbeitsleistung, die im Verhältnis zu der Beklagten über das, ihm zuzumutende Maß hinausgehe. Er wäre daher zur Verringerung seiner Arbeitsleistung im Beruf berechtigt, wenn er die Versorgung selbst erbrächte. Nach Treu und Glauben wäre dann eine Teilabsetzung seines Einkommens geboten. Hier leiste allerdings seine Ehefrau die Betreuung. Sie sei dazu der Beklagten gegenüber jedoch nicht verpflichtet. Daher biete es sich an, die Beklagte dem Kläger gegenüber so zu behandeln, als erbrächte er die Betreuung der gemeinschaftlichen Kinder in eigener Person, so daß ihm ein Betreuungsbonus gutzubringen sei.

Das ist rechtlich nicht zu beanstanden; es entspricht dem Urteil des Senats vom 29. Juni 1983 (IVb ZR 379/81, nicht veröffentlicht). Die Revision macht nicht geltend, daß der Betrag von 300 DM zu niedrig sei.

c) Das Berufungsgericht hat es abgelehnt, von dem Einkommen des Klägers berufsbedingte Aufwendungen abzuziehen. Dazu hat es erwogen, in dem Vergleich vom 20. April 1983 seien solche Aufwendungen mit einem Pauschalbetrag berücksichtigt worden, obwohl sie schon damals nicht im einzelnen geltend gemacht worden seien. Deshalb seien in dem Vergleich auch nicht etwa tatsächliche Verhältnisse festgeschrieben worden, sondern das Amtsgericht habe bei dem Vergleichsvorschlag seine ständige Praxis einfließen lassen, berufsbedingte Aufwendungen pauschal mit etwa 5% des Nettoeinkommens abzusetzen. An diese Beurteilung des Amtsgerichts bei dem Vergleichsvorschlag, den die Parteien offenbar übernommen hätten, sei das Gericht bei der Entscheidung im Abänderungsverfahren nicht gebunden. Es handele sich nicht um die Festlegung tatsächlicher Aufwendungen, sondern um die Anwendung von Erfahrungssätzen und Pauschalen, die bei einer Abänderung nicht bindend seien. Das Berufungsgericht berücksichtige in ständiger Rechtsprechung nur tatsächlich anfallende Aufwendungen, die hier jedoch weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich seien, so daß auch ein Hinweis nicht geboten erscheine.

Dagegen wendet sich die Revision zu Recht. Auf die in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortete Frage, ob für Aufwendungen, die notwendigerweise mit der Erwerbstätigkeit verbunden sind, ein pauschaler Abzug vom Einkommen vorzunehmen ist oder die Aufwendungen konkret zu berechnen sind (vgl. die Übersicht bei Kalthoener/Büttner Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 3. Aufl. Rdnr. 581), kommt es insoweit nicht an. Denn die Parteien haben sich, wie das Sitzungsprotokoll vom 20. April 1983 zeigt, auf einen Pauschalabzug verständigt. Ein solcher entsprach daher ihrem Willen. Daß der Vergleich auf einem Vorschlag des Gerichts beruhte, steht dem nicht entgegen. Die Anpassung des Unterhaltsvergleichs hat den Parteiwillen bei der Bewertung des jetzt erzielten Einkommens des Klägers zu beachten (s. oben I). Daraus, daß das Gericht im Abänderungsverfahren an Unterhaltsrichtlinien, die bei einer früheren Entscheidung angewendet worden sind, nicht gebunden ist (so das vom Oberlandesgericht zitierte Urteil des Senats vom. 11. Januar 1984 – IVb ZR 10/82 – FamRZ 1984, 374, 376) folgt nichts gegen die hier geforderte Beachtung des Parteiwillen. Bei der vorliegenden Frage handelt es sich nicht um die Anwendung von Unterhaltsrichtlinien in der Spruchpraxis. Die Entscheidung, in welcher Höhe der Pauschalabzug bei nunmehr leicht gestiegenen Einkünften vorzunehmen ist, obliegt dem Tatrichter, der sie aufgrund einer – erforderlichenfalls ergänzenden – Auslegung des gerichtlichen Vergleichs zu treffen haben wird.

d) Das Berufungsgericht hat sich auf den Standpunkt gestellt, die Wiederverheiratung des Klägers verringere den Unterhaltsanspruch der Beklagten nicht, weil der Unterhaltsanspruch seiner jetzigen Ehefrau gemäß § 1582 Abs. 1 BGB nachrangig sei. Es hat den Vorrang der Beklagten aus der langen Ehedauer einschließlich der Zeit der Unterhaltsberechtigung nach § 1570 BGB wegen der Pflege oder Erziehung des gemeinschaftlichen Kindes Kai-Uwe (§ 1582 Abs. 1 Satz 2 2. Alternative und Satz 3 BGB) abgeleitet. Die Revision stellt zur Überprüfung, ob die genannten Voraussetzungen des Vorrangs erfüllt seien. Das ist der Fall.

aa) Aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, daß der Kläger außerstande ist, der Beklagten neben dem Unterhalt für seine beiden Söhne und für seine jetzige Ehefrau den ihr zustehenden Unterhalt zu leisten, ohne seinen eigenen angemessenen Unterhalt zu gefährden. Das ist angesichts der oben (unter 1 und 2) mitgeteilten Einkommens- und Unterhaltsverhältnisse, die durch die Unterhaltsverpflichtung für die jetzige Ehefrau noch eine weitere Einengung erfahren würden, richtig. Auch die Revision bezweifelt das nicht.

bb) Die Beklagte geht der jetzigen Ehefrau des Klägers unterhaltsrechtlich im Rang vor, denn die Annahme des Berufungsgerichts, die Ehe mit der Beklagten sei – einschließlich der Zeit der Anspruchsberechtigung nach § 1570 BGB – von langer Dauer gewesen, läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Nach der Rechtsprechung des Senats liegt eine den Unterhaltsvorrang sichernde lange Ehedauer jedenfalls nach Ablauf von 15 Jahren vor, gerechnet von der Eheschließung bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens (Senatsurteile vom 1. Juni 1983 – IVb ZR 389/81 – FamRZ 1983, 886, 888 und vom 16. Januar 1985 a.a.O.). Die Parteien haben am 13. Dezember 1968 geheiratet, der Scheidungsantrag ist am 22. Juni. 1981 zugestellt worden. An diese rund 12 1/2 Jahre schloß (bis November 1984) eine mehr als 3 1/4-jährige-Zeit an, in der die Beklagte wegen der Pflege des gemeinschaftlichen Kindes Kai-Uwe nach § 1570 BGB anspruchsberechtigt war. Es ergibt sich eine Gesamtzeit von nahezu 16 Jahren. Das trägt die Annahme des Unterhaltsvorrangs der Beklagten.

cc) Im Gegensatz zum Amtsgericht hat das Berufungsgericht angenommen, der Vorrang sei nicht darauf beschränkt, daß der geschiedenen Ehefrau jedenfalls der Mindestbedarf verbleiben müsse. Es hat vielmehr ihren vollen – vereinbarten – Unterhaltsanspruch für gegenüber dem Unterhalt der neuen Ehefrau vorrangig gehalten. Dem tritt die Revision vergeblich unter Berufung auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig FamRZ 1982, 705, 706 entgegen.

Allerdings wird die Meinung vertreten, in Fällen, die jedenfalls noch eine Befriedigung des allseitigen sogenannten Mindestbedarfs ermöglichten, sei es mit Blick auf den Schutz der neuen Ehe (Art. 6 Nr. 1 GG) geboten, § 1582 Abs. 1 verfassungskonform dahin auszulegen, daß zunächst der Mindestbedarf der früheren wie auch der neuen Ehefrau sichergestellt und (nur) das dann verbleibende, zur Verteilung noch zur Verfügung stehende Einkommen des Unterhaltspflichtigen nach Maßgabe der §§ 1581, 1582 BGB aufgeteilt werde (OLG Schleswig a.a.O. und FamRZ 1983, 282, 284 – Vorlagebeschluß zu BVerfGE 66, 84; ähnlich Kalthoener/Büttner a.a.O. Rdnr. 51; Leitlinien der Familiensenate des Oberlandesgerichts Hamm zum Unterhaltsrecht FamRZ 1984, 963, 966, Erwägung unter Nr. 46; Unterhaltsrechtliche Leitlinien der Familiensenate des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts FamRZ 1985, 886, 889, unter E 1). Ob ein solcher Fall hier vorliegt, mag dahinstehen. Der Auffassung, die Widerspruch gefunden hat (außer dem Berufungsgericht: Palandt/Diederichsen BGB 45. Aufl. § 1592 Anm. 5), vermag der Senat nicht beizutreten.

Das Gebot verfassungskonformer Auslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht (BVerfGE 32, 373, 383 f.; vgl. auch BVerfGE 59, 360, 386; Simon bei Benda/Maihofer/Voqel Handbuch des Verfassungsrechts S. 1283). Für seine Anwendung ist hier kein Raum. Die Vorschrift des § 1582 Abs. 1 Satz 2 (und Satz 3) BGB besagt, daß bei der Verteilung des für Unterhaltszwecke einzusetzenden Einkommens oder Vermögens die Unterhaltsbedürfnisse des jetzigen Ehegatten des Unterhaltspflichtigen gegenüber dem früheren Ehegatten außer Betracht zu bleiben haben. Im Gesetzgebungsverfahren ist der Vorschlag, den unterhaltsrechtlichen Nachrang des neuen Ehegatten durch eine Härteklausel abzuschwächen („Die Unterhaltspflicht gegenüber einem neuen Ehegatten ist nur zu berücksichtigen, wenn dieser bei entsprechender Anwendung der §§ … unterhaltsberechtigt wäre und die Leistung von Unterhalt zur Vermeidung unbilliger Härten erforderlich ist”) nicht übernommen worden (s. BT-Drucks. 7/4361, – Zweiter Bericht und Antrag des Rechtsausschusses – S. 18, 33, 92, sowie Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 7. Wahlperiode, Stenografischer Bericht über die 209. Sitzung vom 11. Dezember 1975, S. 14487 – C –). Damit sowie nach dem Wortlaut der Vorschrift, die den Vor- und Nachrang abschließend regelt, ist eine Auslegung des Inhalts, daß zunächst der Mindestunterhalt des vorrangigen Ehegatten zu sichern, sodann derjenige des nachrangigen Ehegatten zu bedienen und erst danach der verbleibende Rest nach §§ 1581, 1582 zu verteilen sei, nicht vereinbar.

Die Vorschrift des § 1582 Abs. 1 BGB verstößt auch in diesem Verständnis nicht gegen das Grundgesetz. Das hat der Senat – im Anschluß an BVerfGE 66, 84 – Fälle entschieden, in denen der Vorrang des geschiedenen vor einem neuen Ehegatten auf der langen Dauer der Ehe beruht und keiner von beiden wegen Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes (§ 1570 BGB) unterhaltsberechtigt ist oder wäre (Senatsurteil vom 16. Januar 1985 a.a.O. S. 363). Durch Art. 6 Abs. 1 GG wird nicht nur die bestehende Ehe geschützt, sondern auch die Folgewirkung einer geschiedenen Ehe, wozu auch die Unterhaltsregelung gehört. Deshalb muß unter Heranziehung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) geprüft werden, ob es hinreichende Gründe für die unterschiedliche Behandlung der unterhaltsrechtlichen Position der geschiedenen und der neuen Ehefrau durch den Gesetzgeber gibt. Für den unterhaltsrechtlichen Vorrang der geschiedenen Ehefrau ist in erster Linie bestimmend, daß ihr Anspruch schon besteht und demgemäß das wirtschaftliche Leistungsvermögen des Unterhaltsverpflichteten von vornherein belastet, wenn die neue Ehe geschlossen wird. Hierauf muß sich ein neuer Ehegatte des Unterhaltsverpflichteten ebenso einstellen wie auf dessen sonstige Verbindlichkeiten. Als weiteren Sachgrund durfte der Gesetzgeber berücksichtigen, daß sich ein unterhaltsbedürftiger Ehegatte nach dem Scheidungsrecht des 1. EheRG dem Scheidungsbegehren des anderen nicht auf Dauer mit Erfolg widersetzen und damit verhindern kann, daß dieser eine neue Ehe eingeht. Demgegenüber wird die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung nicht in Frage gestellt, wenn der Vorrang der geschiedenen Ehefrau bewirkt, daß die dem unterhaltspflichtigen Ehegatten verbleibenden Mittel nicht ausreichen, seine neue Familie gemäß § 1360 BGB angemessen zu unterhalten.

Der Streitfall entspricht der Konstellation, für die der Senat in dem bereits genannten Urteil vom 16. Januar 1985 die vorstehenden Grundsätze aufgestellt hat: Der Vorrang der Beklagten vor der jetzigen Ehefrau beruht auf der langen Dauer der geschiedenen Ehe, und keine der beiden Frauen ist oder wäre für die Zeit ab November 1984 wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes unterhaltsberechtigt nach § 1770 BGB. In der vorhergehenden Zeit ab Klageerhebung beruhte von den Unterhaltsberechtigungen allerdings diejenige der Beklagten auf der Pflege oder Erziehung des gemeinschaftlichen Kindes Kai-Uwe.

Das stellt jedoch ihren Vorrang nicht in Frage, da das Gesetz – im Gegenteil – die Versorgung eines gemeinschaftlichen Kindes als einen den Unterhaltsvorrang bewirkenden Umstand wertet (arg. § 1582 Abs. 1 Satz 2 BGB).

IV. Nach allem war der Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Nachholung der noch erforderlichen tatrichterlichen Feststellungen und Abwägungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Obwohl der (Haupt-) Angriff auf den vom Oberlandesgericht angenommenen Umfang des unterhaltsrechtlichen Vorrangs der Beklagten gegenüber der jetzigen Ehefrau des Klägers ohne Erfolg bleibt, kann das Verfahren, wie dargelegt, zu einer Herabsetzung der in dem gerichtlichen Vergleich vereinbarten Unterhaltsrente der Beklagten führen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609555

NJW 1986, 2054

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