Entscheidungsstichwort (Thema)

Verlängerter Eigentumsvorbehalt des Vorlieferanten ohne Vereinbarung der Vertragsparteien kraft Handelsbrauchs. Wahrscheinlichkeitsvermutung des Erwerbers. Aushöhlung konstitutiver Vorausabtretung durch Leistungserfüllung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Erwerber einer Sache nimmt grob fahrlässig i. S. v. § 366 Abs. 1 HGB die Verfügungsbefugnis des Veräußerers an, wenn er nach den Umständen mit einem verlängerten Eigentumsvorbehalt des Vorlieferanten rechnen muss und weiß, dass die für die Verfügungsbefugnis im Rahmen eines solchen Eigentumsvorbehalts konstitutive Vorausabtretung deswegen ins Leere geht, weil er selbst seine Leistung bereits im Voraus an seinen abtretungspflichtigen Vertragspartner erbracht hat.

 

Normenkette

BGB § 455 a.F.; HGB § 346; HGB § 366 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Neuruppin

Brandenburgisches OLG

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Brandenburgischen OLG v. 23.5.2001 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin will auf dem Weg der Unterlassungsklage - gestützt auf das von ihr beanspruchte Eigentum an vier Segmenten für den Turm einer Windkraftanlage - die Verbauung dieser Turmsegmente durch die Beklagte zu 1) verhindern.

Die Beklagte zu 1), deren Komplementärin die Beklagte zu 2) ist, schloss am 11.8.1998 mit der sich inzwischen in Insolvenz befindenden S. GmbH (im Folgenden: S.) eine als Kaufvertrag überschriebene Vereinbarung über die Lieferung, Montage, Inbetriebnahme und Abnahme von drei Windkraftanlagen zum Preis von insgesamt 4.366.240,00 DM. Mit Faxschreiben v. 15.10.1998 bestellte die S. daraufhin bei der Klägerin zwei Stahlrohrtürme zur Befestigung des Windrades zum Preis von jeweils 225.000 DM zzgl. MwSt. Die Klägerin fertigte am 14.1.1999 eine Bestätigung dieser Bestellung unter Bezugnahme auf die "beiliegenden Verkaufs- und Lieferbedingungen", wobei aber der Zugang dieses Schreibens bei der S. bestritten ist. Noch vor jedweder Auslieferung hatte die Beklagte zu 1) bereits am 30.12.1998 die mit der S. vereinbarte Vertragssumme von 4.366.240,00 DM an diese bezahlt.

Nachdem die S. die Klägerin in der Folge auch noch mit dem Transport der Stahlrohrtürme sowie zweier Fundamenttöpfe beauftragt hatte, wurden die Stahlrohrtürme am 6.4.1999 zur Baustelle J. in B. geliefert. Auf den Rechnungsbetrag für die Stahlrohrtürme i. H. v. 522.000 DM inkl. MwSt. bezahlte die S. lediglich einen Betrag von 234.900 DM. Der Restbetrag blieb ebenso offen wie die Frachtkosten der Klägerin i. H. v. insgesamt 48.546 DM.

Die Klägerin trägt vor, sie sei auf Grund von § 7 ihrer Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen, auf welche sie bereits mit Abgabe eines Angebots v. 11.3.1998 an die S. und ebenso bei der Auftragsbestätigung am 14.1.1999 hingewiesen habe und welche den Schreiben jeweils auch beigefügt gewesen seien, Eigentümerin der gelieferten Turmsegmente geblieben, weil ein verlängerter Eigentumsvorbehalt vereinbart gewesen sei. Sie ist weiterhin der Ansicht, die Beklagten hätten das Eigentum an den Turmsegmenten auch nicht gutgläubig erworben, weil ihnen infolge grober Fahrlässigkeit der im Bereich des Anlagen-, Stahl- und Silobaus handelsübliche Eigentumsvorbehalt unbekannt geblieben sei.

Die Beklagten sind demgegenüber der Ansicht, die Beklagte zu 1) habe mit der Auslieferung in J. in Vollziehung des Vertrages mit der S. von dieser das Eigentum an den vier Turmsegmenten erworben, weil die Übergabe durch die Klägerin als Geheißperson der S. erfolgt sei. Zumindest aber habe die Beklagte zu 1) das Eigentum im guten Glauben an die Verfügungsbefugnis der S. gem. §§ 929 Abs. 1, 932 BGB, § 366 Abs. 1 HGB erworben.

Das LG hat dem Begehren der Klägerin, die Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, die am Standort 3 des Windparks J. gelagerten vier Segmente eines der gelieferten Türme zu verbauen, stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG das Urteil des LG aufgehoben und die Klage abgewiesen, weil die Klägerin im Wege eines Streckengeschäfts das Eigentum zumindest an die Beklagte zu 1 verloren habe.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Das Berufungsgericht hat gemeint, die Beklagte zu 1) habe zumindest gutgläubig das Eigentum an den Turmsegmenten erworben, so dass im Ergebnis dahinstehen könne, ob die S. im Wege des Durchgangserwerbs Eigentum erworben habe. Dementsprechend hat es offen gelassen, ob es beim An- und Verkauf von Windkraftanlagen einem Handelsbrauch entspricht, dass der Lieferant bis zur vollständigen Bezahlung Eigentümer bleibt, also ein verlängerter Eigentumsvorbehalt gilt. Da diese Frage sowohl für einen Eigentumserwerb durch die S. als auch hinsichtlich eines gutgläubigen Erwerbs durch die Beklagte zu 1) (vgl. BGH, Urt. v. 9.10.1998 - II ZR 144/97, MDR 1999, 148 = ZIP 1998, 2155 [2156 f.]) entscheidungserheblich ist, hält das Berufungsurteil revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

I. Das Berufungsgericht hat allerdings zutreffend angenommen, dass die Vereinbarung zwischen der Klägerin und der S. auf eine Übergabe und Eigentumsverschaffung zielte (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 9.10.1998 - II ZR 144/97, MDR 1999, 148 = ZIP 1998, 2155 [2156 f.]), ohne dass es einer Abnahme bedurfte.

1. Entgegen der Ansicht der Revision handelte es sich hinsichtlich der beiden Rohrtürme nicht um einen Werklieferungsvertrag über nicht vertretbare Sachen gem. § 651 Abs. 1 BGB a. F., so dass vor einer Abnahme des Werkes eine Übereignung erfolgen konnte. Die Bestellung v. 15.10.1998 betraf zwei Stahlrohrtürme, Typ S 46 (72,5 m), wobei eine Montageverpflichtung der Klägerin ausdrücklich ausgeschlossen war (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 22.7.1998 - VIII ZR 220/97, MDR 1998, 1274 = ZIP 1998, 1722 [1723]); es handelte sich entweder um einen Sachkauf oder um einen Werklieferungsvertrag über vertretbare Sachen (§ 651 Abs. 1 BGB a. F. i. V. m. § 91 BGB), auf den die Vorschriften des Kaufrechts Anwendung finden (§ 651 Abs. 1 S. 2 1. Hs. BGB a. F.). Wie sich bereits aus der Typbezeichnung in der Bestellung und dem Bestätigungsschreiben der Klägerin ergibt, stammten die Turmsegmente entweder aus einer Serienproduktion der Klägerin oder waren auf Grund der Bestellung nach Katalog gefertigt worden, so dass nicht die entgeltliche Schöpfung eines Werkes gerade für den Besteller, sondern die mit dem Warenumsatz verbundene Übertragung von Eigentum und Besitz im Vordergrund stand (vgl. BGH BGHZ 48, 118 [121]; Urt. v. 24.11.1976 - VIII ZR 137/75, NJW 1977, 379; Urt. v. 12.3.1986 - VIII ZR 332/84, MDR 1986, 749 = NJW 1986, 1927; Urt. v. 22.7.1998 - VIII ZR 220/97, MDR 1998, 1274 = ZIP 1998, 1722 [1723]). Selbst wenn, wie die Revision behauptet, der Bestellung Abweichungen im Detail zu Grunde lagen - wofür sich aber aus der Auftragsbestätigung der Klägerin nichts ergibt - folgt daraus nicht, dass die Turmsegmente für die Klägerin anderweit nur schwer oder gar nicht abzusetzen gewesen wären.

2. Das Berufungsgericht geht weiterhin davon aus, dass die Klägerin den Nachweis für die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts durch Einbeziehung ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht erbringen konnte. Diese - vom Revisionsgericht nur beschränkt nachprüfbare - tatrichterliche Wertung lässt durchgreifende Rechtsfehler nicht erkennen. Mit den dagegen gerichteten Angriffen versucht die Revision in unzulässiger Weise, die vom OLG vorgenommene Beweiswürdigung durch ihre eigene Wertung zu ersetzen. Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die S. das Angebot der Klägerin v. 11.3.1998 erhalten hätte, folgte aus diesem Umstand nicht zwingend, dass dem Angebot auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen beigefügt waren.

II. Entgegen der Auffassung des OLG konnte es bei dieser Sachlage allerdings nicht offen bleiben, ob im Handel mit Windkraftanlagen eine Branchenüblichkeit im Sinne eines Handelsbrauchs (§ 346 HGB) dahingehend besteht, dass auch ohne ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Vertragsparteien nur unter verlängertem Eigentumsvorbehalt geliefert wird (vgl. Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, 9. Aufl., § 2 Rz. 90).

1. Gerade wenn es - wie das Berufungsgericht in noch hinnehmbarer tatrichterlicher Würdigung angenommen hat - an einer ausdrücklichen Vereinbarung fehlt, ist der zwischen der Klägerin und der S. geschlossene Vertrag unter Berücksichtigung der im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche (§ 346 HGB) auszulegen. Wird im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen der Windkraftbranche ein verlängerter Eigentumsvorbehalt auch ohne entsprechende Vereinbarung anerkannt, gälte ein solcher Handelsbrauch auch ohne Bezugnahme hierauf oder Beifügung einer entsprechenden Klausel für die Geschäftsbeziehungen der Klägerin und der S. (vgl. BGH, Urt. v. 24.11.1976 - VIII ZR 21/75, NJW 1977, 385 [386]; Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, 9. Aufl., § 2 Rz. 90). In diesem Fall schiede ein Eigentumserwerb der S. an den Turmsegmenten durch deren Anlieferung an der Baustelle aus. Die auch zu Gunsten des mittelbaren Besitzers einer beweglichen Sache geltende Vermutung des § 1006 Abs. 3i. V. m. Abs. 1 BGB, dass dieser mit der Erlangung des mittelbaren Besitzes Eigentümer geworden ist (BGH BGHZ 64, 395 [396]), wäre hierdurch widerlegt.

2. Rechtsfehlerhaft ist ferner die Annahme des Berufungsgerichts, Feststellungen zum Bestehen des genannten Handelsbrauchs seien deswegen entbehrlich, weil die Beklagte zu 1) das Eigentum an den von der Klägerin angelieferten Bauteilen nach § 932 BGB, § 366 HGB jedenfalls gutgläubig erworben habe.

Der Erwerber einer Sache handelt auch dann grob fahrlässig, wenn er nach den Umständen - insbesondere bei Bestehen eines entsprechenden Handelsbrauchs - mit einem verlängerten Eigentumsvorbehalt des Vorlieferanten rechnen muss und weiß, dass die für die Verfügungsbefugnis im Rahmen eines solchen verlängerten Eigentumsvorbehalts konstitutive Vorausabtretung ins Leere geht, weil er selbst seine Leistung an seinen abtretungspflichtigen Vertragspartner im Voraus bereits erbracht hat. Da sowohl die S. als auch die Beklagte zu 1) derselben Branche wie die Klägerin angehören, hätten sie mit einem derartigen kraft Handelsbrauchs bestehenden verlängerten Eigentumsvorbehalt rechnen müssen, so dass bei Fehlen gegenteiliger Abreden zwischen den Beteiligten ein gutgläubiger Erwerb der Beklagten zu 1) ausscheiden würde.

III. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem damit nicht nur die Möglichkeit gegeben wird, die von der Revision erhobenen weiteren Rügen - vor allem zur Frage eines Übereignungswillens der Klägerin - zu prüfen, sondern auch die ggf. erforderlichen weiteren Feststellungen zu treffen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1070863

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