Leitsatz (amtlich)

Wird einem Rechtsanwalt der Auftrag zu einem Zeitpunkt entzogen, in dem keine Nachteile durch alsbaldigen Fristablauf drohen, so ist er nicht verpflichtet, dem bisherigen Mandanten Ratschläge für die künftige Sachbehandlung zu erteilen.

 

Normenkette

BGB § 675

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg)

LG Oldenburg

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden die Urteile des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 15. Dezember 1995 und der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 15. August 1995 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin, die mit ihrem damaligen Ehemann Gütertrennung vereinbart hatte, übertrug diesem durch notariellen Vertrag vom 8. November 1990 „unentgeltlich” das ihr gehörende Grundstück, auf dem sich die Wohnung der Familie befand. Der Ehemann, der dort auch einen Kioskbetrieb unterhielt, übernahm die Grundstücksbelastungen einschließlich eines Wohnrechts für den Vater der Klägerin. Am 21. Januar 1991 suchte diese den verklagten Rechtsanwalt auf, um sich von ihm beraten zu lassen. Nach ihrer Darstellung hatte sie nach der Übertragung des Grundstücks erfahren, daß ihr Ehemann – dies ist unstreitig – schon vorher außereheliche Beziehungen zu einer anderen Frau unterhielt und auch weiterhin fortsetzte; der frühere Ehemann der Klägerin ist inzwischen mit dieser Frau verheiratet. Der Beklagte führte bis Juli 1992 Verhandlungen mit dem Ehemann und dessen Anwälten mit dem Ziel einer einverständlichen Trennung der Eheleute, wobei zunächst eine Rückabwicklung des Grundstücksübertragungsvertrages gegen Zahlung eines Ausgleichsbetrages an den Ehemann angestrebt wurde, den dieser für Arbeits- und Geldleistungen zum Bau des Kiosks verlangte. Im September 1991 reichte der Beklagte für die Klägerin einen Scheidungsantrag ein, der im Jahre 1994 zur rechtskräftigen Scheidung der Ehe führte. Mit Schreiben vom 22. Juli 1992 entzog die Klägerin dem Beklagten das Mandat. Ihr neuer Bevollmächtigter widerrief ihrem Ehemann gegenüber durch Schreiben vom 20. Januar 1993 die von ihm in der Grundstücksübertragung gesehene Schenkung wegen groben Undanks und erhob anschließend Klage auf Rückübertragung des Grundstücks. Das Landgericht Oldenburg wies diese Klage durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 16. November 1993 mit der Begründung ab, die Widerrufsfrist sei nicht eingehalten.

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Ersatz des Schadens in Anspruch, der ihr dadurch entstanden sei, daß er sie weder auf die Möglichkeit des Widerrufs der Schenkung noch die dafür einzuhaltende Frist hingewiesen habe. Sie hat den Schaden einschließlich der Kosten des Vorprozesses und eines diesem vorgeschalteten Verfahrens auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung mit 260.503,82 DM beziffert. Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt; die Berufung des Beklagten ist zurückgewiesen worden. Mit der Revision verfolgt dieser seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Abweisung der Klage.

1. Das vom Landgericht erlassene Grundurteil ist nicht, wie die Revisionserwiderung meint, verfahrensfehlerhaft ergangen, weil die Höhe der Klageforderung nicht streitig gewesen wäre. Ausweislich des Tatbestands des Berufungsurteils hat der Beklagte die Höhe des geltend gemachten Schadens bestritten. Ein Tatbestandsberichtigungsantrag ist nicht gestellt.

2. Die Klage ist unbegründet, weil der Beklagte seine Pflichten aus dem Anwaltsvertrag nicht verletzt hat.

Es kommt hier nicht darauf an, ob, wie das Berufungsgericht angenommen hat, die Klägerin nach § 530 BGB berechtigt war, den Grundstücksübertragungsvertrag – innerhalb der Frist des § 532 BGB – wegen groben Undanks zu widerrufen. Das war nicht der Fall, wenn es sich, wie der Beklagte geltend macht, trotz der im Vertrag vom 8. November 1990 enthaltenen Bezeichnung der Übertragung als „unentgeltlich” um eine sogenannte ehebezogene Zuwendung handelte, für die das Schenkungsrecht nicht gilt (vgl. BGHZ 87, 145, 146; 116, 167, 170; 127, 48, 52; BGH, Urt. v. 2. Oktober 1991 – XII ZR 132/90, NJW 1992, 238, 239); auf dem Grundstück befand sich nicht nur die Familienwohnung, sondern auch der nach der damaligen Darstellung des Ehemannes der Klägerin durch seine Arbeit und mit seinem Geld entstandene Kiosk. Die Klägerin war aber auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen jedenfalls berechtigt, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB anzufechten. Dies hätte nach § 124 BGB binnen eines Jahres geschehen müssen, nachdem die Klägerin von den Beziehungen ihres damaligen Ehemannes zu der anderen Frau erfahren hatte.

Der Beklagte war gleichwohl nicht gehalten, die Klägerin rechtzeitig zu einer Entscheidung darüber zu veranlassen, ob sie von ihrem Anfechtungsrecht Gebrauch machen wollte. Allerdings durfte der Beklagte – darin hat das Berufungsgericht recht – bei dem Bestreben nach einer einvernehmlichen Lösung nicht die rechtlichen Schritte versäumen, die für den Fall des schließlich tatsächlich eingetretenen Scheiterns jener Bemühungen zur Sicherung der Rechtsposition der Klägerin erforderlich waren. Dazu bedurfte es aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts weder des Widerrufs nach § 530 BGB noch der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Der Vertrag war zwar nicht, wie die Revision geltend macht, auch ohne Anfechtung (§ 142 BGB) nach § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Denn § 123 BGB enthält eine Sonderregelung gegenüber § 138 BGB (Senatsurt. v. 23. Februar 1995 – IX ZR 29/94, NJW 1995, 1425, 1428 m.w.N.), und Umstände, die über den die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung rechtfertigenden Tatbestand hinausgingen, lagen nicht vor. Die von der Revision angeführten Besonderheiten (Übertragung des Familienwohnhauses, in dem auch die drei Kinder der Eheleute wohnten und an dem der Vater der Klägerin ein Wohnrecht hatte) erhalten ihr „sittenwidriges Gepräge” nur dadurch, daß der Ehemann verschwiegen hatte, daß er Beziehungen zu einer anderen Frau aufgenommen hatte und auf Dauer aus der Ehe ausbrechen wollte. Das gab dem Vertrag nicht über den Anfechtungsgrund hinaus einen sittenwidrigen Gesamtcharakter (vgl. Senatsurt. v. 7. Juni 1988 – IX ZR 245/86, NJW 1988, 2599, 2601).

Nach seit langem gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung begründet jedoch der Tatbestand einer arglistigen Täuschung außer der Anfechtungsmöglichkeit sowohl einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB als auch einen solchen wegen Verschuldens bei Vertragsschluß. Diese Ansprüche geben dem Getäuschten das Recht, Befreiung von der eingegangenen Verbindlichkeit zu verlangen, ohne daß es dazu der Ausübung eines Gestaltungsrechts bedarf (RGZ 103, 154, 159; BGHZ 42, 37, 42; BGH, Urt. v. 31. Januar 1962 – VIII ZR 120/60, NJW 1962, 1196, 1198, v. 27. Februar 1974 – V ZR 85/72, NJW 1974, 849, 851 f, v. 21. Juni 1974 – V ZR 15/73, NJW 1974, 1505, 1506, v. 16. Januar 1985 – VIII ZR 317/83, NJW 1985, 1769, 1771 u. v. 24. Mai 1993 – II ZR 136/92, NJW 1993, 2107). Für die Geltendmachung eines solchen Anspruchs gilt nicht die Frist des § 124 BGB, sondern die Verjährungsfrist nach § 852 Abs. 1 BGB, soweit es um eine sittenwidrige Schädigung geht, und diejenige nach § 195 BGB unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß (BGH, Urt. v. 11. Mai 1979 – V ZR 75/78, NJW 1979, 1983, 1984 u. v. 22. Februar 1984 – IVa ZR 63/82, NJW 1984, 2814, 2815). Der Schadensersatzanspruch auf Befreiung von der Vertragspflicht führt wirtschaftlich zum gleichen Ergebnis wie die Anfechtung (MünchKomm-BGB/Kramer 3. Aufl. § 123 Rdnr. 30; vgl. auch MünchKomm-BGB/Emmerich 3. Aufl. vor § 275 Rdnr. 94, 96 m.w.N.; Grunsky ZIP 1990, 966, 967). Danach bestand keine Notwendigkeit, den Grundstücksübertragungsvertrag innerhalb der Fristen der §§ 124, 532 BGB anzufechten oder zu widerrufen. Der Rechtsanwalt ist zwar verpflichtet, bei der Verfolgung der Ziele seines Mandanten den rechtlich sichersten Weg einzuschlagen. Auf der Grundlage jeher langjährigen Rechtsprechung war es aber gegenüber einer Anfechtung mit keinem zusätzlichen Risiko verbunden, im Bedarfsfall gegen den Ehemann der Klägerin die zum selben Ziel, nämlich zur Rückübertragung des Grundstücks führenden, an keine weitergehenden Voraussetzungen geknüpften Schadensersatzansprüche nach § 826 BGB und wegen Verschuldens bei Vertragsschluß geltend zu machen, zumal sich die Klägerin auf diesem Wege nicht vor einem Scheitern der Vergleichsverhandlungen durch eine Gestaltungserklärung festzulegen brauchte. Der Beklagte war nicht verpflichtet, der Möglichkeit, daß im Fall einer Mandatsbeendigung ein später beauftragter Anwalt und das Prozeßgericht diese nach der Rechtsprechung gegebenen Anspruchsmöglichkeiten übersehen könnten, dadurch vorzubeugen, daß er vorsorglich die fristgebundenen Gestaltungsrechte der Anfechtung und des Schenkungswiderrufs ausübte. Wird einem Rechtsanwalt der Auftrag zu einem Zeitpunkt entzogen, in dem keine Nachteile durch alsbaldigen Fristablauf drohen, so ist er auch nicht verpflichtet, dem bisherigen Mandanten Ratschläge für die künftige Sachbehandlung zu erteilen.

3. Da keine weiteren tatsächlichen Feststellungen zu treffen sind, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Die Klage ist danach unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 604959

NJW 1997, 254

MDR 1997, 196

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge