Leitsatz (amtlich)

Führt ein ganz ungewöhnlicher und seltener Starkregen (hier: Wiederkehrzeit von mehr als hundert Jahren) zu einem Rückstau in der Abwasserkanalisation und zu einem Wiederaustritt des Niederschlagswassers, kann sich die Gemeinde ggü. der Anlagenhaftung aus § 2 HPflG auf höhere Gewalt berufen.

 

Normenkette

HPflG § 2

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 25.02.2003)

 

Tenor

Die Sprungrevision der Kläger gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Köln v. 25.2.2003 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Kläger sind Eigentümer des Hausgrundstücks Am W. 30 in B. . Unmittelbar oberhalb des an einem Hang liegenden Grundstücks verlief früher ein von der beklagten Gemeinde unterhaltener und inzwischen verlegter verrohrter Bachlauf, die Amicke, die weiter unten in die Dörspe mündet. Nach der Behauptung der Kläger dient der Bach zugleich als Vorfluter für die städtische Kanalisation.

Am 3.5.2001 kam es im Raum W. /B. zu einem Unwetter mit starken Niederschlägen. Dabei drang Wasser in die Kellerräume der Kläger und einen Schuppen ein. Die Kläger nehmen deswegen die Beklagte auf Schadensersatz i. H. v. 7.412,71 EUR nebst Zinsen in Anspruch. Sie haben behauptet, aus der Kanalleitung, insb. aus zwei Schachtbauwerken, sei das Wasser fontänenartig herausgeschossen und habe sich auf ihr Grundstück ergossen. Die Beklagte hat den Schadenshergang bestritten, technische Fehler der Anlage in Abrede gestellt und hat sich ferner auf einen Jahrhundertregen berufen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Mit der Sprungrevision verfolgen die Kläger ihre Klageforderung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

Nach Ansicht des LG entfällt eine Anlagenhaftung nach § 2 Abs. 1 HPflG, weil der Schaden der Kläger durch höhere Gewalt verursacht worden sei (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG). Aus dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten des Deutschen Wetterdienstes ergebe sich, dass in einer rund 15 km langen, von W. nordostwärts in das Stadtgebiet von B. hinein gerichteten Zone am 3.5.2001 von etwa 16.00 Uhr bis gegen 19.30 Uhr über 100 mm Niederschlag gefallen seien. Der höchste dabei gemessene Wert von 110 mm in W. könne in der Kernzone des Niederschlags in Richtung B. stellenweise sogar noch übertroffen worden sein. In der Region W. /B. seien, bezogen auf ein 3,5 Stunden andauerndes Regenereignis, Niederschlagshöhen ab 55 mm im Westen dieser Zone und 66 mm im Ostteil des Gebiets nur alle 100 Jahre oder seltener zu erwarten. Die für diesen Bereich analysierten Werte von mehr als 100 mm in 3,5 Stunden seien somit als noch weitaus selteneres Ereignis einzustufen.

Aus diesem Grunde stehe den Klägern auch kein Anspruch aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG zu. Dabei könne dahinstehen, ob der Bachlauf ausreichend dimensioniert gewesen sei und den anerkannten Regeln der Technik entsprochen habe. Die Überflutung des Grundstücks der Kläger sei gerade darauf zurückzuführen, dass die Regenmengen im Einzugsbereich des Bachs deutlich über dem gelegen hätten, wovor die Beklagte die Anwohner zu schützen verpflichtet sei. Insoweit sei auch nicht maßgeblich, dass es sich um den dritten Überflutungsschaden innerhalb von fünf Jahren gehandelt habe.

II.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Da das LG weder zu der zwischen den Parteien streitigen Frage, ob der Bachlauf in die von der Beklagten betriebene Abwasserkanalisation einbezogen worden ist, noch zu den näheren Ursachen des Schadensfalles Feststellungen getroffen hat, ist das Klagevorbringen in beiden Punkten als richtig zu unterstellen. Der Senat muss deshalb zum einen davon ausgehen, dass das verrohrte Gewässer der städtischen Kanalisation als Vorfluter dient, und zum anderen, dass die schadensstiftenden Wassermassen aus dem Kanalrohr ausgetreten sind und alsdann das Grundstück der Kläger überflutet haben.

2. Die Beklagte ist den Klägern hiernach nicht zum Schadensersatz aus § 2 Abs. 1 HPflG verpflichtet. Dem steht, wie das LG zutreffend entschieden hat, der Haftungsausschluss wegen höherer Gewalt nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG entgegen.

a) Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 S. 1 HPflG (Wirkungshaftung) sind allerdings erfüllt. Zu den dort genannten Rohrleitungsanlagen, an die das Gesetz eine Gefährdungshaftung ihres Inhabers knüpft, rechnet der Senat in ständiger Rechtsprechung auch die städtische Abwasserkanalisation (BGH v. 5.10.1989 - III ZR 66/88. BGHZ 109, 8 [12] = MDR 1990, 316; v. 11.7.1991 - III ZR 177/90, BGHZ 115, 141 [142] = MDR 1991, 945; Urt. v. 26.4.2001 - II ZR 102/00, NVwZ 2001, 1448; zuletzt Urt. v. 11.3.2004 - III ZR 274/03, z.V.b.). Nach dem zu unterstellenden Sachverhalt hat von der Kanalisation ausgehendes Wasser den geltend gemachten Schaden verursacht.

b) Ob und inwieweit sich die Gemeinde in Fällen, in denen ein seltener Starkregen zu einem Rückstau in der Kanalisation und daher zu einem Wiederaustritt des Niederschlagswassers aus dem Kanalnetz geführt hat, auf höhere Gewalt berufen kann, ist streitig (bejahend OLG Düsseldorf v. 28.7.1993 - 22 U 219/91, OLGReport Düsseldorf 1994, 147 = ZMR 1994, 326 [328] für eine Wiederkehrzeit von 100 Jahren; OLG München v. 12.11.1998 - 1 U 6040/95, OLGReport München 2000, 62, für ein Regenereignis mit höherer als 10-Jähriger bis zu 40-Jähriger Wiederkehr; OLG Zweibrücken BADK-Inf. 1991, 53 f., bei 20-Jähriger oder 25- bis 100-jähriger Wiederkehrzeit; Filthaut, HPflG, 6. Aufl., § 2 Rz. 74, für einen so genannten "Jahrhundertregen"; verneinend bei einer Wiederkehrzeit von 10 Jahren OLG Karlsruhe N-VwZ-RR 2001, 147 [148]; die Revision gegen dieses Urteil hat der Senat durch Beschluss v. 19.10.2000 (BGH, Beschl. v. 19.10.2000 - III ZR 322/99) nicht angenommen; OLG Rostock VersR 2003, 909 [911], bei einer Wiederkehrzeit von 20 Jahren, sofern die Kapazität der Anlage [Regenrückhaltebecken] nicht den veränderten Umständen angepasst wurde). Der erk. Senat hat diese Frage bisher offen gelassen (BGH v. 5.10.1989 - III ZR 66/88, BGHZ 109, 8 [14 f.] = MDR 1990, 316; Urt. v. 26.4.2001 - II ZR 102/00, NVwZ 2001, 1448 [1449]; s. auch Urt. v. 14.7.1988 - III ZR 225/87, MDR 1989, 46 = NJW 1989, 104 [105]). Er beantwortet sie nunmehr dahin, dass bei einem ganz ungewöhnlichen und seltenen Regenereignis (Katastrophenregen), wie es mit einer Wiederkehrzeit von mehr als 100 Jahren hier vorliegt, der Einwand höherer Gewalt nicht ausgeschlossen ist.

aa) Die Gefährdungshaftung für gefährliche Anlagen beruht auf dem Gedanken, dass derjenige, der zur Förderung seiner Zwecke erlaubtermaßen Gefahren schafft, denen sich andere nicht in zumutbarer Weise entziehen können, auch ohne Verschuldensnachweis für die Schäden aufkommen soll, die bei dem gefahrenträchtigen Betrieb - auch bei Einhaltung aller Sorgfalt - entstehen (vgl. BGH, Urt. v. 17.2.2004 - VI ZR 69/03, Umdruck S. 14, m. w. N.). Ausnahmen sieht das Gesetz insb. dann vor, wenn der Schaden durch höhere Gewalt verursacht worden ist. Darunter versteht die höchstrichterliche Rechtsprechung ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist (RG RGZ 171, 104 [105 f.]; BGH BGHZ 7, 338 [339]; v. 5.10.1989 - III ZR 66/88, BGHZ 109, 8 [14 f.] = MDR 1990, 316; Urt. v. 17.2.2004 - VI ZR 69/03, Umdruck S. 16 m. w. N.; s. ferner Filthaut, HPflG, 6. Aufl., § 2 Rz. 71, m. w. N.). Das Merkmal der höheren Gewalt ist ein wertender Begriff, mit dem diejenigen Risiken von der Haftung ausgeschlossen werden sollen, die bei einer rechtlichen Bewertung nicht mehr dem gefährlichen Unternehmen (Bahnbetrieb, Rohrleitungsanlage usw.), sondern allein dem Drittereignis zugerechnet werden können (vgl. BGH, Urt. v. 15.3.1988 - VI ZR 115/87, MDR 1988, 851 = NJW-RR 1988, 986 = VersR 1988, 910).

bb) Nach diesen Maßstäben ist die Überlastung einer Abwasserkanalisation durch einen Katastrophenregen bei wertender Betrachtung nicht mehr den Risiken der Anlage, sondern dem von außen hinzutretenden "Drittereignis" zuzurechnen. Es geht in solchen Fällen - ungeachtet dessen, dass hier auch das aus dem konzentrierten Transport von Wasser stammende Risiko zum Schaden beigetragen hat - letztlich um ganz außergewöhnliche, katastrophenartige Wirkungen elementarer Naturkräfte, auf die die Gemeinde wegen deren Seltenheit ihr Kanalsystem wirtschaftlich zumutbar nicht einrichten kann und muss. Von der Gemeinde darf zwar im Allgemeinen erwartet werden, dass die von ihr betriebene Abwasserkanalisation das aufgenommene Wasser schadlos ableitet; insofern gehen auch die Anforderungen an den Tatbestand der "höheren Gewalt" i. S. d. § 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG über die an das Aufnahmevermögen des Kanalnetzes, mit denen sich der Senat verschiedentlich unter dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung befasst hat (vgl. BGH v. 5.10.1989 - III ZR 66/88, BGHZ 109, 8 [10 f.] = MDR 1990, 316; v. 11.7.1991 - III ZR 177/90, BGHZ 115, 141 [147 f.] = MDR 1991, 945; v. 18.2.1999 - III ZR 272/96, BGHZ 140, 380 [385]; v. 11.12.1997 - III ZR 52/97, MDR 1998, 346 = NJW 1998, 1307 f.; s. auch Urt. v. 11.10.1990 - III ZR 134/88, NJW-RR 1991, 733 [734] = VersR 1991, 888 [889]), hinaus. Gleichwohl findet die Gefährdungshaftung für Rohrleitungsanlagen ebenfalls ihre Grenze in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Kommunen und dem von ihnen vernünftigerweise zu erwartenden Aufwand bei der Auslegung ihres Kanalsystems. Wo genau die Grenzlinie zu ziehen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer einheitlichen rechtlichen Beurteilung. Im vorliegenden Fall, in dem nach den Feststellungen des LG die gemeindliche Abwasseranlage Niederschlagsmengen zu bewältigen hatte, die seltener als alle 100 Jahre zu erwarten sind, ist aber diese Grenze jedenfalls überschritten.

cc) Der Berufung auf höhere Gewalt steht im Streitfall auch nicht entgegen, dass die Anlage nach den Behauptungen der Kläger nicht ausreichend dimensioniert gewesen ist und nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprochen hat. Das LG hat festgestellt, dass sich derartige Mängel jedenfalls nicht ausgewirkt haben, vielmehr die Überflutung gerade auf die katastrophenartig erhöhten Regenmengen zurückzuführen ist. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden. Verfahrensrügen hiergegen sind bei einer Sprungrevision grundsätzlich nicht zulässig (§ 566 Abs. 4 S. 2 ZPO) und werden auch nicht erhoben.

3. Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB, Art. 34 GG) wegen der behaupteten fehlerhaften Errichtung oder Dimensionierung des Abwasserkanals hat das LG dementsprechend an dem fehlenden Ursachenzusammenhang zwischen den Pflichtverletzungen und dem Schaden scheitern lassen. Das ist aus Rechtsgründen gleichfalls nicht zu beanstanden und wird von der Revision ebenso wenig angegriffen.

4. Andere Ersatzansprüche sind nicht gegeben. Für einen neben der Haftung aus Amtspflichtverletzung zu prüfenden Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff gilt zur Kausalität dasselbe wie hinsichtlich der Amtshaftung. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt zwar außerdem, wenn ein Bachlauf - wie hier - verrohrt und in das gemeindliche Kanalsystem einbezogen ist, ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Gewässerunterhaltungspflicht in Betracht (BGH, Urt. v. 27.1.1983 - III ZR 70/81, MDR 1983, 733 = LM Nr. 74 zu § 839 [Fe] BGB = DVBl. 1983, 1055 [1056 f.]). Auch in dieser Beziehung wäre jedoch die Kausalitätsfrage nicht abweichend zu beurteilen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1157803

BGHZ 2005, 19

NJW 2005, 1185

NWB 2004, 2708

BGHR 2004, 1010

NVwZ 2005, 358

IBR 2004, 398

WM 2005, 617

ZfIR 2004, 565

DÖV 2004, 962

MDR 2004, 875

NZV 2004, 395

NuR 2005, 67

WuM 2004, 410

BayVBl. 2005, 91

DVBl. 2004, 948

GV/RP 2005, 734

GuT 2004, 188

IVH 2004, 226

Info M 2005, 48

KomVerw 2005, 281

RÜ 2004, 558

RdW 2004, 437

RdW 2004, 438

UPR 2004, 348

ZfW 2005, 238

ZfW 2005, 68

FSt 2005, 441

FuBW 2005, 473

FuHe 2005, 601

FuNds 2005, 521

G+S 2004, 277

JT 2005, 146

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