Leitsatz (amtlich)

Die Zahlung des Haftpflichtversicherers stellt grundsätzlich ein die Verjährung unterbrechendes Anerkenntnis zu Lasten des Versicherungsnehmers auch für den Teil der Ansprüche dar, für den der Versicherer nicht einzustehen hat, weil er die Deckungssumme übersteigt. Anders liegt es dann, wenn der Versicherer erkennbar zum Ausdruck bringt, dass er die über die Deckungssumme hinausgehenden Ansprüche aus unerlaubter Handlung nicht anerkennen wolle. Da es auf die objektive Auslegung der Erklärung des Versicherers ankommt, schadet es nicht, dass der Geschädigte der umfassenden Unterbrechungswirkung misstraut, ohne dass dies in einer Erklärung des Versicherers einen Anhalt findet (im Anschluss an BGH NJW 1979, 866 [867]).

 

Normenkette

BGB § 208 a.F.

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe (Urteil vom 22.09.2000; Aktenzeichen 10 U 175/99)

LG Mannheim (Urteil vom 09.06.1999)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden die Urteile des 10. Zivilsenats des OLG Karlsruhe v. 22.9.2000 sowie der 11. Zivilkammer des LG Mannheim v. 9.6.1999 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der am 9.8.1953 geborene Kläger wurde auf der Anfahrt zu einer Sportveranstaltung als Beifahrer bei einem Verkehrsunfall infolge vereister Fahrbahn am 17.1.1993 schwerstens verletzt und benötigt seitdem Vollzeitpflege. Das Unfallfahrzeug wurde von einem Sportkameraden des Klägers gesteuert. Die Deckungssumme der Haftpflichtversicherung ist auf 7,5 Mio. DM begrenzt. Der Haftpflichtversicherer hat seine Einstandspflicht anerkannt und erbringt regelmäßig Leistungen. Davon waren Anfang April 1998 bereits 2,2 Mio. DM verbraucht. Der Kläger befürchtet, dass die Versicherungssumme zur Deckung der unfallbedingten Aufwendungen nicht ausreichen wird. Als anderweitige Ersatzmöglichkeit kam der Fahrer des Unfallfahrzeugs in Betracht. Die von dem Kläger alsbald nach dem Unfall mandatierten Rechtsanwälte - die jetzigen Beklagten - haben diesen allerdings bis zur Beendigung des Mandats im September 1996 nicht gerichtlich in Anspruch genommen. Der Kläger geht davon aus, dass der Anspruch gegen den Fahrer verjährt ist, und begehrt die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten.

LG und OLG haben der Klage stattgegeben. Dagegen wendet sich die Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe ein Feststellungsinteresse, weil Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten zu verjähren drohten und eine Leistungsklage noch nicht erhoben werden könne. Die Feststellungsklage sei auch gerechtfertigt. Die Beklagten hätten ihre anwaltlichen Pflichten verletzt, weil sie keine Maßnahmen getroffen hätten, um die Verjährung der Schadensersatzansprüche des Klägers gegen den Fahrer des Unfallfahrzeugs zu verhindern. Durch die Untätigkeit der Beklagten sei dem Kläger ein Schaden entstanden. Denn Ansprüche gegen den Fahrer seien verjährt. Vertragliche Ansprüche, die ggf. erst in dreißig Jahren verjährten (§ 195 BGB a.F.), stünden dem Kläger nicht zu. Bei Gefälligkeitsfahrten im Straßenverkehr fehle es i.d.R. - so auch im vorliegenden Fall - an einem Rechtsbindungswillen. Der Kläger habe zwar den deliktischen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB; ein stillschweigender Haftungsverzicht sei nicht anzunehmen. Dieser Anspruch sei indes verjährt. Der Eintritt eines weiteren Schadens nach Aufbrauchen der Versicherungssumme sei keineswegs unwahrscheinlich.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Die Klage ist bereits deshalb abzuweisen, weil die Beklagten den Kläger durch ihre Untätigkeit nicht geschädigt haben. Etwaige Ansprüche des Klägers gegen den Fahrer aus § 823 Abs. 1 BGB waren zu dem Zeitpunkt, als der Kläger das Mandat beendete, weder verjährt noch drohte insoweit alsbald die Verjährung.

a) Nach § 852 BGB a.F. verjährt ein Anspruch des Klägers gegen den Fahrer in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem er Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt. Da er bereits mit dem Unfall diese Kenntnis hatte, wäre die Verjährungsfrist ohne Unterbrechung oder Hemmung bereits am 17.1.1996, 24.00 Uhr, abgelaufen.

b) Indes ist die Verjährungsfrist im vorliegenden Fall gem. § 208 BGB a.F. unterbrochen worden.

Die Zahlung des Kraftfahrtversicherers stellt grundsätzlich ein die Verjährung unterbrechendes Anerkenntnis zu Lasten des Versicherungsnehmers dar; es erfasst auch den Teil der Ansprüche, für den der Versicherer nicht einzustehen hat, weil er die Deckungssumme übersteigt (BGH, Urt. v. 17.3.1970 - VI ZR 148/68, NJW 1970, 1119; v. 22.11.1988 - VI ZR 20/88, MDR 1989, 345 = NJW-RR 1989, 278). Ein gleiches gilt im Verhältnis des Versicherers zu den mitversicherten Personen, insb. dem Fahrer (BGH, Urt. v. 12.12.1978 - VI ZR 159/77, NJW 1979, 866 [867]). Insoweit ist der Versicherer kraft Gesetzes (§ 10 Abs. 5 AKB) als ermächtigt anzusehen, Ansprüche zu befriedigen und/oder abzuwehren und alle dafür zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens abzugeben (BGHZ 28, 244 [246]; BGH, Urt. v. 19.12.1989 - VI ZR 57/89, MDR 1990, 612 [613]; Stiefel/Hofmann, AKB, 16. Aufl., § 10 AKB Rz. 132).

Etwas anderes gilt, wenn der Versicherer erkennbar zum Ausdruck bringt, dass er die über die Deckungssumme hinausgehenden Ansprüche aus unerlaubter Handlung nicht anerkennen wolle (BGH, Urt. v. 12.12.1978 - VI ZR 159/77, NJW 1979, 866 [867]; v. 22.11.1988 - VI ZR 20/88, MDR 1989, 345 = NJW-RR 1989, 278). Im vorliegenden Fall ist nicht dargelegt, dass der Versicherer die Wirkung seines Anerkenntnisses jemals eingeschränkt hat.

Die Revisionserwiderung verweist darauf, dass der Kläger - seinerzeit vertreten durch die Beklagten - selbst nicht auf eine Unterbrechungswirkung der Zahlungen über die Deckungssumme hinaus vertraut habe. In der Tat haben die Beklagten in einem Schreiben an den Versicherer v. 30.8.1995 erklärt, sie müssten die Einleitung gerichtlicher Schritte gegen Fahrer und Halter des Unfallfahrzeugs prüfen, wenn seitens des Versicherers "keine entsprechende Freistellung oder sonstige rechtlich wirksame Erklärung erfolgt". Die Frage, ob für die Beschränkung der Unterbrechungswirkung eine Erklärung des Versicherers erforderlich ist oder ob auch das fehlende Vertrauen des Geschädigten in eine umfassende Anerkennung hierfür ausreichen kann, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Der Senat beantwortet diese Frage nunmehr dahin, dass nicht die subjektive Sicht des Zahlungsempfängers, sondern die - nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegende - Erklärung des Zahlenden oder dessen Sonstiges, zur Kenntnisnahme des Zahlungsempfängers bestimmtes Verhalten entscheidend ist. Da ein Vertrauen, zu dem der Schuldner - oder der für den Schuldner handelnde Versicherer - keinen Anlass gegeben hat, i.S.d. § 208 BGB a.F. unbeachtlich ist, muss Entsprechendes auch im umgekehrten Fall des Misstrauens gelten (BGH v. 3.12.1987 - VII ZR 363/86, WM 1988, 168 [169 f.]; v. 30.9.1993 - VII ZR 136/92, WM 1994, 307 [308]; OLG Düsseldorf GI 2004, 82). Im Übrigen ist so die wünschenswerte Klarheit über den Umfang des Anerkenntnisses am besten gewährleistet.

c) Auf das Schreiben des Versicherers v. 3.4.1998 kommt es nicht an. Denn wenn darin eine Begrenzung der Anerkennungswirkung zum Ausdruck käme - was die Revision mit beachtlichen Gründen ablehnt -, wäre dadurch erst die Verjährungsfrist in Gang gesetzt worden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Beklagten aber schon nicht mehr die anwaltlichen Vertreter des Klägers.

d) Aus demselben Grunde ist unerheblich, wie sich die Verjährung nach dem neuen Schuldrecht gestaltet (vgl. Art. 229 § 6 EGBGB).

2. Ebensowenig kommt es auf die Fragen an, ob der Fahrer dem Kläger, der sich auf die Gefälligkeitsfahrt eingelassen hat, den Einwand der schuldhaften Selbstgefährdung hätte entgegensetzen können, wie die Revision (unter Berufung auf BGH v. 9.6.1992 - VI ZR 49/91, MDR 1992, 1032 = NJW 1992, 2474) meint, und ob zwischen Fahrer und Beifahrer für den Fall der Schädigung auf Grund leichter Fahrlässigkeit ein konkludenter Haftungsausschluss in dem Umfang vereinbart worden ist, in dem der Schaden über die Deckungsgrenze hinausgeht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1209801

BGHR 2004, 1546

NJW-RR 2004, 1475

DAR 2004, 697

MDR 2005, 90

NZV 2004, 623

VRS 2004, 323

VersR 2004, 1278

ZfS 2005, 10

IVH 2004, 231

JWO-VerkehrsR 2004, 281

VRR 2005, 109

r+s 2005, 26

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